suche | spenden | impressum | datenschutz
Anthroposophie / Erweiterungen / Quellen der Esoterik / Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz

Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreutz

1616


Johann Valentin Andreae
Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz Anno 1459

Ins Neuhochdeutsche übertragen von Lorenzo Ravagli


Erster Tag | Zweiter Tag | Dritter Tag | Vierter Tag | Fünfter Tag | Sechster Tag | Siebter Tag


 

Erster Tag

An einem Abend vor dem Ostertag saß ich an einem Tisch, und wie ich mich meiner Gewohnheit nach mit meinem Schöpfer in einem demütigen Gebet hinreichend besprochen und über viele große Geheimnisse nachgedacht hatte (von denen mich der Vater des Lichts in seiner Majestät nicht wenige hatte sehen lassen) und ich mir mit meinem lieben Osterlämmlein ein ungesäuertes, unbeflecktes Küchlein in meinem Herzen zubereiten wollte, da kam auf einmal ein so grausamer Wind auf, dass ich glaubte, der Berg, in den mein Häuslein gegraben war, müsse vor großer Gewalt zerspringen.

Weil mir aber dergleichen der Teufel (der mir schon manches Leid zugefügt) für gewöhnlich nicht antat, fasste ich Mut und setzte meine Meditation fort, bis mich plötzlich jemand am Rücken berührte, worüber ich so sehr erschrak, dass ich mich kaum umzusehen wagte, noch stellte ich mich so freudig, wie es die menschliche Schwachheit bei einer solchen Berührung vielleicht getan hätte.

Aber als mich das unbekannte Wesen mehrmals am Rock zupfte, sah ich mich um, – da war ein schönes, strahlendes Weibsbild, deren Kleid ganz blau und mit goldenen Sternen wie am Himmel zierlich versetzt war.

In der rechten Hand trug sie eine goldene Posaune, in die ein Name eingraviert war, den ich zwar lesen konnte, den zu offenbaren mir aber verboten wurde: In der linken Hand trug sie ein großes Büschel Briefe in allerlei Sprachen, die sie (wie ich hernach erfuhr) in alle Länder tragen musste: Sie hatte aber auch Flügel, groß und schön, voller Augen durch und durch, mit denen sie sich aufschwingen und schneller als ein Adler fliegen konnte.

Ich hätte vielleicht noch mehr an ihr bemerken können, aber weil sie nur so kurz bei mir war und der ganze Schreck und die Verwunderung noch in mir steckten, mußte ich es dabei bewenden lassen.

Sobald ich mich aber umgewendet hatte, blätterte sie ihre Briefe hin und her und zog endlich ein kleines Brieflein heraus, das sie mit grosser Ehrerbietung auf den Tisch legte, um ohne ein weiteres Wort von mir zu weichen.

Im Aufschwingen aber stieß sie so kräftig in ihre schöne Posaune, dass der ganze Berg davon wiederhallte und ich fast eine Viertelstunde lang mein eigenes Wort kaum mehr hören konnte.

Angesichts dieses unerwarteten Abenteuers wusste ich mir Armem weder zu raten noch zu helfen: ich fiel deswegen auf meine Knie und bat meinen Schöpfer, er möge mir nichts gegen mein ewiges Heil geschehen lassen. Daraufhin ging ich mit Furcht und Zittern zu dem Brieflein, das so schwer war, als  bestünde es aus lauterem Gold.

Als ich es nun genau untersuchte, fand ich ein kleines Siegel, mit dem es verschlossen war.

Darauf war ein zartes Kreutz gegraben, mit der Inschrift: In hoc signo + vinces. [In diesem Zeichen + wirst Du siegen.]

So bald ich nun das Zeichen gefunden hatte, war ich getröstet, denn ich wusste, daß dem Teufel ein solches Siegel nicht angenehm wäre und dass er es noch viel weniger benutzen würde.

Deshalb öffnete ich das Brieflein vorsichtig: Darin fand ich in einem blauen Feld mit goldenen Buchstaben die folgenden Verse geschrieben.

Heut, Heut, Heut,
Ist des Königs Hochzeit,
Bist Du hierzu geboren,
Von Gott zu Freud erkoren,
Magst auf den Berg Du gehen,
Darauf drei Tempel stehen,
Daselbst die Geschicht besehen.

Halt Wacht,
Dich selbst betracht,
Wirst dich nicht fleissig baden,
Die Hochzeit kann dir schaden.
Schad hat, wer hier verzicht,
Hüt sich, wer ist zu leicht,

Darunter stand: Sponsus et Sponsa [Bräutigam und Braut].

Da ich nun diesen Brief gelesen hatte, wurde mit ganz schwindlig, standen mir alle Haare zu Berge und lief mir der kalte Schweiss über den ganzen Leib herab. Denn obwohl ich erkannte, dass dies die Hochzeit war, die mir vor sieben Jahren ein leibliches Gesicht angekündigt hatte, auf die ich nun schon eine so lange Zeit mit großer Sehnsucht gewartet hatte und deren Eintreffen sich bei fleissiger Nachrechnung der Planeten bestätigte, hätte ich doch nie erwartet, daß diese Hochzeit mit so schweren und gefährlichen Bedingungen verbunden wäre.

Dann zuvor hatte ich gemeint, ich dürfte nur gerade so bei der Hochzeit erscheinen und ich würde ein willkommener und lieber Gast sein. Jetzt aber wies man mich auf die göttliche Vorsehung, derer ich niemals gewiss sein konnte. Und ich befand bei mir selbst, je mehr ich darüber nachdachte, dass in meinem Kopf nichts als großer Unverstand und Blindheit in geheimen Sachen sei, auch dass ich nicht zu verstehen vermochte, was unter meinen Füssen lag und mit dem ich täglich umging, viel weniger dass ich zur Erforschung und Erkenntnis der Geheimnisse der Natur geboren sei, weil meines Erachtens die Natur jederzeit einen tugendhafteren Schüler hätte finden zu finden vermögen, dem sie ihren so teuren, gleichwohl zeitlichen und vergänglichen Schatz hätte anvertrauen können.

Und ich befand auch, daß mein Leib und äußerlicher Wandel und meine brüderliche Liebe gegen meinen Nächsten nicht recht gereinigt und gesäubert sei.

Und es regte sich auch noch des Fleisches Kitzel, dem sein Sinn nur zu hohem Ansehen und zu weltlicher Pracht, nicht aber dem Nebenmenschen zum Guten stand und das immer gedachte, »Ei, wie könnte ich durch solche Kunst meinen Nutzen in kurzem so trefflich befördern, stattliche Gebäude aufführen, einen ewigen Namen in der Welt machen«, und was dergleichen fleischliche Gedanken mehr sind. Besonders aber bekümmerten mich die dunklen Worte von den drei Tempeln, die ich mit keinem Nachdenken zu verstehen vermochte, und vielleicht nie verstehen würde, sofern mir ihre Bedeutung nicht auf wundersame Weise eröffnet würde.

Wie ich nun in solcher Furcht und Hoffnung steckte, hin und her überlegte, aber nur meine Schwäche und Unfähigkeit fand und mir selbst auf keine Weise helfen konnte, ja, mich vor der angekündigten Trauung ein heftiges Entsetzen ergriff, da nahm ich zu meinem gewöhnlichen und allersichersten Weg meine Zuflucht. Ich legte mich nach vollendetem ernstem und eifrigem Gebet in mein Bett, auf dass mir doch mein guter Engel auf göttlichen Ratschluss erscheinen möge, um mich in diesem zweifelhaften Handel, wie schon einige Male zuvor, zu beraten, was dann auch zu Gottes Lob, mir zum besten und meinem Nächsten zu treulicher und herzlicher Warnung und Besserung geschah.

Denn kaum war ich eingeschlafen, schien mir, als läge ich in einem finsteren Turm mit vielen anderen Menschen an grossen Ketten gefangen, in dem wir ohne alles Licht und Schein wie die Bienen übereinander wimmelten und einer dem andern seine Trübsal noch schwerer machten: Obwohl weder ich noch irgend ein anderer auch nur das geringste sehen konnten, hörte ich doch, wie sich immer einer über den anderen erhob, wenn seine Kette oder seine Stiefel nur um das Geringste leichter waren, obwohl keiner dem anderen viel voraus hatte, da wir doch alle dieselben dummen Tröpfe waren.

Nachdem ich nun in dieser Trübsal mit den andern eine gute Weile verharrt und immer einer den andern einen Blinden und Gefangenen gescholten hatte, hörten wir endlich viele Trompeten blasen, und die Heertrommel so kunstvoll dazu schlagen, daß es uns in unserem Elend erquickte und erfreute.

Unter solchem Getön wurde der Deckel am Turm oben aufgehoben und uns ein wenig Licht zuteil.

Da sah man uns erst recht durcheinanderpurzeln, da ging alles durcheinander und jene, die sich zu sehr vorgewagt hatten, kamen andern unter die Füße – kurz, ein jeder wollte der oberste sein. Auch ich selbst säumte nicht, sondern zog mich mit meinen schweren Stiefeln unter den andern an einem steinernen Vorsprung hervor, den ich erwischt hatte, aber auch da wurde ich von den anderen mehrfach angegriffen, wehrte mich jedoch, so gut ich konnte, mit Händen und Füßen, denn wir glaubten, wir würden nun alle frei gelassen, was doch keineswegs der Fall war. Denn nachdem sich die Herren, die oben vom Loch des Turms auf uns hinab gesehen, durch solches Zappeln und Winseln ein wenig belustigt hatten, hieß uns ein alter eisgrauer Mann still sein, und kaum war die Stille eingetreten, fing er an – woran ich mich noch gut erinnern kann – also zu reden:

Wenn es sich nicht erhöbe,
Das arme menschliche Geschlecht,
Wär ihm viel Guts gegeben,
Von meiner Mutter recht,
Weils aber nicht will folgen,
Bleibt es in solchen Sorgen,
Und muß gefangen sein.

Noch will mein liebe Mutter,
Ansehen ihre Unart nicht,
Lässt ihre schönen Güter,
Zu viel kommen ans Licht,
Wiewohl dies geschieht gar selten,
Damit sie auch was gelten,
Sonst hält mans für ein Gedicht.

Darum dem Fest zu Ehren,
Welches wir heute feiern,
Dass man ihre Gnad vermehre,
Ein gutes Werk will sie tun,
Das Seil wird man jetzt senken,
Wer sich daran wird hängen,
Derselbe soll werden frei.

Kaum hatte der Alte ausgeredet, befahl die alte Frau ihren Dienern, das Seil sieben Mal in den Turm herabzulassen und wer auch immer sich daran hänge, der solle heraufgezogen werden.

O wollte Gott, ich könnte auch nur annähernd beschreiben, welcher Tumult da unter uns ausbrach, denn ein jeder wollte das Seil ergreifen und es behinderte doch nur einer den andern.

Nach sieben Minuten aber wurde mit dem Glöcklein ein Zeichen gegeben.

Daraufhin zogen die Diener das erste Mal vier heraus, zu denen ich nicht gehörte, denn ich konnte das Seil nicht erreichen, da ich mich, wie bereits berichtet, zu meinem größten Unglück an der Wand des Turms auf einen Stein geflüchtet hatte, und deswegen konnte ich das Seil, das in der Mitte herabkam, nicht erreichen.

Ein zweites Mal wurde das Seil herabgelassen.

Aber da manchem die Ketten zu schwer, die Hände aber zu schwach waren, konnte er sich am Seil nicht festhalten, und riss noch manch anderen, der sich vielleicht hätte halten können, mit sich hinab.

Ja, es wurde auch mancher von einem anderen wieder heruntergerissen, der doch selbst nicht ans Seil gelangen konnte – wir waren also in unserem großen Elend auch noch neidisch aufeinander.

Jene aber dauerten mich am meisten, deren Gewicht so schwer war, dass sie sich selbst die Hand aus dem Leib rissen, und doch nicht hinauf konnten.

So kam es, dass die ersten fünf Mal nur ganz wenige hinaufgezogen wurden. Denn sobald das Zeichen gegeben wurde, waren die Diener mit dem Hinaufziehen so schnell, dass der Großteil über einander purzelte, ja beim fünften Mal wurde das Seil ganz leer wieder hinaufgezogen. Daher verzagte die Mehrheit an der Aufgabe und rief Gott an, er möge sich unserer erbarmen und wenn es möglich sei, uns aus dieser Finsternis erlösen – der dann auch etliche unter uns erhörte.

Denn da das Seil zum sechsten Mal herabkam, hängten sich etliche fest daran.

Und weil es beim Heraufziehen hin und her schwankte, kam es – vielleicht aus göttlichem Willen – zu mir herüber und ich erfasste es schnell und kam zu oberst auf allen anderen zu sitzen und kam endlich – wider alle Hoffnung – doch noch heraus, was mich so sehr freute, dass ich die Wunde, die mir ein spitzer Stein beim Heraufziehen am Kopf zugefügt hatte, gar nicht wahrnahm, bis ich mit anderen Befreiten zusammen beim siebten und letzten Seilzug mithelfen musste (was auch zuvor schon immer geschehen war). Da war mir schon das Blut über meine ganzen Kleider gelaufen, aber ich hatte vor Freude nicht darauf geachtet. Als nun der letzte Zug, an dem noch die meisten festhingen, vollendet war, ließ die Frau das Seil weglegen und ihren uralten Sohn (worüber ich mich zuhöchst wunderte) den anderen Gefangenen ihren Bescheid verkünden, der sie nach kurzem Nachdenken wie folgt anredete:

Ihr lieben Kinder,
Die ihr hier seid,
Es ist vollendet,
Was längst erkannt,
Was meiner Mutter grosse Gnad’
Euren beiden hier erwiesen hat,
Das sollt ihr ihnen nicht missgönnen,
Eine fröhliche Zeit, die soll bald kommen
Darin einer wird dem andern gleich,
Keiner wird sein arm oder reich,
Wem viel befohlen,
Muß viel holen,
Wem viel vertraut,
Dem gehts an die Haut,
Darum so lasst eure große Klag,
Was ist’s um etliche wenige Tag.

Sobald er zu Ende gesprochen hatte, wurde der Deckel wieder verschlossen und das Trompeten und Heertrommeln hob von Neuem an.

So laut aber konnte der Ton gar nicht sein, dass man die bittere Klage der Gefangenen nicht mehr hätte hören können, die aus dem Turm herauskam. Und bald fing ich ob diesem Gejammer zu weinen an.

Kurz darauf setzte sich die alte Frau mit ihrem Sohn auf vorbereitete Sessel nieder und befahl, die Erlösten zu zählen.

Nachdem sie die Zahl vernommen und auf ein goldgelbes Täfelchen geschrieben hatte, begehrte sie eines jeden Namen, die auch von einem Knäblein aufgeschrieben wurden: Wie sie uns so nacheinander ansah, seufzte sie und sprach zu ihrem Sohn so, dass ich es gut hören konnte: Ach, wie dauern mich die armen Menschen im Turm so sehr, wollte Gott, ich dürfte sie alle befreien.

Darauf anwortete der Sohn: Mutter, so hat Gott es angeordnet, dem sollen wir uns nicht widersetzen. Wenn wir alle Herren wären und alles Gut hätten auf Erden und würden dann zu Tisch sitzen, wer wollte uns dann noch das Essen bringen?

Da schwieg die Mutter. Aber bald darauf sagte sie: Nun, so lass doch wenigstens diese von ihren Stiefeln befreien. Was dann auch schnell geschah, und fast wäre ich der letzte gewesen.

Aber ich konnte mich nicht zurückhalten und, ohne auf andere zu sehen, verbeugte ich mich vor der alten Frau und dankte Gott, der mich durch sie aus solcher Finsternis gnädig und väterlich hatte bringen wollen, was dann auch andere nach mir taten und auch die Frau verneigte sich.

Endlich wurde einem jeden von uns ein goldener Denk- und Zehrpfennig gegeben.

Darauf befand sich auf der einen Seite die aufgehende Sonne, auf der anderen Seite standen, so weit ich mich erinnere, diese drei Buchstaben: D.L.S. [Deus Lux Solis; Deo Laus Semper]. [Gott, das Licht der Sonne; Gott sei ewiges Lob.]

Dann wurde ein jeder entlassen und zu seinem Tagewerk geschickt, mit der Mahnung, wir sollten zu Gottes Lob unserem Nächsten nützlich sein, und was uns anvertraut worden, für uns behalten, was wir auch zu tun versprachen, um schließlich voneinander zu scheiden.

Ich aber vermochte wegen der Wunden, die mir die Stiefel zugefügt hatten, nicht gut voranzukommen, sondern hinkte auf beiden Füßen, was die Alte bald bemerkte, worüber sie lachte und mich zu sich kommen ließ und mich ansprach.

Mein Sohn, dieser Mangel soll dich nicht bekümmern, sondern erinnere dich deiner Schwächen und danke Gott, der dich zu so hohem Licht noch auf dieser Welt und im Stande deiner Unvollkommenheit hat kommen lassen und behalte diese Wunden meinetwegen.

Daraufhin erhob sich erneut der Trompetenschall, was mich so sehr erschreckte, dass ich erwachte. Da erkannte ich, dass alles nur ein Traum gewesen war. Aber er ging mir doch so sehr nach, dass ich mir noch immer seinetwegen Sorgen machte und mir schien, als schmerzten mir noch die Füße wegen der Wunden.

Wie dem auch sei, ich verstand wohl, dass mir Gott vergönnt hatte, jener verborgenen und heimlichen Hochzeit beizuwohnen, weswegen ich seiner göttlichen Majestät mit kindlichem Vertrauen dankte und erneut zu ihm betete, er möge mich auch weiterhin in Ehrfurcht vor ihm erhalten, mein Herz täglich mit Weisheit und Verstand erfüllen, und mich endlich zu dem erwünschten Ziel, ohne mein Verdienst, allein aus seiner Gnade heraus bringen.

Darauf machte ich mich für den Weg bereit, zog meinen weißen Leinenrock an und gürtete meine Lenden mit einem blutroten Band, das ich kreuzweise um die Achseln schlang.

Auf meinen Hut aber steckte ich vier rote Rosen, damit ich unter dem Haufen durch solche Zeichen leichter erkannt werden möge.

Als Speise nahm ich Brot, Salz und Wasser, die ich später, wie mir ein Verständiger geraten hatte, zu gewisser Zeit nutzen wollte.

Ehe ich mein Hüttchen verließ, fiel ich mit meiner vollen Ausstattung in meinem Hochzeitskleid auf die Knie und bat Gott, da die Dinge nun so stünden, möge er sie zu einem guten Ende kommen lassen und gelobte vor seinem Angesicht, wenn mir etwas durch seine Gnade eröffnet würde, dann würde ich es mir weder zur Ehre noch zum Ansehen in der Welt gereichen lassen, sondern allein zur Förderung seines Namens und zum Dienst am Nebenmenschen.

Und mit diesem Gelübde und guter Hoffnung verließ ich voller Vorfreude meine Zelle.


2. Tag

Kaum kam ich aus meiner Zelle in den Wald, da dünkte mich, als hätten sich der ganze Himmel und alle Elemente zu solcher Hochzeit geschmückt.

Auch die Vögel sangen meines Erachtens lieblicher denn zuvor, die jungen Hirschlein sprangen so freudig daher, dass sie mein altes Herz erfreuten und zu singen bewegten, deswegen fing ich mit lauter Stimme also an zu singen:

Freu dich, du liebes Vögelein,
Dein Schöpfer hoch zu loben:
Dein Stimm’ erheb nun hell und fein,
Dein Gott ist hoch erhoben,
Dein Speis hat er dir vorbereit,
Gibt dir’s zu recht bequemer Zeit,
Daran lass du dich g’nügen.

Was wollst doch unlustig sein,
Was wollst über Gott zürnen,
Dass er dich wollt ein Vögelein sein,
Wollst das Köpflein verwirren,
Dass er dich nicht zum Menschen gemacht,
O schweig, er hat es wohl bedacht,
Daran lass du dich g’nügen.

Was mach ich armer Erden Wurm,
Wollt ich mit Gott wohl rechten,
Dass ich so in den Himmel stürm,
Mit Gwalt groß Kunst zu erfechten,
Gott kannst du zu nichts zwingen,
Wer hier nicht taugt, mach sich davon,
O Mensch, lass dich genügen.

Das er dich nicht zum Kaiser macht,
Das lass du dich nicht kränken,
Sein Namen hätts’t vielleicht veracht,
Das wird er wohl bedenken:
Die Augen Gottes heller sein,
Er sieht dir gar ins Herz hinein,
Drum wirst Gott nicht betrügen.

Dies sang ich aus dem Grunde meines Herzens durch den Wald hindurch, dass es allenthalben erschallte, und die Berge mir die letzten Worte zurückriefen, bis ich endlich eine schöne grüne Heide erblickte, auf die ich mich begab.

Auf dieser Heide standen drei hohe schöne Zedernbäume, die wegen ihrer Breite einen herrlichen, mir erwünschten Schatten gaben, über den ich mich sehr freute, denn auch wenn ich noch nicht weit gegangen war, so machte mich doch mein bloßes Verlangen schon müde, weswegen ich auf die Bäume zueilte, um unter ihnen ein wenig zu ruhen.

Wie ich aber näher herankam, erblickte ich ein Täfelchen, das an den einen Baum geheftet war, auf dem die folgenden Worte mit zierlichen Buchstaben geschrieben standen:

Hospes salve: si quid tibi forsitan de nuptiis Regis auditum.

Verba haec perpende.

Quatuor viarum optionem per nos tibi sponsus offert, per quas omnes, modo non in devias delabaris ad regiam eius aulam pervenire possis.

Prima brevis est, sed periculosa, et quae te in varios scopulos deducet, ex quibus vix te expedire licebit.

Altera longior, quae circumducet te, non abducet, plana ea est, et facilis, si te Magnetis auxilio, neque ad dextrum, neque sinistrum abduci patieris.

Tertia vere Regia est, quae per varias Regis nostri delicias et spectacula viam tibi reddet jucundam. Sed quod vix mille simo hactenus obtigit.

Per quartam nemini hominum licebit ad Regiam per venire, utpote, quae consumens, et non nisi corporibus incorruptibilibus conveniens est.

Elige nunc ex tribus quam velis, et in ea constans permane.

Scito autem quamcunque ingressus fueris: ab immutabili Fato tibi ita de stinatum, nec nisi cum maximo vitae periculo regredi fas esse.

Haec sunt quae te scivisse voluimus: sed heus cave ignores, quanto cum periculo te huic viae commiseris, nam si te vel minimi delicti contra Regis nostri leges nosti obnoxium: quaeso dum adhuc licet per eandem viam, qua accessisti, domum te confer quam citissime.

[Heil sei mit dir, Fremdling! Solltest du etwas über die Hochzeit des Königs gehört haben, so bedenke diese Worte.

Durch uns eröffnet dir der Bräutigam eine Wahl zwischen vier Wegen, von denen dich ein jeder, sofern du nicht auf Abwege gerätst, zum königlichen Hof bringen kann.

(1) Der erste ist kurz, aber gefährlich. Er wird dich an felsige Orte führen, durch die es kaum ein Durchkommen gibt.

(2) Der zweite ist länger und führt dich im Kreis herum, er ist eben und leicht, wenn du mit Hilfe des Magnets weder nach rechts noch nach links abirrst.

(3) Der dritte ist jener wahrhaft königliche Weg, der dir dank der vielfältigen Vergnügungen und Feste unseres Königs eine angenehme Reise bereiten wird, aber er wurde bisher kaum einem unter Tausenden gewährt.

(4) Auf dem vierten soll kein Mensch den Hof erreichen, denn er ist anstrengend und allein für solche Körper bestimmt, die unzerstörbar sind.

Wähle nun, welchen von den dreien du gehen willst und folge ihm standhaft, denn wisse, welchen auch immer du wählst, der ist dir vom unabänderlichen Schicksal bestimmt und du kannst auf ihm nicht zurück, es sei denn unter Gefahr des Lebens.

Das sind die Dinge, die du wissen musst. Aber wehe, hüte dich davor, die Gefahren nicht zu bedenken, die auf diesem Weg auf dich warten! Denn wenn du glaubst, dass du auch nur im geringsten gegen die Gesetze unseres Königs verstoßen könntest, beschwöre ich dich, innezuhalten, denn noch ist es möglich, auf dem Weg, auf dem du gekommen bist, nach Hause zurückzukehren.]

So bald ich nun diese Schrift gelesen, war mir schon alle Freude wieder dahin, und der ich zuvor fröhlich gesungen hatte, fing nun an, inniglich zu weinen, denn ich sah gleichwohl alle drei Wege vor mir, und wusste auch, dass mir nach der Zeit erlaubt wäre, einen dieser Wege zu erwählen.

Ich sorgte mich, dass ich auf den steinigen und felsigen Weg käme und jämmerlich zu Tode fallen könnte. Oder wenn ich  auf den langen Weg käme, könnte ich mich entweder auf Abwegen verirren, oder sonst auf der weiten Reise verloren gehen. Aber ich durfte auch nicht hoffen, dass unter Tausenden ich eben der sein sollte, der den königlichen Weg erwählte. Den vierten sah ich ebenso vor mir, aber er war mit Feuer und Dampf dermaßen umgeben, dass ich ihm bei weitem nicht nahen durfte.

So dachte ich also hin und her, ob ich wieder umkehren oder einen der Wege nehmen sollte. Auch meine Unwürdigkeit bedachte ich, aber mich tröstete der Traum, in dem ich aus dem Turm befreit worden war, und doch durfte ich mich nicht einfach auf einen Traum verlassen, weswegen ich dann so lange hin und her überlegte, bis ich vor lauter Müdigkeit Hunger und Durst bekam.

Deswegen zog ich mein Brot hervor und schnitt es auf. Aber eine schneeweiße Taube, die auf einem Baum gesessen und die ich nicht bemerkt hatte, entdeckte das Brot und flog – so wie sie dies vielleicht immer tat –, herab und begab sich heimlich zu mir. Mit ihr teilte ich gerne meine Speise, die sie auch annahm und durch ihre Schönheit wurde ich ein wenig erfrischt.

So bald dies aber ihr Feind, ein schwarzer Rabe, sah, schoss er auf die Taube zu und wollte ihr das Brot wegnehmen, die sich nicht anders zu helfen wusste, als dass sie floh.

Beide flogen Richtung Mittag, was mich dermaßen erzürnte und betrübte, dass ich gedankenlos dem schwarzen Raben nacheilte und gegen meinen Willen, fast eine Ackerlänge weit, in den betreffenden Weg hineinlief, und den Raben vertrieb, die Taube jedoch erlöste.

Da erst bemerkte ich, wie unbesonnen ich gehandelt hatte und dass ich bereits einen Weg betreten hatte, von dem ich nicht mehr abweichen durfte, ohne eine große Strafe auf mich zu ziehen.

Und obwohl ich mich darüber noch hätte hinwegtrösten können, tat es mir doch sehr leid, dass ich mein Säcklein und mein Brot beim Baum zurückgelassen hatte und sie nicht mehr holen konnte.

Denn sobald ich umkehrte, erhob sich ein so heftiger Wind gegen mich, dass er mich mit Leichtigkeit umwarf, ging ich aber auf dem Weg fort, so merkte ich ganz und gar nichts, woraus ich leicht schließen konnte, dass es mich das Leben kosten würde, wenn ich gegen den Wind ankämpfte.

Daher nahm ich duldsam mein Kreuz auf mich und den Weg unter die Füße und dachte, weil es doch sein müsse, könnte ich wenigstens versuchen, vor Einbruch der Nacht am Ziel anzukommen.

Und obwohl sich manche scheinbaren Abwege zeigten, blieb ich dank meinem Kompass stets auf dem Hauptweg. Ich wollte von der Mittagslinie keinen Schritt abweichen, mochte der Weg auch noch so rauh und ungebahnt sein und ich nicht wenige Male daran zweifeln, ob er noch der rechte sei. Unterwegs gedachte ich stets der Taube und des Raben und konnte das Rätsel doch nicht lösen.

Endlich sah ich auf einem hohen Berg ein schönes Portal, dem ich zueilte, auch wenn es mir weit vom Weg abzuliegen schien, denn die Sonne hatte sich bereits hinter den Bergen verborgen und ich vermochte nirgends eine Stadt zu erblicken. Und dass ich dieses Portal entdeckt habe, das schreibe ich allein Gott zu, der mich ebensogut auf dem Weg hätte fortgehen lassen und meine Augen mit Blindheit schlagen können. Dem Portal also eilte ich, wie gesagt, schleunigst zu, und erreichte es noch rechtzeitig, um es näher in Augenschein nehmen zu können.

Es war aber ein überaus königliches, schönes Portal, in das viele herrliche Bilder und Sachen gehauen waren, die alle, wie ich später erfuhr, eine besondere Bedeutung hatten.

Zuoberst war ein zierliches Täfelchen angebracht, auf dem diese Worte standen:

Procul hinc, procul ite Prophani

[Weiche von hier, weiche von hier, Uneingeweihter].

Und noch anderes befand sich dort, worüber zu erzählen mir streng verboten wurde.

So bald ich nun unter das Portal trat, huschte gleich einer in einem himmelblauen Kleid hervor, den ich freundlich grüßte. Er bedankte sich umgehend, verlangte aber von mir, die Einladung zu sehen.

Wie froh war ich da, dass ich sie mitgenommen hatte, denn allzuleicht hätte ich sie auch vergessen können, was anderen tatsächlich widerfahren war, wie mir der Hüter am Eingang erzählte. So zeigte ich ihm meine Einladung, die ihn nicht nur zufriedenstellte, sondern ihn – was mich sehr erstaunte – auch noch in Ehrbezeugungen ausbrechen und sagen ließ: Geh hin mein Bruder, ein lieber Gast bist du mir. Außerdem wollte er meinen Namen wissen, und da ich ihm antwortete, ich sei der Bruder vom roten Rosenkreuz, wunderte und freute er sich sehr und sagte: Mein Bruder, hast du nicht so viel bei dir, dass du ein Zeichen kaufen kannst?

Ich antwortete, mein Vermögen sei gar zu gering, aber wenn er etwas an mir sehe, das er gerne habe, solle er es nehmen.

Nachdem ich ihm mein Wasserfläschlein, das er begehrte, ausgehändigt hatte, gab er mir ein goldenes Zeichen, auf dem nicht mehr als die beiden Buchstaben S.C. standen (Sanctitate Constantia; Sponsus Charus; Spes Charitas [Heilige Standhaftigkeit; Teurer Bräutigam; Hoffnung und Liebe]) und die Ermahnung, es werde mir wohl bekommen, wenn ich mich seiner erinnerte. Darauf fragte ich ihn, wie viele vor mir schon gekommen seien, worauf er mir eine Antwort gab. Endlich überreichte er mir aus guter Freundschaft ein versiegeltes Briefchen an den anderen Hüter.

Während ich mich bei ihm aufhielt, brach die Nacht herein. Da wurde über der Pforte eine große Pechpfanne angezündet, damit jeder, der sich noch auf dem Weg befände, herzueilen könne. Der Weg aber, der zum Schloss hinaufführte, war zu beiden Seiten von Mauern und schönen Bäumen mit allerlei Früchten gesäumt. An jedem dritten Baum auf jeder Seite hingen Laternen, in denen eine schöne Jungfrau in blauem Kleid bereits alle Lichter mit einer herrlichen Fackel angezündet hatte. Das war so herrlich anzusehen, dass ich ohne Not etwas länger bei diesem Anblick verweilte.

Endlich aber, nach einem ausführlichen Bericht und nützlicher Unterweisung, schied ich freundlich vom ersten Hüter. Unterwegs hätte ich zwar zu gerne gewusst, was in meinem Brieflein stand, aber da ich dem Hüter nichts Böses unterstellen durfte, musste ich mich im Zaum halten und weitergehen, bis ich zu einer anderen Pforte kam, die der ersten sehr ähnlich sah, aber mit anderen Bildern und heimlichen Bedeutungen geschmückt war.

Auf dem angehefteten Täfelchen stand:

Date et dabitur vobis

[Gebet und euch wird gegeben].

Unter dieser Pforte lag an einer Kette ein grausamer Löwe, der sich aufrichtete, so bald er mich sah, und mit großem Brüllen nach mir begehrte. Von diesem Brüllen wachte der andere Hüter auf, der auf einem Marmorstein lag und hieß mich, ohne Sorge und Furcht näherzutreten.

Nachdem er den Löwen hinter sich getrieben und das Brieflein, das ich ihm zitternd dargereicht, entgegengenommen und gelesen hatte, sprach er mich mit großer Ehrerbietung an:

Nun sei mir Gott willkommen der Mensch, den ich schon lange gern gesehen hätte. Unterdessen zog auch er ein Zeichen heraus und fragte mich, ob ich ihm etwas dafür geben könne.

Da ich aber nichts mehr besaß, als mein Salz, bot ich ihm dieses an, das er dankend annahm.

Auch auf dem zweiten Zeichen standen nur zwei Buchstaben, nämlich S.M. (Studio Merentis; Sal huMor; Sponsa Mittendus; Sal Mineralis; Sal Menstrualis [Zum Studium des Würdigen; der Braut mitzubringen; flüssiges Salz; mineralisches Salz; Salz der Menstruation]).

Als ich nun auch mit ihm sprechen wollte, fing man im Schloss an zu läuten, weswegen der Hüter mich ermahnte, ich solle schnell laufen, sonst wäre all meine Arbeit und Mühe vergebens, denn man fange oben schon an, die Lichter zu löschen. Da machte ich mich so schnell auf den Weg, dass ich ganz versäumte, mich vom Hüter zu verabschieden, aber das war auch nötig.

Denn so schnell ich auch lief, die Jungfrau, hinter der alle Lichter ausgelöscht wurden, war schon bei mir und ich hätte den Weg nicht mehr finden können, hätte sie mir nicht mit ihrer Fackel geleuchtet. Gerade konnte ich noch hinter ihr hineingelangen, da wurde die Pforte auch schon zugeschlagen, so schnell, dass ein Stück meines Rockes darin hängenblieb. Dieses musste ich zurücklassen, denn weder ich, noch jene, die bereits vor der Türe draußen zu rufen anfingen, vermochten ihn dazu zu bewegen, die Pforte wieder zu öffnen. Die Schlüssel aber übergab er der Jungfrau, die sie mit sich in den Hof nahm.

Unterdessen sah ich mich abermals an der Pforte um, die so köstlich war, dass es auf der ganzen Welt nicht ihresgleichen gab. Neben der Tür befanden sich zwei Säulen: auf der einen befand sich ein fröhliches Bild mit der Inschrift: congratulor [ich beglückwünsche dich]. Das andere Bild verhüllte sein Angesicht und war traurig und darunter stand: condoleo [Ich leide mit dir].

Kurz, solche dunklen, verborgenen Sprüche und Bilder befanden sich an der Pforte, dass selbst die Klügsten auf Erden sie nicht hätten zu deuten vermögen.

Sie sollen aber alle, so Gott es zulässt, in kurzem von mir ans Licht gebracht und eröffnet werden.

Unter dieser Pforte musste ich nun abermals meinen Namen sagen, der wurde zuletzt in ein pergamentenes Büchlein geschrieben und alsbald zusammen mit den anderen zum Hohen Bräutigam geschickt. Da wurde mir erst das rechte Gastzeichen ausgehändigt, das etwas kleiner als die anderen war, aber viel schwerer. Auf diesem standen die folgenden Buchstaben: S.P.N. (Salus Per Naturam; Sponsi Praesentandus Nuptiis [Heil durch die Natur; Der Hochzeit des Bräutigams darzubringen]). Daraufhin übergab man mir ein Paar neue Schuhe, denn der Boden des Schlosses bestand aus lauter hellem Marmor.

Meine alten Schuhe durfte ich einem der Armen geben, die häufig fein ordentlich unter dem Tor saßen, welchem ich wollte. Ich habe sie einem alten Mann geschenkt.

Daraufhin führte mich ein Knabe mit zwei Fackeln in ein kleines Gemächlein.

Da hießen sie mich auf eine Bank niedersitzen, was ich auch tat. Sie aber steckten ihre Fackeln in zwei Löcher, die sich im Boden befanden, gingen davon, und ließen mich alleine da sitzen.

Bald darauf hörte ich ein Geräusch, sah aber nichts. Das waren etliche Männer, die fielen über mich her. Weil ich aber nichts sehen konnte, musste ich es geschehen lassen und abwarten, was sie mit mir vorhatten.

Da ich aber bald bemerkte, dass es sich um Barbiere handelte, bat ich sie, sie sollten mich nicht so herumschubsen, ich sei doch willig, zu tun, was sie begehrten. Darauf ließen sie von mir ab, aber einer, den ich nicht sehen konnte, schnitt mir fein säuberlich das Haar mitten auf dem Kopf herum ab. An der Stirn aber, an Ohren und Augen, ließ er mein langes eisgraues Haar hängen.

Bei diesem ersten Angriff – das muss ich bekennen – wäre ich schier verzagt. Denn da mich so viele so stark anhoben und ich doch nichts sehen konnte, fürchtete ich schon, Gott habe mich meines Vorwitzes wegen fallen gelassen.

Nun, diese unsichtbaren Barbiere lasen das abgeschnittene Haar fleißig auf und trugen es mit sich fort. Darauf kamen die beiden Knaben wieder und lachten herzlich über mich, weil ich mich so gefürchtet hatte.

Kaum hatten sie einige Worte mit mir gewechselt, fing man schon wieder an, mit einem Glöcklein zu läuten. Die Knaben erklärten mir, dies sei das Zeichen für die Versammlung. Deswegen ermahnten sie mich zur Eile und leuchteten mir durch viele Gänge, Türen und Windungen in einen großen Saal voraus.

In diesem Saal waren viele Gäste versammelt: Kaiser, Könige, Fürsten und Herren, Edle und Unedle, Reiche und Arme, worüber ich mich zuhöchst wunderte und bei mir selbst dachte: Ach, wie bist du so ein großer Narr gewesen, das du dir eine solche Reise so bitter und sauer hast lassen angelegen sein. Siehe, da sind doch Gesellen, die du wohl kennst, und von denen du nie etwas gehalten hast: die sind nun alle hier, und du bist mit all deinem Bitten und Beten kaum als letzter hereingekommen.

Diese und noch viele andere Gedanken gab mir der Teufel dazumal ein, den ich dann doch, so gut ich konnte, zum Ausgang gewiesen habe.

Unterdessen sprach mich von meinen Bekannten der eine oder andere an.

Siehe, Bruder Rosenkreutz, bist du auch hier? Ja, antwortete ich, meine Brüder, die Gnade Gottes hat mir auch herein geholfen. Darüber lachten sie sehr und spotteten darüber, dass ich in einer so schlichten Angelegenheit auch der Hilfe Gottes bedürfe.

Während ich nun jeden über seinen Weg befragte und erfuhr, dass die meisten über die Felsen geklettert waren, fing man an, mit einigen Trompeten, von denen wir noch keine gesehen hatten, zu Tisch zu blasen. Daraufhin setzten sich viele hin, ein jeder dort, wo er glaubte, gegenüber anderen im Vorteil zu sein. Mir aber blieb, zusammen mit anderen armen Gesellen, kaum ein Plätzlein am untersten Tisch.

Bald stellten sich die beiden Knaben ein, und der eine betete so schöne und herrliche Gebetlein, dass sich mein Herz im Leib erfreute.

Darauf achteten aber die meisten großen Tiere wenig, sondern lachten miteinander, winkten einander zu, bissen in ihre Hüte und trieben dergleichen Schabernack mehr.

Danach wurde das Essen aufgetragen, und obwohl man keinen Menschen sehen konnte, war doch alles so ordentlich versehen, dass mich däuchte, es hätte ein jeder Gast seinen eigenen Diener.

Wie nun meine Künstler sich ein wenig erlabt und ihnen der Wein die Scham ein wenig vom Herzen gerückt, da erhob sich erst ein Rühmen und Großtun.

Der wollte dies probieren, der andere jenes, und die unnützesten Tröpfe waren die lautesten: ach, wenn ich daran denke, welches übernatürliche und unmögliche Gerede ich damals gehört habe, erregt es noch heute meinen Unwillen.

Endlich blieben sie auch nimmer bei ihrer Sitzordnung, sondern es schob sich da ein Speichellecker zwischen den Herren ein, dort ein anderer, und gaben mit solchen Streichen an, dergleichen weder Samson, noch Hercules mit all ihrer Stärke hätten zuwege bringen können.

Der wollte Atlas seiner Last entledigen, jener wollte den dreiköpfigen Zerberus wieder aus der Hölle holen.

Kurz, jeder schwafelte irgendetwas daher, und die großen Herren waren so närrisch, dass sie ihren Märchen glaubten, und die Bösewichter so verwegen, dass sie sich – obwohl dem einen hier, dem anderen da mit dem Messer auf die Finger geklopft wurde –, darum nicht scherten, sondern da einer etwa ein güldenes Kettlein erschnappt hatte, wollten sie es alle darauf wagen.

Ich sah einen, der hörte die Himmel rauschen. Der andere konnte Platos Ideen sehen. Der dritte wollte die Atome Demokrits zählen. So waren auch nicht wenige, die das perpetuum mobile gebaut haben wollten. Mancher hatte meines Erachtens einen guten Verstand, aber er traute ihm zu seinem Verderben zu viel zu. Endlich war auch einer, der wollte uns kurzum davon überzeugen, er sähe die Diener, die uns aufwarteten. Und er hätte sein Streiten auch noch länger getrieben, wenn ihm nicht einer der unsichtbaren Aufwärter so redlich eins auf sein verlogenes Maul gegeben hätte, dass nicht allein er, sondern auch viele neben ihm wie die Mäuslein still wurden.

Das aber gefiel mir am besten, dass alle diejenigen, auf die ich etwas gehalten, in ihrem Tun fein still waren und nicht laut mit herumschrien, sondern sich als unverständige Menschen betrachteten, denen der Natur Geheimnis zu hoch, sie aber viel zu gering wären.

In solchem Tumult hätte ich schier den Tag, an dem ich hierher gekommen, verflucht, denn ich musste mit Schmerzen sehen, dass lose, leichtfertige Leute oben am Tisch saßen, während ich – selbst an einem so geringen Ort – nicht konnte in Frieden bleiben, denn selbst hier hatte mich einer dieser Bösewichte höhnisch einen gescheckten Narren gescholten.

Nun dachte ich nicht, es gebe noch eine weitere Pforte, durch die wir gehen müssten, sondern meinte, ich würde die ganze Hochzeit über in solchem Spott, Verachtung und Unwert verbleiben müssen, welches ich doch weder dem Hohen Bräutigam, noch der Braut jemals geschuldet hätte. Und ich dachte, er sollte sich deswegen besser einen anderen Narren zu seiner Hochzeit gesucht haben als mich.

Siehe, zu solcher Ungeduld bringt einfältige Herzen die Ungleichheit dieser Welt.

Aber das war eigentlich ein Stück meines Hinkens, von dem ich, wie oben gemeldet, geträumt, und zwar nahm dieses Geschrei, je länger, je mehr zu.

Dann da waren schon die, die sich falscher und erdichteter Gesichte rühmten, die uns überreden wollten, an offensichtlich erlogene Träume zu glauben.

Nun saß ein feiner stiller Mann bei mir, der redete manchmal von feinen Sachen.

Endlich sprach er: Sieh, mein Bruder, wenn nun jemand käme, der solche verstockten Leute auf den rechten Weg bringen wollte, würde man ihn auch hören? Nein, wohl kaum, antwortete ich.

So will nun, sprach er, die Welt mit Gewalt betrogen sein, und mag die nicht hören, so es gut mit ihr meinen.

Siehst du auch jenen Speichellecker, mit was für grillengierigen Figuren und närrischen Gedanken er andere an sich zieht? Dort äfft einer mit unerhörten dunklen Worten die Leute. Doch glaube mir, es kommt noch die Zeit, dass man diese Mummereien entlarven und aller Welt zeigen wird, welche Landsbetrüger darunter stecken, – da wird dann vielleicht gelten, was man heute nicht achtet.

Wie er dies redet und das Geschrei je länger, je ärger wird, erhebt sich auf einmal in dem Saal eine so zierliche und stattliche Musik, dergleichen ich mein Lebtag niemals gehört, weswegen alle schwiegen und warteten, was noch daraus werden sollte.

Es waren aber bei solcher Musik alle Saitenspiele, dergleichen man hätte erdenken mögen, und mit solcher Harmonie zusammengestimmt, dass ich mich selbst völlig vergaß, und also unbeweglich dasaß, darob sich meine Nachbarn verwunderten, und das währte fast eine halbe Stunde, in der unser keiner ein Wort redete, denn sobald einer das Maul auftun wollte, wurde ihm unversehens ein Streich und wusste doch nicht, woher er käme. Gerne hätte ich, da wir ja die Musikanten nicht zu Gesicht bekamen, wenigstens alle Instrumente, auf denen sie spielten, betrachten mögen.

Nach einer halben Stunde hörte diese Musik unversehens auf, und wir konnten nichts weiter sehen noch hören.

Bald darauf erhob sich vor des Saals Tür ein großes Geprassel und Getön von Posaunen, Trompeten und Heerpauken und war alles so meisterlich, als wollte der Römische Kaiser einziehen.

Da öffnete die Tür sich wie von selbst, und der Posaunenschall wurde so laut, dass wir es kaum mehr zu ertragen vermochten. Unterdessen kamen viele tausend Lichtlein in den Saal, die alle in richtiger Ordnung von selbst daher zogen, dass wir uns gänzlich entsetzten, bis endlich die schon erwähnten zwei Knaben mit hellen Fackeln in den Saal traten und einer schönen Jungfrau, die auf einem herrlich vergoldeten Triumphsessel von selbst daher gefahren kam, vorausleuchteten. Mir deuchte, es sei eben die, welche zuvor auf dem Weg die Lichter angezündet und ausgelöscht hätte und es seien dies ihre Diener, die sie zuvor an die Bäume gestellt hatten.

Aber die Jungfrau trug nun nicht wie zuvor ein blaues, sondern ein schneeweißes, glänzendes Kleid, welches von lauter Gold schimmerte und so sehr strahlte, dass wir sie nicht kecklich anzuschauen vermochten.

Die beiden Knaben waren fast auch so, wiewohl etwas schlechter gekleidet.

So bald sie nun mitten im Saal angekommen und vom Stuhl abgestiegen war, verneigten sich alle Lichtlein vor ihr.

Darauf wir alle von unsern Bänken aufstanden, aber doch jeder an seinem Ort stehenblieb.

Wie sie nun uns, und wir ihr hinwiederum alle Reverenz und Ehrerbietung erwiesen hatten, fing sie mit holdseliger Stimme an also zu reden:

Der König, mein gnädigster Herr:
So jetztmals ist nicht allzufern.
Wie auch seine allerliebste Braut,
Die ihm in Ehren ist vertraut,
Die haben nun mit großer Freud,
Euer Ankunft gesehen allbereits,
Tun auch jedem insonderheit,
Ihre Gnad entbieten jederzeit,
Und wünschen aus ihres Herzens Grund,
Dass euch geling zu jeder Stund,
Damit ihr künftiger Hochzeit Freud,
Nicht wird vermengt mit jemands Leid.

Darauf sie abermals höflich mit allen ihren Lichtlein sich verneigte und bald darauf also anfing:

Ihr wisst, dass durch den Ladungsbrief:
Kein Mensch hierher berufen worden,
Der nicht von Gott all schöne Gaben,
Vor längstem möcht empfangen haben,
Und wer mit aller Notdurft ziert,
Wie sich in solcher Sach gebührt,
Wiewohl sie nun nicht glauben mögen,
Dass jemand sei so gar verwegen,
Der sich mit so schwerer Kondition,
In dem Fall dürft einstellen tun,
Wenn er sich nicht vor langen Zeiten,
Zu dieser Hochzeit tät bereiten,
Darum sie in gut Hoffnung stehen,
Alles Guts zu euch allen versehen,
Freut sie, dass in so schwerer Zeit,
Gefunden haben so viel Leut,
Noch sind die Menschen so verwegen,
Dass sie ihr Grobheit nicht bewegen,
Und drängen sich an Orten ein,
Dazu sie nicht berufen sein,
Dass sich nun hier kein Schelm verkauf,
Ein Schalk mit andern unterlauf,
Sie aber bald ohn alles Verhehlen,
Eine reine Hochzeit haben wöllen,
So wird auf den morgenden Tag,
Aufgestellt werden der Künstler Waag,
Da jeder leichtlich wird ermessen,
Was er zu Hause hab vergessen,
Ist nun jemand aus dieser Schaar,
Der ihm nicht darf vertrauen gar,
Der mach sich jetzt schnell auf eine Seit,
Denn geschieht es, dass er länger bleibt,
So ist all Gnad an ihm verloren,
Und muss er morgen unter die Sporen,
Bei wem nun sein Gewissen klopft an,
Den wird man heut im Saale lan,
Bis morgen soll er werden frei,
Doch dass er nimmer komm herbei,
Weiß jemand nun, was hinter ihm,
Der geh mit seinem Diener hin,
Der ihm sein Gemach wird zeigen tun,
Darin er heut sein Ruh mög haben,
Da er der Waag mit Ruhm erwart,
Sonst wird ihms Schlafen mächtig hart,
Die andern nehmen hie für gut,
Denn wer wider sein Vermögen tut,
Dem wär besser, er wär entlaufen,
Das Best will man von jedem hoffen.

So bald sie ausgeredet hatte, tat sie wieder Reverenz und sprang mit Freuden auf ihren Stuhl, darauf abermals die Trompeter anfingen zu blasen, welches doch manchem seine schweren Seufzer nicht zu nehmen vermochte. Daraufhin wurde die Jungfrau wieder unsichtbar hinaus geleitet, doch viele der Lichtlein blieben in der Stube und zu jedem von uns gesellte sich eines.

Wir aber blieben in solcher Verwirrung zurück, dass es wohl nicht möglich ist, auszusprechen, welche schweren Gedanken und Gebärden hin und wider gingen.

Der größere Teil der Anwesenden hatte auch nicht die Absicht, die Ankunft der Waage abzuwarten, sondern wollte, wenn es denn irgend ging, in Frieden (wie sie hofften) davonziehen.

Ich hatte mich bald besonnen, und weil mich mein Gewissen von meinem Unverstand und meiner Unwürdigkeit überzeugt, nahm ich mir vor, mit anderen in dem Saal zu bleiben und lieber mit der empfangenen Mahlzeit zufrieden zu sein, als auf künftige Niederlagen und Gefahren zu warten.

Nachdem nun der eine dahin, der andere dorthin von seinem Lichtlein in ein Gemach geführt worden war (jeder in ein eigenes, wie ich später erfuhr), blieben neun von uns zurück, unter anderem auch der, der vormals am Tisch mit mir geredet hatte. Obwohl uns unsere Lichtlein nicht verließen, kam doch bald nach etwa einer Stunde einer der beiden Knaben mit einem großen Büschel Stricke und fragte uns ernstlich, ob wir entschlossen seien, da zu bleiben. Da wir nun mit Seufzen bejahten, band er jeden an einem besonderen Ort fest, ging mit unseren Lichtlein von dannen und ließ uns Arme im Finstern zurück. Da fing allererst an, das Wasser bei manchem über die Körb zu laufen, und auch ich konnte mich des Weinens nicht enthalten.

Und obwohl uns das Reden nicht verboten war, ließen doch der Schmerz und die Betrübnis keinen zu Wort kommen.

Die Stricke aber waren so wunderlich gemacht, das sie keiner aufschneiden, viel weniger von den Füßen abstreifen konnte. Mich aber tröstete der Gedanke, dass manchem von denen, die sich zur Ruhe begeben hatten, die große Schmach erst bevorstünde, während wir mit einer einzigen Nacht all unsere Vermessenheit abbüßen dürften.

Endlich schlief ich mit meinen schweren Gedanken ein. Denn obwohl die wenigsten von uns die Augen zutaten, übermannte mich doch die Müdigkeit.

Wie ich nun schlief, hatte ich einen Traum, und auch wenn vielleicht nicht viel dahinter steckt, halte ich es doch nicht für unnötig, denselben zu erzählen.

Mir däuchte, ich sei auf einem hohen Berg und sähe vor mir ein großes und weites Tal. In diesem Tal war eine unsägliche Volksmenge versammelt und jeder einzelne in dieser Menge hatte einen Faden auf dem Kopf, mit dem er am Himmel befestigt war. Der eine hing hoch, der andere niedrig, etliche standen gar noch auf der Erde.

In den Lüften aber flog ein alter Mann herum, der hatte in seiner Hand eine Schere, mit der er bald diesem, bald jenem den Faden abschnitt.

Wer nun nahe an der Erde war, dessen Fall war um so schneller ohne großen Lärm zu Ende. Wenn aber ein Hoher an der Reihe war, fiel er weit und die Erde erzitterte unter seinem Aufprall. Einigen wurde der Faden auch nachgelassen, so dass sie auf der Erde ankamen, ehe er abgeschnitten wurde.

An diesem Purzeln hatte ich meine Lust und freute mich von Herzen, wenn einer, der sich lange in den Lüften seiner Hochzeit gerühmt hatte, so schändlich herunterfiel und möglicherweise noch einige seiner Nachbarn mit sich riss.

Und es freute mich auch, wenn der, der sich jederzeit in der Nähe der Erde aufgehalten hatte, so fein still davon kommen konnte, dass es nicht einmal seine Nächsten bemerkten. Wie ich aber so in meiner Freude schwelgte, wurde ich von einem meiner Mitgefangengen gestoßen und wachte auf, was ich meinem Störer gar übel nachtrug.

Ich dachte über meinen Traum nach und erzählte ihn meinem Bruder, der auf der anderen Seite neben mir lag.

Diesem gefiel der Traum auch und er hoffte, darin möge noch eine Hilfe für uns stecken. Mit solchem Gespräch vertrieben wir den Rest der Nacht und sahen voller Verlangen dem Tag entgegen.


3. Tag

So bald nun der liebe Tag angebrochen und die helle Sonne sich über die Berge erhoben und am hohen Himmel zu ihrem befohlenen Amt wieder eingestellt hatte, fingen meine guten Kämpfer an, sich aus den Betten zu erheben und sich allgemach auf die Inquisition vorzubereiten.

Deswegen denn einer nach dem andern wieder in den Saal kam und alle sich einen guten Tag wünschten und fragten, wie wir diese Nacht geschlafen. Wie sie nun unsere Stricke sahen, waren auch viele, die uns vorwarfen, dass wir uns so verzagt ergeben hätten und nicht vielmehr wie sie es auf Glück oder Unglück hätten ankommen lassen, wiewohl auch etliche, denen das Herz immerzu klopfte, nicht so laut herumschrien.

Wir entschuldigten uns mit unserem Unverstand und hofften, wir würden nun bald frei gelassen und entgegneten, durch diesen Spott gewitzt, sie seien möglicherweise noch nicht entronnen und die größte Gefahr stünde ihnen vielleicht noch bevor.

Endlich, wie sich nun jedermann wieder versammelt hatte, fing man abermals an, wie vormals zu trompeten und die Heerpauken zu schlagen. Da glaubten wir, nun werde sich der Bräutigam präsentieren, worauf manche warteten. Aber stattdessen erschien abermals die gestrige Jungfrau, die hatte sich in einen ganz roten Samt gekleidet und mit weißen Bändern umgürtet. Auf ihrem Haupt hatte sie einen grünen Lorbeerkranz, welcher sie trefflich zierte: Ihr Geleit waren nicht mehr die Lichtlein, sondern an die zweihundert geharnischte Männer, die alle in Rot und Weiß wie sie gekleidet waren.

So bald sie nun vom Stuhl gesprungen, ging sie gleich zu uns Gefangenen herüber, und nachdem sie uns gegrüßt, sagte sie mit wenigen Worten: Dass euer etliche ihr Elend erkannt, das lässt sich mein gestrenger Herr gefallen, und will es euch auch zugute kommen lassen.

Und wie sie mich in meiner Aufmachung sieht, lacht sie und spricht: Sieh, hast du dich auch unter das Joch begeben? Ich meint, du hättest dich so fein gerüstet? Mit diesen Worten trieb sie mir die Tränen in die Augen.

Darauf hieß sie unsere Stricke lösen, uns zusammenbinden und an einen Ort stellen, wo wir die Waage gut sehen konnten. Dann sagte sie: Es kann euch noch besser ergehen, als einem der Vermessenen, die hier noch frei herumstehen.

Unterdessen wurde die Waage, die ganz golden war, mitten im Saal aufgehängt, auch ein kleines Tischlein mit rotem Samt bedeckt und darauf sieben Gewichte gestellt: Erst ein ziemlich großes, dann vier kleine, endlich zwei große etwas abseits.

Und diese Gewichte waren im Verhältnis zu ihrer Größe so schwer, dass es kein Mensch glauben, noch begreifen kann.

Es hatte aber jeder Geharnischte neben einem bloßen Schwert einen starken Strick, und die Jungfrau teilte sie nach der Zahl der Gewichte in sieben Rotten auf und aus jeder Rotte erwählte sie einen zu seinem Gewicht. Darauf sprang sie wieder auf ihren hohen Thron.

So bald sie nun ihre Reverenz getan, fing sie also mit starker Stimme an zu reden.

Wer in eines Malers Stuben geht,
Und sich ums Malen nicht versteht,
Redt doch davon mit großer Pracht,
Der wird von vielen nur verlacht.

Wer sich nun gibt in Künstler Orden,
Und ist doch nicht erwählet worden,
Und künstelt doch mit großer Pracht,
Der wird von vielen nur verlacht.

Wer zu der Hochzeit bald erscheint,
Und ist doch niemals worden gemeint,
Und kommet doch mit großer Pracht,
Der wird von vielen nur verlacht.

Wer nun auf diese Waag wird steigen,
Die Gewicht ihn dann nicht werden meiden,
Und fährt alsbald hinauf, dass es kracht,
Soll sein von vielen nur verlacht.

Sobald die Jungfrau ausgeredet hatte, hieß einer der Knaben einen jeden, sich seiner Ordnung nach aufstellen und einen nach dem anderen aufsteigen. Einer der Kaiser weigerte sich nicht, er verneigte sich zuerst gegen die Jungfrau ein wenig und stieg dann mit allem seinem stattlichen Ornat auf, woraufhin jeder Oberste sein Gewicht darauflegte, bei welchen er zur Verwunderung Vieler beharrte.

Aber das letzte Gewicht wurde ihm zu schwer, und er musste mit solcher Betrübnis hinauf, dass er, wie mich deuchte, selbst die Jungfrau erbarmte, die dann auch den ihren zu schweigen gebot. Dennoch wurde der gute Kaiser gebunden und der sechsten Rotte übergeben.

Nach ihm kam aber ein Kaiser daher, der trat stolz auf die Waage. Und weil er ein großes dickes Buch unter dem Rock versteckte, meinte er, es werde ihm nicht an Gewicht fehlen.

Wie er aber kaum das dritte Gewicht erleiden mögen, und unbarmherzig hinaufgezogen wurde, ihm auch sein Buch im Schrecken entfiel, fingen alle Soldaten an zu lachen, und er wurde der dritten Rotte gebunden übergeben. So ging es noch etlichen Kaisern, die alle spöttisch verlacht und gefangen wurden.

Nach diesen kam ein kurzes Männlein, auch ein Kaiser daher, der hatte ein krauses braunes Bärtlein, der stellte sich nach gewöhnlicher Reverenz auch auf die Waage und hielt sich so standhaft, dass mich deuchte, wenn noch mehr Gewicht vorhanden gewesen wären, dann hätte er die auch noch ausgehalten. Gegen diesen stand die Jungfrau schnell auf, verneigte sich vor ihm und ließ ihm einen Rock aus rotem Samt anziehen. Schließlich reichte sie ihm auch einen Lorbeerzweig, von denen sie viele auf dem Stuhl hatte, und hieß ihn auf die Treppe vor ihrem Stuhl niedersitzen.

Wie es nun nach diesem andern Kaisern, Königen und Herren ergangen, wäre zu lang, zu erzählen, allein ich kann nicht unerwähnt lassen, dass nur wenige dieser hohen Häupter übrigblieben.

Dafür fand sich an vielen wider meine Hoffnung manch feine Tugend. Der eine konnte dies, der andere jenes Gewicht aushalten: etliche zwei, etliche drei, vier oder fünf, aber nur wenige vermochten zur rechten Vollendung zu gelangen. Jeder aber, der versagte, wurde von den Rotten heftig ausgelacht.

Danach erging die Inquisition auch über die Adligen, Gelehrten und andere, und bei jedem Stand wurde einer oder zwei, manchmal aber auch gar keiner gefunden.

Schließlich kam die Reihe an die frommen Herren Landbetrüger und die Speichellecker, die behaupteten, sie könnten den lapidem spitalauficum (den Stein der Weisen) machen.

Die wurden mit solchem Gespött auf die Waage gestellt, dass selbst mir in meinem Leid der Bauch vor Lachen wollte zerspringen, so konnten auch die Gefangenen das Lachen nicht unterdrücken. Denn es konnte die Mehrheit das ernste Gericht gar nicht erwarten, sondern wurde mit Ruten und Geißeln von der Waage geschmissen und zu den anderen Gefangenen, jeweils zu der ihnen gebührenden Rotte geführt.

So wenige blieben also von dem großen Haufen übrig, dass ich mich schäme, ihre Zahl zu nennen, doch waren auch hohe Personen darunter, wiewohl man einen wie den andern mit samtenem Kleid und Lorbeerzweig ehrte.

Wie nun die Inquisition vollendet war, auch niemand mehr auf der Seite stand, außer wir armen zusammengebundenen Hunde, da tritt endlich einer der Hauptleute vor und spricht: Gnädiges Fräulein, wenn es Euer Gnaden gefällt, wollte man diese armen Menschen, die ihren Unverstand erkannt haben, ohne Gefahr auch nur zur Lust auf die Waage stehen lassen, ob doch etwas Rechtes unter ihnen wäre. Zuerst war ich in großen Nöten, denn in meinem Kreuz war wenigstens dies mein Trost, dass ich nicht so in Schande stehen musste oder von der Waage gepeitscht wurde.

Denn ich zweifelte nicht daran, dass viele der Gefangenen wünschten, sie wären zehn Nächte bei uns im Saal geblieben. Weil es aber die Jungfrau bewilligte, musste es sein, und wir wurden auseinander gebunden und einer nach dem andern auf die Waage gestellt. Und obwohl die meisten die Probe nicht bestanden, wurden sie weder ausgelacht, noch gepeitscht, sondern mit Frieden auf eine Seite gestellt.

Mein Geselle war der fünfte, der hielt sich stattlich, weswegen viele, vor allem aber der Hauptmann, der sich für uns eingesetzt hatte, frohlockten und die Jungfrau erzeigte ihm die gewohnte Ehre.

Nach ihm schnellten abermals zwei flugs in die Höhe.

Ich aber war der achte. Sobald ich nun mit Zittern auf die Waage trat, sah mich mein Geselle, der bereits in seinem Samtumhang dasaß, freundlich an und selbst die Jungfrau lächelte ein wenig. Nachdem ich aber allen Gewichten standgehalten, hieß mich die Jungfrau mit Gewalt hinaufziehen.

Deswegen hingen sich noch drei Mann an das andere Teil der Waage, aber sie vermochten doch nichts. Da stand einer der Knaben auf und schrie überlaut: Der ist es! Und ein anderer antwortete: So lasst ihm seine Freiheit gelten! Dies gewährte mir die Jungfrau, und nachdem ich mit gebührlichen Zeremonien aufgenommen worden, wurde mir erlaubt, einen Gefangenen nach meinem Gutdünken zu befreien.

Ich besann mich nicht lange, sondern wählte den ersten Kaiser, der mich am längsten erbarmt hatte, der auch freigelassen und in allen Ehren zu uns gesetzt wurde.

Wie nun der letzte auf die Waage gestellt und zu leicht befunden wurde, sah die Jungfrau meine Rosen, die ich von meinem Hut in die Hände genommen hatte, die sie durch ihren Knaben gnädig von mir erbat. Ich ließ sie ihr gerne zukommen.

Dieser erste Akt war um zehn Uhr am Vormittag vorüber. Deswegen fing man abermals an, zu trompeten, was wir aber zu dieser Zeit nicht sehen konnten.

Unterdessen mussten die Rotten mit ihren Gefangenen abtreten und auf ihr Urteil warten. Darauf wurde der Rat von den sieben Obersten und uns besetzt und von der Jungfrau als Vorsitzenden die Klage vorgetragen und unser Urteil begehrt.

Ein jeder wollte seine Meinung äußern, wie mit den Gefangenen zu verfahren sei.

Die erste Meinung war, man solle sie alle töten, den einen härter als den anderen, je nachdem, ob sie sich entgegen den klaren Bedingungen mutwillig eingeschlichen hatten. Andere wollten sie als Gefangene behalten, was weder der Vorsitzenden, noch mir gefiel.

Endlich wurde durch den Kaiser, den ich befreit hatte, einen Fürsten, meinen Gesellen und mich der Streit entschieden. Die vornehmen Herren sollten ohne großes Aufsehen aus dem Schloss geführt werden. Andere könnte man unter Spott hinausführen, man sollte sie ausziehen und nackt laufen lassen. Die vierten sollte man mit Geißeln und Hunden hinausjagen. Die aber, die sich gestern bereitwillig ergeben hatten, sollten ohne alle Vergeltung frei gelassen werden. Die Mutwilligen aber, die sich bei der gestrigen Mahlzeit so ungebührlich benommen hatten, sollten an Leib und Leben, je nach Vergehen bestraft werden.

Diese Meinung gefiel der Jungfrau gut und sie behielt die Oberhand. Den Verurteilten wurde zum Überfluss auch noch ein Mittagessen gegönnt, was ihnen sogleich mitgeteilt wurde, die Urteilsverkündung aber wurde bis zwölf Uhr Mittag aufgeschoben.

Hiermit nahm die Beratung ein Ende. Die Jungfrau aber begab sich mit den ihrigen an ihren gewohnten Ort. Uns wurde der oberste Tisch im Saal zugewiesen, mit der Bitte, uns damit zu begnügen, bis der Handel ausgerichtet sei. Alsdann sollten wir zu Bräutigam und Braut geführt werden. Damit gaben wir uns vorerst zufrieden.

Unterdessen wurden die Gefangenen wieder in den Saal gebracht und jeder seinem Stand gemäß gesetzt. Es wurde ihnen aber befohlen, sich etwas züchtiger als gestern zu verhalten, wozu es jedoch keiner besonderen Aufforderung bedurfte hätte, da ihnen die Pfeife ohnehin in die Tasche gefallen war.

Und nicht, um zu schmeicheln, sondern der Wahrheit zu Liebe muss ich gestehen, dass sich die hohen Personen am Besten in solchen unverhofften Unfall zu schicken wussten. Ihre Behandlung war ziemlich schlecht, aber ehrlich. Sie konnten ihre Aufwärter noch nicht sehen, uns aber waren sie sichtbar, was mich zuhöchst erfreute.

Wir aber, die uns das Glück erhöht hatte, ließen uns dies nicht zu Kopf steigen, sondern sprachen mit den anderen und hießen sie ihr Schicksal tapfer ertragen, es werde nicht so übel für sie ausgehen.

Obwohl sie das Urteil gerne von uns erfahren hätten, war es uns doch streng untersagt, etwas darüber verlauten zu lassen, aber wir trösteten sie, so gut wir konnten und tranken mit ihnen, damit der Wein sie etwas fröhlicher machte.

Unsere Tafel aber war mit rotem Samt, mit lauter Silber und goldenen Trinkgeschirren bedeckt, was die anderen mit Verwunderung und größten Schmerzen sahen.

Ehe wir uns aber setzten, kamen beide Knaben herein und verehrten einem jeden von uns im Namen des Bräutigams das goldene Vließ mit einem fliegenden Löwen darauf. Wir sollten es während des Tafelns anlegen und das Ansehen des Ordens und seine Herrlichkeit gebührend würdigen (den uns Seine Majestät jetzt schenke und bald mit gebührender Feierlichkeit bestätigen werde). Wir nahmen ihn in höchster Untertänigkeit an und versprachen, alles, was Seine Majestät wünsche, gehorsam zu verrichten.

Daneben hatte der Edelknabe einen Zettel, nach dem wir ordentlich gesetzt wurden. Und ich würde meinen Platz nicht verhehlen, wenn es mir nicht möglicherweise als Hochmut ausgelegt würde, der gegen das vierte Gewicht [die Demut] verstieße.

Da nun unsere Behandlung gar stattlich war, fragten wir einen der Knaben, ob es uns nicht erlaubt sei, unseren Freunden und Bekannten ein wenig von dem Essen zu schicken. Dieser hatte keine Bedenken und so schickte jeder seinem Bekannten durch die Diener reichlich zu essen. Diese konnten aber die Diener immer noch nicht sehen, und da sie nicht wussten, woher es kam, wollte ich einem selbst etwas bringen. Sobald ich aber aufgestanden war, saß mir schon einer der Diener auf der Haube mit der Meldung, er wolle mich freundlich gewarnt haben, denn wenn einer der Knaben das gesehen hätte, wäre es vor den König gekommen, was mir gewiss übel angekommen wäre. Da es aber niemand bemerkt habe, werde er mich nicht verraten. Ich solle aber künftig die Würde des Ordens besser achten. Mit diesen Worten setzte mich der Diener im wahrsten Sinne des Wortes auf meinen Platz und ich wagte es lange Zeit nicht mehr, mich auf meinem Stuhl zu regen. Ich bedankte mich für die getreue Warnung, so gut ich es in der Eile und bei meinem Schrecken konnte.

Bald darauf fing man wieder an zu trompeten, was wir nun schon gewohnt waren, denn wir wussten, dass es die Jungfrau sei, weswegen wir uns rüsteten, sie zu empfangen. Sie kam mit ihrem gewohnten Gefolge auf ihrem hohen Sessel daher. Einer der beiden Knaben trug ihr einen hohen goldenen Becher, ein anderer aber ein pergamentenes Schriftstück voran. Wie sich die Jungfrau kunstvoll von ihrem Sessel geschwungen hatte, nahm sie den Pokal vom Knaben entgegen und übereichte ihn uns im Namen des Königs, mit der Bemerkung, Seine Majestät habe ihn uns gebracht und wir sollten ihn zu Seinen Ehren unter uns herumgehen lassen.

Auf dem Deckel dieses Pokals aber stand die Fortuna [die Göttin des Glücks], zierlich aus Gold gegossen. Sie hatte in der Hand ein rotes, fliegendes Fähnchen, weswegen ich etwas trauriger trank, da mir die Tücke des Glücks inzwischen mehr als genug bekannt war.

Die Jungfrau war wie wir mit dem goldenen Vließ und dem Löwen geziert, woraus ich schloss, sie werde vielleicht die Vorsitzende des Ordens sein. Daher fragten wir, wie denn der Orden heiße. Aber sie antwortete, es sei noch nicht an der Zeit, solches zu enthüllen, solange die Angelegenheit mit den Gefangenen noch nicht erledigt sei. Deswegen seien ihnen auch noch die Augen verschlossen und was uns jetzt geschehe, das sei ihnen nur Anstoß und Ärgernis, obwohl es noch nichts sei gegen die Ehre, die uns noch erwarte.

Hiermit nahm sie vom anderen Knaben das Schriftstück entgegen, das aus zwei Teilen bestand. Dem ersten Haufen wurde aus dem Schriftstück ungefähr folgendes vorgelesen: Sie sollten bekennen, dass sie falschen erdichteten Büchern zu leichtfertig Glauben geschenkt, sich selbst zu viel zugetraut und in das Schloss gekommen waren, obwohl sie dazu niemals berufen gewesen seien. Wenn auch vielleicht die meisten von ihnen nur da seien, um sich im Schloss zu bereichern, und danach desto prächtiger und herrlicher zu leben, so hätte doch einer den anderen aufgestachelt und in Spott und Schande gebracht. Deswegen hätten sie eine gebührende Strafe verdient. Das gestanden sie demütig zu und gaben ihre Hand darauf.

Darauf wurde dem anderen Haufen etwa auf folgende Art hart zugeredet: Sie wüssten sehr wohl, und wären in ihrem Gewissen überzeugt, dass sie falsche, erdichtete Bücher fabriziert, andere genarrt, betrogen und hierdurch die königliche Ehre vieler geschmälert hätten. Sie wüssten auch, was für gottlose, verführerische Bilder sie verwendet hätten, dass sie auch die göttliche Dreifaltigkeit nicht verschont, sondern sie benutzt hätten, um Land und Leute zu betrügen. So sei nun an den Tag gekommen, mit welchen Praktiken sie den rechten Gästen nachgestellt und Unverständige eingesetzt hätten. Auch sei allgemein bekannt, dass sie in öffentlicher Hurerei, in Ehebruch, Völlerei und anderem unreinen Wesen steckten, was alles wider die öffentliche Ordnung unseres Königreiches sei. Kurz und gut, sie wüssten, dass sie Ihre Königliche Majestät auch beim gemeinen Mann herabgesetzt hätten und sollten sich deswegen bekennen, dass sie öffentlich überführte Landbetrüger, Speichellecker und Spitzbuben seien, die verdienten, von redlichen Menschen abgesondert und aufs Härteste bestraft zu werden.

Dieses Bekenntnis fiel den guten Künstlern schwer. Weil aber nicht nur die Jungfrau selbst ihnen den Tod angedroht und geschworen hatte, sondern auch die andere Partei heftig über sie tobte, und einmütig klagte, sie sei von ihnen bösartig hinters Licht geführt worden, bekannten sie, um Schlimmeres zu verhüten, solches schließlich unter Schmerzen. Und doch brachten sie folgendes vor: Was in diesem Schloss geschehen, sei ihnen nicht im geringsten zuzurechnen. Denn da die Herren einmal in das Schloss hätten kommen wollen, und ihnen dafür viel Geld versprochen hätten, habe jeder jede nur erdenkliche List gebraucht, um etwas davon zu erlangen und deshalb sei es, wie jedermann sichtbar, so weit gekommen. Dass ihr Anschlag aber misslungen sei, hätten sie ihres Erachtens nicht mehr als die Herren zu verschulden, die genügend Verstand hätten besitzen müssen, um zu wissen, wie sie sicher in das Schloss kommen könnten, und es nicht nötig gehabt hätten, um schlechten Gewinns willen mit ihnen in großer Gefahr über die Mauer zu klettern. Auch seien ihre Bücher so häufig gekauft worden, dass jeder, der sich nicht anders zu ernähren wusste, einen solchen Betrug habe anfangen müssen. Sie hofften auch, wenn man gerecht urteilen würde, was sowohl Herren wie Dienern zustünde, es werde ihnen auf ihr inständiges Bitten hin keine Misshandlung zuteil werden. Mit solchen und andern Ausreden wollten sie sich entschuldigen.

Ihnen wurde aber geantwortet: Die Königliche Majestät sei entschlossen, alle und jeden zu bestrafen, den einen jedoch härter als den anderen. Denn was von ihnen vorgebracht werde, sei zwar zum Teil wahr und solle deswegen den Herren auch nicht geschenkt werden, aber jene, die sich mutwillig angeboten und etwa Unwissende gegen ihren Willen verführt hätten, sollten sich auf ihren Tod vorbereiten. Ebenso jene, die mit ihren falschen Büchlein die Königliche Majestät beleidigt hätten, wie sich denn jeder aus ihren eigenen Büchlein und Schriften überzeugen könne.

Hierüber stimmten viele ein erbärmliches Klagen, Weinen und Flehen, Bitten und Fußfallen an, was alles nicht zu helfen vermochte. Und mich wunderte sehr, wie die Jungfrau so standhaft bleiben konnte, da doch ihr Elend uns allen die Tränen in die Augen trieb und uns zu Mitleid bewog (wiewohl auch uns viel Leid und Marter angetan worden war). Denn sie wies sogleich ihren Knaben an, alle Kürassiere, die sich heute bei der Waage eingestellt hatten, herbeizurufen. Diesen wurde befohlen, ihre Gefangenen an sich zu nehmen und in ordentlicher Prozession – jeder Kürassier mit einem Gefangenen – in ihren großen Garten zu führen. Dass aber jeder den seinen wiedererkannte, wunderte mich sehr. Aber auch meinen gestrigen Gefährten wurde erlaubt, ungebunden hinaus in den Garten zu gehen, um der Vollstreckung des Urteils beizuwohnen.

Sobald nun jeder herausgekommen war, schwang sich die Jungfrau aus ihrem Stuhl und verlangte, wir sollten auch auf die Treppe sitzen und beim Urteil erscheinen. Wir weigerten uns nicht, sondern ließen alles auf dem Tisch zurück (mit Ausnahme des Pokals, den die Jungfrau dem Knaben in Verwahrung gab) und fuhren in unserem Schmuck auf dem Stuhl hinaus, der sich von selbst so sanft bewegte, als schwebten wir in der Luft, bis wir im Garten anlangten, wo wir alle vom Stuhl abstiegen.

Dieser Garten war nun nicht sonderlich zierlich, aber mir gefiel, dass die Bäume so ordentlich gesetzt waren. Außerdem sprudelte ein köstlicher Brunnen darin, der mit wundersamen Bildern und Inschriften, auch seltsamen Zeichen (deren ich, so Gott will, in einem künftigen Buch gedenken will) geschmückt war.

In diesem Garten war ein hölzernes Gerüst aufgebaut und mit schönen bemalten Tüchern verhängt. Es waren aber vier Gänge übereinander, der erste war der herrlichste von allen und deswegen mit weißem Taft bedeckt. So konnten wir damals noch nicht wissen, was sich darunter befand. Der zweite Gang war leer und unverhüllt. Die zwei letzten waren mit rotem und blauem Taft bedeckt. Sobald wir nun zu dem Gerüst kamen, neigte sich die Jungfrau zur Erde herab, worüber wir heftig erschraken.

Denn wir konnten leicht erahnen, dass der König und die Königin nicht weit waren. Als wir nun auch unsere gebührende Reverenz erwiesen hatten, führte uns die Jungfrau über eine Wendeltreppe auf den zweiten Gang. Sie selbst stellte sich zu oberst, wir stellten uns in der vorigen Ordnung auf.

Wie sich nun der Kaiser, den ich erlöst hatte, mir gegenüber – wie auch schon zuvor an der Tafel – verhielt, kann ich ohne Nachteil böser Mäuler nicht erzählen. Denn er konnte wohl ermessen, in welcher Trübsal und Sorge er jetzt wäre, wenn er erst unter solchem Spott sein Urteil erwarten müsste, wo er nun doch dank meiner in solcher Würde dastand.

Unterdessen erschien die Jungfrau, die mir zuerst die Einladung gebracht und die ich seither nicht mehr gesehen hatte. Sie blies in ihre Posaune und eröffnete darauf mit lauter Stimme das Urteil wie folgt: Es möchte die Königliche Majestät, mein allergnädigster Herr, von Herzen wünschen, dass alle und jeder, die hier versammelt seien, mit solchen Qualitäten auf Seiner Majestät Einladung erschienen wären, dass sie das zu ihren Ehren veranstaltete hochzeitliche Freudenfest in größerer Zahl zieren würden. Weil es aber Gott dem Allmächtigen anders gefallen, hat seine Majestät nichts dagegen zu murren, sondern muss am alten löblichen Herkommen dieses Königreichs wieder ihr eigenes Belieben festhalten. Damit nun aber Ihrer Majestät angeborene Milde in aller Welt möchte gefeiert werden, hat sie mit ihren Räten und Landständen ausgehandelt, dass das gewohnte Urteil erheblich gelindert wurde. Sie wolle also erstlich den Herren und Potentaten nicht nur das Leben schenken, sondern sie auch frei gehen lassen. Und sie bitte freundlich und gnädig, ihr deswegen nicht zu zürnen, dass sie Seiner Majestät Ehrenfest nicht beiwohnen könnten, sondern zu bedenken, es sei ihnen ohnedies von Gott dem Allmächtigen mehr auferlegt, als sie füglich und mit Ruhe zu ertragen vermöchten, und wie Gott seine Gaben austeile, das entziehe sich aller Begreiflichkeit. So sei es auch ihrem Ruf nicht nachteilig, wenn sie bei diesem unserem Orden verworfen würden, weil wir nun einmal nicht alle alles können würden. Dass sie aber von böswilligen Speichelleckern verführt worden, das solle an jenen nicht ungerächt bleiben. Ihre Majestät sei außerdem gewillt, ihnen binnen kurzem einen Katalog der Ketzer oder einen Index Expurgatorium mitzuteilen, damit sie hinfort mit besserem Verstand zwischen Gutem und Bösem unterscheiden könnten. Weil auch Seine Majestät in kurzem in ihrer Bibliothek eine Ausmusterung vorzunehmen gedenke und die verführerischen Schriften dem Vulkan (den Flammen) aufzuopfern gedenke, bittet sie euch, mit euren eigenen Büchern ebenso freundlich und gnädig zu verfahren, damit hoffentlich allem Übel und Unrat künftig vorgebeugt werde. Daneben sollten sie auch ermahnt werden, fürderhin nicht mehr so unbedacht herein zu begehren, damit ihnen nicht wieder die Entschuldigung, verführt worden zu sein, vorgeworfen werde, und sie bei vielen in Spott und Verachtung kämen. Endlich, da das Land von jedem etwas fordere, hoffe Ihre Majestät, es werde sich keiner beschweren, wenn er mit einer Kette, oder was auch immer er zur Hand habe, sich loskaufe, um darauf freundlich von uns zu scheiden und unter unserem Geleit sich wieder zu den seinigen zu begeben.

Die anderen, die im ersten, dritten und vierten Gewicht [Glaube, Kraft und Demut] nicht bestanden, will ihre Majestät nicht so leicht davonkommen lassen. Damit aber auch diese die Milde ihrer Majestät spüren mögen, befiehlt sie, dieselben nackt auszuziehen und fortzuschicken.

Wer im zweiten und fünften Gewicht zu leicht befunden worden [Erkenntnis, Nüchternheit], solle neben der Entblößung auch mit einem, zwei oder mehr Brandmalen, je nachdem, wie leicht oder schwer er war, gezeichnet werden.

Wer vom sechsten oder siebten Gewicht [Eifer, Eintracht] ohne die anderen hinaufgezogen worden, solle etwas gnädiger behandelt werden.

Und so weiter. Für jede Kombination der Gewichte wurde eine gewisse Strafe verordnet, die alle aufzuzählen hier zu lange dauern würde.

Wer aber gestern freiwillig zurückgetreten ist, der soll ohne alle Strafe frei ausgehen. Schließlich sollen die überführten Landbetrüger, die kein Gewicht aufzuwiegen vermochten, an Leib und Leben, je nachdem mit dem Schwert, dem Strang, Wasser und Ruten bestraft werden. Und diese Urteile sollen ohne Gnade anderen zur Warnung vollstreckt werden.

Hiermit zerbrach unsere Jungfrau das Stäblein, darauf blies die andere, die das Urteil verlesen hatte, in ihre Posaune und trat mit hoher Ehrerbietung vor die, die unter dem Vorhang standen.

Aber hier kann ich es nicht unterlassen, dem Leser etwas über die Zahl unserer Gefangenen zu eröffnen. Es waren ihrer sieben, die einem Gewicht standhielten, einundzwanzig die zweien, fünfunddreißig, die dreien, fünfunddreißig, die vieren, einundzwanzig, die fünfen, und sieben, die sechsen standhielten. Aber der, der auf die sieben kam und doch noch in die Höhe gezogen wurde, das war jener, den ich erlöst hatte. Viele aber waren völlig durchgefallen. Und etliche hatten jedes Gewicht auf den Boden gezogen. So habe ich es fleißig auf mein Schreibtäfelchen abgezählt und notiert, wie sie so unterschiedlich vor uns standen. Es ist aber höchst verwunderlich, dass keiner von denen, die etwas wogen, einem anderen gleich war. Denn obwohl fünfunddreißig drei Gewichten standhielten, gab es doch welche, die das erste, zweite und dritte, andere, die das dritte, vierte und fünfte, wieder andere, die das fünfte, sechste und siebente und so fort aufwogen. So dass zur höchsten Verwunderung unter den hundertsechsundzwanzig, die etwas gewogen, keiner dem anderen gleich war. Und ich wollte sie alle, jeden mit seinem Gewicht wohl nennen, wenn es mir zur Zeit nicht noch verboten wäre. Ich hoffe aber, dass es künftig zusammen mit einer Interpretation an den Tag kommen wird.

Als nun dieses Urteil verlesen war, waren die zuerst genannten Herren wohl zufrieden. Denn da sie bei solcher Strenge kein so mildes Urteil erwartet hatten, gaben sie noch mehr, als man verlangte und entledigten sich all ihrer Ketten, Geschmeide, ihres Goldes und Geldes und anderer Dinge, so viel sich bei sich hatten und nahmen mit Ehrerbietung ihren Abschied.

Obwohl nun allen königlichen Dienern verboten war, über die Abziehenden zu spotten, konnten sich doch etliche Spaßvögel des Lachens nicht enthalten. Es war auch lächerlich genug, wie sie sich, ohne zurückzusehen, so geschwind als möglich davonmachten. Einige baten, man möge ihnen den versprochenen Katalog der Ketzer baldigst zukommen lassen, damit sie mit ihren Büchern verfahren könnten, wie es Königlicher Majestät gefalle. Dies wurde ihnen abermals zugesagt. Unter dem Tor aber wurde jedem aus einem Becher ein Schluck vom Trunk des Vergessens gegeben, damit er sein Unglück vergessen möge.

Danach zogen die Freiwilligen davon, sie ließ man ob ihrer Redlichkeit passieren, doch sollten sie nimmer in solcher Gestalt wiederkommen. Sollte ihnen aber, wie auch den anderen, mehr enthüllt worden sein, sollten sie als liebe Gäste willkommen sein.

Unterdessen war man dabei, die andern auszuziehen, was wiederum je nach der Schwere des Vergehens unterschiedlich vonstatten ging. Einige wurden nackt, aber unbeschädigt hinaus geschickt, andere trieb man mit Glöckchen und Narrenschellen hinaus. Andere wiederum wurden hinausgepeitscht. Kurz: es gab so viele unterschiedliche Strafen, dass ich sie nicht alle aufzählen kann.

Endlich kamen auch die letzten an die Reihe, bei denen es etwas länger dauerte. Denn bis einige gehenkt, andere geköpft, andere wiederum ins Wasser geworfen, andere noch anders bestraft waren, dauerte es doch geraume Zeit.

Bei dieser Bestrafung musste ich wahrlich weinen, und zwar nicht wegen der Strafe, die sie ob ihres Frevels wohl verdient hatten, sondern wegen der Blindheit der Menschen, dass wir uns immerdar in dem bemühen, was uns seit dem ersten Fall versiegelt ist. War also der Garten kurz zuvor voll gewesen, so war er jetzt bald geleert und außer den Soldaten war kein Mensch mehr da.

So bald dies nun geschehen war, herrschte fünf Minuten lang tiefe Stille. Da kam ein schönes weißes Einhorn mit einem goldenen Halsband hervor bis zu dem Brunnen, wo es sich auf seine beiden Vorderfüße niederließ, als wolle es dem Löwen, der so unbeweglich auf dem Brunnen stand, dass ich ihn für einen steinernen oder ehernen gehalten hatte, hiermit Ehre erweisen. Dieser nahm alsbald das bloße Schwert, das er in seinen Pranken hielt und brach es mitten entzwei. Die Stücke aber, so schien mir, versanken im Brunnen.

Darauf brüllte er so lange, bis eine weiße Taube erschien, die in ihrem Schnäblein den Zweig eines Ölbaums brachte, den der Löwe alsbald verschluckte. Darauf war der Löwe zufrieden und auch das Einhorn ging mit Freuden wieder an seinen Ort zurück.

Hierauf führte uns die Jungfrau wieder die Wendeltreppe über das Gerüst herab und wir erwiesen erneut unsere Reverenz vor dem Umhang.

Wir mussten unsere Hände und Häupter am Brunnen waschen und in unserer Ordnung eine Zeit lang warten, bis der König durch einen verborgenen Gang sich wieder in den Saal begeben hatte und auch wir wieder mit besonderer Musik, mit Herrlichkeit und Pracht und unter lieblichem Gespräch aus dem Garten in unsere vorige Unterkunft geführt wurden.

Und dies geschah um vier Uhr am Nachmittag.

Damit uns währenddessen die Zeit nicht zu lang wurde, gesellte die Jungfrau einem jedem von uns einen Edelknaben zu, die waren nicht nur köstlich gekleidet, sondern auch vortrefflich gelehrt. Sie konnten über alle Dinge so artig diskutieren, dass wir uns darüber zu Recht schämten. Diesen wurde befohlen, uns im Schloss herum (doch nur an bestimmte Orte) zu führen und uns so weit als möglich nach unseren Wünschen die Zeit zu verkürzen.

Unterdessen verabschiedete sich die Jungfrau und tröstete uns damit, sie werde beim Abendessen wieder erscheinen, um die Zeremonie der Aufhängung der Gewichte zu begehen. Außerdem bat sie uns, den morgigen Tag geduldig abzuwarten, an dem wir dem König vorgestellt werden sollten.

Wie sie nun so von uns geschieden war, tat ein jeder, was er am liebsten mochte.

Ein Teil von uns besah die schönen Tafeln, die man ihnen zeigte, und dachte darüber nach, was wohl die wundersamen Zeichen bedeuten mochten. Andere mussten sich wieder mit Speis und Trank erquicken. Ich aber ließ mich zusammen mit meinem Gesellen von meinem Knaben im Schloss hin und her führen. Dieser Spaziergang soll mich auch mein Lebtag nicht gereuen, denn neben manchen herrlichen Antiquitäten wurden mir auch die Gräber der Könige gezeugt, von denen ich mehr lernte, als in allen Büchern geschrieben steht.

Daselbst steht auch der herrliche Phönix (über den ich vor zwei Jahren ein besonderes Büchlein habe herauskommen lassen). Ich habe mir auch vorgenommen, über den Löwen, den Adler, den Greifen, den Falken und andere mehr (sofern diese meine Erzählung sich als fruchtbar erweist) je ein besonderes Traktätlein mit Bildern und Inschriften zu veröffentlichen.

Meine anderen Gefährten dauern mich, weil sie solch teuren Schatz nicht gesehen haben, aber ich denke, es ist Gottes besonderer Wille gewesen. Aber ich habe meinen Knaben sehr genossen, denn er führte einen jeden, der ihm anbefohlen war, je nach seiner geistigen Art dorthin, wo es ihm gefiel. Da meinem Knaben die Schlüssel anvertraut waren, deswegen hatte ich vor allen anderen solches Glück. Zwar hatte er auch anderen einen Besuch der Grabstätten angeboten, aber diese meinten, solche Gräber seien nur auf dem Kirchhof zu finden und wenn es dort etwas zu sehen gäbe, dann würden sie noch früh genug dahin kommen. Es sollen aber solche Monumente, die wir beide abgezeichnet und aufgeschrieben haben, meinen dankbaren Schülern nicht vorenthalten werden.

Das andere, das wir zwei zu sehen bekamen, war die herrliche Bibliothek, die schon vor der Reformation gesammelt worden war. Über die will ich aber weniger sagen (obwohl sie, so oft ich ihrer gedenke, mein Herz erquickt), weil ihr Katalog bald erscheinen soll. Am Eingang dieses Gemachs steht ein großes Buch, dergleichen ich niemals gesehen habe. Darin sind alle Figuren, Säle, Portale und alle Inschriften, Rätsel und dergleichen aufgezeichnet, die im ganzen Schloss zu sehen sind. Obwohl mir nun auch dazu ein Versprechen gegeben wurde, halte ich mich derzeit noch zurück, da ich die Welt zuvor noch besser kennenlernen muss. Bei jedem Buch fand sich auch ein Gemälde des Autors. Viele dieser Bücher sollen, soweit ich verstanden habe, verbrannt werden, damit auch die Erinnerung an sie bei allen rechtgläubigen Menschen ausgetilgt werde.

Als wir uns nun daran ergötzt hatten und eben wieder heraustraten, kam ein anderer Knabe gelaufen, und als er dem unseren etwas ins Ohr geflüstert, übergab ihm dieser die Schlüssel, der sie rasch die Wendeltreppe hinauftrug. Unser Knabe aber wurde sehr bleich und da wir ihm mit unseren Bitten hart zusetzten, gestand er, die Königliche Majestät wünsche nicht, dass jemand die Bibliothek und die Begräbnisstätte sehe. Er bat uns, wenn wir sein Leben lieb hätten, niemandem davon zu erzählen, weil er es bereits geleugnet habe. Beides gestanden wir ihm in Freude und Furcht zu. Aber es blieb unser Geheimnis und niemand fragte mehr danach. An beiden Orten hatten wir drei Stunden zugebracht, die mich niemals gereut haben.

Obwohl es nun schon Sieben geschlagen hatte, gab man uns noch immer nichts zu essen. Unser Hunger war aber mit solcher stetiger Erquickung wohl zu ertragen und ich wäre bereit gewesen, bei solcher Behandlung mein Leben lang zu fasten.

Unterdessen wurden uns auch die schönen Wasserspiele, Bergwerke und allerlei Kunstwerkstätten gezeigt, unter denen keine waren, die nicht all unsere Kunst, würde man sie auch alle zusammenschmelzen, bei weitem übertroffen hätten. All diese Anlagen waren in einem Halbkreis angeordnet, damit sie das köstliche Uhrwerk, das im Zentrum an einem schönen Turm angebracht war, vor Augen hätten und sich nach dem Lauf der Planeten (der daran zu sehen war) richten konnten. Daran konnte ich erneut feststellen, woran es unsern Künstlern fehlt, auch wenn es nicht meine Aufgabe ist, sie zu belehren.

Endlich kam ich in einen großen Saal (der den andern schon längst gezeigt worden war). In dessen Mitte stand ein Erdglobus, dessen Durchmesser dreißig Schuh betrug, obwohl fast die Hälfte, bis auf eine Stelle, wo Treppen hinunter führten, in der Erde vergraben war. Diesen Globus konnten zwei Mann an seinen Hebeln so kunstgerecht drehen, dass stets nicht mehr als der Teil zu sehen war, der über dem Horizont lag. Obwohl ich leicht bemerkte, dass es mit ihm eine besondere Bewandtnis haben musste, konnte ich doch nicht erkennen, wozu die goldenen Ringlein dienten, die an etlichen Orten auf dem Globus angebracht waren. Mein Knabe lachte darüber und ermahnte mich, sie genauer anzusehen. Kurz, ich fand auch mein Vaterland mit Gold markiert, weswegen mein Gesell das seinige suchte und es ebenso markiert fand. Da wir dies auch bei der Heimat der anderen, die geblieben waren, bestätigt fanden, erklärte uns der Knabe, ihr alter Atlas (so hieß ihr Astronom) habe ihrer Königlichen Majestät gestern mitgeteilt, alle vergoldeten Punkte bezeichneten aufs Genaueste die Vaterländer derer, die übriggeblieben seien.

Deswegen habe er auch – so der Knabe – da er gesehen, dass ich mich zurückgezogen hätte, aber bei meinem Vaterland ein Punkt stehe, einen der Hauptleute angespornt, für uns zu bitten, damit wir auf gut Glück ohne unsern Schaden auf die Waage gestellt würden. Dies aber deshalb, weil eines der beiden Vaterländer unter einem besonders guten Zeichen stehe.

So sei auch er, der Knabe mit der größten Befugnis, nicht ohne Grund gerade mir zugeteilt worden, wofür ich mich sehr bedankte. Und ich sah mir mein Vaterland daraufhin genauer an und entdeckte, das sich neben dem Ringlein noch einige schöne Striemen befanden, was ich doch nicht zu meinem Ruhm oder Lob gesagt haben will. Noch manch andere Dinge sah ich auf diesem Globus, die ich nicht zu enthüllen gedenke. Jeder möge selber überlegen, warum nicht jedes Land einen Philosophen besitzt.

Daraufhin führte er uns sogar in den Globus hinein. Das ging wie folgt von statten. Auf dem Meer, das besonders viel Platz bot, befand sich eine Tafel, auf der drei Widmungen und der Name des Erbauers standen. Diese konnte man vorsichtig aufheben und durch ein bewegliches Brettlein in das Zentrum gelangen, in dem sich vier Personen aufhalten konnten. Dieses war nicht mehr als ein rundes Brett, auf dem wir sitzen und wohl gar am hellen Tag (inzwischen war es dunkel) die Sterne hätte anschauen können. Meines Erachtens waren es lauter Karfunkel, die in gehöriger Ordnung und entsprechender Bahn so schön glänzten, dass ich kaum mehr heraus wollte, was hernach der Knabe der Jungfrau berichtete, die mich damit des öfteren neckte, denn es war bereits Essenszeit und ich hatte mich in den Globus dermaßen verliebt, dass ich fast der letzte bei Tisch war.

Deswegen säumte ich nicht länger, und als ich meinen Rock wieder angezogen hatte, (den ich zuvor abgelegt hatte) und zu Tisch trat, wurde mir von den Dienern so viel Reverenz und Ehre entboten, dass ich vor Scham nicht aufzusehen wagte. Daher ließ ich die Jungfrau, die an der Seite auf mich gewartet hatte, unbewusst stehen, was sie aber gleich bemerkte und mich am Rock zupfte, um mich zu Tisch zu führen. Von der Musik und anderen Herrlichkeiten will ich schweigen, weil ich dafür keine Worte finden könnte, und sie schon zuvor, so viel ich vermag, gerühmt habe: kurz und gut – da war nichts als Kunst und Lieblichkeit.

Nachdem wir nun einander erzählt hatten, wie wir den Nachmittag verbracht (von der Bibliothek und den Grabmälern schwieg ich) und wir allbereits vom Wein lustig waren, fing die Jungfrau an: Liebe Herren, ich habe einen großen Streit mit einer meiner Schwestern. In unserem Gemach hegen wir einen Adler. Wir nähren denselben mit solchem Fleiß, dass jede ihn am liebsten haben möchte und deswegen haben wir manchen Zank.

Nun beschlossen wir dieser Tage, zu ihm zu gehen, und gegen welche er sich am freundlichsten zeigen werde, der sollte er zu eigen sein. So geschah es. Ich aber trug wie stets einen Lorbeerzweig in meiner Hand. Meine Schwester aber hatte keinen. Als er nun uns beide erblickte, gab er meiner Schwester einen Zweig, den er im Schnabel trug und begehrte den meinen, den ich ihm sogleich gab. Nun glaubt jede, er habe sie am liebsten. Wie soll ich mich verhalten?

Dieses züchtige Vorbringen der Jungfrau gefiel uns allen sehr und jeder hätte gern die Lösung gehört. Da aber viele auf mich sahen, und wollten, dass ich den Anfang machte, war ich dermaßen verwirrt, dass ich mir nicht anders zu helfen wusste, als mit einer weiteren Frage zu antworten. Und so sagte ich: Gnädiges Fräulein, Euer gnädige Frage wäre leicht zu beantworten, wenn mich nicht eines bekümmerte.

Ich hatte zwei Gesellen, die mich beide über alle Maßen liebten. Da sie nun zweifelten, welcher mir am liebsten sei, beschlossen sie, unversehens zu mir zu laufen, und welchen ich dann auffangen würde, der wäre der Rechte. So taten sie. Doch der eine vermochte dem anderen nicht nachzukommen, blieb deswegen hinter ihm zurück und weinte, während ich den andern mit Verwunderung empfing.

Wie sie mir nun den Handel entdeckten, wusste ich dafür keine Lösung und habe die Entscheidung bis heute offen gelassen, ob ich nicht hier einen guten Rat finden möge.

Die Jungfrau wunderte sich über diese Rede und merkte wohl, worum es mir zu tun war. Deswegen antwortete sie: Wohlan, so lasst uns beide wett sein. Wir wollen die Lösung von einem anderen erbitten.

Durch mich gewitzt, fing da auch schon ein zweiter an: In meiner Stadt wurde neulich eine Jungfrau zu Tode verurteilt, weil sie aber den Richter dauerte, rief er ausrufen, wenn es jemanden gebe, der sich die Jungfrau erkämpfen wolle, dann stehe es ihm frei. Nun hatte sie zwei Liebhaber. Der eine machte sich bald fertig, kam auf den Kampflatz und wartete auf seinen Gegner. Da kam auch schon der zweite. Obwohl er zu spät kam, gedachte er dennoch zu streiten und sich absichtlich besiegen zu lassen, damit die Jungfrau am Leben bliebe, was denn auch geschah. Hierauf wollte sie ein jeder haben. Nun lehrt mich, meine Herren, wem gebührt sie?

Die Jungfrau konnte sich nicht mehr zurückhalten und sprach: Ich gedachte viel zu erfahren und komme selbst ins Netz. Dennoch möchte ich hören, ob es noch andere gibt.

Jawohl antwortete ein Dritter. Ein größeres Abenteuer ist noch nie erzählt worden, als mir eines widerfuhr. In meiner Jugend liebte ich eine ehrbare Jungfrau. Damit nun meine Liebe zum erwünschten Ende komme, musste ich mich eines alten Mütterleins bedienen, die mich auch letztlich zu ihr brachte. Nun begab es sich, dass eben die Brüder der Jungfrau zu uns kamen, als wir drei allein beisammen waren. Die erzürnten sich so sehr, dass sie mir das Leben nehmen wollten. Weil ich aber so sehr darum bat, musste ich schließlich schwören, eine jede ein Jahr lang als meine Ehefrau zu nehmen. Nun sagt mir, ihr Herren, sollte ich die alte oder die junge zuerst nehmen?

Über dieses Rätsel lachten wir alle genug und wiewohl etliche darüber miteinander murmelten, wollte doch keiner eine Entscheidung vortragen.

Darauf fing ein vierter an:

In einer Stadt wohnte eine ehrbare Frau von Adel, die von vielen geliebt wurde, besonders aber von einem jungen Edelmann, der ihr jedoch etwas zu aufdringlich war. Endlich gab sie ihm folgenden Bescheid: wenn er sie im kalten Winter in einen schönen grünen Rosengarten führe, dann solle ihm sein Wunsch gewährt werden, ansonsten solle er sich nicht mehr blicken lassen. Der Edelmann zog durch alle Länder, um einen Mann, der solches vermochte, zu finden, bis er endlich ein altes Männlein traf, das ihm solches zu tun versprach, wenn er ihm die Hälfte seiner Güter überlasse. Der Edelmann willigte ein und das alte Männlein tat, was es versprochen.

So berief der Edelmann die besagte Frau in seinen Garten, die wider Erwarten alles grün, lustig und warm fand und sich ihres Versprechens erinnerte. Die Frau jedoch bat, nur noch einmal zu ihrem treuen Gemahl gehen zu dürfen, dem sie alsogleich ihr Leid unter Seufzen und Tränen klagte. Da dieser aber ihre Treue genugsam erlebt hatte, schickte er sie zurück zu ihrem Liebhaber, der sie so teuer erworben hatte, um ihm ihre Gunst zu erweisen. Den Edelmann aber rührte die Redlichkeit dieses Ehemannes so sehr, dass er die Sünde fürchtete, ein so ehrbares Weib zu berühren und schickte sie wieder heim zu ihrem Ehemann. Wie nun das alte Männlein von der Treue dieser beiden erfuhr, wollte er, so arm er auch sonst war, nicht der Geringste unter ihnen sein, übergab dem Edelmann all seine Güter wieder und zog davon. Nun weiß ich nicht, liebe Herren, wer von diesen Personen die größte Treue bewiesen hat.

Da hatte es uns vollends die Sprache verschlagen und auch die Jungfrau wollte nichts anderes sagen, als dass ein anderer Herr fortfahren solle.

Deswegen säumte auch der fünfte nicht und fing an:

Liebe Herren, ich werde es nicht lange machen. Wer hat eine größere Freude? Der, der das, was er liebt, nur anschaut oder der, der nur daran denkt?

Der, der es sieht, sprach die Jungfrau.

Nein, antwortete ich. Daraufhin erhob sich ein Streit, weswegen der sechste rief:

Liebe Herren, ich soll ein Weib nehmen. Nun habe ich vor mir eine Jungfrau, eine Verheiratete und eine Witwe. Bitte helft meinem Zweifel ab, dann will ich nachher auch helfen, jenen Streit zu schlichten.

Dem geht’s noch wohl, antwortete der Siebente, der die Wahl hat. Mit mir hat es eine andere Bewandtnis. In meiner Jugend liebte ich eine schöne und ehrbare Jungfrau aus dem Grunde meines Herzens und sie liebte mich zurück. Nun konnten wir, weil ihre Freunde nicht einverstanden waren, nicht ehelich zusammenkommen und sie wurde einem anderen, ehrlichen und züchtigen Gesellen vermählt, der sie in Zucht und Liebe hielt, bis sie schwanger wurde. Das kam ihr so sauer an, dass manche meinten, sie wäre tot. Sie wurde auch mit großem Jammer feierlich bestattet. Nun dachte ich, wenn dir diese Frau schon nicht im Leben zuteil werden konnte, so sollst du sie wenigstens im Tode umfangen und küssen. Deswegen nahm ich meinen Diener zu mir, der sie in der Nacht wieder ausgrub. Als ich nun den Sarg öffnete und sie in meine Arme schloss, auch ihr Herz berührte, fand ich, dass es sich noch ein wenig regte und unter dem Einfluss meiner Wärme immer mehr, bis ich endlich bemerkte, dass sie eigentlich noch lebte. Daher trug ich sie heimlich in mein Haus und nachdem ich ihren erkalteten Leib durch ein kostbares Kräuterbad erwärmt hatte, befahl ich sie in die Obhut meiner Mutter, bis sie eines schönen Sohnes genas, den ich ebenso wie die Mutter getreulich pflegen ließ. Nach zwei Tagen, da sie sich heftig wunderte, entdeckte ich ihr, was geschehen war, und bat sie, nun hinfort bei mir als meine Ehefrau zu leben. Sie aber entgegnete, das werde ihrem Ehemann, der sie gut und ehrsam gehalten habe, Leid tun. Da ich aber inzwischen auch ein Anrecht habe, sei sie nunmehr beiden in Liebe verpflichtet. Nun lud ich nach zwei Monaten (in der Zwischenzeit musste ich anderswohin verreisen) ihren Ehemann zu Gast und fragte ihn, ob er auch seine verstorbene Hausfrau, wenn sie ihm wieder ins Haus käme, wieder annehmen wolle. Er aber bejahte dies unter Tränen und Weinen. Da brachte ich ihm endlich sein Weib mitsamt seinem Sohn, erzählte ihm alles, was geschehen war und bat ihn, er möge die von mir vorgenommene Verehelichung billigen. Trotz langem Disputieren vermochte er mich von meinem Recht nicht abzubringen und musste mir das Weib lassen, aber da war noch der Streit um den Sohn.

Hier fiel ihm die Jungfrau ins Wort und sagte: Mich wundert, wie ihr dem betrübten Mann sein Leid noch habt verdoppeln können.

Wie, antwortete der, hatte ich denn nicht das Recht dazu? Darüber erhob sich ein Disput unter uns, aber die Mehrheit war der Ansicht, er habe Recht getan.

Nein, erwiderte er, ich habe ihm beides, sein Weib und seinen Sohn geschenkt. Nun sagt mir, liebe Herren, war meine Redlichkeit oder die Freude des Mannes größer?

Diese Worte erquickten die Jungfrau dermaßen, dass sie gleich zu Ehren der beiden einen Trunk herumgehen ließ.

Darauf wurden die Fragen der anderen immer verwirrter, so dass ich sie nicht mehr alle behalten konnte. Eines fällt mir jedoch noch ein. Da erzählte einer, er habe vor wenigen Jahren einen Medicus gesehen, der habe für den Winter Holz eingekauft und sich den ganzen Winter über damit gewärmt. Sobald aber der Frühling wieder gekommen sei, habe er eben dieses Holz verkauft und also ohne Bezahlung genossen.

Da muss Magie mit im Spiel gewesen sein, sagte die Jungfrau, aber die Zeit ist nun vorüber.

Ja, antwortete mein Geselle, wer die Rätsel nicht alle aufzulösen weiß, der mag es einen jeden durch einen eigenen Boten wissen lassen.

Ich war ganz seiner Meinung. Unterdessen wurde das Dankgebet gesprochen und wir standen alle von der Tafel auf, mehr satt und fröhlich als voll und ich möchte wünschen, alle Gastmahle würden so verlaufen.

Wie wir nun so im Saal herumspazierten, fragte uns die Jungfrau, ob wir nicht wünschten, mit der Hochzeit einen Anfang zu machen. Ja, edle und tugendsame Jungfrau, antwortete da einer.

Daraufhin entsandte sie heimlich einen Knaben und setzte unterdessen das Gespräch mit uns fort. Kurz, sie war mit uns schon so vertraut, dass ich es wagte, nach ihrem Namen zu fragen.

Die Jungfrau lächelte ob meines Fürwitzes, ließ sich aber nicht bewegen, sondern antwortete: Mein Name enthält fünfundfünfzig [eigentlich sechsundfünfzig] und hat doch nur acht Buchstaben, der dritte ist des fünften dritter Teil, kommt der dritte dann zum sechsten, so entsteht eine Zahl, deren Wurzel schon um den ersten Buchstaben größer ist, als der dritte und diese ist die Hälfte der vierten. Der fünfte und der siebte sind gleich und so ist der letzte dem ersten auch gleich und machen mit dem zweiten soviel als der sechste hat, der doch nur um vier mehr als der dritte dreimal hat. Nun sagt mir mein Herr, wie heiß ich?

Die Antwort war mir kraus genug, doch ließ ich nicht locker und sprach: Edle und tugendsame Jungfrau, darf ich nicht wenigstens einen Buchstaben erfahren?

Jawohl, sprach sie, das lässt sich machen.

Was mag dann, erwiderte ich, der siebente haben?

Er hat, sprach sie, so viel als hier Herren sind (9). Damit war ich’s zufrieden und fand ihren Namen mit Leichtigkeit heraus (1 + 12 + 3 + 8 + 9 + 13 + 9 + 1 = 56. Alchimia). Damit war ich wohl zufrieden und sie meinte, es werde uns wohl noch mehr enthüllt werden.

Unterdessen hatten sich etliche Jungfrauen fertig gemacht. Sie kamen mit großem Gepränge daher. Zwei Jünglinge leuchteten ihnen voran. Der eine hatte ein lustiges Gesicht, helle Augen und feine Züge. Der andere war etwas zornig anzusehen, was er haben wollte, das musste er bekommen, wie ich später feststellen sollte. Auf sie folgten vier Jungfrauen. Die eine sah züchtig zur Erde und gebärdete sich gar demütig. Die andere war auch eine züchtige, schamhafte Jungfrau, die dritte entsetzte sich über etwas, als sie in die Stube trat. Wie ich vernommen, kann sie da nicht bleiben, wo man zu lustig ist. Die vierte brachte etliche Sträußlein mit sich, um dadurch ihre Liebe und Freigiebigkeit zu erweisen. Nach diesen kamen zwei weitere, die noch herrlicher gekleidet waren. Sie grüßten uns schön. Die eine trug ein ganz blaues Gewand, das mit goldenen Sternen versetzt war. Die andere ein grünes, das mit roten und weißen Streifen geschmückt war. Auf ihren Häuptern trugen sie zarte wehende Tüchlein, die ihnen aufs zierlichste standen. Endlich kam eine allein, die hatte ein Krönlein auf dem Haupt und sah mehr über sich zum Himmel auf, als auf die Erde. Wir meinten alle, es wäre die Braut.

Aber da täuschten wir uns sehr, wiewohl sie ansonsten an Ehre, Reichtum und Stand der Braut weit überlegen war und nachher die ganze Hochzeit regierte.

Wir folgten unserer Jungfrau, fielen nieder auf die Knie, wiewohl sie sich gar demütig und gottesfürchtig zeigte: Sie bot jedem die Hand, ermahnte uns auch, wir sollten uns nicht zu sehr darüber verwundern, denn dies wäre eine ihrer geringsten Gaben: Unsere Augen aber sollten wir zu unserem Schöpfer erheben, und hierin seine Allmacht erkennen lernen, das, was wir angefangen hätten, Gott zum Lob und den Menschen zu gut vollenden und seine Gnade gebrauchen.

Kurz, ihre Worte waren gar anders, denn die unserer Jungfrau, die noch etwas weltlicher war, sie drangen mir durch Mark und Bein.

Und du, sprach sie weiter zu mir, hast mehr denn andere empfangen, siehe, dass du auch mehr ausgibst: Diese Predigt war mir gar fremd.

Denn wie wir die Jungfrau mit der Musik erblickten, meinten wir, wir müssten schon tanzen, aber die Zeit war noch nicht da.

Nun standen die Gewichte von denen oben berichtet worden, noch alle da.

Deswegen hieß die Königin (ich weiß doch nicht, wer sie gewesen) jede Jungfrau eines zu sich zu nehmen.

Unserer Jungfrau aber gab sie das ihrige, welches das letzte und größte war, und hieß uns, ihr zu folgen. Unsere Majestät aber war etwas geringer, denn ich bemerkte wohl, dass unsere Jungfrau uns nur zu gut war, und wir nicht gar so hoch geschätzt wurden, wie wir uns schier zum Teil selbst einzubilden anfingen. Wir gingen also in unserer Ordnung ihr nach und wurden in das erste Gemach geführt, da hängte unsere Jungfrau der Königin Gewicht zuerst auf, und dabei wurde ein schöner geistlicher Gesang gesungen.

In diesem Gemach war nichts köstliches, außer etliche schöne Gebetbüchlein, die man nicht entbehren kann.

In der Mitte stand ein aufrechtes Pult, zum Beten geeignet, daran kniete die Königin nieder. Um sie mussten wir alle knien und der Jungfrau, die aus einem Büchlein las, nachbeten: Dass solche Hochzeit mit Gottes Ehr und zu unserem Nutzen von statten gehe.

Hierauf kamen wir in das andere Gemach, da hängte die erste Jungfrau ihr Gewicht auch auf, und so fortan, bis alle Zeremonien verrichtet waren.

Hierauf bot die Königin jedem wieder die Hand, und entfernte sich mit ihren Jungfrauen.

Unsere Vorsitzende blieb noch eine Weile bei uns, weil es aber allbereits zwei Uhr nachts war, wollte sie uns nicht länger aufhalten.

Mir schien, sie war sehr gerne bei uns, doch wünschte sie uns eine gute Nacht und befahl uns, ruhig zu schlafen, dann schied sie freundlich, wenn auch ungern von uns.

Unsere Knaben waren über alles unterrichtet, wiesen jeden in seine Kammer, und blieben auch bei uns in einem anderen Bettlein, damit wir, so wir etwas bedurften, uns an sie wenden könnten.

Meine Kammer (von den andern weiß ich nichts zu sagen) war königlich bereitet und mit schönen Teppichen und Gemälden ausgehängt.

Vor allem aber liebte ich meinen Knaben, der so trefflich beredt und in allerlei Künsten erfahren war, dass er mich auch noch um eine Stunde brachte und ich erst um halb Vier einschlief.

Und dies war die erste Nacht, in der ich ruhig schlief. Aber ein schändlicher Traum ließ sie mir nicht zu lieb werden. Denn die ganze Nacht machte ich mich an einer Tür zu schaffen, die ich nicht zu öffnen vermochte, endlich gelang es mir doch.

Mit solchen Fantasien vertrieb ich die Zeit, bis ich endlich gegen Tagesanbruch erwachte.


4. Tag

Ich lag noch in meinem Bett und besah die herrlichen Bilder und Figuren, die sich in meinem Gemach befanden und hörte eine Musik von Bläsern, als ob die Prozession schon im Gange wäre. Da hüpfte mein Knabe wie von Sinnen aus dem Bett, sah auch einem Toten viel ähnlicher, denn einem Lebendigen. Wie nun mir zumute war, kann man sich gut vorstellen, denn er sagte, die andern würden allbereits dem König vorgestellt.

Ich wusste nichts Besseres zu tun, als helle Tränen zu weinen, und meine Faulheit zu verfluchen.

Während ich mich noch anzog, war mein Knabe längst fertig und lief zum Gemach hinaus, um zu sehen, wie die Dinge standen.

Er kam aber bald wieder und brachte die frohe Botschaft, dass wir wohl nichts versäumt hätten, allein das Frühstuck habe ich verschlafen, man habe mich wegen meines Alters nicht wecken wollen.

Jetzt aber sei es an der Zeit, mit ihm zum Brunnen zu gehen, da seien die meisten schon versammelt: Von diesem Trost kamen meine Lebensgeister wieder, ich war bald mit meiner Kutte fertig, und zog dem Knaben nach, in den Garten zum Brunnen.

Nachdem wir einander begrüßt und die Jungfrau über mein Langschläfertum gespottet hatte, führte sie mich an der Hand zu dem Brunnen. Da fand ich, dass der Löwe statt seines Schwertes eine ziemlich große Tafel trug.

Wie ich die besichtigte, stellte ich fest, dass sie aus den Alten Monumenten genommen und hierher zu besonderer Ehre gesetzt worden war. Die Schrift war vom Alter schon etwas verblasst, ich will sie deswegen, so wie sie war, hierher setzen und einem jeden zum Nachdenken geben.

HERMES PRINCEPS.
POST TOT ILLATA
GENERI HUMANO DAMNA,
DEI CONSILIO:

ARTISQUE ADMINICULO,
MEDICINA SALUBRIS FACTUS
HEIC FLUO.

Bibat ex me qui potest, lavet, qui vult:
turbet qui audet:

BIBITE FRATRES, ET VIVITE

[Ich Hermes, der Fürst
nach so vielem dem menschlichen
Geschlecht zugefügten Schaden
nach Göttlichem Ratschluss
und mit Hilfe der Kunst
zur heilsamen Arznei bereitet,
fließe hier.

Trinke aus mir, wer kann,
wasche sich, wer will,
trübe mich, wer es wagt:
trinket Brüder und lebet!

Diese Inschrift war gut zu lesen und sie mag wohl auch darum hierher gesetzt worden sein, weil sie leichter als jede andere zu verstehen war.

Nachdem wir uns nun zuerst am Brunnen gewaschen, und jeder einen Trunk aus einer güldenen Schale getan, mussten wir der Jungfrau noch einmal in den Saal folgen und neue Kleider anziehen. Die waren aus Gold gewirkt und herrlich mit Blumen geschmückt.

So wurde auch jedem ein neues güldenes Vlies gegeben, das mit Edelsteinen besetzt war, die je nach ihrer Qualität mancherlei Wirkungen mit sich brachten.

Daran hing ein schweres Stück Gold, auf dem Sonne und Mond einander gegenüber standen, auf der Rückseite aber stand dieser Spruch: des Mondes Schein wird sein wie der Sonne Schein, und der Sonne Schein wird siebenmal heller sein als jetzt.

Unser vorheriges Geschmeide aber wurde in ein Kästchen gelegt und einem der Diener übergeben. Daraufhin führte uns die Jungfrau in gewohnter Ordnung hinaus. Vor der Tür warteten allbereits die Musikanten, die alle in roten Samt gekleidet waren, den weiße Bordüren schmückten. Darauf wurde eine Tür zur königlichen Wendeltreppe geöffnet, die ich zuvor noch nie offen gesehen hatte.

Da führte uns die Jungfrau, zusammen mit den Musikern 365 Stufen hinauf. Unterwegs sahen wir nichts als lauter köstliche und künstliche Arbeiten. Je weiter wir vorankamen, um so herrlicher wurde die Ausschmückung, bis wir endlich zu oberst in ein Gewölbe kamen, das ganz und gar ausgemalt war. Da warteten etwa 60 kostbar gekleidete Jungfrauen auf uns. Sobald diese sich vor uns verneigt und wir ihnen unsere Reverenz erwiesen hatten, so gut wir es vermochten, schickte man unsere Musikanten weg, die wieder die Wendeltreppe hinuntergingen und die Tür wurde geschlossen.

Hierauf wurde ein Glöcklein geläutet, da kam eine schöne Jungfrau hervor, die jedem einen Lorbeerkranz brachte, unseren Jungfrauen aber wurde ein Zweig gegeben.

Unterdessen wurde ein Vorhang aufgezogen. Da sah ich den König und Königin, wie sie in ihrer Majestät dasaßen. Und wenn mich die gestrige Königin nicht so eindringlich ermahnt hätte, hätte ich mich selbst vergessen und diese unsägliche Herrlichkeit mit dem Himmel verglichen, denn der Saal glänzte nicht nur vor lauter Gold und Edelsteinen, sondern die Kleidung der Königin war so beschaffen, dass ich sie nicht anzuschauen vermochte.

Und wenn ich zuvor etwas für schön gehalten hatte, so war doch dies alles darüber erhaben, wie die Sterne am Himmel.

Inzwischen trat die Jungfrau unter uns, und jede der Jungfrauen nahm einen von uns an der Hand. So präsentierten sie uns mit hoher Ehrerbietung vor dem König. Darauf hob die Jungfrau also an zu reden:

Dass Eurer Königlichen Majestät zu Ehren, Allergnädigster König und Königin, die hier anwesenden Herren sich unter Gefahr ihres Leibes und Lebens hierher begeben, das wird Seine Majestät gewiss erfreuen, weil sie auch in vielerlei Hinsicht imstande sind, Eurer Majestät Königreich und Länder zu mehren. Wie sie dies selbst nun offen werden zeigen können, möchte ich sie hiermit Eurer Majestät untertänigst präsentiert haben, mit untertänigster Bitte, mich dieser meiner Aufgabe zu entbinden und von all meinem Tun und Lassen hinreichende Kunde allergnädigst entgegenzunehmen.

Hiermit legte sie ihren Zweig auf die Erde.

Nun hätte es sich wohl gebührt, dass einer von uns auch etwas gesagt hätte. Weil uns allen aber das Zäpfchen im Gaumen herabgefallen war, trat endlich der alte Atlas hervor und sprach im Namen des Königs: Königliche Majestät erfreuen sich eurer Ankunft allergnädigst und ihro königliche Gnaden soll einem jeden zuteil werden. Mit deinem Tun, liebe Jungfrau, ist sie auch allergnädigst zufrieden und es soll dir deswegen eine Königliche Verehrung erwiesen werden. Sie ist der Meinung, du solltest dich der Herren heute noch annehmen, denn sie wüsste dir nichts Arges zuzutrauen.

Hierauf hob die Jungfrau den Zweig wieder demütig auf und wir mussten uns mit unseren Jungfrauen erst einmal wieder zurückziehen.

Der Saal aber war vorne viereckig, fünf Mal breiter als lang, zum Ausgang hin befand sich ein großer Bogen, wie ein Tor, darin standen im Kreis drei herrliche Königliche Stühle, von denen der mittlere etwas höher war, als die beiden anderen. In jedem Stuhl aber saßen zwei Personen.

Im ersten saß ein alter König mit einem grauen Bart, dessen Gemahlin überaus schön und jung war. Im dritten saß ein schwarzer König mittleren Alters: Neben diesem ein feines altes Mütterlein, das nicht gekrönt, sondern mit einem Schleier verhüllt war. Im mittleren aber saßen zwei junge Menschen, die Lorbeerkränze auf ihren Häuptern trugen. Über ihnen hing eine kostbare Krone. Nun waren sie zu dieser Zeit nicht so schön, wie ich erwartet hatte, aber das musste so sein.

Hinter ihnen saßen auf einer runden Bank hauptsächlich alte Männer, von denen keiner, was mich verwunderte, ein Schwert oder irgendeine andere Waffe bei sich trug. Auch sah ich keine andere Leibgarde. Dafür saßen auf beiden Seiten des torartigen Bogens etliche der Jungfrauen, die uns gestern Gesellschaft geleistet hatten.

An dieser Stelle kann ich nicht verschweigen, dass auch der kleine Cupido herumflog, hauptsächlich aber auf der großen Krone herumhampelte und gaukelte. Zuweilen setzte er sich zwischen die beiden Liebenden und lächelte ihnen zu. Ja, er stellte sich auch zuweilen so, als wolle er mit seinem Bogen auf einen von uns schießen. Kurz, das Knäblein war so mutwillig, dass es auch die Vögelchen, die haufenweise im Saal herumflogen, nicht verschonte, sondern sie neckte, wo er nur konnte. Auch die Jungfrauen hatte ihr Kurzweil mit ihm und wenn sie ihn zu erwischen vermochten, dann kam er nicht so schnell wieder frei. Auf diese Weise bereitete der kleine Knabe allen Freude und Lust.

Vor der Königin stand ein kleines, über die Maßen zierliches Altärlein: Darauf lag ein schwarzes, samtenes Buch, das nur ein wenig mit Gold beschlagen war. Daneben stand ein kleines Lichtlein auf einem elfenbeinernen Leuchter. Wiewohl es ganz klein war, brannte es doch immerzu ruhig vor sich hin, und wenn Cupido nicht zuweilen hineingeblasen hätte, hätten wir es nicht für ein Feuer gehalten. Neben diesem stand eine Sphäre, eine Himmelskugel, die sich von selbst kunstvoll drehte. Nach dieser kam ein kleines Ührlein mit Schlagwerk, darauf ein kleines kristallenes Rohrbrünnlein befestigt war, aus dem fortwährend blutrotes, klares Wasser lief und endlich ein Totenkopf. In dem befand sich eine weiße Schlange, die so lang war, dass ihr Schwanz, obwohl sie im Kreis um die anderen Gegenstände herumkroch, doch stets in einem Auge sichtbar blieb, bis der Kopf wieder zum anderen herauskam. Sie wich also nie aus ihrem Totenkopf. Und wenn Cupido sie ein wenig zwickte, huschte sie so geschwind hinein, dass wir uns alle wunderten.

Neben diesem Altärlein befanden sich in dem Saal wundersame Bilder, die bewegten sich alle, als ob sie lebten und stellten so wunderbare Szenen dar, dass es mir unmöglich ist, alles zu erzählen.

Als wir aber hinausgingen, erhob sich ein so wunderbarer Gesang, dass ich nicht recht wusste, ob er von den Jungfrauen kam, die noch darin blieben, oder aus den erwähnten Bildern.

Nun, wir waren für diesmal zufrieden und zogen mit unseren Jungfrauen davon. Unsere Musikanten warteten schon auf uns und führten uns die Wendeltreppe wieder hinab. Die Tür aber wurde hinter uns verschlossen und verriegelt.

Wie wir nun wieder in den Saal kamen, fing eine der Jungfrauen an: Schwester, mich wundert, dass du dich unter so viele Menschen hast wagen dürfen.

Meine Schwester, antwortete unsere Vorsitzende, ich sorge mich vor keinem so sehr, als vor dem – dabei deutete sie mit dem Finger auf mich. Diese Worte gingen mir sehr zu Herzen, denn ich wusste, dass sie mich wegen meines Alters verspottete, denn ich war von allen der Älteste.

Doch tröstete sie mich sogleich wieder mit der Verheißung, wenn ich recht zu ihr halten werde, dann könne sie mir diese Last wohl abnehmen.

In der Zwischenzeit wurde das Essen wieder aufgetragen und jedem eine Jungfrau zur Seite gesetzt, die wussten uns die Zeit mit ihrem holdseligen Gespräch wohl zu verkürzen. Worüber wir uns unterhalten haben und worin ihre Kurzweil bestand, darüber darf ich nicht aus der Schule schwätzen. Meist ging es um die alchymischen Künste, woran ich leicht erkennen konnte, dass Jung und Alt sich mit ihnen beschäftigten.

Noch mehr beschäftigte mich die Frage, wie ich wieder jung werden könne und ich war deswegen etwas traurig. Das bemerkte die Jungfrau und hob wie folgt an: Ich merke wohl, was diesem jungen Gesellen fehlt. Ich denke, wenn ich die kommende Nacht mit ihm schlafe, dann wird er morgen lustiger sein. Hierauf fingen alle an zu lachen und obwohl ich über und über rot wurde, musste ich doch über mein eigenes Unglück lachen.

Nun war da aber einer, der wollte meine Schmach an der Jungfrau rächen und sagte deswegen: Ich hoffe, es werden nicht allein wir, sondern auch die Jungfrauen, die zugegen sind, unserm Bruder Zeugnis geben, dass unsere vorsitzende Jungfrau versprochen hat, die kommende Nacht mit ihm zu schlafen.

Damit war ich wohl zufrieden. Darauf antwortete die Jungfrau: Wenn ich von diesen meinen Schwestern nichts zu befürchten hätte, denen es nicht recht wäre, wenn ich mir ohne ihre Zustimmung den Schönsten und Besten erwählte.

Meine Schwester, fing bald eine andere an, wir spüren daran, dass dich dein hohes Amt nicht stolz gemacht hat.

Wenn wir mit deiner Erlaubnis uns die anwesenden Herren durch das Los zu Schlafbuhlen erwählen dürfen, stimmen wir deinem Vorrecht gerne zu.

Wir betrachteten dies als Scherz und fingen an, uns wieder zu unterhalten. Aber unsere Jungfrau konnte nicht aufhören, uns zu necken und fing von neuem an: Ihr Herren, wie wäre es, wenn wir das Glück bestimmen ließen, wer heute Nacht mit wem schlafen wird?

Wohlan sprach ich, wenn es nicht anders geht, dann werden wir dieses Angebot nicht ausschlagen.

Da nun beschlossen wurde, solches nach dem Essen zu probieren, wollten wir nicht länger zu Tisch sitzen, sondern standen auf, und jeder spazierte mit seiner Jungfrau auf und ab. Nein, sprach da die Jungfrau, so geht das nicht, lasst uns sehen, wie uns das Glück gesellen will.

Hierauf wurden wir von einander getrennt. Nun begann ein Disput darüber, wie wir die Sache anstellen sollten. Aber das Ganze war nur ein verabredetes Spiel, denn die Jungfrau schlug bald vor, wir sollten uns durcheinander in einem Kreis aufstellen. Sie wollte dann bei sich zu zählen beginnen und jeder Siebte sollte mit dem nächsten Siebten vorlieb nehmen, gleichgültig ob Mann oder Frau. Wir vermuteten keine List und ließen es geschehen, da wir glaubten, wie vermischten uns aufs Geratewohl, aber die Jungfrauen waren so verschmitzt, dass jede ihren Platz schon vorher kannte. Die Jungfrau fing an zu zählen, da traf es eine Jungfrau, danach war die siebente wieder eine Jungfrau, die dritte wieder eine und das geschah so lange, bis alle Jungfrauen zu unserer Verwunderung ausgezählt waren und von uns Herren keiner getroffen war. Wir armen Tröpfe blieben alleine stehen, mussten noch den Spott über uns ergehen lassen und bekennen, dass wir redlich betrogen worden waren. Kurz, wer uns in unserer Anordnung gesehen hätte, möchte eher erwartet haben, dass der Himmel einfällt, als dass es keinen von uns Herren hätte treffen mögen. Hiermit war unser Scherz aus und wir mussten uns den Schalk der Jungfrauen gefallen lassen.

Inzwischen kam auch der kleine mutwillige Cupido zu uns. Weil er aber von der Königlichen Majestät geschickt worden war und uns in ihrem Namen einen Trunk aus einer goldenen Schale brachte, zugleich aber unsere Jungfrauen zum König schickte und erklärte, er könne diesmal nicht länger bei uns bleiben, konnten wir mit ihm nicht recht warm werden. Daher ließen wir ihn mit gebührender untertänigster Danksagung wieder fortfliegen.

Weil nun inzwischen meinen Gefährten die Freude in die Füße geschossen war, was die Jungfrauen nicht ungern sahen, hatten sie binnen kurzem ein züchtiges Tänzchen begonnen, dem ich mehr mit Freude zusah, als dass ich mich beteiligt hätte. Denn meine Merkurialisten [Adepten des Merkur / Hermes / der Alchemie] vermochten sich so artig in die Bewegungen zu fügen, als ob sie das Handwerk schon längst gelernt hätten.

Nach etlichen Tänzen kam unsere Vorsitzende wieder daher und vermeldete uns, die Künstler und Studiosi hätten ihrer Königlichen Majestät angeboten, ihr zu Ehren und Gefallen vor deren Abzug eine fröhliche Komödie aufzuführen. Sollten wir ihr beiwohnen und die Königliche Majestät in das Haus der Sonne begleiten wollen, wäre ihr das sehr lieb und sie wolle es in allen Gnaden gewähren. Für die angebotene Ehre bedankten wir uns alleruntertänigst und boten nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch in jeder anderen unsere geringen Dienste demütigst an, was die Jungfrau wieder dem König mitteilte, von dem sie bald den Bescheid zurückbrachte, wir möchten auf ihre Königliche Majestät auf dem Gang in der gewohnten Ordnung warten. Dahin wurden wir auch bald geführt und mussten nicht lange warten, denn die königliche Prozession stand schon da, doch ohne Musik. Voran ging die unbekannte Königin, die uns gestern besucht hatte mit einem kleinen und köstlichen Krönchen, in weißen Atlas gekleidet. Sie trug aber nicht mehr als ein kleines Kruzifix aus einer Perle, das heute zwischen dem jungen König und der Braut zu sehen gewesen war. Nach ihr kamen in Zweierreihe die sechs genannten Jungfrauen, die des Königs Kleinodien trugen, die auf das kleine Altärchen gehörten. Auf sie folgten die drei Könige, der Bräutigam in der Mitte, der nach italienischer Manier schlicht nur in schwarzen Atlas gekleidet war und ein kleines schwarzes rundes Hütlein mit einem kleinen schwarzen spitzen Federchen auf hatte. Dieses Hütchen zog er freundlich gegen uns, um hierdurch seine Gnade gegen uns zu erweisen, während wir uns vor ihm verneigten (wie auch gegen den ersten), woran wir zuvor erinnert worden waren. Nach den Königen kamen die drei Königinnen, von denen zwei kostbar gekleidet waren. Die mittlere aber ging ganz in Schwarz und Cupido trug ihr die Schleppe nach. Danach wurden wir aufgefordert, zu folgen, nach uns die Jungfrauen, bis endlich der alte Atlas den Reigen beschloss.

In solcher Prozession kamen wir durch manchen kostbar geschmückten Gang schließlich in das Haus der Sonne, um daselbst auf einem hergerichteten Gerüst neben dem König und der Königin die angekündigte Komödie zu sehen.

Wir standen den Königen zur Rechten, wenn auch in gehörigem Abstand, die Jungfrauen zur Linken, ausgenommen jene, denen die Königlichen Würdezeichen anvertraut waren. Diesen war zu oberst ein besonderer Platz angewiesen. Die restlichen Diener mussten mit den untersten Plätzen zwischen den Säulen vorlieb nehmen.

Obzwar nun an dieser Komödie nicht sonderlich viel daran war, will ich es doch nicht unterlassen, sie kurz zusammenzufassen.

Zuerst kam ein alter König mit etlichen Dienern heraus. Vor dessen Thron wurde ein kleines Kästchen gebracht, mit der Meldung, es sei auf dem Wasser gefunden worden. Wie man es nun öffnete, lag ein schönes Kind darin, daneben andere Kleinode und ein kleines pergamentenes Briefchen, das an den König gerichtet war. Deswegen öffnete es der König und fing an, nachdem er es gelesen hatte, zu weinen. Hierauf teilte er seinen Dienern mit, der Mohrenkönig habe unter großen Zerstörungen das Land seiner Base eingenommen und alle königlichen Nachkommen bis auf das Kind getötet. Mit der Tochter dieser Base habe er aber seinen Sohn vermählen wollen. Darauf schwur er dem Mohren und seinen Gehilfen ewige Feindschaft und drohte ihm an, seine Taten zu rächen. Nun befahl er, das Kind zärtlich aufzuziehen und sich gegen den Mohren zu wappnen. Dieses Rüsten und die Unterrichtung seines Töchterleins (die einem alten Lehrmeister übergeben wurde, sobald sie etwas größer war) dauerte den ganzen ersten Akt und war von feiner und löblicher Kurzweil begleitet.

Nach dem ersten Akt ließ man einen Löwen und einen Greif miteinander kämpfen. Der Löwe siegte, was man auch gut sehen konnte.

Im zweiten Akt trat auch der Mohr auf, ein schwarzer, tückischer Mann, der mit Schmerzen vernahm, dass sein Mord bekannt geworden, aber ein Mädchen dank einer List entkommen war. Er beriet sich, wie er einem so mächtigen Feind mit List begegnen können, wozu ihm auch einige, die vor einer Hungersnot zu ihm geflohen waren, rieten. Und als das Jungfräulein wider Erwarten in seine Hände fiel, wollte er es gleich erwürgen lassen, wurde aber von seinen eigenen Dienern zum Glück betrogen. So schloss dieser Akt mit einem wundersamen Triumph des Mohren.

Im dritten Akt wurde vom König ein großes Kriegsheer gegen den Mohren versammelt und der Führung eines alten, tapferen Ritters unterstellt. Der fiel in das Land des Mohren ein, bis er endlich die Jungfrau mit Gewalt aus dem Turm befreite und wieder bekleidete.

Danach errichteten sie schnell ein herrliches Gerüst und stellten ihr Fräulein darauf. Bald kamen zwölf königliche Gesandte, für die der besagte Ritter das Wort ergriff und meldete, sein allergnädigster König habe das Fräulein nun schon zum zweiten Mal vom Tode erlöst und sie seither königlich erziehen lassen. Sie habe sich aber nicht immer so verhalten, wie es sich gebührt hätte. Außerdem habe ihre königliche Majestät sie seinem jungen Herrn und Sohn zur Gemahlin erwählt und begehre, diese Verlobung allergnädigst ins Werk zu setzen, wenn sie sich zu folgenden Bedingungen Seiner Majestät verlobten. Hierauf las er aus einem Schriftstück viele herrliche Bedingungen vor, die es wohl wert wäre, hier zu berichten, wenn das nicht zu lange dauern würde. Kurz und gut: die Jungfrau schwor einen Eid, sich ohne Wenn und Aber an die genannten Bedingungen zu halten und bedankte sich im übrigen auf zierlichste für solche hohe Gnade. Deswegen hoben sie an zu singen, um Gott, den König und die Jungfrau zu loben und traten für diesmal wieder ab.

Zur Unterhaltung wurden in der Pause zwischen den Akten die vier Tiere Daniels, die er in seinem Gesicht gesehen und ausführlich beschrieben hat, aufgeführt, was alles gewiss seine Bedeutung hat.

Im vierten Akt erhielt die Jungfrau ihr verlorenes Königreich wieder zurück. Sie wurde gekrönt und eine Zeitlang mit solchem Schmuck auf dem Platz mit herrlichen Freuden umhergeführt. Darauf erschienen viele unterschiedliche Gesandte, nicht nur, um ihr Glück zu wünschen, sondern auch, um ihre Herrlichkeit zu sehen. Nun blieb sie nicht lange bei ihrer Frömmigkeit, sondern fing schon bald wieder an, frech umherzusehen, den Gesandten und anderen Herren zuzuwinken, worin sie sich wahrlich als Meisterin erwies.

Dieses Verhalten wurde bald dem Mohren hinterbracht, der die Gelegenheit nicht versäumen wollte, und da ihre Hofmeister nicht genug auf sich achteten, wurde sie schließlich mittels großer Versprechungen verführt, so dass sie ihrem König nichts Gutes mehr zutraute, sondern sich heimlich dem Mohren nach und nach völlig ergab.

Hierauf eilte der Mohr herbei und nachdem er sie mit ihrer Einwilligung in seine Hände gebracht hatte, redete er ihr solange zu, bis sich ihr ganzes Königreich ihm unterwarf. In der dritten Szene dieses Aktes ließ er sie herausführen und erst ganz nackt ausziehen, auf einem großen hölzernen Gerüst an eine Säule binden und ordentlich geißeln, schließlich zum Tod verurteilen. Das war so jämmerlich anzusehen, dass vielen die Tränen kamen. Darauf wurde sie nackt in den Kerker geworfen, damit sie da auf ihren Tod warte. Dieser sollte mit Gift herbeigeführt werden. Aber das Gift tötete sie nicht, sondern machte sie ganz aussätzig. Dieser Akt war also zum großen Teil tragisch.

In der Pause führten sie das Bildnis Nebukadnezars heraus, das an Kopf, Brust, Bauch, Schenkeln und Füßen mit allerlei Wappen und anderem geschmückt war, von dem auch in der künftigen Erklärung die Rede sein soll.

Im fünften Akt erfuhr der junge König, was sich mit dem Mohren und seiner künftigen Braut zugetragen hatte. Der setzte sich zuerst bei seinem Vater für sie ein und bat, man möge sie nicht so hängen lassen. Da der Vater damit einverstanden war, wurden Gesandte losgeschickt, die sie in ihrer Krankheit und Gefangenschaft trösten, sie aber auch wegen ihrer Unvorsichtigkeit zurecht weisen sollten. Sie aber wollte sie nicht empfangen, sondern willigte ein, des Mohren Geliebte zu werden, was auch geschah und dem jungen König angezeigt wurde.

Danach kam ein Chor von Narren, von denen jeder ein Steckchen mitbrachte, aus denen sie in kurzer Zeit eine große Weltkugel bastelten, die sie auch alsbald wieder auseinandernahmen. Das war eine feine, kurzweilige Unterhaltung.

Im sechsten Akt beschloss der junge König, den Mohren zum Kampf herauszufordern, was auch geschah. Der Mohr wird zwar erlegt, aber viele halten den jungen König auch für tot. Endlich kam er wieder zu sich, befreite seine Geliebte und schickte sich an die Hochzeit auszurichten. Seine Braut gab er unterdessen in die Ohut seines Hofmeisters und eines Hofpredigers. Der erstere quälte sie heftig, doch dann wendete sich das Blatt und der Pfaffe wurde so übermütig böse, dass er alle beherrschen wollte, bis der junge König davon erfuhr. Der schickte eilends einen aus, der die Gewalt des Pfaffen brach und die Braut für die Hochzeit gebührend schmückte.

Nach diesem Akt führte man einen künstlichen, übergroßen Elefanten heraus, der einen großen Turm mit Musikanten trug, der allgemein Beifall erregte.

Im letzten Akt erschien der Bräutigam mit solcher Herrlichkeit, dass es kaum zu glauben ist, und ich wunderte mich, wie sie das alles herbeigeschafft hatten. Ihm trat die Braut mit gleicher Pracht entgegen, dann rief das ganze Volk: Vivat Sponsus, vivat Sponsa [es lebe der Bräutigam, es lebe die Braut!]

Auf diese Weise gratulierten sie unserem König und unserer Königin auf das stattlichste, was beiden (wie ich gut sehen konnte) auch über die Maßen gut gefiel.

Endlich zogen sie in solcher Prozession einige Male herum, bis sie zuletzt alle zu singen anfingen:

I.

Die liebe Zeit,
bringt uns so große Freud
mit des Königs Hochzeit,
darum singet alle,
dass es erschalle,
Glück sei dem, der es uns gibt.

II.

Die schöne Braut,
auf die wir so lang gewartet,
wird ihm nunmehr angetraut,
wir haben gewonnen,
wonach wir gerungen,
wohl dem, der vor sich schaut.

III.

Die Eltern gut,
sind nun gebeten,
lang genug war sie in Hut,
mehrt euch mit Ehren,
dass Tausend werden
aus eurem eignen Blut.

Nach diesem bedankten sich alle und die Komödie nahm mit Freuden und dem besonderen Wohlgefallen der königlichen Personen ein Ende.

So war der Abend auch schon herbei gekommen und wir traten deswegen in gewohnter Ordnung miteinander ab, doch mussten wir die königlichen Personen die Wendeltreppe hinauf in den bereits erwähnten Saal begleiten. Hier waren die Tafeln schon köstlich hergerichtet und es war das erste Mal, dass wir an die königliche Tafel geladen wurden.

Das Altärlein stellte man mitten in den Saal und darauf legte man die besagten sechs königlichen Würdezeichen.

Zu diesem Zeitpunkt verhielt sich der junge König uns gegenüber sehr gnädig, aber er konnte nicht recht fröhlich sein, auch wenn er zuweilen mit uns redete, sondern seufzte des öfteren, worüber der kleine Cupido nur spottete und seinen Mutwillen trieb.

Die alten Könige und die alte Königin waren sehr ernst, nur des einen Alten junge Gemahlin erschien recht frisch, wovon ich die Ursache nicht wusste.

Inzwischen setzten sich die königlichen Personen an die erste Tafel, an die andere setzten wir uns alleine. An die dritte setzten sich etliche vornehme Jungfrauen. Die anderen Männer und Jungfrauen mussten alle aufwarten. Dies ging nun mit solcher Köstlichkeit und ernsthaftem stillem Wesen zu, dass ich mich scheue, viel davon zu reden. Aber ich kann nicht unerwähnt lassen, dass alle königlichen Personen vor dem Essen schneeweiße glänzende Kleider angezogen hatten und so gekleidet zu Tisch saßen.

Über der Tafel hing die schon genannte große, goldene Krone, deren Edelsteine alleine schon, ohne jedes andere Licht, den Saal hätten erleuchten können. Ansonsten wurden alle Lichter an dem kleinen Lichtlein auf dem Altar angezündet, warum, das weiß ich nicht. Aber ich habe sehr wohl bemerkt, dass der junge König manchmal der weißen Schlange auf dem Altärlein etwas zu essen schickte, was mir auch zu denken gab.

Bei diesem Bankett stand fast nur der kleine Cupido im Mittelpunkt, der keinen und besonders mich nicht ungeschoren lassen wollte. Immerzu stellte er etwas Wunderliches an. Aber da war keine besondere Freude, alles ging still zu. Das beschwor in mir das Bild einer großen künftigen Gefahr herauf, denn man hörte auch keine Musik und wenn wir etwas gefragt wurden, mussten wir kurze, knappe Antworten geben und es dabei bewenden lassen.

Kurz, alles wirkte so sonderbar, dass mir der Schweiß über den Leib zu rinnen anfing und ich glaube wohl, dass noch dem Beherztesten der Mut gesunken wäre.

Wie nun dieses Abendessen schon fast zu Ende war, ließ sich der junge König das Buch vom Altärlein reichen und schlug es auf. Und er ließ uns noch einmal durch einen alten Mann fragen, ob wir gedächten, in Liebe und Leid bei ihm auszuharren. Da wir dies unter Zittern bejahten, ließ er uns weiter traurig fragen, ob wir uns ihm verschreiben wollten, da konnten wir nicht umhin, es musste sein.

Hierauf stand einer nach dem andern auf und schrieb sich mit eigenen Händen in dieses Buch. Nachdem dies geschehen war, brachte man das kristallene Springbrünnlein, zusammen mit einem sehr kleinen kristallenen Gläslein herbei, aus dem tranken nacheinander alle königlichen Personen. Danach wurde es auch uns gereicht und so weiter, allen anderen Personen. Und dies wurde der »haustus silentii« (Trank des Schweigens) genannt.

Hierauf boten uns alle königlichen Personen die Hand und teilten uns mit, wenn wir ihnen von jetzt ab nicht die Treue hielten, dann würden wir sie nie mehr wiedersehen, was uns wahrlich die Tränen in die Augen trieb. Unsere Vorsitzende aber versprach das an unserer Stelle mit Nachdruck, womit sie zufrieden waren.

Unterdessen wurde ein kleines Glöcklein geläutet, was alle königlichen Personen so sehr erbleichen ließ, dass wir schier verzagen wollten. Bald legten sie ihre weißen Kleider wieder ab und zogen ganz schwarze hervor. Auch der ganze Saal wurde mit schwarzem Samt behängt, der Boden mit schwarzem Samt bedeckt und die Decke ebenfalls (dies alles war schon vorher vorbereitet worden). Nachdem auch die Tische weggeräumt waren und sich alle auf die Bank am Rande gesetzt hatten, wir auch schon schwarze Kutten angezogen hatten, kam unsere Vorsitzende, die zuvor hinausgegangen war, wieder herein, und trug sechs schwarze Taftbinden mit sich, mit denen sie den sechs königlichen Personen die Augen verband. Da sie nun nichts mehr sahen, wurden flugs von den Dienern sechs verdeckte Särge in den Saal getragen und niedergesetzt. In die Mitte aber wurde ein niedriger schwarzer Sessel gestellt.

Endlich betrat ein kohlschwarzer langer Mann den Saal, der in der Hand ein scharfes Beil trug.

Als erster wurde der alte König auf den Sessel geführt und ihm flugs das Haupt abgeschlagen und in ein schwarzes Tuch eingewickelt. Sein Blut aber wurde in einem großen Pokal aufgefangen und zu ihm in den beigestellten Sarg gelegt, der zugedeckt und beiseite gestellt wurde. Und so ging es mit allen anderen, dass ich endlich dachte, es wird an mich auch noch kommen. Das aber geschah nicht, denn sobald die sechs Personen enthauptet waren, ging der schwarze Mann wieder hinaus, dem ein anderer nachfolgte, der ihn sogleich vor der Tür enthauptete. Das Haupt aber brachte er mitsamt dem Beil wieder herein und legte es in eine kleine Truhe.

Dies dünkte mich wahrlich eine blutige Hochzeit, doch da ich nicht wusste, was noch geschehen würde, musste ich vorerst meinen Witz gefangen nehmen, bis wir etwas anderes erfuhren, denn auch unsere Jungfrau hieß uns zufrieden sein, weil einige kleinmütig sein wollten und weinten. Dann sprach sie zu uns: Dieser Leben liegt nun in eurer Hand, und wenn ihr mir folgt, dann soll dieser Tod noch viel lebendig machen.

Hiermit bedeutete sie uns, dass wir schlafen gehen und uns keine weiteren Sorgen machen sollten, denn ihnen sollte ihr Recht wohl geschehen. Sie wünschte uns also eine gute Nacht und bemerkte, sie müsse heute die Totenwache halten. Dies ließen wir geschehen und wurden von unsern Knaben in unsere Zimmer geführt.

Mein Knabe redete viel und vielerlei mit mir, woran ich mich noch gut erinnern kann, auch über seine Klugheit konnte ich mich nicht genug wundern. Seine Absicht aber war, mich in den Schlaf zu reden, was ich zuletzt doch noch bemerkte, weswegen ich mich so stellte, als schliefe ich fest. Aber in meinen Augen war kein Schlaf und ich konnte die Enthaupteten nicht vergessen.

Nun lag mein Zimmer zum großen See, so dass ich gut darauf sehen konnte. Die Fenster befanden sich nahe am Bett und so sah »Ich« um Mitternacht, sobald es zwölf Uhr schlug, auf dem See ein großes Feuer, weswegen ich aus Furcht schnell das Fenster öffnete, um zu sehen, was da los war. Und ich sah von ferne sieben Schiffe daherkommen, die alle mit Lichtern voll bestückt waren. Über jedem aber schwebte zu oberst eine Flamme, die hin und her fuhr, sich zuweilen auch niederließ, so dass ich leicht auf den Gedanken kam, es seien die Geister der Enthaupteten. Diese Schiffe kamen nun gemächlich ans Land und jedes hatte nicht mehr als einen Steuermann.

So bald sie nun ans Land gestoßen waren, sah ich unsere Jungfrau mit einer Fackel den Schiffen entgegen gehen. Ihr trug man die sechs verdeckten Särge mit dem Kästlein nach und jeder wurde in einem Schiff versteckt. Ich weckte deswegen meinen Knaben, der mir höchlichst dankte, denn da er den Tag über viel gelaufen sei, hätte er dieses Ereignis gewiss verschlafen, obwohl er davon gewusst habe. Sobald nun die Särge in den Schiffen lagen, wurden alle Lichter gelöscht.

Und die sechs Flammen fuhren miteinander über den See, so dass in jedem Schiff nur ein einziges Lichtlein Wache hielt. Einige hundert Hüter hatten sich an dem Gestade gelagert und die Jungfrau wieder in das Schloss geschickt, die alles wieder fleißig verriegelte. Daraus schloss ich, dass heute wohl nichts weiter geschehen werde und dass ich den nächsten Tag abwarten müsse. So begaben wir uns wieder zur Ruhe. Ich war aber der einzige unter meinen Gesellen, dessen Zimmer auf den See hinausging und der gesehen hat, was da geschah. So war ich auch inzwischen matt und schlief unter vielen Spekulationen ein.


5. Tag

Dies V.

Die Nacht war vorüber und der liebe erwünschte Tag angebrochen. Da machte ich mich flugs aus dem Bett, mehr begierig zu erfahren, was noch geschehen möchte, als ob ich genug geschlafen hätte.

Nachdem ich mich angezogen und meiner Gewohnheit nach die Stiegen hinab begeben hatte, war es noch zu früh, und ich fand niemand anders in dem Saal. Deswegen bat ich meinen Knaben, mich ein wenig im Schloss herumzuführen, und mir etwas Besonderes zu zeigen. Der war nun wie immer willig und führte mich auch alsbald etliche Stiegen unter die Erde, zu einer großen eisernen Türe, darauf waren folgende Worte in kupfernen großen Buchstaben angeheftet:

(Hier liegt die schöne Frau Venus begraben, die manchen bedeutenden Mann um Glück. Ehre, Segen und Besitz gebracht hat)

Die habe ich treulich abgemalt und auf meinem Schreibtäfelchen aufgezeichnet. Nachdem nun diese Tür eröffnet war, führte mich der Knabe an der Hand durch einen ganz finsteren Gang, bis wir wieder zu einem kleinen Türlein kamen, das nur angelehnt war. Denn man hatte es erst gestern geöffnet, wie mir der Knabe berichtete, und die Särge heraus genommen, es war also noch nicht wieder zugeschlossen worden. Wie wir nun hineintraten, erblickte ich das kostbarste Ding, das die Natur jemals erschaffen hat.

Denn das Gewölbe besaß kein anderes Licht als das von etlichen übergroßen Karfunkeln und dies war (wie mir der Knabe berichtete) der Schatz des Königs. Das herrlichste und vornehmste, das ich in diesem Gewölbe sah, war ein Grab, das in der Mitte stand, von solcher Kostbarkeit, dass mich wunderte, warum es nicht besser gepflegt wurde. Darauf antwortete der Knabe: Ich sollte mich gebührlich bei meinen Planeten bedanken, deren Einfluss mich Dinge sehe lasse, die noch keines Menschen Auge gesehen habe, außer das Gesinde des Königs.

Das Grab aber war dreieckig und hatte in der Mitte einen polierten Kupferkessel, das übrige bestand aus lauter Gold und Edelsteinen. In dem Kessel stand ein Engel, der hielt einen unbekannten Baum in seinen Armen, von dem es unablässig in den Kessel tropfte. Und so oft eine Frucht vom Baum in den Kessel fiel, wurde sie zu Wasser und floss von da in drei güldene Nebengefäße. Dieses Altärlein trugen drei Tiere: ein Adler, ein Ochse und ein Löwe, die auf einem überaus kostbaren Postament standen.

Ich fragte meinen Knaben, was das zu bedeuten habe. Hier liegt die schöne Frau Venus begraben (sagte er), die manchen bedeutenden Mann um Glück. Ehre, Segen und Besitz gebracht hat.

Hierauf zeigte er mir eine kupferne Tür im Boden.

Hier können wir, sprach er, wenn es euch beliebt, noch weiter hinabsteigen. Ich gehe immer mit, antwortete ich. Und so stieg ich hinab, da war es ganz finster. Der Knabe aber öffnete flugs ein Kästlein, darin stand ein ewiges Lichtlein, an dem zündete er eine Fackel an, von denen viele herumlagen.

Ich erschrak ernstlich und fragte, ob er das tun dürfe? Er gab mir zur Antwort, weil die königlichen Personen jetzt ruhten, hätte er nichts zu befürchten.

Da erblickte ich ein zubereitetes kostbares Bett, das mit schönen Umhängen bezogen war, von denen einer aufgeschlagen war.

Da sah ich die Frau Venus ganz nackt (denn die Decke hatte der Knabe auch aufgehoben) in solcher Zierde und Schönheit daliegen, dass ich schier erstarrte. Ich weiß bis heute nicht, ob es sich nur um eine Statue handelte oder ob da ein Mensch wie tot dalag, denn sie war gänzlich bewegungslos und ich durfte sie auch nicht anrühren.

Da deckte sie der Knabe wieder zu und schloss den Vorhang. Mir aber brannte sie immer noch in den Augen.

Doch bald erblickte ich hinter dem Bett eine Tafel, auf der stand geschrieben:



(Wenn die Frucht meines Baumes wird vollends verschmelzen, werde ich aufwachen und eine Mutter sein eines Königs.)

Ich fragte meinen Knaben nach der Bedeutung der Inschrift, aber er lachte und meinte, ich werde es wohl noch erfahren.

Also löschte er die Fackel und wir stiegen wieder hinauf, Da besah ich alle Türlein genauer und entdeckte erst jetzt, dass an jeder Ecke ein Lichtlein brannte wie Pyrit, das ich zuvor nicht wahrgenommen hatte. Denn das Feuer war so hell, dass es einem Edelstein viel ähnlicher sah, als einer Flamme. Von dieser Hitze musste der Baum immerdar schmelzen, doch brachte er immer weiter Früchte hervor.

Nun seht, sprach der Knabe, was ich Atlas dem König habe eröffnen hören: Wenn der Baum völlig abgeschmolzen ist, dann wird Frau Venus wieder erwachen und die Mutter eines Königs sein.

Wie er noch redete und mir vielleicht noch mehr sagen wollte, flog der kleine Cupido daher, der erst ob unserer Gegenwart etwas überrascht schien, doch als er sah, dass wir beide eher dem Tod glichen, denn Lebendigen, musste er endlich lachen und fragte mich, welcher Geist mich wohl hierher gebracht habe.

Ich antwortete ihm mit Zittern, ich sei in dem Schloss verirrt und zufällig hierher gekommen. Mein Knabe habe mich überall gesucht und schließlich hier gefunden. Ich hoffte, er werde mir diese Rede nicht zum Argen auslegen. Nun, dann ging es ja nochmal gut, sprach Cupido, mein alter neugieriger Vater, aber leicht hättet ihr mir einen groben Streich spielen können, wenn ihr diese Türe gesehen hättet. Da muss ich wohl besser vorsorgen. Mit diesen Worten legte er ein starkes Schloss vor die kupferne Tür, durch die wir zuvor hinabgestiegen waren.

Ich dankte Gott, das er uns nicht früher erwischt hatte. Mein Knabe aber war noch froher, das ich ihm da hindurch geholfen hatte.

Ich kann doch, sprach Cupido, das nicht ganz ungestraft lassen, dass ihr meine liebe Mutter beinahe überrascht hättet. Er hielt die Spitze eines seiner Pfeile in ein Lichtlein, bis es etwas erwärmt war und stach es mir in die Hand, worauf ich dazumal kaum achtete. Vielmehr war ich froh, dass unser Streich so wohl gelungen war und wir ohne weitere Gefahr davon kamen.

Inzwischen hatten sich meine Gesellen auch aus ihren Betten gemacht und im Saal eingestellt. Unter diese mischte ich mich und tat, als wäre ich eben erst aufgestanden.

Nachdem Cupido alles fleißig verriegelt hatte, kam er zu uns und ich musste ihm meine Hand zeigen. Da befand sich noch ein Tröpflein Blut, worüber er sehr lachte, und es auch den andern zeigte, sie sollten auf mich achten, ich würde mich binnen kurzem verjüngen.

Uns wunderte alle, wie Cupido so lustig sein konnte und so gar nicht durch die gestrige traurige Geschichte betrübt schien. Aber da war keine Trauer.

Nun hatte sich unterdessen auch unsere Vorsitzende zur Wegfahrt bereit gemacht. Sie erschien ganz in schwarzen Samt gekleidet und trug einen Lorbeerzweig. Auch alle ihre Jungfrauen hatten einen Lorbeerzweig.

Als nun alles fertig war, hieß uns die Jungfrau einen Trunk zu uns nehmen, danach sollten wir uns für die Prozession fertig machen, weswegen wir nicht lange säumten, sondern ihr vor den Saal in den Hof hinaus folgten.

Im Hof standen sechs Särge und meine Gesellen meinten, darin lägen die sechs königlichen Personen. Ich aber durchschaute das Spiel, wusste aber nicht, was man mit den anderen vorhatte.

Bei jedem Sarg standen acht vermummte Männer. Sobald nun die Musik einsetzte (das war ein trauriges, gravitätisches Musizieren, das mich entsetzte), hoben die Männer die Särge auf und wir mussten, so wie wir geordnet waren, in den oben erwähnten Garten folgen, in dessen Mitte sich ein hölzernes Haus befand, dessen Dach ringsum eine herrliche Krone trug und auf sieben Säulen ruhte. Darin befanden sich sechs ausgehobene Gräber und bei jedem ein Stein. In der Mitte aber war ein runder hohler Stein aufgerichtet.

In diese Gräber wurden die Särge still und mit vielen Zeremonien gelegt, die Steine darüber geschoben und fest verschlossen. In dem mittleren aber sollte die kleine Truhe liegen.

Mit diesem Begräbnis wurden meine Gesellen betrogen, denn sie meinten, die Leichname der Könige lägen tatsächlich in den Särgen. Oben auf dem Haus befand sich eine große Fahne, die mit einem Phönix bemalt war, um uns damit vielleicht noch mehr zu äffen. Nun hatte ich Gott viel zu danken, dass ich mehr als andere gesehen hatte.

Nachdem das Begräbnis vorüber war, hielt die Jungfrau, die sich auf den mittleren Stein gestellt hatte, eine kurze Ansprache: Wir sollten an unserm Versprechen festhalten und keine Mühe scheuen, sondern den begrabenen königlichen Personen wieder zum Leben verhelfen und deswegen mit ihr unverzüglich aufsitzen, um zum Turm des Olymp zu fahren, um dort die hierzu nötige und taugliche Arznei abzuholen.

Damit waren wir einverstanden und wir folgten ihr durch ein anderes Türlein nach bis an das Ufer des Sees. Da standen die bereits erwähnten sieben Schiffe alle leer da. Daran steckten alle Jungfrauen ihre Lorbeerzweige und nachdem sie uns auf die sechs Schiffe aufgeteilt hatten, ließen sie uns im Namen Gottes fahren und sahen uns zu, solange sie uns sehen konnten, danach zogen sie mit all ihren Hütern wieder ins Schloss zurück.

Unsere Schiffe hatten alle eine große Fahne und besondere Zeichen. Fünf trugen als Zeichen je einen der fünf regulären Körper (gemeint sind: Saturn, Mars, Venus, Merkur und Erde). Meines, in dem auch die Jungfrau saß, führte einen Globus. Wir fuhren also in besonderer Ordnung daher und jedes Schiff war nur mit zwei Mann Besatzung bestückt.

Als erstes zog das Schifflein a voran, in dem meiner Auffassung nach der Mohr lag. In diesem hielten sich zwölf Musikanten auf, die machten gute Arbeit. Sein Zeichen war eine Pyramide (Tetraeder). Darauf folgten drei nebeneinander (b, c, und d), auf die wir Gesellen verteilt waren. Ich saß in c. In der Mitte fuhren die beiden schönsten und stattlichsten Schiffe, e und f. In diesen befand sich kein Mensch, sie waren mit vielen Lorbeerzweigen besteckt und ihre Fahnen waren mit Sonne und Mond geschmückt. Zuletzt kam das Schiff g. In diesem befanden sich 40 Jungfrauen.

Wie wir nun also über den See fuhren, kamen wir durch einen engen Arm erst auf das richtige Meer. Da erwarteten uns alle Sirenen, Nymphen und Meergöttinnen, die uns sogleich ein Meerfräulein entgegensandten, um uns Geschenke und Ehrerbietung für die Hochzeit zu überbringen. Das Geschenk war eine große, gefasste, kostbare Perle, rund und glänzend, dergleichen weder in unserer noch in der neuen Welt jemals gesehen wurde.

Nachdem die Jungfrau dieses Geschenk freundlich angenommen hatte, bat die Nymphe, man wolle ihren Gespielen Audienz geben und ein wenig innehalten. Damit war die Jungfrau auch zufrieden. Sie ließ beide Schiffe in der Mitte halten und die anderen ein Pentagon um diese bilden.

Darauf umringten uns die Nymphen und fingen alsobald mit lieblichen Stimmen an zu singen:

I.

Nichts bessres ist auf Erden,
Dann die schön edel Lieb,
Damit wir Gott gleich werden,
Dass keins das ander trüb.

Lasst uns dem König singen,
Das ganze Meer soll klingen,
Wir Fragen, antwort ihr.

II.

Was brachte uns zum Leben?
Die Lieb.
Was hat die Gnad gegeben?
Die Lieb.
Woher sind wir geboren?
Aus Lieb.
Wie wären wir verloren?
Ohn Lieb

III.

Wer hat uns denn gezeuget?
Die Lieb.
Warum hat man uns g’seuget?
Aus Lieb.
Was sind wir Eltern schuldig?
Die Lieb.
Warum sind sie geduldig?
Aus Lieb.

IV.

Was lässt uns überwinden?
Die Lieb.
Kann man auch Liebe finden?
Durch Lieb.
Wo lässt man gut Werk scheinen?
In Lieb.
Wer kann noch zwei vereinen?
Die Lieb.

V.

So singt nun alle,
Mit großem Schalle,
Der Lieb zu ehren,
Die wolle sich mehren,
Bei unserm König und Königin,
Ihr Leib ist hier,
die Seel ist hin.

VI.

So wir noch leben,
So wird Gott geben,
Dass, wie die Lieb und groß Huldschaft,
Sie teilet hat mit großer Kraft,
Also wir auch durch Liebes Flamm,
Mit Glück sie wieder bringen zusamm.

VII.

Da soll dies Leid,
In große Freud,
Wenn’s noch viel tausend Junge gibt,
Verkehren sich in Ewigkeit.

Als sie dieses Lied mit seinem herrlichen Inhalt und ebensolcher Melodie beendet hatten, wunderte es mich nicht mehr, warum Odysseus seinen Gesellen die Ohren verstopft hatte, denn mir deuchte, ich wäre der unglückseligste Mensch, dass mich die Natur nicht auch zu einem so holdseligen Geschöpf gemacht hatte. Die Jungfrau aber verabschiedete sich schnell und hieß uns von dannen fahren. Deswegen trennten sich auch die Nymphen, nachdem ihnen ein langes rotes Band zum Lohn verehrt worden war und verschwanden im Meer.

Diesmal fühlte ich, dass Cupido auch bei mir anfing zu wirken, was mir jedoch zu schlechter Ehre gereicht, und weil auch sonst dem Leser mein Schwindel nichts nützt, will ich es bei dieser Andeutung bewenden lassen. Es war aber wohl die Wunde, die ich im ersten Buch im Traum am Kopf empfangen hatte. Will sich aber einer von mir warnen lassen, der meide das Bett der Venus, denn Cupido kann solches nicht leiden.

Nach etlichen Stunden, als wir in freundlichem Gespräch einen guten Weg zurückgelegt hatten, wurden wir des Turms des Olymp ansichtig. Da befahl die Jungfrau, mit etlichen Schüssen ein Zeichen unserer Ankunft zu geben, was sogleich geschah. Alsbald sahen wir, wie eine große weiße Fahne geschwenkt wurde und uns ein kleines vergoldetes Schifflein entgegen zog.

Wie es nun bei uns angekommen war, saß ein alter Mann, der Wächter des Turms, darin, sowie etliche weiß gekleidete Gesellen. Er empfing uns freundlich und führte uns zum Turm.

Dieser Turm stand auf einer ganz viereckigen Insel, die mit einem so festen und breiten Wall umgeben war, dass ich 260 Schritt von einem Ende zum anderen zählte.

Nach dem Wall gelangten wir auf eine feine Wiese mit etlichen Gärtlein, in denen seltsame und mir unbekannte Früchte wuchsen, dann kamen wir zu einer Mauer um den Turm. Der Turm selbst sah so aus, als hätte man sieben runde Türme aneinander gebaut, wobei der mittlere etwas höher war. Inwendig gingen sie aber alle ineinander über und hatten sieben Stockwerke übereinander.

Wie wir nun bis zur Türe des Turms gelangt waren, führte man uns auf der Mauer etwas abseits, damit, wie ich wohl erkannte, man die Särge ohne unser Wissen in den Turm bringen konnte. Die anderen bemerkten davon nichts.

Sobald das geschehen war, führte man uns zu unterst in den Turm. Dieser war schön ausgemalt, aber wir hatten hier wenig Unterhaltung, denn er war nichts anderes als ein Laboratorium. Da mussten wir Kräuter, Edelsteine und allerlei andere Zutaten stoßen, waschen, den Saft und die Essenz herausbringen, diese in Gläslein füllen und zur Aufbewahrung geben. Unsere Jungfrau war sehr geschäftig, einem jeden von uns genug Arbeit zu geben. Wir mussten uns recht auf dieser Insel tummeln, bis wir alles zustande gebracht, was zur Wiederbelebung der enthaupteten Leichen vonnöten war.

Unterdessen waren die drei anderen Jungfrauen (wie ich nachher erfuhr) im ersten Zimmer und wuschen die Leichname fleißig.

Als wir endlich mit diesen Zubereitungen fast fertig waren, brachte man uns nicht mehr als eine Suppe mit einem Trünklein Wein, wobei ich wohl merkte, dass wir nicht um der Wollust willen hier waren, denn auch, als wir unser Tagewerk verrichtet hatten, wurde jedem nur eine Decke auf die Erde gelegt, damit sollten wir zufrieden sein.

Ich war aber nicht müde und so spazierte ich hinaus in die Gärten. Endlich kam ich an den Wall und weil der Himmel dazumal sehr hell war, konnte ich mir die Zeit mit der Betrachtung der Sterne gut vertreiben. Zufällig kam ich zu großen steinernen Stufen, die auf den Wall hinaufführten.

Und da der Mond gar hell schien, war ich umso kecker, stieg hinauf und bewunderte ein wenig das Meer, das nun ganz still war. Und da ich eine so gute Gelegenheit hatte, besser über die Astronomie nachzudenken, fand ich, dass in dieser Nacht eine solche Konjunktion der Planeten stattfand, wie man sie nur selten beobachten kann.

Wie ich nun eine gute Weile über das Meer hinaussah, und es eben auf Mitternacht zuging, sah ich von ferne, sobald es Zwölf schlug, die sieben Flammen über das Meer fahren und sich zu oberst auf die Spitze des Turms begeben. Das rief ein wenig Furcht in mir hervor, denn sobald sich die Flammen gesetzt hatten, fingen die Winde an, das Meer gar ungestüm zu machen.

Auch der Mond bedeckte sich mit Wolken und meine Freude wandelte sich in solche Furcht, dass ich kaum Zeit genug hatte, die Stufen wieder hinab zu eilen und mich in den Turm zu begeben.

Ob nun die Flammen länger geblieben oder wieder weg gefahren sind, das kann ich nicht sagen, denn ich wagte mich nicht mehr in diese Finsternis hinaus, sondern legte mich auf meine Decke. Und da der eine Brunnen in unserem Laboratorium so lieblich und still rauschte, schlief ich desto eher ein. So beschloss also auch diesen fünften Tag ein Wunder.


6. Tag

Am folgenden Morgen, nachdem einer den andern geweckt hatte, saßen wir eine Weile zusammen, um zu besprechen, was noch aus all dem werden sollte: Denn etliche meinten, die Enthaupteten würden alle miteinander wieder lebendig. Andere widersprachen, denn der Alten Untergang, so meinten sie, müsse nicht nur den Jungen das Leben wiedergeben, sondern auch für deren Vermehrung sorgen.

Einige jedoch meinten, sie seien nicht getötet, sondern an ihrer Stelle andere enthauptet worden.

Wie wir uns so ziemlich lange miteinander besprachen, kam der alte Mann daher, grüßte uns und sah nach, ob alle Dinge fertig seien und die alchymischen Prozesse ihren erwarteten Gang genommen hätten. Da wir uns so verhalten hatten, dass er unseren Fleiß anerkennen musste, sammelte er alle Gläser ein und stellte sie in ein Futteral.

Bald kamen etliche Jungen, die brachten Leitern, Seile und große Flügel mit, die sie vor uns niederlegten. Dann gingen sie wieder. Der Alte fing an: Ihr lieben Söhne, von diesen drei Dingen muss jeder von euch an diesem Tag stets eines bei sich tragen. Es steht euch aber frei, welches ihr wählt oder ob ihr darum losen wollt. Wir sagten, wir wollten wählen.

Nein, antwortet der Alte, es muss durch das Los geschehen.

Da stellte er drei Brieflein her, auf die er »Leiter«, »Seil« und »Flügel« schrieb. Die legte er in einen Hut und jeder musste ziehen, und was er zog, das musste er nehmen.

Die das Seil bekamen, glaubten, sie seien am besten dran. Mir aber fiel eine Leiter zu, was mich heftig betrübte, denn sie war zwölf Schuh lang und ziemlich schwer. Die musste ich auf mich nehmen, während die anderen ihre Seile geschmeidig um sich wickeln konnten. Und den Flügelträgern band der Alte diese so artig an den Rücken, als wären sie ihnen angewachsen.

Dann drehte er am Brunnen einen Hahn zu, so dass dieser aufhörte zu fließen. Wir aber mussten ihn aus der Mitte wegräumen. Nachdem auch alles andere hinausgetragen worden war, nahm er das Kästlein mit den Gläsern mit, verabschiedete sich und schloss die Tür fest zu, so dass wir glaubten, wir seien in dem Turm gefangen. Aber es dauerte keine Viertelstunde, da wurde oben ein rundes Loch aufgedeckt, da sahen wir unsere Jungfrau, die uns einen guten Tag wünschte und uns bat, wir möchten hinauf kommen.

Die mit den Flügeln waren geschwind durch das Loch hinauf, und wir anderen sahen, wozu unsere Leitern gut waren. Aber die mit den Seilen waren übel dran. Denn sobald einer mit seiner Leiter oben war, wurde ihm befohlen, sie hinauf zu ziehen. Schließlich wurde jedem sein Seil an einen eisernen Haken gehängt, da musste er daran hinaufklettern, so gut er konnte, was wahrlich nicht ohne Blasen abging. Als wir nun alle oben waren, wurde das Loch wieder zugedeckt und wir von der Jungfrau freundlich empfangen.

Der Saal, in dem wir standen, war so groß wie der Turm und hatte sechs schöne Zellen, die etwas höher als der Saal waren. In diese musste man über drei Stufen hinaufsteigen. Auf diese Zellen wurden wir aufgeteilt, um dort für das Leben des Königs und der Königin zu beten. Währenddessen ging die Jungfrau durch ein Türlein ein und aus, bis wir fertig waren.

Daraufhin kamen durch das Türlein zwölf Personen (die zuvor unsere Musikanten gewesen waren), die einen seltsamen länglichen Gegenstand in die Mitte des Saales stellten. Meine Gesellen hielten ihn für einen Brunnen, ich aber stellte fest, dass darin die Leichname lagen. Denn der untere Kasten war oval und so groß, dass sechs Personen aufeinander darin Platz fanden. Danach gingen sie wieder hinaus, holten ihre Instrumente und begleiteten die Jungfrau mitsamt ihren Dienerinnen mit lieblicher Musik herein.

Die Jungfrau trug ein kleines Kästchen, die anderen aber lauter Zweige und kleine Laternen, einige auch brennende Fackeln. Alsbald wurden uns die Fackeln in die Hand gegeben und wir mussten uns mit ihnen um den Brunnen herumstellen.

Als erste stand die Jungfrau bei A, um sie herum ihre Dienerinnen mit den Laternen, die mit den Zweigen bei C. Danach die Musikanten bei A in einer Reihe, schließlich die anderen Jungfrauen bei D auch in einer Reihe. Wo nun diese Jungfrauen herkamen, ob sie im Turm wohnten, oder ob sie in der Nacht heimlich angereist waren, weiß ich nicht, denn ihre Gesichter waren alle mit weißem zartem Tuch bedeckt, so dass ich keine erkennen konnte.

Da öffnete die Jungfrau die kleine Truhe. Darin befand sich ein runder Gegenstand, der in grünen Doppeltaft eingewickelt war. Diesen legte sie in das obere Kesselchen  und deckte es wieder mit einem Deckelchen voller Löcher zu, das einen Rand hatte. Darauf goss sie einige der wässrigen Essenzen hinein, die wir gestern zubereitet hatten. Da fing der Brunnen alsbald wieder an, zu laufen, aber vier Röhrlein führten das Wasser wieder in das Kesselchen zurück. Am Kessel darunter befanden sich viele Haken, an denen die Jungfrauen ihre Laternen befestigten, damit die Hitze den Kessel erwärmte und das Wasser zum Sieden brachte. Als nun das Wasser überzulaufen begann, floss es durch die vielen Löchlein bei A und fiel gar heiß auf die Leichname, sodass es sie alle auflöste und in eine Flüssigkeit verwandelte.

Was aber der obere runde eingewickelte Gegenstand war, das wussten meine Gesellen nicht. Ich aber erkannte, dass es der Kopf des Mohren war, von dem das Wasser diese große Hitze empfing. [Es handelt sich um eine alchymische Retorte in Form eines Mohrenkopfes].

Bei B um den großen Kessel herum hatte es abermals vier Löcher, da steckten sie ihre Zweige hinein. Ob das wirklich nötig oder nur eine Zeremonie war, das weiß ich nicht. Jedenfalls wurden die Zweige fortwährend vom Brunnen benetzt und von ihnen tropfte eine gelbliche Flüssigkeit in den Kessel. Dieser Vorgang dauerte an die zwei Stunden, während derer der Brunnen fortwährend lief. Aber je länger, um so schwächer floss er.

In der Zwischenzeit traten die Musikanten ab und wir spazierten im Saal hin und her. Dieser war so beschaffen, dass wir genug Gelegenheit hatten, uns die Langeweile zu vertreiben. Hier gab es Bilder, Gemälde, Uhren, Orgeln, Springbrunnen und dergleichen mehr. Nun hörte auch der Brunnen auf zu laufen und deswegen hieß uns die Jungfrau eine goldene Kugel bringen.

Zu unterst am Brunnen aber befand sich ein Zapfen, durch diesen ließ sie alle Substanzen, die sich durch das hitzige Tropfen aufgelöst hatten, in die Kugel. Das waren etliche Maße einer ganz roten Flüssigkeit. Das andere Wasser, das noch oben im Kessel geblieben war, schüttete man aus. Der Brunnen aber, der nun um vieles leichter geworden war, wurde wieder hinausgetragen.

Ob er nun draußen geöffnet wurde und ob etwas Verwendbares von den Leichen übriggeblieben war, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass das Wasser, das in die Kugel floss, so schwer war, dass es sechs von uns oder auch mehr nicht hätten tragen können. Und dies, obwohl die Kugel für einen einzelnen Mann nicht hätte zu schwer sein dürfen.

Als man nun auch diese Kugel mit viel Mühe durch die Tür getragen hatte, saßen wir wieder alleine da. Weil ich aber bemerkte, dass man über uns herumging, sah ich mich nach meiner Leiter um. Meine Gesellen gaben derweilen die wunderlichsten Meinungen über diesen Brunnen zum Besten. Denn da sie glaubten, die Leichname lägen noch im Schlossgarten, hatten sie keine Ahnung wozu diese ganzen Veranstaltungen dienten. Ich aber dankte Gott, dass ich zur richtigen Zeit wach gelegen und gesehen hatte, was mir nun half, das Tun der Jungfrauen besser zu verstehen. Nach einer Viertelstunde wurde der Deckel oben angehoben und uns befohlen, hinaufzukommen. Das geschah wie zuvor mit Flügeln, Leitern und Seilen.

Mich verdross es nicht wenig, dass die Jungfrauen auf einem anderen Weg hinauf gelangten, während wir uns so abmühen mussten. Aber ich dachte, es habe damit vielleicht etwas besonderes auf sich, und wir müssten dem alten Mann auch etwas zu tun übrig lassen, denn jenen, die Flügel hatten, nützten diese auch nichts, außer sie wollten durch das Loch hinauf.

Als wir auch das überstanden hatten und das Loch wieder geschlossen wurde, sah ich die Kugel mitten im Saal an einer starken Kette hängen. In diesem Saal befanden sich nichts als Fenster und zwischen zwei Fenstern jeweils eine Türe. Hinter diesen Türen verbargen sich große, blank geputzte Spiegel. Die Fenster und Türen waren optisch so gegeneinander gerichtet, dass die Sonne (die dazumal über die Maßen hell war), obwohl sie nur eine Tür traf, im ganzen Saal von allen Seiten zu  scheinen schien (nachdem nämlich die Fenster und die Türen vor den Spiegeln geöffnet worden waren). All die Sonnen trafen durch kunstvolle Brechung mit ihren Strahlen die goldene Kugel, die in der Mitte hing, und da diese bestens poliert war, glänzte sie so stark, dass keiner von uns die Augen zu öffnen vermochte. Deswegen mussten wir zu den Fenstern hinausschauen, bis die Kugel so erhitzt war, dass sie die gewünschte Wirkung erzielte. Ich darf wohl sagen, dass diese Spiegel das Wunderbarste waren, was die Natur jemals ans Licht gebracht hat, denn überall waren Sonnen, aber die Kugel in der Mitte schien noch heller, so dass wir sie, ebenso wie die richtige Sonne, keinen Augenblick direkt anzuschauen vermochten.

Endlich ließ die Jungfrau die Türen vor den Spiegeln schließen und die Fenster wieder verhängen, damit sich die Kugel ein wenig abkühlen konnte. Dies aber geschah um sieben Uhr Morgens.

Dies dünkte uns deswegen gut, weil wir jetzt frei bekamen, um uns ein wenig am Frühstück zu laben. Die Bewirtung war abermals recht philosophisch, und wir hatten wir uns keiner Nötigung zur Unmäßigkeit zu erwehren, litten jedoch auch keinen Mangel.

Die Hoffnung auf künftige Freude (auf die uns die Jungfrau ständig vertröstete) machte uns so lustig, dass wir keine Arbeit oder Unannehmlichkeit scheuten. Meinen Gesellen von hohem Stand kann ich jedenfalls nachsagen, dass sie niemals Sehnsucht nach ihrer Küche oder Tafel hatten. Sie fanden ihr Wohlgefallen darin, solcher abenteuerlichen Physik beizuwohnen und die Weisheit des Schöpfers und seine Allmacht zu bewundern.

Nachdem wir so unseren Imbiss eingenommen hatten, rüsteten wir uns wieder zur Arbeit, denn die Kugel war inzwischen genügend abgekühlt. Mit Mühe und unter großen Anstrengungen mussten wir sie von der Kette auf den Boden heben.

Nun begann eine Disputation darüber, wie wir sie öffnen sollten, denn uns wurde befohlen, sie mitten entzwei zu schneiden. Endlich tat ein scharfer Diamant seine Dienste.

Wie wir nun die Kugel öffneten, befand sich nichts Rotes mehr darin, sondern ein schönes, großes, schneeweißes Ei. Uns freute aber am meisten, dass es so wohl geraten war. Die Jungfrau aber sorgte am meisten, dass die Schale vielleicht noch zu weich sei. Wir standen mit solcher Freude um dieses Ei herum, als ob wir es selbst gelegt hätten.

Aber die Jungfrau ließ es bald hinaustragen, verließ uns wieder und schloss, wie stets, die Tür hinter sich zu.

Was sie aber da draußen mit dem Ei gemacht hat und ob etwas Geheimnisvolles mit ihm vorgenommen wurde, das weiß ich nicht – ich glaube es aber auch nicht.

Wir aber mussten erneut eine Viertelstunde warten, bis das dritte Loch geöffnet wurde, und wir durch unsere Hilfsmittel auf den vierten Stock kamen.

In diesem Saal befand sich ein großer kupferner Kessel, der mit gelbem Sand gefüllt war, der von einem schlichten Feuerchen erwärmt wurde. In diesem Kessel wurde das Ei verscharrt, damit es darin ganz heranreifte. Der Kessel aber war viereckig, auf der einen Seite standen zwei Verse mit großen Buchstaben geschrieben:

O. BLI. TO. BIT. MI. LI.

KANT. I. VOLT. BIT. TO. GOLT.

[unaufgelöst]

Auf der Rückseite befanden sich diese drei Worte:

SANITAS. NIX. HASTA.

[Gesundheit. Schnee. Lanze]

Auf der dritten Seite stand nur dies eine Wort:

F.I.A.T.

[Es werde]

Auf der letzten Seite stand eine ganze Inschrift, die wie folgt lautete:

QUOD

Ignis : Aer : Aqua : Terra

SANCTIS REGUM ET REGINARUM NOSTR:

Cineribus.

Eripere non potuerunt.

Fidelis Chymicorum Turba

IN HANC URNAM

Contulit,

Anno.

[Was Feuer, Luft, Wasser, Erde der heiligen Asche unseres Königs und unserer Königin nicht entreißen konnten, hat die treue Schar der Alchemisten in diese Urne gesammelt]

 

Ob nun hierdurch der Sand oder das Ei gemeint war, überlass ich gelehrten Leuten zu disputieren. Ich tue das Meinige und lasse nichts unerwähnt.

Nun war unser Ei fertig und wurde ausgenommen. Es bedurfte aber keines Aufbrechens, denn der Vogel, der sich darin befand, befreite sich bald selbst und schien ganz freudig, sah aber sehr blutig und unförmig aus. Zuerst setzten wir ihn auf den warmen Sand. Die Jungfrau befahl, wir sollten ihn erst anbinden, bevor wir ihm zu Essen gäbe, sonst würde er uns allen noch zu schaffen machen. Das geschah denn auch. Alsbald brachte man ihm zu essen. Dabei handelte es sich mit Sicherheit um das Blut der Enthaupteten, das mit präpariertem Wasser verdünnt worden war. Davon wuchs der Vogel unter unseren Augen so sehr, dass wir wohl sahen, warum die Jungfrau uns vor ihm gewarnt hatte.

Er biss und kratzte so heftig um sich, dass er bald mit einem fertig geworden wäre, hätte er ihn denn zu fassen bekommen.

Nun war er ganz schwarz und wild, deswegen wurde ihm andere Speise gebracht: vielleicht das Blut einer anderen königlichen Person. Davon fielen ihm all seine schwarzen Federn wieder aus und an ihrer Stelle wuchsen schneeweiße. Er wurde auch etwas zahmer und ließ besser mit sich umgehen, doch trauten wir ihm immer noch nicht.

Die dritte Speise ließ seine Federn farbig werden. Ich habe mein Lebtag noch keine so schönen Farben gesehen. Er war nun auch über die Maßen zahm und zeigte sich uns gegenüber so freundlich, dass wir ihn mit der Einwilligung der Jungfrau losbanden.

Nun ist es billig, fing die Jungfrau an, dass der Vogel, nachdem er durch euren Fleiß und die Billigung unseres Alten sein Leben und seine höchste Vollendung erlangt hat, von uns auch mit Freuden eingeweiht wird. Hiermit befahl sie, das Mittagsmahl aufzutragen und uns wieder zu erholen, weil nunmehr das schwierigste Werk vorüber war und es sich gebührte, dass wir die Früchte unserer Arbeit zu genießen anfingen.

Wir fingen an, uns übereinander lustig zu machen, hatten doch noch alle ihre Trauerkleider an, was uns zu unserer Freude nun etwas komisch vorkam.

Nun befragte die Jungfrau uns immer und immer wieder, vielleicht, um herauszufinden, wer von uns ihrem künftigen Vorhaben dienlich sein könnte. Ihr größtes Anliegen war aber das Schmelzen und ihr gefiel es wohl, wenn einer in feinen Handgriffen geübt war, die einem Künstler gut angestanden hätten.

Das Mittagessen dauerte nicht länger als dreiviertel Stunden, die wir zum größeren Teil mit unserem Vogel zubrachten, den wir ständig füttern mussten. Er wuchs aber nicht weiter. Nach dem Essen ließ man uns die Speise nicht lange verdauen, vielmehr wurde der fünfte Saal aufgetan, nachdem die Jungfrau mit dem Vogel verschwunden war. Und in diesen gelangten wir auf die übliche Art, um unsere Dienste anzubieten.

In diesem Saal hatte man unserem Vogel ein Bad vorbereitet, das mit einem weißen Pülverchen so gefärbt wurde, dass es aussah, als bestünde es aus Milch.

Als man den Vogel hineinsetzte, war es erst noch kühl, womit er wohl zufrieden war. Er trank daraus und spielte vergnügt im Wasser.

Nachdem die Flüssigkeit aber anfing, von den Lampen, die man darunter gesetzt hatte, warm zu werden, hatten wir alle Mühe, ihn im Bad zu halten und bedeckten deswegen den Kessel mit einem Deckel. Seinen Kopf ließen wir durch ein Loch herausragen, bis er in seinem Bad alle Federn verlor und so glatt wie ein Mensch wurde. Die Hitze schien ihm nicht weiter zu schaden, was mich doch wunderte, denn das Wasser verzehrte seine Federn vollständig und nahm eine blaue Farbe an.

Endlich ließen wir dem Vogel wieder etwas Luft. Er sprang von alleine aus dem Kessel und war so glänzend glatt, dass es eine Lust war, ihn anzuschauen.

Weil er aber etwas wild war, mussten wir ihm ein Band mit einer Kette um den Hals legen und ihn so im Saal auf und ab führen. In der Zwischenzeit wurde unter dem Kessel ein starkes Feuer gemacht und das Bad eingefettet, bis es ganz zu einem blauen Stein geworden war. Diesen nahmen wir heraus und zerstießen ihn zuerst, danach mussten wir ihn auf einem Stein zerreiben und endlich mit der so gewonnenen Farbe die ganze Haut des Vogels übermalen.

Da war er noch wunderlicher anzusehen, denn er war ganz blau bis an den Kopf, der weiß blieb. Damit war unsere Arbeit auch auf diesem Stockwerk verrichtet und wir wurden, nachdem die Jungfrau mit ihrem blauen Vogel wieder verschwunden war, durch das übliche Loch in den sechsten Stock gerufen, was auch geschah.

Da ergriff uns der Kummer, denn in die Mitte wurde ein Altärlein gestellt, das ganz so aussah, wie jenes, das im Saal des Königs gestanden hatte. Darauf lagen die sechs beschriebenen Gegenstände und der Vogel selbst war der siebte. Zuerst wurde das kleine Brünnlein vor ihn gestellt, woraus er einen guten Schluck zu sich nahm. Danach pickte er in die weiße Schlange, bis sie heftig blutete. Dieses Blut mussten wir mit einer goldenen Schale auffangen und dem Vogel, der sich heftig zur Wehr setzte, in den Hals hinabschütten. Darauf steckten wir den Kopf der Schlange in das Brünnlein, wovon sie wieder lebendig wurde und in den Totenkopf hineinkroch, so dass ich sie lange nicht mehr gesehen habe.

Unterdessen bewegte sich die Himmelssphäre immer weiter, bis die gewünschte Konjunktion eintrat. Alsbald schlug das Ührlein eins: hierauf trat eine weitere Konjunktion ein, da schlug das Ührlein zwei. Endlich, als wir die dritte Konjunktion beobachteten und das Glöcklein sie meldete, legte der arme Vogel seinen Hals von selbst demütig auf das Buch und ließ sich den Kopf von einem der unseren, der durch das Los ausgewählt worden war, bereitwillig den Kopf abschlagen. Aber er blutete nicht, bis seine Brust geöffnet wurde, da sprang das Blut so frisch und hell heraus, als ob es ein Brünnlein aus Rubinen wäre. Sein Tod ging uns zu Herzen, doch wir konnten uns denken, dass uns mit einem bloßen Vogel nicht viel geholfen wäre, deswegen ließen wir es geschehen, räumten das Altärlein ab und halfen der Jungfrau den Leib samt dem beigehefteten Täfelchen auf dem Altärlein mit Feuer, das von einem der Lichter genommen wurde, zu Asche verbrennen. Die Asche mussten wir danach mehrfach reinigen und in einer Lade aus Zypressenholz aufbewahren.

Hier kann ich nicht verschweigen, was für eine Posse mir zusammen mit drei anderen widerfahren ist. Denn nachdem wir die Asche sorgfältig eingesammelt hatten, fing die Jungfrau also an: Liebe Herren, wir sind nun hier im sechsten Saal und haben nur noch einen vor uns, bevor unsere Mühe ein Ende nimmt und wir zu unserem Schloss zurückfahren können, um unsere Gnädigsten Herren und Frauen vom Tode zu erwecken. Nun wünschte ich mir, ihr alle, die ihr hier versammelt seid, hättet euch so verhalten, dass ich euch bei unserem höchstgedachten König und seiner König rühmen und gebührende Belohnung für euch erlangen könnte. Weil aber diese vier unter euch (dabei deutete sie auf mich und drei andere) sich entgegen meiner Hoffnung als träge Laboranten erwiesen haben, ich aber bei meiner Liebe für alle und jeden nicht wünsche, sie ihrer wohlverdienten Strafe zuzuführen, wollte ich sie, damit dieser mangelnde Fleiß nicht gänzlich ungestraft bleibt, von der bevorstehenden siebten Arbeit, der herrlichsten von allen, ausschließen, auf dass sie nachher von ihrer Königlichen Majestät keine weitere Strafe gewärtigen müssen.

Wie mir nach einer solchen Ansprache zumute war, das mögen sich andere ausdenken, denn die Jungfrau konnte so ernst tun, dass uns bald das Wasser über die Körbe lief und wir uns für die unseligsten Menschen auf Erden hielten.

Hierauf ließ die Jungfrau durch eines ihrer Mädchen, von denen immer welche zugegen waren, die Musikanten holen. Die mussten uns mit solchem Spott und Hohn mit ihren Hörnern vor die Tür hinausblasen, dass sie vor Lachen kaum blasen konnten. Besonders aber verdross es uns, dass die Jungfrau sehr über unser Weinen, unseren Zorn und unsere Ungeduld lachte, auch wenn unter den Gesellen manche gewesen sein mögen, die uns das Unglück gönnten. Aber am Ende ging es doch anders aus.

Denn sobald wir vor die Tür hinauskamen, hießen uns die Musikanten fröhlich sein und ihnen die Wendeltreppe hinauf folgen. Sie führten uns über das siebte Stockwerk hinaus unter das Dach. Da fanden wir den alten Mann, den wir bisher nicht gesehen hatten, über einem kleinen runden Öfchen stehen. Dieser empfing uns freundlich und gratulierte uns von Herzen, dass wir von der Jungfrau dazu ausgewählt worden seien.

Nachdem er aber von uns vernommen hatte, wie sehr wir erschrocken waren, wollte ihm vor Lachen schier der Bauch platzen, dass wir uns an unserem Glück so übel verhoben hatten. Daraus lernet, meine lieben Söhne, sagte er, dass der Mensch nie weiß, wie gut es Gott mit ihm meint.

Während wir uns so unterhielten, kam auch die Jungfrau mit ihrem Schächtelchen wieder gelaufen. Nachdem sie uns genug ausgelacht hatte, leerte sie die Asche in ein anderes Geschirr, und füllte das ihrige mit einer anderen Substanz wieder auf, mit der Bemerkung, sie müsse jetzt den anderen Künstlern einen blauen Dunst vormachen, wir sollten dieweil dem alten Herrn folgen und in unserem Fleiß nicht nachlassen.

Damit verließ sie uns, um unsere Gesellen im siebten Saal aufzusuchen. Was sie dort mit ihnen gemacht hat, kann ich nicht wissen, denn es war ihnen nicht nur verboten, etwas darüber zu sagen, wir durften auch wegen unserer Arbeit ihnen nicht durch die Ritzen im Boden zusehen. Unsere Aufgabe bestand darin, die Asche durch unser zuvor präpariertes Wasser anzufeuchten, dass sie zu einem ganz dünnen Teig wurde. Danach setzten wir diese Substanz auf das Feuer, bis sie sehr heiß war. Von dort gossen wir sie so heiß in zwei kleine Förmchen oder Model und ließen sie ein wenig abkühlen.

Nun konnten wir unseren Gesellen durch einige künstliche Spalten im Boden zusehen. Sie waren auch an einem Ofen beschäftigt. Jeder musste mit einem Rohr das Feuer anblasen. Sie standen blasend um den Ofen herum, dass ihnen schier der Atem ausging und bildeten sich ein, es sei ihnen viel besser als uns ergangen. Und dieses Blasen dauerte so lange, bis uns der Alte wieder zur Arbeit rief, so dass ich nicht sagen kann, was danach geschah.

Wir öffneten die Förmchen. Da waren zwei schöne helle und schier leuchtende Bildchen darin, dergleichen menschliche Augen niemals gesehen haben, ein Knäblein und ein Mägdelein. Beide waren nur vier Zoll lang und was mich am höchsten wunderte: sie waren nicht hart, sondern weich und fleischig, wie ein richtiger Mensch, aber sie hatten kein Leben. Ich glaube, das Bild der Frau Venus war auf dieselbe Art angefertigt worden. Diese engelsschönen Kindlein legten wir zuerst auf zwei Kissen aus Atlasseide und betrachteten sie eine Weile, bis wir über einem solchen Spektakel schier zu Deppen wurden.

Der Alte Herr rief uns wieder zur Besinnung und befahl uns, ein Tröpflein nach dem andern von des Vogels Blut, das mit der goldenen Schale aufgefangen worden war, den Bildnissen in den Mund fallen zu lassen. Davon nahmen sie augenscheinlich zu und da sie zuvor schon zierlich gewesen waren, wurden sie jetzt der Proportion nach noch schöner, so schön, dass alle Maler hätten zugegen sein sollen, um sich ihrer Kunst angesichts dieses Geschöpfes der Natur zu schämen.

Nun fingen sie an, so groß zu werden, dass wir sie vom Kissen heben und auf einen langen Tisch, der mit weißem Samt bedeckt war, legen mussten. Der Alte befahl uns auch, sie mit einem weißen, zarten Doppeltaft bis an die Brust zu bedecken, was uns wegen ihrer unaussprechlichen Schönheit sehr zuwider war. Um es kurz zu machen: ehe das Blut aufgebraucht war, hatten sie schon fast die Größe von Erwachsenen erreicht und goldgelbes, krauses Haar. Nun, das zuvor erwähnte Bildnis der Venus war im Vergleich zu ihnen ein Nichts. Aber da war noch keine natürliche Wärme oder Empfindung in ihnen, sie waren tote Bilder, hatten jedoch leibliche und natürliche Farbe. Und weil man befürchten musste, sie würden zu groß, wollte ihnen der Alte nichts mehr geben lassen, sondern deckte ihnen mit dem Tuch auch das Gesicht zu und ließ den Tisch rundum mit Fackeln bestücken.

Hier muss ich den Leser warnen, dass er diese Fackeln nicht für notwendig hält. Die Absicht das Alten was, dass wir nicht bemerken sollten, wann die Seele in diese Bilder fuhr, was wir auch nicht getan hätten, wenn ich die Flammen nicht zweimal zuvor gesehen hätte – doch ließ ich die drei anderen im Glauben und so wusste der Alte auch nicht, dass ich etwas mehr gesehen hatte als jene.

Nun hieß uns der Alte auf einer Bank gegenüber dem Tisch sitzen. Bald kam auch die Jungfrau mit Musik und ihrem ganzen Anhang. Sie trug zwei schöne weiße Kleider, dergleichen ich im Schloss zuvor noch nie gesehen hatte und die ich auch nicht beschreiben kann, denn mir schien, als wären sie aus lauterem Kristall. Aber sie waren weich und nicht durchscheinend, so dass ich über sie nichts weiter sagen kann.

Die Kleider legte sie auf einen Tisch und nachdem sie ihre Jungfrauen auf den Bänken im Kreis angeordnet hatte, fingen sie und der Alte an, um den Tisch herum viel Gaukelwerk zu treiben, das uns nur täuschen sollte. Dies alles geschah, wie gesagt, unter dem Dach, das so wunderbar gestaltet war. Denn es bestand aus sieben Kuppeln, deren mittlere etwas höher war, als die übrigen und zu oberst befand sich ein kleines, rundes Loch, das aber geschlossen war und das keiner außer mir gesehen hat.

Nach vielen Zeremonien traten sechs Jungfrauen herein. Jede trug eine große Posaune, die mit einer grünen, leicht brennbaren Substanz wie mit einem Kranz umwickelt war. Eine von ihnen nahm der Alte an sich. Nachdem am Kopf des Tisches einige Lichter weggeräumt waren, deckte er die Gesichter der beiden Bildnisse auf und setzte eine der Posaunen dem einen Leichnam an den Mund, so dass der obere, weite Rand der Posaune genau auf das erwähnte Loch im Dach gerichtet war.

Meine Gesellen sahen immerzu auf die Bildnisse. Ich aber hatte anderes im Sinn. Denn kaum war das Laubwerk oder der Kranz am Rohr angezündet worden, sah ich wie das Loch im Dach sich öffnete und ein heller Feuerstrahl durch das Rohr hinabschoss und in den Leichnam fuhr. Darauf wurde das Loch wieder verdeckt und die Posaune weggeräumt. Durch diese Possen wurden meine Gesellen in die Irre geleitet, denn sie meinten, das Leben sei dem Bilde durch das Feuer des Laubwerks zuteil geworden. Sobald er die Seele empfangen hatte, tat der eine Leichnam die Augen auf und zu, aber sonst bewegte er sich nicht. Der Alte stellte eine andere Posaune auf den Mund des Leichnams, entzündete die Flamme und wieder wurde die Seele durch das Rohr hinabgeleitet. Dies geschah bei jedem der Leichname dreimal. Darauf wurden alle Fackeln gelöscht und entfernt, die samtenen Decken des Tisches über ihnen zusammengeschlagen und ein Reisebettchen aufgestellt und zugerüstet. Zu diesem wurden sie eingewickelt getragen und nachdem sie aus der Decke genommen worden waren, fein nebeneinander gelegt. Dort schliefen sie mit vorgezogenen Vorhängen eine gute Weile.

Nun war es an der Zeit, dass die Jungfrau nachsah, wie sich unsere anderen Künstler hielten. Die waren guten Mutes, denn wie mir die Jungfrau später berichtete, mussten sie Gold herstellen, was wohl auch ein Teil dieser Kunst ist, wenn auch nicht der vornehmste, wichtigste und beste.

Zwar hatten sie auch einen Teil der Asche erhalten, was sie glauben ließ, der geopferte Vogel sei um des Goldes willen so hoch angesehen, wo doch in Wahrheit den Entleibten das Leben durch ihn wieder gebracht werden sollte. Was das betrifft, so saßen wir still da und warteten, wann unsere Eheleute erwachen würden. Dies dauerte etwa eine halbe Stunde. Danach stellte sich der mutwillige Cupido wieder ein und nachdem er uns allen salutiert hatte, flog er zu ihnen unter den Umhang und neckte sie so lange, bis sie erwachten. Als sie erwachten, wunderten sie sich sehr, denn sie glaubten, sie hätten vom Augenblick ihrer Enthauptung an nur geschlafen.

Cupido entfernte sich wieder von ihnen, nachdem er sie beide erweckt und einander zu erkennen gegeben hatte und ließ sie sich noch ein wenig besser erholen. Während dieser Zeit trieb er seinen Schabernack mit uns und man musste ihm endlich die Musik holen und etwas fröhlicher sein. Nicht lange danach kam die Jungfrau wieder.

Und nachdem sie den jungen König und die Königin, die noch etwas matt waren, untertänigst gegrüßt und ihnen die Hand geküsst hatte, brachte sie die erwähnten zwei schönen Kleider herbei, mit denen bekleidet sie schließlich vor den Vorhang traten.

Nun waren schon zwei schöne Sessel vorbereitet, in die sie sich setzen, um von uns mit untertänigster Ehrerbietung begrüßt zu werden, woraufhin der König sich auf das Allergnädigste bedankte und uns all seine Gnade anbot. Inzwischen war es bereits fünf Uhr. Wir konnten deswegen nicht länger säumen, sondern mussten, sobald die vornehmsten Dinge aufgeladen worden waren, die jungen königlichen Personen die Wendeltreppe durch alle Tore und Wachen hindurch bis zum Schiff geleiten.

In dieses setzten sie sich zusammen mit einigen Jungfrauen und Cupido und fuhren so schnell davon, dass wir sie bald aus dem Gesicht verloren. Doch war man ihnen, wie ich später erfuhr, mit etlichen Schiffen entgegen gezogen, so dass sie in vier Stunden schon etliche Meilen auf dem Meer zurückgelegt hatten. Nach fünf Uhr wurde den Musikanten befohlen, alle Dinge wieder hinab aufs Schiff zu tragen und sich auf die Wegfahrt vorzubereiten.

Weil dies aber ziemlich langsam vor sich ging, ließ der alte Herr seine Soldaten heraus, die sich bisher im Wald verborgen hatten, wobei mir auffiel, dass dieser Turm für eine Verteidigung gut gerüstet war. Diese Soldaten waren mit all unseren Habseligkeiten bald fertig, so dass nichts weiter mehr zu tun war, als das Abendessen einzunehmen.

Als die Tische mit allem ausgestattet waren, brachte uns die Jungfrau wieder zu unseren Gesellen, da mussten wir wahrlich so tun, als sei es uns schlecht ergangen und gleichzeitig konnten wir das Lachen kaum unterdrücken. Sie aber schmollten vor sich hin, obwohl auch einige uns bemitleideten.

Bei diesem Abendessen war der alte Herr auch dabei und erwies sich als gestrenger Aufseher. Denn niemand konnte irgendetwas Kluges vorbringen, ohne dass er es entweder als dumm verworfen, es verbessert, oder einen klugen Rat hinzugefügt hätte.

Von diesem Herrn habe ich am meisten gelernt, und es wäre sicher gut, wenn sich ihm  jedermann anschlösse und zur Kenntnis nähme, was er zu sagen hat, dann würde vieles einen besseren Lauf nehmen.

Nachdem wir den Imbiss eingenommen hatten, führte uns der alte Herr zuerst in seine Kunstkammern, die sich an den verschiedensten Orten in der Bastei befanden. Da sahen wir die wunderbarsten Geschöpfe der Natur und auch viele andere Dinge, welche die menschliche Vernunft der Natur abgeschaut hat, dass wir wohl ein Jahr gebraucht hätten, um alles anzusehen. Damit waren wir bis lange in die Nacht hinein beschäftigt.

Endlich, da wir schon so müde waren und keine fremdartigen Dinge mehr sehen wollten, wurden wir in unseren überaus zierlichen Kammern untergebracht, in denen wir köstliche, gute Betten vorfanden. Das verwunderte uns um so mehr, als wir gestern so sehr unter unseren harten Pritschen hatten leiden müssen. In dieser Kammer schlief ich gut, weil ich inzwischen nicht nur meiner Sorgen ledig, sondern auch vom vielen Arbeiten richtig müde war. Das stille Rauschen des Meeres verhalf mir zu einem starken und sanften Schlaf, in dem ich einen Traum hatte, der von elf Uhr abends bis acht Uhr morgens dauerte.


7. Tag

Nach acht Uhr, als ich erwacht war und mich schnell angekleidet hatte, wollte ich mich wieder in den Turm begeben. Aber es gab so viele verschiedene finstere Gänge im Wall, dass ich eine gute Weile herumirrte, bis ich wieder den Ausgang fand.

Dies geschah auch anderen, bis wir endlich im untersten Gewölbe wieder zusammenfanden, wo uns gelbe Kutten und unsere goldenen Vließe gegeben wurden. Bei dieser Gelegenheit erklärte uns die Jungfrau, wir seien Ritter zum Goldenen Stein, was wir zuvor nicht gewusst hatten.

Nachdem wir so weit fertig waren und das Frühstück zu uns genommen hatten, verehrte der alte Mann jedem ein Stück Gold, auf dessen einer Seite diese Worte standen:

AR. NAT. MI.

[Ars Naturae Ministra / Die Kunst ist die Dienerin der Natur]

Auf der anderen Seite standen diese:

TEM. NA. F.

[Temporis Natura Filia / Die Natur ist die Tochter der Zeit]

Er ermahnte uns, wir sollten nicht überheblich sein und nicht gegen diesen Denkpfennig handeln.

Danach zogen wir aufs Meer hinaus. Unsere Schiffe aber waren kostbar gerüstet, was nicht möglich gewesen wäre, wenn all diese schönen Sachen nicht zuvor auf die Insel gebracht worden wären.

Es waren zwölf Schiffe, sechs von uns und sechs vom alten Herrn. Dieser ließ seine Schiffe mit lauter gutgerüsteten Soldaten besetzen. Er selbst aber begab sich zu uns aufs Schiff, in dem wir alle zusammen waren.

Ins erste setzten sich die Musikanten, derer der alte Herr auch eine große Anzahl hatte, die fuhren vor uns her, um uns die Zeit zu verkürzen. Unsere Fahnen waren die zwölf Tierkreiszeichen, wir saßen in der Waage.

Neben anderem war unser Schiff auch mit einer herrlichen, schönen Uhr ausgestattet, die zeigte uns alle Minuten. Das Meer aber war so still, dass es eine Lust war, darauf zu fahren.

Alles aber übertrafen die Reden des Alten. Er konnte uns mit wunderlichen Geschichten die Zeit so gut vertreiben, dass ich mein ganzes Leben mit ihm hätte fahren können. Unterdessen kamen die Schiffe schnell voran, denn kaum waren wir zwei Stunden gefahren, da sagte uns der Steuermann, er sehe bereits fast den ganzen See mit Schiffen bedeckt. Daraus schlossen wir, dass man uns entgegen zog. Dies traf auch zu, denn sobald wir aus dem Meer durch den oben erwähnten Fluss in den See kamen, lagen da an die fünfhundert Schiffe, unter denen eines vor lauter Gold und Edelsteinen schimmerte, darin der König und die Königin mit vielen hochgeborenen Herren, Frauen und Jungfrauen saßen.

Sobald man unserer ansichtig geworden war, ließ man auf beiden Seiten alle Kanonen losgehen und es war von Posaunen, Trompeten und Heertrommeln ein solches Geprassel, dass alle Schiffe auf dem See zitterten.

Endlich, sobald wir bei ihnen waren, umringten sie unsere Schiffe alle miteinander und hielten still. Alsbald trat der alte Atlas im Auftrag des Königs hervor, hielt eine kurze zierliche Ansprache, in der er uns willkommen hieß, und wünschte zu wissen, ob die königliche Gabe zubereitet sei. Meine anderen Gesellen waren äußerst neugierig, zu erfahren, wodurch dieser König auferstanden sei, denn sie glaubten immer noch, sie müssten ihn wieder zum Leben erwecken. Wir überließen sie ihrer Verwunderung und stellten uns so, als ob auch wir darüber verwundert seien. Nach der Ansprache des Atlas trat unser Alter vor und antwortete etwas weitläufiger, wünschte dem König und der Königin Glück und Vermehrung und übergab ihnen eine kleine, zierliche Truhe. Ich weiß nicht, was sich darin befand, jedenfalls wurde sie Cupido, der unentwegt zwischen den beiden hin und her hampelte, zur Aufbewahrung anbefohlen. Als die Ansprache zu Ende war, ließ man abermals Freudenschüsse los und wir fuhren eine gute Zeit nebeneinander her, bis wir endlich zu einem anderen Gestade kamen. Dieses befand sich nahe bei der Pforte, durch die ich beim ersten Mal hereingekommen war. Auf diesem Platz wartete abermals eine große Menge königlichen Hofgesindes mit einigen hundert Pferden.

Sobald wir nun an Land gestoßen und ausgestiegen waren, boten uns der König und die Königin allen miteinander besonders freundlich die Hände, danach mussten wir zu Pferd sitzen.

Hier möchte ich den Leser bitten, er möge mir die folgende Erzählung nicht zu eigenem Ruhm oder Stolz deuten, sondern mir zutrauen, ich hätte nicht über die mir erwiesene Ehre berichtet, wenn es nicht notwendig gewesen wäre. Wir wurden alle nacheinander unter die Herren aufgeteilt. Unser alter Herr aber und ich Unwürdiger mussten neben dem König reiten und jeder von uns trug eine schneeweiße Fahne mit einem roten Kreuz. Ich war wegen meines Alters ausgewählt worden, denn wir hatten beide lange graue Bärte und Haare. Ich hatte meine Zeichen auf den Hut geheftet, die der junge König bald bemerkte. Er fragte, ob ich der sei, der die Zeichen am Tor eingelöst habe. Ich antwortete untertänigst mit »Ja«. Er aber lachte und meinte, fürderhin bedürfe es keines Gepränges mehr, denn ich sei sein Vater. Und dann fragte er mich, wogegen ich sie eingelöst hätte. Ich antwortete, gegen Wasser und Salz. Da wunderte er sich, wer mich so klug gemacht hätte.

Hierauf wurde ich etwas kecker und erzählte ihm, wie es mir mit meinem Brot, der Taube und dem Raben ergangen war. Er ließ es sich gefallen und sagte ausdrücklich, Gott müsse mich mit sonderlich viel Glück begünstigt haben.

Unterdessen kamen wir zur ersten Pforte, an welcher der Hüter mit dem blauen Kleid stand, der in der Hand eine Bittschrift trug. Sobald er mich neben dem König erblickte, überreichte er mir diese mit dem Ansinnen, ich möge seiner Treue mir gegenüber bei diesem gedenken. Nun fragte ich erst den König, wie es um diesen Hüter bestellt sei.

Er antwortete mir freundlich, dieser sei ein berühmter, kenntnisreicher Astrolog, der bei seinem Vater stets in hohem Ansehen gestanden habe. Nun habe er sich einmal gegen die Frau Venus versündigt und sie in ihrem Ruhebett betrachtet, deswegen sei ihm die Strafe auferlegt worden, so lange diese Pforte zu bewachen, bis ihn ein anderer ablöse. Ich fragte, ob man ihn denn erlösen könne. Der König sprach, Ja, wenn jemand gefunden würde, der sich ebenso hoch versündigt habe, der müsse an seine Stelle treten und er komme frei. Diese Worte gingen mir zu Herzen, denn mein Gewissen überzeugte mich, dass ich genau diese Tat begangen hatte, doch schwieg ich still und übergab dem König die Bittschrift. Sobald er sie gelesen hatte, erschrak er so heftig, dass es auch die Königin bemerkte, die mit ihren Jungfrauen und einer weiteren Königin, derer bei der Aufhängung der Gewichte gedacht worden ist, hinter uns ritt, und die ihn deswegen fragte, was dieser Brief zu bedeuten habe. Er aber wollte sich nichts anmerken lassen, sondern steckte den Brief weg und fing von anderen Dingen an zu reden, bis wir um drei Uhr vollends in das Schloss hineinkamen.

Nachdem wir abgestiegen waren und den König in seinen Saal begleitet hatten, ließ dieser alsbald den alten Atlas zu sich in ein kleines Stüblein kommen und zeigte ihm den Brief. Dieser säumte nicht lange und ritt zum Hüter hinaus, um die Angelegenheit genauer zu untersuchen.

Hierauf setzte sich der junge König mit seiner Gemahlin und anderen Herren, Frauen und Jungfrauen nieder.

Da fing unsere Jungfrau an, unseren Fleiß, unsere Mühe und Arbeit hoch zu rühmen und bat, uns königlich zu belohnen, sie aber weiterhin ihre Aufgabe genießen zu lassen. Da stand auch der alte Herr auf und bezeugte, dass alles wahr sei, was die Jungfrau gesagt habe und dass es deswegen gerechtfertigt sei, wenn wir beide belohnt würden. Hiermit mussten wir ein wenig zur Seite treten, und es wurde beschlossen, jedem einen Wunsch zu erfüllen, denn es könne nicht daran gezweifelt werden, dass der Verständige auch den besten Wunsch äußern würde. Darüber sollten wir bis nach dem Abendessen nachsinnen.

Unterdessen fingen der König und die Königin zum Zeitvertreib ein Spiel miteinander an. Es war dem Schach nicht unähnlich, gehorchte aber anderen Regeln. Es standen sich Tugend und Laster gegenüber und man konnte sehen, mit welchen Methoden das Laster der Tugend nachstellt und wie man diesen begegnen könne. Dies ging so kunstvoll und gewandt von statten, dass wir wünschten, wir hätten auch so ein Spiel.

Während sie so spielten, kam Atlas wieder daher und erstattete heimlich Bericht. Ich aber errötete überall, denn mein Gewissen ließ mir keine Ruhe. Hierauf gab mir der König die Bittschrift selbst zu lesen, deren Inhalt ungefähr dieser war: Zuerst wünschte der Torhüter dem König Glück und Vermehrung, auf dass sein Same sich weit verbreiten möge. Danach teilte er mit, dass der Tag nun erfüllt sei, an dem er der königlichen Zusage gemäß befreit werden solle, denn Venus sei allbereits von einem seiner Gäste aufgedeckt worden, seine Beobachtungen könnten ihn nicht trügen.

So solle nun die königliche Majestät scharf und genau untersuchen und sie werde erkennen, dass seine Entdeckung wahr sei. Sollte es sich nicht so verhalten, dann wolle er sein Leben lang weiter an der Pforte wachen. Er bitte daher auf das alleruntertänigste, man wolle ihn auf die Gefahr seines Leibes und Lebens beim heutigen Abendessen teilnehmen lassen, dann könne er den Täter hoffentlich selbst ausspähen und zu seiner erwünschten Befreiung gelangen.

Dies war nun ausführlich und in zierlichen Worten dargelegt, an denen ich seine Begabung wohl erkennen konnte, aber seine Worte schnitten mir ins Herz und ich wünschte, ich hätte sie nie gelesen.

Nun überlegte ich, ob ihm vielleicht durch meinen Wunsch könnte geholfen werden. Daher fragte ich den König, ob er nicht auf einem anderen Wege befreit werden könne. Nein, antwortete der König, denn diese Sache muss besonders bedacht werden. Doch können wir ihm seinen Wunsch für das Abendmahl wohl gewähren. Schickt also einen hinaus, um ihn hereinzuholen. Unterdessen wurden Tafeln in einem Saal vorbereitet, in dem wir zuvor noch nie gewesen waren. Der war so vollkommen, dass ich ihn nicht annähernd zu beschreiben vermag.

In diesen wurden wir mit großem Pomp und Zeremonien geführt. Cupido war diesmal nicht dabei. Denn wie mir berichtet wurde, hatte ihn der Schimpf, der seiner Mutter wiederfahren war, ziemlich erzürnt. Kurz, meine Tat und die übergebene Bittschrift riefen große Trauer hervor. Denn der König hatte Bedenken, seine Gäste einer Untersuchung zu unterziehen, vor allem deshalb, weil auf diese Weise auch die, die nichts von dem Vorfall wussten, von ihm erfahren hätten. Er ließ also den Torhüter, der schon angekommen war, scharf bewachen und stellte sich so fröhlich wie er konnte. Zuletzt aber fing man wieder an, lustig zu werden und sich mit allerlei kurzweiligen Gesprächen zu unterhalten.

Wie nun die Bewirtung und all die anderen Zeremonien damals verliefen, muss ich nicht im Einzelnen beschreiben, weil es dem Leser und meinem Vorhaben nicht dient. Alles zeugte jedenfalls über die Maßen von Kunst und menschlicher Geschicklichkeit und wir wurden durch das Trinken nicht beschwert. Im übrigen war dies das letzte und herrlichste Mahl, an dem ich teilgenommen habe.

Nach dem Bankett wurden die Tische schnell beiseite geräumt und etliche schöne Sessel im Kreis aufgestellt. In diese mussten wir uns mitsamt dem König und der Königin, dem Alten, den Frauen und den Jungfrauen niedersetzen.

Hierauf öffnete ein schöner Knabe das oben erwähnte kostbare Büchlein. Bald stellte sich Atlas in die Mitte und fing an, wie folgt zu uns zu reden.

Ihre Königliche Majestät hätten noch nicht vergessen, was wir für sie getan und wie fleißig wir unseres Amtes gewaltet hätten. Deswegen habe sie uns zur Belohnung samt und sonders zu Rittern des Goldenen Steines ernannt. Daher sei es vonnöten, dass wir uns nochmals nicht nur gegen die Königliche Majestät verpflichteten, sondern auch gelobten, die folgenden Artikel zu befolgen, damit ihre Königliche Majestät wisse, wie sie sich gegen ihre Bundesgenossen verhalten solle.

Darauf ließ er den Knaben die Artikel vorlesen, die wie folgt lauteten:

I. Ihr Herren Ritter sollt schwören, dass ihr mit eurem Orden keinem Teufel oder Geist, sondern allein Gott, Eurem Schöpfer und dessen Dienerin der Natur jederzeit dienen wollt.

II. Dass ihr alle Hurerei, Unzucht, Unreinheit hasst und mit solchen Lastern Euern Orden nicht befleckt.

III. Dass ihr mit Euren Gaben jedem, der ihrer wert und bedürftig ist, zu Hilfe kommt.

IV. Dass ihr solche Ehre nicht um weltlicher Pracht oder des Ansehens willen begehrt.

V. Dass ihr nicht länger leben wollt, als Gott es euch bestimmt hat.

Über diesen letzten Artikel mussten wir ziemlich lachen, er mag auch wohl nur um des Scherzes willen hingesetzt worden sein. Wie dem auch sei, wir mussten bei des Königs Szepter schwören. Hierauf wurden wir mit der üblichen Feierlichkeit zu Rittern geschlagen und neben anderen Privilegien über Unverstand, Armut und Krankheit gesetzt, um mit denselben nach unserem Gutdünken zu verfahren.

Und dies wurde hernach in einer kleinen Kapelle, in die wir mit einer großen Prozession geführt wurden, bestätigt und Gott dafür gedankt. Dort habe ich auch Gott zu Ehren mein goldenes Vließ und meinen Hut aufgehängt und zu ewigem Gedenken dort gelassen.

Und weil jeder seinen Namen eintragen musste, schrieb ich also:

Summa scientia nihil scire.

Fr. C H R I S T I A N U S R O S E N C R E Ü T Z,

Eques aurei Lapidis:

Anno 1459.

[Die höchste Wissenschaft besteht darin, nichts zu wissen. Bruder Christian Rosenkreutz. Ritter vom Goldenen Stein. Im Jahr 1459]

Andere schrieben anderes und zwar jeder, was ihn gut dünkte.

Darauf wurden wir wieder in den Saal gebracht und nachdem wir uns niedergesetzt hatten, wurden wir ermahnt, uns schnell zu besinnen, was jeder sich wünsche. Der König aber hatte sich mit den seinigen in das kleine Stübchen gesetzt, um dort unsere Wünsche anzuhören.

Nun wurde jeder einzeln hineingerufen, so dass ich nichts von den Wünschen der anderen sagen kann.

Ich dachte, es sei nichts lobenswerter, als wenn ich meinem Orden zu Ehren eine löbliche Tugend zeigte. Und ich fand, keine sei jetzt rühmlicher und käme mich saurer an, als Dankbarkeit. Deswegen – obwohl ich mir wohl etwas Lieberes hätte wünschen können – überwand ich mich selbst und beschloss, ohne auf die Gefahr für mich zu achten, den Hüter, meinen Wohltäter zu befreien. Wie ich nun hineingerufen wurde, fragte man mich als erstes, da ich die Bittschrift gelesen hatte, ob ich nicht etwas vom Täter bemerkt oder einen Verdacht hätte.

Hierauf fing ich an, unerschrocken zu berichten, wie alles zugegangen war und wie ich aus Unverstand da hineingeraten war. Ich erbot mich, alles auszustehen, was ich dadurch verwirkt hätte. Der König und die anderen Herren wunderten sich sehr über dieses unerwartete Bekenntnis und hießen mich kurz hinauszugehen.

Sobald ich wieder hineingebeten worden, zeigte mir Atlas folgendes an: Wohl sei es ihrer Majestät schmerzlich, dass ich, den sie mehr als die anderen geliebt habe, in solchen Unfall hineingeraten sei, da es ihr aber nicht möglich sei, sich über ihre alten Bräuche hinwegzusetzen, könne sie mich nicht anders von meiner Schuld lossprechen, als indem sie jenen befreie und mich an seiner Statt als Hüter verpflichte. Sie hoffe, es werde sich bald ein anderer vergreifen, dass ich wieder nach Hause gehen könne. Gleichwohl sei auf eine Befreiung nicht vor dem Hochzeitsfest ihres zukünftigen Sohnes zu hoffen.

Dieses Urteil hätte mich beinahe umgebracht und ich verfluchte erst mein schwatzhaftes Maul, das ich es nicht hatte verschweigen können. Doch endlich fasste ich ein Herz und weil ich dachte, es müsse nun einmal sein, berichtete ich, wie mich dieser Hüter mit einem Zeichen beschenkt und an die anderen weiterempfohlen, durch deren Hilfe ich auf der Waage bestanden habe und aller erfahrenen Ehre und Freude teilhaftig geworden sei. So sei es nur angemessen gewesen, wenn ich mich meinem Wohltäter gegenüber dankbar erwiesen habe. Und da es wohl nicht anders sein könne, bedanke ich mich für das Urteil und wolle um jenes Willen, der mir in diesen Stand verholfen habe, etwas Ungelegenes tun. Wenn aber mit meinem Wunsch noch etwas auszurichten sei, so wünsche ich mich wieder nach Hause, so wäre jener durch mich, ich aber durch meinen Wunsch befreit. Mir wurde aber geantwortet, das Wünschen reiche nicht so weit, sonst hätte ich ja auch ihn frei wünschen können. Doch ließ es sich ihre königliche Majestät wohl gefallen, dass ich mich so fein in mein Schicksal ergab, es sorgte sie aber, dass ich nicht wissen mochte, in was für eine elende Lage ich mich durch meinen Vorwitz gebracht hatte.

Hiermit wurde der gute Mann frei gesprochen und ich musste mit traurigem Herzen abtreten.

Nach mir wurden die übrigen hineingerufen und alle kamen fröhlich heraus, was mich noch mehr schmerzte, denn ich fürchtete, ich müsste mein Leben unter dem Tor beschließen. Ich spintisierte auch hin und her, was ich doch anfangen und womit ich da die Zeit verbringen sollte. Endlich fiel mir ein, dass ich ja schon alt war und nur noch wenige Jahre zu leben hätte. So würden mich der Kummer und die Melancholie bald hinrichten, dann wäre mein Hüten zu Ende. Auch könnte mich seliges Schlafen bald ins Grab bringen. Solche Gedanken hatte ich mancherlei. Es verdross mich auch, dass ich so schöne Sachen gesehen hatte und ihrer nun beraubt sein sollte. Dann wieder freute es mich, dass mir doch vor meinem Ende alle Freuden zuteil geworden waren und ich nicht so schändlich hatte abziehen müssen. Dies war also der letzte und böseste Stoß, den ich erlitt.

Während ich so vor mich hindachte, wurden die anderen fertig und, nachdem ihnen der König und die Herren eine gute Nacht gewünscht hatten, in ihre Zimmer geführt. Ich armer Mann aber hatte keinen, der mir den Weg zeigte und musste mich noch dazu verspotten lassen. Und damit ich nicht an meiner künftigen Aufgabe zweifelte, musste ich den Ring, den der Hüter zuvor getragen hatte, anziehen.

Endlich ermahnte mich der König, da ich ihn jetzt das letzte Mal in solcher Gestalt sehe, solle ich mich doch meiner Berufung gemäß und nicht entgegen den Verpflichtungen meines Ordens verhalten. Darauf nahm er mich in den Arm und küsste mich, was ich alles so verstand, als müsse ich am folgenden Morgen vor mein Tor sitzen.

Nachdem sie nun alle noch eine Weile freundlich mit mir geredet, mir zuletzt die Hand gegeben und mich göttlichem Schutz anbefohlen hatten, wurde ich durch die beiden Alten, den Herrn des Turms und Atlas, in eine herrliche Unterkunft geführt, in der drei Betten standen, in die wir uns hineinlegten.

Da brachten wir noch fast zwei ...

Hier fehlen ungefähr zwei Quartblättlein, und er (der Verfasser), der vermeinte, er müsse am folgenden Morgen Torhüter werden, ist heimgekommen.


»Christian Rosenkreutz' Hochzeit habe ich hinaus gelesen, es gibt ein schön Märchen zur guten Stunde zu erzählen, wenn es wiedergeboren wird, in seiner alten Haut ist's nicht zu genießen.«

Johann Wolfgang von Goethe an Frau von Stein am 28. Juni 1786.
Zur »wiedergeborenen Hochzeit«, Goethes Märchen von der Schlange und der schönen Lilie.

nach Oben