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Anthroposophie / Geschichte / Die Überwindung des Rassismus durch die Anthroposophie

Die Überwindung des Rassismus durch die Anthroposophie

Eigentlich widerspricht es dem Wissenschaftsverständnis der Anthroposophie, Zitate aus dem Gesamtwerk Steiners herauszulösen. Da dies aber vielfach von Autoren getan wird, die behaupten, Steiner sei Rassist oder Antisemit gewesen, werden hier Passagen aus dem Gesamtwerk veröffentlicht, die den einschlägigen Zitaten andere gegenüberstellen. Durch diese Passagen wird deutlich, dass Steiner zeit seines Lebens Stellung gegen geistige und politische Strömungen bezogen hat, die man heute als völkisch, nationalistisch und rassistisch bezeichnet.

Bei den Zitaten gilt es zu berücksichtigen, dass sie aus unterschiedlichen Textsorten stammen: aus von Steiner selbst verfassten Büchern oder Zeitschriftenaufsätzen und aus Vorträgen, von denen stenografische Nachschriften unterschiedlicher Qualität existieren, die für die Veröffentlichung in der Gesamtausgabe rekonstruiert wurden. Die genauen bibliographischen Angaben finden sich in den jeweiligen Bänden der Gesamtausgabe.

Die beiden methodischen Probleme, die mit der Existenz dieser verschiedenen Textsorten verbunden sind – das der (historischen und sozialen) Kontextualität und das des jeweiligen systematischen Stellenwerts einzelner Ausführungen – können hier nicht diskutiert werden. Für eine gründliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk Steiners ist aber die Berücksichtigung dieses Problems unerlässlich.

Sämtliche im folgenden publizierten Wortlaute stammen von Rudolf Steiner.


1886:

Das Wesen des Menschen steht über allen kollektiven Bindungen

»Die erste Wissenschaft, in der es der Geist mit sich selbst zu tun hat, ist die Psychologie. Der Geist steht sich betrachtend selbst gegenüber.

Fichte sprach dem Menschen nur insofern eine Existenz zu, als er sie selbst in sich setzt. Mit andern Worten: Die menschliche Persönlichkeit hat nur jene Merkmale, Eigenschaften, Fähigkeiten usw., die sie sich vermöge der Einsicht in ihr Wesen selbst zuschreibt. Eine menschliche Fähigkeit, von der der Mensch nichts wüsste, erkennte er nicht als die seinige an, er legte sie einem ihm Fremden bei. ... Wenn der Geist eine Eigenschaft nur insofern besitzt, als er sich sie selbst beilegt, so ist die psychologische Methode das Vertiefen des Geistes in seine eigene Tätigkeit. Selbsterfassung ist also hier die Methode. ...

Dem Typus [Pflanze, Tier] ist es wesentlich, dass er als allgemeiner seinen Einzelformen gegenübersteht. Nicht so dem Begriff des menschlichen Individuums. Hier ist das Allgemeine unmittelbar im Einzelwesen tätig, nur dass sich diese Tätigkeit in verschiedener Weise äußert, je nach den Gegenständen, auf die sie sich richtet. Der Typus lebt sich in einzelnen Formen dar und tritt in diesen mit der Außenwelt in Wechselwirkung. Der Menschengeist hat nur eine Form. Hier aber bewegen jene Gegenstände sein Fühlen, dort begeistert ihn dieses Ideal zu Handlungen usw. Es ist nicht eine besondere Form des Menschengeistes; es ist immer der ganze, volle Mensch, mit dem man es zu tun hat. Diesen muss man aus seiner Umgebung loslösen, wenn man ihn erfassen will. Will man zum Typus gelangen, dann muss man von der Einzelform zur Urform aufsteigen; will man zum Geiste gelangen, muss man von den Äußerungen, durch die er sich kundgibt, von den speziellen Taten, die er vollbringt, absehen und ihn an und für sich betrachten. Man muss ihn belauschen, wie er überhaupt handelt, nicht wie er in dieser oder jener Lage gehandelt hat. Im Typus muss man die allgemeine Form durch Vergleichung von den einzelnen loslösen; in der Psychologie muss man die Einzelform bloß von ihrer Umgebung loslösen.

Es ist da nicht mehr so wie in der Organik, dass wir in dem besonderen Wesen eine Gestaltung des Allgemeinen, der Urform erkennen, sondern die Wahrnehmung des Besonderen als diese Urform selbst. Nicht eine Ausgestaltung ihrer Idee ist das menschliche Geisteswesen, sondern die Ausgestaltung derselben. ... Was sonst Intuition ist, wird hier eben Selbstbetrachtung. Das ist bei der höchsten Form des Daseins sachlich auch notwendig. ...

Man ersieht aus alledem, dass man eine wahrhafte Psychologie nur gewinnen kann, wenn man auf die Beschaffenheit des Geistes als eines Tätigen eingeht. ...

Die einheitliche Seele ist uns ebenso erfahrungsgemäß gegeben wie ihre einzelnen Handlungen. Jedermann ist sich dessen bewusst, dass sein Denken, Fühlen und Wollen von seinem »Ich« ausgeht. Jede Tätigkeit unserer Persönlichkeit ist mit diesem Zentrum unseres Wesens verbunden. Sieht man bei einer Handlung von dieser Verbindung mit der Persönlichkeit ab, dann hört sie überhaupt auf. eine Seelenerscheinung zu sein. Sie fällt entweder unter den Begriff der unorganischen oder der organischen Natur. Liegen zwei Kugeln auf dem Tische, und ich stoße die eine an die andere, so löst sich alles, wenn man von meiner Absicht und meinem Wollen absieht, in physikalisches oder physiologisches Geschehen auf. Bei allen Manifestationen des Geistes: Denken, Fühlen, Wollen, kommt es darauf an, sie in ihrer Wesenheit als Äußerungen der Persönlichkeit zu erkennen. Darauf beruht die Psychologie.

Der Mensch gehört aber nicht nur sich, er gehört auch der Gesellschaft an. Was sich in ihm darlebt, ist nicht bloß seine Individualität, sondern zugleich jene des Volksverbandes, dem er angehört. Was er vollbringt, geht ebenso wie aus der seinen, zugleich aus der Vollkraft seines Volkes hervor. Er erfüllt mit seiner Sendung einen Teil von der seiner Volksgenossenschaft. Es kommt darauf an, dass sein Platz innerhalb seines Volkes ein solcher ist, dass er die Macht seiner Individualität voll zur Geltung bringen kann.

Das ist nur möglich, wenn der Volksorganismus ein derartiger ist, dass der einzelne den Ort finden kann, wo er seinen Hebel anzusetzen vermag. Es darf nicht dem Zufall überlassen bleiben, ob er diesen Platz findet.

Die Weise zu erforschen, wie sich die Individualität innerhalb der Volksgemeinde darlebt, ist Sache der Volkskunde und der Staatswissenschaft. Die Volksindividualität ist der Gegenstand dieser Wissenschaft. Diese hat zu zeigen, welche Form der staatliche Organismus anzunehmen hat, wenn die Volksindividualität in demselben zum Ausdrucke kommen soll. Die Verfassung, die sich ein Volk gibt, muss aus seinem innersten Wesen heraus entwickelt werden. Auch hier sind nicht geringe Irrtümer im Umlauf. Man hält die Staatswissenschaft nicht für eine Erfahrungswissenschaft. Man glaubt die Verfassung aller Völker nach einer gewissen Schablone einrichten zu können.

Die Verfassung eines Volkes ist aber nichts anderes, als sein individueller Charakter in festbestimmte Gesetzesformen gebracht. Wer die Richtung vorzeichnen will, in der sich eine bestimmte Tätigkeit eines Volkes zu bewegen hat, darf diesem nichts Äußerliches aufdrängen: er muss einfach aussprechen, was im Volkscharakter unbewusst liegt. »Der Verständige regiert nicht, aber der Verstand: nicht der Vernünftige, sondern die Vernunft«, sagt Goethe.

Die Volksindividualität als vernünftige zu begreifen, ist die Methode der Volkskunde. Der Mensch gehört einem Ganzen an, dessen Natur die Vernunftorganisation ist. Wir können auch hier wieder ein bedeutsames Wort Goethes anführen: »Die vernünftige Welt ist als ein großes unsterbliches Individuum zu betrachten, das unaufhaltsam das Notwendige bewirkt und dadurch sich sogar über das Zufällige zum Herrn macht.« - Wie die Psychologie das Wesen des Einzelindividuums, so hat die Volkskunde (Völkerpsychologie) jenes »unsterbliche Individuum« zu erforschen.

GA 2, Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, S. 119-123


1888:

Barometer des Fortschritts: Verwirklichung der Freiheit

»Es soll [...] nicht geleugnet werden, dass mit dem liberalen Prinzip der Kernpunkt der modernen Kultur überhaupt richtig getroffen ist.

Das Barometer des Fortschrittes in der Entwicklung der Menschheit ist nämlich in der Tat die Auffassung, die man von der Freiheit hat, und die praktische Realisierung dieser Auffassung. Unserer Überzeugung nach hat die neueste Zeit in dieser Auffassung einen Fortschritt zu verzeichnen, der ebenso bedeutsam ist, wie jener war, den die Lehren Christi bewirkten: «es sei nicht Jude, noch Grieche, noch Barbar, noch Skythe, sondern alle seien Brüder in Christo». Wie damals die Gleichwertigkeit aller Menschen vor Gott und ihresgleichen anerkannt wurde, so bemächtigte sich in dem letzten Jahrhundert immer mehr die Überzeugung der Menschen, dass nicht in der Unterwerfung unter die Gebote einer äußeren Autorität unsere Aufgabe bestehen könne, dass alles, was wir glauben, dass die Richtschnur unseres Handelns lediglich aus dem Lichte der Vernunft in unserem eigenen Innern entstammen solle. Nur das für wahr halten, wozu uns unser eigenes Denken zwingt, nur in solchen gesellschaftlichen und staatlichen Formen sich bewegen, die wir uns selbst geben, das ist der große Grundsatz der Zeit.«

GA 31, ursprüngl. in: Deutsche Wochenschrift, 13. Juli 1888, »Papsttum und Liberalismus«. Über die von Papst Leo XIII publizierte Enzyklika, S. 134 f.


1894:

Das Wesen des Menschen ist seine Individualität

»Es ist unmöglich, einen Menschen ganz zu verstehen, wenn man seiner Beurteilung einen Gattungsbegriff [im Sinne irgendeines kollektiven Typus] zugrunde legt. Am hartnäckigsten im Beurteilen nach der Gattung ist man da, wo es sich um das Geschlecht des Menschen handelt. Der Mann sieht im Weibe, das Weib im Manne fast immer zuviel von dem allgemeinen Charakter des anderen Geschlechtes und zu wenig von dem individuellen ...

Wer die Menschen nach Gattungscharakteren beurteilt, der kommt eben gerade bis zu der Grenze, über welcher sie anfangen, Wesen zu sein, deren Betätigung auf freier Selbstbestimmung beruht. Was unterhalb dieser Grenze liegt, das kann natürlich Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung sein. Die Rassen-, Stammes-, Volks- und Geschlechtseigentümlichkeiten sind der Inhalt besonderer Wissenschaften. Nur Menschen, die allein als Exemplare der Gattung leben wollten, könnten sich mit einem allgemeinen Bilde decken, das durch solche wissenschaftliche Betrachtung zustande kommt. Aber alle diese Wissenschaften können nicht vordringen bis zu dem besonderen Inhalt des einzelnen Individuums. Da wo das Gebiet der Freiheit des Denkens und Handelns beginnt, hört das Bestimmen des Individuums nach Gesetzen der Gattung auf.«

GA 4, »Die Philosophie der Freiheit«, Berlin 1894


1897:

Ob Jude oder Germane ist einerlei

»Nur auf die gegenseitigen Wirkungen der Individuen sollte Wert gelegt werden. Es ist doch einerlei, ob jemand Jude oder Germane ist [...] Das ist so einfach, dass man fast dumm ist, wenn man es sagt. Wie dumm muss man aber erst sein, wenn man das Gegenteil sagt.«

GA 31, Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901, 25.9.1897, S. 199


1900:

Abfertigung des Antisemitismus

»Für mich hat es nie eine Judenfrage gegeben. Mein Entwicklungsgang war auch ein solcher, dass damals, als ein Teil der nationalen Studentenschaft Österreichs antisemitisch wurde, mir das als eine Verhöhnung aller Bildungserrungenschaften der neuen Zeit erschien. Ich habe den Menschen nie nach etwas anderem beurteilen können als nach den individuellen, persönlichen Charaktereigenschaften, die ich an ihm kennenlerne. Ob einer Jude war oder nicht: das war mir immer ganz gleichgültig. Ich darf wohl sagen: diese Stimmung ist mir auch bis jetzt geblieben. Und ich habe im Antisemitismus nie etwas anderes sehen können als eine Anschauung, die bei ihren Trägern auf Inferiorität des Geistes, auf mangelhaftes ethisches Urteilsvermögen und auf Abgeschmacktheit deutet [...], die jeder gesunden Vorstellungsart ins Gesicht schlägt.«

GA 31, Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901, 01.09.1900, S. 199


1901:

Abfertigung des Antisemitismus

»Der Antisemitismus ist ein Hohn auf allen Glauben an die Ideen. Er spricht vor allem der Idee Hohn, dass die Menschheit höher steht als jede Form (Stamm, Rasse, Volk), in der sich die Menschheit auslebt.«

GA 31, Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901, 20. und 27.November 1901, S. 412


»Der Antisemitismus ist nicht allein für die Juden eine Gefahr, er ist es auch für die Nichtjuden. Er geht aus einer Gesinnung hervor, der es mit dem gesunden, geraden Urteil nicht Ernst ist. Er befördert eine solche Gesinnung. Und wer philosophisch denkt, sollte dem nicht ruhig zusehen. Der Glaube an die Ideen wird erst dann wieder zu seiner Geltung kommen, wenn wir den ihm entgegengesetzten Unglauben auf allen Gebieten so energisch als möglich bekämpfen.«

GA 31, Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901, 20. und 27.November 1901, S. 413


1903:

Aufgabe der Theosophischen Gesellschaft: Überwindung des Rassismus

»Vor kurzem ist nun auch eine Deutsche Sektion dieser Gesellschaft begründet worden ... Die Hauptprinzipien der Theosophischen Gesellschaft sind: 1. Den Kern einer brüderlichen Gemeinschaft zu bilden, die sich über die ganze Menschheit, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der Gesellschaftsklasse der Nationalität und des Geschlechts erstreckt. 2. Das vergleichende Studium der Religionen, Philosophien und Wissenschaften zu fördern. 3. Die von der gewöhnlichen Wissenschaft unberücksichtigten Naturgesetze und die im Menschen schlummernden Kräfte zu erforschen. (S. 531)

»Das Streben nach Toleranz, nach allgemeiner Menschenliebe: diese waren immer die Kräfte, aus denen die großen Fortschritte der Menschheit hervorgegangen sind. Was einzelne Kulturbewegungen anstreben, das will die theosophische Strömung zu einer großen Einheit bilden. Sie will die Engherzigkeit, die Unduldsamkeit überwinden. Denn nur im vereinten Streben kann die Menschheit heute erreichen, was ihr Ziel ist. Die Theosophische Gesellschaft besteht nicht zum egoistischen Streben ihrer Mitglieder. Es ist ein Irrtum, wenn man sich ihr anschliesst zum Zwecke der eigenen Förderung. Sie will für die Menschheit da sein, sie will in deren Dienst arbeiten. (S. 543)

GA 34, »Von der theosophischen Arbeit«, urprünglich in: Zeitschrift »Luzifer«, Juni 1903


»Der oberste Grundsatz der Theosophischen Gesellschaft ist: »den Kern einer brüderlichen Gemeinschaft zu bilden, die sich über die ganze Menschheit, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der Gesellschaftsklasse, der Nationalität und des Geschlechts erstreckt.« Dies ist sogar der einzige Grundsatz, der für die Mitglieder dieser Gesellschaft als verbindlich betrachtet wird. Alle übrigen Bestrebungen sollen ja nur Mittel zu dem großen Ziele sein, das in dieser wesentlichen Forderung ausgesprochen wird.«

GA 34, S. 433, »Theosophie und Sozialismus«, urprünglich in: Zeitschrift »Luzifer«, 10./11. 1903


1904:

Der individuelle Geist des Menschen steht über allen Kollektivmerkmalen

»Es gibt nur eine menschliche Gattung. Wie groß auch die Unterschiede der Rassen, Stämme, Völker und Persönlichkeiten sein mögen: in physischer Beziehung ist die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Mensch größer als die zwischen dem Menschen und irgendeiner Tiergattung.

Alles, was in der menschlichen Gattung sich ausprägt, wird bedingt durch die Vererbung von den Vorfahren auf die Nachkommen. Und die menschliche Gestalt ist an diese Vererbung gebunden. Wie der Löwe nur durch Löwenvorfahren, so kann der Mensch nur durch menschliche Vorfahren seine physische Gestalt erben.

So wie die physische Ähnlichkeit der Menschen klar vor Augen liegt, so enthüllt sich dem vorurteilslosen geistigen Blicke die Verschiedenheit ihrer geistigen Gestalten. –

Es gibt eine offen zutage liegende Tatsache, durch welche dies zum Ausdrucke kommt. Sie besteht in dem Vorhandensein der Biographie eines Menschen. Wäre der Mensch bloßes Gattungswesen, so könnte es keine Biographie geben. Ein Löwe, eine Taube nehmen das Interesse in Anspruch, insofern sie der Löwen-, der Taubenart angehören. Man hat das Einzelwesen in allem Wesentlichen verstanden, wenn man die Art beschrieben hat. Es kommt hier wenig darauf an, ob man es mit Vater, Sohn oder Enkel zu tun hat. Was bei ihnen interessiert, das haben eben Vater, Sohn und Enkel gemeinsam.

Was der Mensch bedeutet, das aber fängt erst da an, wo er nicht bloß Art-, oder Gattungs-, sondern wo er Einzelwesen ist. ...

Wer über das Wesen der Biographie nachdenkt, der wird gewahr, dass in geistiger Beziehung jeder Mensch eine Gattung für sich ist. – Wer freilich Biographie bloß als eine äußerliche Zusammenstellung von Lebensereignissen fasst, der mag behaupten, dass er in demselben Sinne eine Hunde- wie eine Menschenbiographie schreiben könne.

Wer aber in der Biographie die wirkliche Eigenart eines Menschen schildert, der begreift, dass er in ihr etwas hat, was im Tierreiche der Beschreibung einer ganzen Art entspricht.«

GA 4, Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung, Berlin 1904, S. 70-71


Rassenvorurteile müssen bekämpft werden

»Zu den Eigenschaften, die [auf dem Weg der spirituellen Entwicklung] bekämpft werden müssen, […] gehören das Unterschiedmachen in Bezug auf Menschen nach äußerlichen Rang-, Geschlechts-, Stammeskennzeichen und so weiter. In unserer Zeit wird man recht schwer begreifen, dass die Bekämpfung solcher Eigenschaften etwas zu tun habe mit der Erhöhung der Erkenntnisfähigkeit. ... Schon in gewöhnlichem Sinne ist es richtig, dass mich die Furcht vor einer Erscheinung hindert, sie klar zu beurteilen, dass mich ein Rassenvorurteil hindert, in eines Menschen Seele zu blicken. Diesen gewöhnlichen Sinn muss der Geheimschüler in großer Feinheit und Schärfe bei sich zur Entwickelung bringen.«

Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? 1904, GA 10, S. 69 f


Hüter der Schwelle
»Wo Es war, soll Ich werden«


»Nun hängt der »Hüter der Schwelle« aber noch mit anderem zusammen. Der Mensch gehört einer Familie, einem Volke, einer Rasse an; sein Wirken in dieser Welt hängt von seiner Zugehörigkeit zu einer solchen Gesamtheit ab. Auch sein besonderer Charakter steht damit im Zusammenhange. Und das bewusste Wirken der einzelnen Menschen ist keineswegs alles, womit man bei einer Familie, einem Stamme, Volke, einer Rasse zu rechnen hat. Es gibt ein Familien-, Volks- usw. Schicksal, wie es einen Familien-, Rassen- usw. Charakter gibt. ...

Und in dem Leben einer Familie, eines Volkes, einer Rasse wirken außer den einzelnen Menschen auch die ganz wirklichen Familienseelen, Volksseelen, Rassengeister. Ja, in einem gewissen Sinne sind die einzelnen Menschen nur die ausführenden Organe dieser Familienseelen, Rassegeister usw. ...

Nun wird der Sinnesmensch jedoch keineswegs in den höheren Plan seiner Arbeit eingeweiht. Er arbeitet unbewusst an den Zielen der Volks-, Rassenseelen usw. mit. Von dem Zeitpunkte an, wo der Geheimschüler dem »Hüter der Schwelle« begegnet, hat er nicht bloß seine eigenen Aufgaben als Persönlichkeit zu kennen, sondern er muss wissentlich mitarbeiten an denen seines Volkes, seiner Rasse. ...

Eine weitere Enthüllung, die ihm nun der »Hüter der Schwelle« macht, ist die, dass fernerhin diese Geister [des Kollektivs] ihre Hand von ihm abziehen werden. Er muss aus der Gemeinsamkeit ganz heraustreten. Und er würde sich als Einzelner vollständig in sich verhärten, er würde dem Verderben entgegengehen, wenn er nun nicht selbst sich die Kräfte erwürbe, welche den Volks- und Rassegeistern eigen sind. ...

Erst der Geheimschüler lernt erkennen, was es heißt, ganz verlassen sein von Volks-, Stammes-, Rassegeistern. Erst er erfährt an sich selbst die Bedeutungslosigkeit aller solcher Erziehung für das Leben, das ihm nun bevorsteht. ... Er blickt auf die Ergebnisse aller bisherigen Erziehung zurück, wie man auf ein Haus blicken müsste, das in seinen einzelnen Ziegelsteinen auseinanderbröckelt und das man nun in neuer Form wieder aufbauen muss.

Es ist wieder mehr als ein bloßes Sinnbild, wenn man sagt: ... Der »Hüter der Schwelle« zieht nunmehr einen Vorhang hinweg, der bisher tiefe Lebensgeheimnisse verhüllt hat. Die Stammes-, Volks- und Rassengeister werden in ihrer vollen Wirksamkeit offenbar; und der Schüler sieht ebenso genau, wie er bisher geführt worden ist, als ihm anderseits klar wird, dass er nunmehr diese Führerschaft nicht mehr haben wird. ...

Unvorbereitet könnte den hier angedeuteten Anblick allerdings niemand ertragen; aber die höhere Schulung, welche dem Menschen überhaupt möglich macht, bis zur Schwelle vorzudringen, setzt ihn zugleich in die Lage, im entsprechenden Augenblicke die notwendige Kraft zu finden. ...

Dann wird für den Geheimschüler das Erlebnis an der Schwelle von einem Vorgefühle jener Seligkeit begleitet sein, welche den Grundton seines neu erwachten Lebens bilden wird. Die Empfindung der neuen Freiheit wird alle anderen Gefühle überwiegen; und mit dieser Empfindung werden ihm die neuen Pflichten und die neue Verantwortung wie etwas erscheinen, das der Mensch auf einer Stufe des Lebens übernehmen muss.

Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? 1904, GA 10, S. 141-144


Das Ideal der Brüderlichkeit muss verwirklicht werden

»Nun wird man vor allen Dingen verstehen, was diese theosophische Bewegung will, und warum sie zunächst so missverstanden worden ist. Missverstanden musste sie werden. Das hängt mit der Zeitentwicklung zusammen. Lassen Sie mich den tiefsten Grund des Mißverständnisses in der neuesten Wissenschaft berühren. Der «Kampf ums Dasein» habe die Menschen auf eine hohe Entwickelungsstufe gebracht, so glaubten die Menschen. Aber eigentümlich ist es, dass diese Weltanschauung schon im Anfange des 19. Jahrhunderts aufgetreten ist als Lamarckismus. Nichts wesentlich Neues lehrte Darwin. Aber erst sein Darwin hat diese Anschauung eine weitere Verbreitung gefunden. Das hängt mit den Lebensverhältnissen des 19. Jahrhunderts zusammen. Das Leben war anders geworden. Das soziale Leben war selbst ein Kampf ums Dasein geworden. Als die Darwinsche Lehre allgemeine Verbreitung fand, da war der «Kampf ums Dasein» Realität, und er ist es noch heute. Er war es damals bei der Ausrottung der Völkerstämme in Amerika und auch bei denen, die bemüht sind, äußeren Wohlstand zu erreichen:

Niemand dachte etwas anderes, als wie das «Wohl» am besten zu erreichen sei. [...]

Dann kam man zu der merkwürdigen Lehre des Malthus, zu dem Malthusianismus, zu jener Lehre, welche sagt, dass die Menschheit sich viel rascher entwickelt als die für sie nötigen Lebensmittel, so dass es allmählich zu einem solchen Kampf ums Dasein im Menschenreich selbst kommen muss. Man hat geglaubt, dass der Kampf notwendig sein wird, weil die Nahrungsmittel nicht ausreichen. Man mochte es als traurig ansehen, dass es so sei, aber man glaubte, dass es so sein müsse. Für Darwin war der Malthusianismus der Ausgangspunkt zu seiner Lehre. Weil man glaubte, dass der Mensch seinen Kampf ums Dasein kämpfen müsse, deshalb glaubte er, dass der Kampf auch in der ganzen Natur so sein müsse. Hinausgetragen hat der Mensch seinen sozialen Kampf ums Dasein in die Lebenswelt, in die Himmelswelt.

Man hatte sich viel damit zugute getan, als man sich sagte, der neue Mensch sei bescheiden geworden. Er soll nichts mehr sein als ein kleines Wesen auf dem Staubkorn Erde, während er früher nach Erlösung strebte. Der Mensch ist aber nicht bescheiden geworden! Indem man das, was als sozialer Kampf in der Menschheit vorhanden ist, in die Welt hinausprojizierte, hat man die Welt zum Abbild des Menschen gemacht. Hat der Mensch früher seine Seele betrachtet, sie von allen Seiten durchforscht um von hier aus die Weltseele zu erkennen, so hat er jetzt die physische Welt erforscht und sie sich so vorgestellt, dass er in ihr ein Bild der Menschheit mit ihrem Kampf ums Dasein sieht.

[...]

»Hat in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Mensch geglaubt, nur durch Kampf zur Vollkommenheit vorzudringen und dadurch den Kampf zum großen Weltgesetz gemacht, so müsste er jetzt lernen, das in seiner Seele auszubilden, was das Gegenteil des Kampfes ist: die Liebe, welche das Glück und das Wohlergehen des einzelnen nicht trennen kann von dem Glück und dem Wohlergehen des anderen; welche in dem anderen nicht denjenigen sieht, auf dessen Kosten man vorwärtskommen kann, sondern denjenigen, dem man helfen muss. Wird die Liebe in der Seele geboren, dann wird der Mensch auch in der Außenwelt die schaffende Liebe sehen können.«

GA 53, Ursprung und Ziel des Menschen, 29.7.1904, S. 37-39


Menschenverbrüderung ist das Ziel der Theosophie

»Will der Mensch den Liebe schaffenden und Liebe ausströmenden Gott erkennen, dann muss er seine Seele selbst zur Liebe heranbilden. Das ist der wichtigste Grundsatz, den die theosophische Bewegung zu dem ihrigen gemacht hat: Den Kern einer allgemeinen Menschenverbrüderung zu bilden, welche auf Menschenliebe gebaut ist. Dadurch wird die theosophische Bewegung die Menschheit in umfassender Weise zubereiten zu einer Weltanschauung, in der nicht der Kampf, sondern die Liebe schafft und bildet.«

GA 53, Ursprung und Ziel des Menschen, 29.9.1904, S. 25


Nietzsches blonde Bestie: ein Vorspuk der Wollust am Bösen

»Was in der fünften Runde (in Jahrhunderttausenden) für die ganze Menschheit eintreten wird, dass die äußere Physiognomie, die sich jeder schafft, ein unmittelbarer Ausdruck dessen sein wird, was Karma bis dahin aus dem Menschen geschaffen hat, das wird, wie ein Vorklang zu diesem Zustand, in der sechsten Wurzelrasse (ab ca. 6000 nach Chr.) innerhalb des Geistigen eintreten.

Bei denjenigen, bei denen das Karma einen Überschuss an Bösem ergibt, wird innerhalb des Geistigen das Böse ganz besonders hervortreten. Auf der einen Seite werden dann Menschen da sein von einer gewaltigen inneren Güte, von Genialität an Liebe und Güte; aber auf der anderen Seite wird auch das Gegenteil da sein. Das Böse wird als Gesinnung ohne Deckmantel bei einer großen Anzahl von Menschen vorhanden sein, nicht mehr bemäntelt, nicht mehr verborgen. Die Bösen werden sich des Bösen rühmen als etwas besonders Wertvollem. Es dämmert schon bei manchen genialen Menschen etwas auf von einer gewissen Wollust an diesem Bösen, diesem Dämonischen der sechsten Wurzelrasse. Nietzsches »blonde Bestie« ist zum Beispiel so ein Vorspuk davon.«

GA 93, Die Tempellegende und die goldene Legende, Vortrag über den Manichäismus am 11. November 1904 in Berlin, vor Mitgliedern der Esoterischen Schule der TG, S. 77


1905:

An die Stelle des Kampfs ums Dasein muss die gegenseitige Hilfe treten

»Nun aber sehen wir uns einmal den Zweck des Kampfes an, ob der Kampf um des Kampfes willen in der Weltenordnung da ist. Was ist denn geworden aus dem Kampf der Arten? Es sind diejenigen Arten übrig, welche sich am meisten gegenseitig unterstützen, und diejenigen, welche unter sich am kriegerischsten sind, die sind zugrunde gegangen. So lautet das Naturgesetz. Daher müssen wir sagen, dass in der äußeren Natur der Fortschritt in der Entwicklung darin besteht, dass an die Stelle des Kampfes der Friede tritt. Da wo die Natur an einem bestimmten Punkte, an dem großen Wendepunkte angelangt ist, da herrscht in der Tat der Ausgleich; der Friede, zu dem sich der ganze Kampf durchgebildet hat, ist vorhanden. Bedenken Sie doch einmal, dass Pflanzen untereinander als Arten einen Daseinskampf führen. Aber bedenken Sie, wie schön und großartig sich das Pflanzen- und Tierreich in ihrem gemeinschaftlichen Entwicklungsprozess gegenseitig unterstützen: Das Tier atmet Sauerstoff ein und Kohlendioxid aus, die Pflanze atmet Sauerstoff aus und Kohlendioxid ein. So ist ein Friede des Universums möglich.

Was die Natur auf diese Weise durch ihre Kraft hervorbringt, es ist für den Menschen bestimmt, dass er es bewusst aus seiner individuellen Natur hervorbringe. [...]

Wir haben ja gesehen, dass die gegenwärtigen Arten der Tiere durch ihre gegenseitige Hilfe zu ihrer Vollkommenheit sich entwickelt haben, und dass der Kampf nur von Art zu Art gewaltet hat. Wenn aber die menschliche Individualität dasselbe ist wie die Gruppenseele der Tiere, dann wird die menschliche Seele zu einem Selbstbewusstsein nur kommen können, indem sie denselben Kampf durchmacht wie die Tiere draußen in der Natur. Solange der Mensch noch nicht die Selbständigkeit ganz herausentfaltet hat, solange wird der Kampf noch dauern. Aber der Mensch ist dazu berufen, in bewusster Weise das zu erreichen, was draußen auf dem physischen Plane da ist. Daher wird es ihn führen auf den Bewusstseinsstufen seines Reiches zu gegenseitiger Hilfe und Unterstützung, weil das Menschengeschlecht eine einzige Art ist. Und die Kampflosigkeit, wie sie im Tierreich zu finden ist, muss in bezug auf das ganze Menschengeschlecht erst erreicht werden: ein vollständiger, allumfassender Friede. Nicht der Kampf hat die einzelne Tierart groß gemacht, sondern die gegenseitige Hilfe und Unterstützung. Dasjenige, was als Gruppenseele in der Tierart als einzelne Seele lebt, das ist friedlich mit sich selbst, das ist die einheitliche Seele. Nur die menschliche individuelle Seele ist in diesem physischen Sondersein eine besondere.

Das ist die große Errungenschaft für unsere Seele, die wir aus der spirituellen Entwicklung uns aneignen, dass wir in Wahrheit erkennen die gemeinschaftliche Seele, welche das ganze Menschengeschlecht durchzieht, die Einheit in der ganzen Menschheit, die wir nicht als unbewusstes Geschenk empfangen, sondern die wir uns bewusst erringen müssen. Diese einheitliche Seele im ganzen Menschengeschlecht wahrhaft und wirklich zu entwickeln, das ist die Aufgabe der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung. Das spricht sich in unserem ersten Grundsatz aus: einen Bruderbund zu gründen über die ganze Erde hin, ohne Rücksicht auf Rasse, Geschlecht, Farbe und so weiter. Das ist die Anerkennung der Seele, die der ganzen Menschheit gemeinsam ist. Bis in die Leidenschaften hinein muss die Läuterung stattfinden, die es dem Menschen selbstverständlich macht, dass in seinem Bruder die gleiche Seele lebt. Im Physischen sind wir getrennt, im Seelischen sind wir eine Einheit als Ich des Menschengeschlechtes. Aber nur im wahren wirklichen Leben könne wir das erfassen und uns da hineinfinden.«

GA 54, Die Welträtsel und die Anthroposophie, 12.10.1905, S. 46-53


Kern einer allgemeinen Bruderschaft

»Wir rücken mehr und mehr der Lösung dieser Rätsel nahe und wir können begreifen, dass wir in der Zukunft durch andere Epochen zu gehen haben, dass wir andere Wege zu gehen haben, als die Rasse sie machte. Wir müssen uns klar darüber sein, dass Seelen- und Rassenentwickelung unterschiedlich sind. [...] so begreifen wir auch den Grundsatz, den Kern einer allgemeinen Bruderschaft zu begründen ohne Rücksicht auf Rasse, Farbe, Stand und so weiter.«

GA 54, Die Welträtsel und die Anthroposophie, 9.11.1905, S. 153/4


Was die Natur auf diese Weise durch ihre Kraft hervorbringt, es ist für den Menschen bestimmt, dass er es bewusst aus seiner individuellen Natur hervorbringe. Stufenweise ist der Mensch fortgeschritten und stufenweise hat sich bei ihm dasjenige gebildet, was wir als das Selbstbewusstsein unserer individuellen Seele erkennen. Unsere Weltlage müssen wir so betrachten, dass wir sie herausentwickelt denken und dann ihre Tendenz nach der Zukunft hin verfolgen. Gehen Sie zurück in frühere Zeiten, dann sehen Sie im Menschenreiche bei seinem Aufgange noch Gruppenseelen walten, die in kleinen Stämmen und Familien vorhanden sind; da haben wir es also auch beim Menschen mit Gruppenseelen zu tun. Je weiter Sie in der Welt zurückblicken, desto kompakter, desto einheitlicher erscheinen Ihnen die Menschen, die so zusammengefasst sind. Wie ein Geist ist es, der die alte Dorfgemeinde durchdrang, die dann zum primitiven Staate wurde. Sie könnten studieren, wie es noch etwas anderes war, als Alexander der Große seine Massen in den Krieg führte, als wenn heute Menschenmassen mit ihren viel ausgebildeteren individuellen Willen in einen Krieg geführt werden. Das muss man richtig beleuchten. Denn das ist der Gang der fortschreitenden Kultur, dass die Menschen immer individueller, selbständiger und bewusster werden, selbstbewusster. Aus Gruppen, aus Gemeinsamkeiten hat sich das Menschengeschlecht herausgebildet. Und geradeso wir wir Gruppenseelen haben, welche die einzelnen Tierarten leiten und lenken, so waren die Völker geleitet und gelenkt von den großen Gruppenseelen. Immer mehr und mehr entwächst der Mensch durch seine fortschreitende Erziehung der Lenkung der Gruppenseele und wird immer selbständiger und selbständiger.«

GA 54, Die Welträtsel und die Anthroposophie, 12.10.1905, S. 46-53


1906:

Christentum überwindet Blutsverwandtschaft

»Bei den verschiedenen Völkern ist die Fernehe zu verschiedenen Zeiten eingeführt worden, aber es existiert ein eigenartiger Zusammenhang zwischen dem Übergang zur Fernehe und der Ausbildung des Verstandes. ... Die verstandesmäßige Erfassung der Dinge erwacht. Heute ist die Menschheit der Fernehe angepasst, wie sie es früher der Verwandtschaftsehe war. ... Diese ... Tatsache steht in engem Zusammenhang mit der Menschheitsentwickelung. Sie war notwendig, um das Erscheinen des Christentums vorzubereiten. Hätte dieses unter andern Bedingungen entstehen können? Es bringt die Liebe der Seele zur Seele, das Wirken von Seele auf Seele. Die Blutsverwandtschaftsliebe musste erst überwunden werden. Die Völker werden überhaupt erst reif für das Christentum werden, wenn sie die Verwandtschaftsliebe überwunden haben. ...
Mehr und mehr werden sich die Unterschiede zwischen Menschen und Völkern abschleifen und der erste Satz der Prinzipien der Theosophischen Gesellschaft in Kraft treten: den Kern einer Menschenbruderschaft zu bilden. Die Liebe der Blutsverwandtschaft wird immer mehr überwunden werden, und man wird mehr die seelischen Zusammenhänge suchen.

GA 97, Das christliche Mysterium, 29.04.1906


Christus führt über die Rassendifferenzen hinaus

»Der mein Brot isset, der tritt mich mit Füßen« (Joh. 13,18). Christus »führt ... über die Rasse hinaus zur ganzen Erdenmenschheit, zu allen Völkern und Rassen des ganzen Planeten. Christus Jesus ist der Repräsentant dafür; er trägt die ganze Menschheit in sich. ... Christus Jesus ist derjenige, der im Extrakt das Bewusstsein der ganzen Menschheit umfasst.«

GA 94, Kosmogonie, 2.11.1906, S. 263


»Eine Wurzelrasse heißt in der Geheimwissenschaft ein Schöpfungstag.«

GA 245, 14.11.1906, S.101-102


Bis in die Seele hinein müssen sich die Menschen auf der ganzen Erde verstehen können

»Den Erdkreis hat der Mensch umspannt mit Industrie und Handel; ohne Unterschied von Nation und Rassen wirken Industrie und Handel. Die Maschine bereitet dieselben Fabrikate in Japan, Brasilien und Europa. Dieselben Eisenbahnen durchqueren den Erdball auf allen Gebieten ohne Unterschied von Rasse, Nation und Stand. Die Unterschiede in der Menschheit sind gefallen in unserem Kulturkörper. Der Scheck, der hier in Berlin ausgestellt wird, kann eingelöst werden in Tokio. Alles in unserer Kultur hat sich so vollzogen, dass wir als Grundsatz der dritten Periode aufstellen können, was kein Mensch als Grundsatz hätte hinstellen können, als diese Kultur eingeleitet werden sollte, am Ausgangspunkt unserer Kultur: Wir wollen eine Kultur begründen, die den Erdball umspannt, ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Beruf und Bekenntnis. Das ist die materielle Kultur, die unter diesem Motto den Erdkreis, den Erdball umspannt hat. Diese Kultur muss Seele erhalten. Und diese Kulturseele in sie hineinzuführen, das ist die Aufgabe der vierten Epoche der Menschheit, das ist die Aufgabe der Anthroposophie und unserer Lebensführung. Eine materielle Kultur haben wir, und eine geistige Kultur mit denselben Eigenschaften brauchen wir. Stark sind die Menschen da, wo sie die moralische Verbindung begründet haben. Der japanische Händler versteht die Händler aller anderen Länder. Bis in die Seele hinein müssen sich die Menschen wieder verstehen können. Das wird auch sein, wenn diese Errungenschaften auch für die Menschenwissenschaft fruchtbar gemacht werden. Der Kulturkörper hat drei Epochen. Er braucht Kulturseele. Kulturgeist muss die vierte Epoche bringen. Das ist der große Grundgedanke, das große Ziel, das die große Kulturbewegung haben muss, wenn sie etwas anderes sein will als ein bloßes Spiel für diejenigen, welche nichts anderes zu tun haben, als über mystische Gedanken zu grübeln. [...]

So ist die Anthroposophie, das anthroposophisch verstandene Christentum keine Lehre, kein Dogma, keine Sektiererei, sondern es ist etwas anderes, es ist Leben, es ist etwas in die Zukunft hineinweisendes, es ist etwas, was das Herz höher schlagen macht im besten Sinne des Wortes, es ist etwas, was die Seele erhebt zu den größten Aufgaben der Gegenwart, weil die größten Aufgaben allein dem segensreichen Hoffen für die Zukunft entsprechen können. Dann werden wir das Christentum begriffen haben, wenn es uns Leben gibt für die Zukunft.«

GA 54, 1.2.1906, Die Welträtsel und die Anthroposophie, S. 276-278


1907:

Volksmerkmale werden verschwinden

»Tacitus gibt in seiner Germania hundert Jahre nach Christus ein Bild der einzelnen germanischen Volksgruppen. Da fühlten sich alle Glieder einer Gruppe zueinander gehörig, mit Unterschieden natürlich, denn alles in der Menschheitsentwicklung ist gradweise. Da sahen sich auch alle Angehörigen einer Gruppe gleich. Die ausgeprägt individuellen Physiognomien sind das Zeichen für die Entfernung der einzelnen Seele von der Gruppenseele. [...] Wir müssen diese Tatsache festhalten, dass die ausgeprägte Physiognomie der Beweis ist dafür, dass die Individualität gestaltend auf den Leib wirkt. Dies wird bei weiterentwickelten Menschengeschlechtern immer noch mehr ausgeprägt werden. Es wird eine Zeit kommen, wo der Volkscharakter ganz zurücktritt. Wird eine Seele einmal hier in dieser, einmal in jener Nation inkarniert, so verschwinden die Nationalunterschiede, da wird jeder immer mehr sich selbst gleich sehen, je mehr sich seine Individualität durchgearbeitet hat. [...] je größer der Bund, je allgemeiner der Menschenbund, desto individueller werden die Seelen und Charaktere. Es entsteht nicht etwa ein Mischmasch, sondern je mehr Unterschiede fallen, desto mehr Individualität.«

GA 97, Das christliche Mysterium, 16.3.1907, S. 311


Alle Rassen- und Stammesmerkmale werden aufhören

»In den ersten atlantischen Rassen bestand noch ein starkes Zusammengehörigkeitsband, so dass die ersten Unterrassen sich auch nach der Farbe gliederten, und dieses Gruppenseelenelement haben wir noch in den verschiedenfarbigen Menschen. Diese Unterschiede werden immer mehr verschwinden, je mehr das individuelle Element die Oberhand gewinnt. Es wird eine Zeit kommen, wo es keine verschiedenfarbigen Rassen mehr geben wird. Der Unterschied in bezug auf die Rassen wird aufgehört haben, dagegen werden individuell die größten Unterschiede bestehen.

[...]

Es wird dahin kommen, dass alle Rassen- und Stammeszusammenhänge wirklich aufhören. Der Mensch wird vom Menschen immer verschiedener werden. Die Zusammengehörigkeit wird nicht mehr durch das gemeinsame Blut vorhanden sein, sondern durch das, was Seele an Seele bindet. Das ist der Gang der Menschheitsentwicklung.«

GA 99, Die Theosophie des Rosenkreuzers, 4.6.1907


Der Begriff der Rasse verliert seinen Sinn

»So geht, indem wir uns vom fünften in das sechste und dann in das siebente Zeitalter hinüberentwickeln, der alte Zusammenhang in Stammes- und Blutsverbänden immer mehr verloren. Die Menschheit mischt sich, um sich von geistigen Gesichtspunkten aus zu gruppieren. Es war eine Ungezogenheit, in der Theosophie von den Rassen so zu sprechen, als ob sie immer bleiben würden. Der Begriff der Rasse verliert schon für die nächste Zukunft, womit allerdings Tausende von Jahren gemeint sind, seinen Sinn. Das ewige Reden, dass immer in der Welt sich sieben und sieben Rassen entwickelt hätten, das ist die spekulative Ausdehnung eines Begriffes, der nur für unser Zeitalter nach rückwärts und vorwärts gilt; von der Sehergabe, vom Okkultismus ist das nie gesagt worden. Wie alles entsteht, so sind auch die Rassen entstanden, und wie alles wieder vergeht, werden auch die Rassen wieder vergehen, und jene, die immer nur von Rassen gesprochen haben, die werden sich daran gewöhnen müssen, ihre Begriffe flüssig zu machen. Das ist nur eine Bequemlichkeit! Wenn man ein wenig nur in die Zukunft blickt, gelten schon die Begriffe nicht mehr, die man in der Vergangenheit und Gegenwart angewendet hat. Das ist die Hauptsache, dass der Mensch nicht dasjenige, was er einmal in einen schönen Begriff gebracht hat, nun für eine ewige Wahrheit hält. Man wird sich daran gewöhnen müssen, die Begriffe flüssig zu machen, zu erkennen, dass Begriffe sich verändern, und das wird ein Fortschritt sein. Diese Möglichkeit, von starren, dogmatischen Begriffen überzugehen in flüssige, das ist es, was ausgebildet werden muss in denjenigen Menschen, die die Träger der Zukunft sein wollen. Denn so, wie die Zeiten sich ändern, müssen sich auch unsere Begriffe ändern, wenn wir diese Zeiten verstehen wollen.«

GA 99, Die Theosophie des Rosenkreuzers, 5.6.1907, 5. 144/5


Rassismus als eine Form der schwarzen Magie

»Die erste schwarzmagische Handlung ist der Verrat okkulter Geheimnisse ... Real wird es überall da, wo im Dienste ... irgendeiner begrenzten Körperschaft, die keinen Zusammenhang haben will mit der im Dienste der Menschheit stehenden Erdenführung, okkulte Geheimnisse ins Werk gesetzt werden. Erhält also zum Beispiel der Mensch diejenigen Dinge, die er nur dann anwenden darf, wenn er über alle nationalen und Rassenvorurteile hinweg ist, früher ausgeliefert, wendet er sie an, bevor er über diese Vorurteile hinweg ist und bevor er eine Ahnung davon hat, was es heißt, ein »heimatloser Mensch« zu sein, dann geht ganz genau dasselbe, was sonst weiße Magie ist, in den Dienst der schwarzen Magie über. Ganz genau dasselbe. Wenn dasjenige, was der Menschheit dienen soll, verwendet wird in dem Dienst einer abgesonderten Rasse, etwa um dieser Rasse die Oberherrschaft über die Erde zu verschaffen, dann ist das im großen Maßstabe schwarze Magie, denn es geschieht nicht im Einklang mit der Erdenführung. Es ist das erste Erfordernis: hinaus zu sein über das, was uns nur mit einem Teil der Menschheit verbindet.«

GA 101, »Mythen und Sagen.« 21.10.1907, anlässlich der Generalversammlung der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft in Berlin, nachmittags in einem Vortrag über »Weiße und schwarze Magie«


1908:

Nicht Rassen, sondern Kulturen – seit 10.000 Jahren

»Denn diese sieben aufeinanderfolgenden Stufen der Menschheit auf der alten Atlantis waren auch noch körperlich, inner- und außerkörperlich - zum äußeren Körper rechnet man auch die innere Konfiguration des Gehirns, des Blutes und der anderen Säfte - sehr voneinander verschieden, während gar keine Rede davon sein kann, dass etwa die erste Menschheit der nachatlantischen Zeit, die alten Inder [ca. 8.000 v. Chr.], von uns so weit verschieden waren, dass wir noch den Ausdruck »Rasse« darauf anwenden dürften. Man muss ja immer die Kontinuität der Theosophie festhalten, und daher ist es ja oft notwendig, an diesen alten Begriff der Rassen anzuknüpfen. Aber man erweckt doch zu leicht falsche Vorstellungen durch das Wort Rasse, weil man übersieht, dass das Einteilungsmotiv für die Menschheit, das wir heute haben, ein viel innerlicheres ist als das, welches mit dem Ausdruck der Rasse zusammenhängt. Und gar auf das, was unsere Kultur ablösen wird, die Kultur nach der siebenten Unterabteilung, wird überhaupt der Ausdruck Rasse nicht mehr angewendet werden dürfen, weil die Menschheit sich dann gliedern wird nach ganz anderen Grundgesetzen.«

GA 103, Das Johannes-Evangelium 1908, S. 168


Die Menschen werden lernen, dieses Band der Bruderliebe als das vollendete, als das vergeistigte Christentum aufzufassen

»Je mehr der Mensch individuell wird, desto mehr kann er Liebeträger werden. Wo das Blut die Menschen zusammenkettet, da lieben die Menschen aus dem Grunde, weil sie durch das Blut hingeführt werden zu dem, was sie lieben sollen. Wird dem Menschen die Individualität zuerteilt, hegt und pflegt er den Gottesfunken in sich, dann müssen die Impulse der Liebe, die Wellen der Liebe von Mensch zu Mensch gehen aus freiem Herzen heraus. Und so hat der Mensch mit diesem neuen Impuls das alte Band der Liebe, die an das Blut gebunden ist, bereichert. Die Liebe geht nach und nach über in die geistige Liebe, die von Seele zu Seele fließt, die zuletzt die ganze Menschheit umfassen wird mit einem gemeinschaftlichen Bund allgemeiner Bruderliebe. Der Christus Jesus aber ist die Kraft, die lebendige Kraft, durch die, so wie sie in der Geschichte war, wie sie sich äußeren Augen zeigte, zum ersten Mal die Menschheit zur Verbrüderung gebracht worden ist. Und die Menschen werden lernen, dieses Band der Bruderliebe als das vollendete, als das vergeistigte Christentum aufzufassen.«

GA 104, Die Apokalypse des Johannes, 1908, Öffentlicher Vortrag in Nürnberg, 17.6.1908, S. 28-29


Heute hat schon der Kulturbegriff den Rassenbegriff abgelöst

»Deshalb sprechen wir auch von Kulturzeitaltern im Gegensatz zu Rassen. Alles das, was etwa verknüpft ist mit dem Rassenbegriff, ist noch Überbleibsel des Zeitraumes, der dem unseren vorangegangen ist, des atlantischen. Wir leben im Zeitraum der Kulturepochen. Die Atlantis war der Zeitraum, wo sich nach und nach sieben aufeinanderfolgende große Rassen bildeten. Natürlich, die Früchte dieser Rassenbildung ragen herein auch in unser Zeitalter, daher spricht man auch heute noch von Rassen. Das sind aber schon Verwischungen jener scharfen Trennungen in der atlantischen Zeit. Heute hat schon der Kulturbegriff den Rassenbegriff abgelöst. Daher sprechen wir von der alten indischen Kultur, von welcher die Kultur, die uns in den Veden angekündigt wird, nur ein Nachklang ist. Die uralt-heilige indische Kultur ist die erste Morgenröte der nachatlantischen Kultur, sie folgt unmittelbar auf die atlantische Zeit.«

GA 104, Die Apokalypse des Johannes, 20. Juni 1908, S. 69


Im Altertum war das individuelle Ich noch in den Stamm eingebettet

»Wir brauchen nur zurückzugehen in die Zeit, als die Cherusker, Heruler und so weiter in den Gegenden wohnten, wo heute die Deutschen leben. Da fühlte sich der einzelne nicht als Einzelmenschen-Ich, sondern als Glied seines Stammes. Wie die Finger sich nicht fühlen als etwas für sich Bestehendes, so fühlte der einzelne Cherusker nicht in der Weise, dass er zu sich unbedingt Ich sagte. Das Ich war das Ich des ganzen Stammes. Der Stamm stellte einen Organismus dar, und zusammengehörige Gruppen von Menschen, die in der Blutsverwandtschaft verbunden waren, hatten sozusagen eine gemeinschaftliche Ich-Seele. Wie heute Ihre zwei Arme zu Ihrem Ich gehören, so waren Sie selbst Glieder einer größeren Gemeinschaft in jenen Zeiten.

Das ist ja noch deutlich ausgesprochen bei dem Volke, das sich bekennt zum Alten Testamente. Da fühlte sich als ein Glied des Volkes jeder einzelne. Es ist so, dass der einzelne nicht im höchsten Sinne von sich sprach, wenn er das gewöhnliche Ich aussprach, sondern dass er etwas Tieferes fühlte, wenn er sagte: «Ich und der Vater Abraham sind eins.» Denn für ihn ging bis Abraham hinauf ein gewisses Ich-Bewusstsein, das durch alle Generationen von Abraham bis zum einzelnen herunterkam. Was blutsverwandt war, das war in einem Ich beschlossen. Es war wie eine gemeinsame Ich-Gruppenseele, die das ganze Volk umfasste, und diejenigen, die die Dinge durchschauten, sagten sich: Das, was wirklich unser innerstes, unvergängliches Wesen ausmacht, das wohnt nicht im einzelnen, das wohnt im ganzen Volke. Alle einzelnen Glieder gehören zu diesem gemeinsamen Ich. Daher war sich auch jeder solcher Bekenner klar: Stirbt er, dann vereinigt er sich mit einer unsichtbaren Wesenheit, die hinaufgeht bis zum Vater Abraham. Wirklich fühlte der einzelne, dass er hinaufkam in den Schoß Abrahams. Da fühlte er sich wie im Unvergänglichen geborgen in der Gruppenseele des Volkes. Diese Gruppenseele des ganzen Volkes konnte nicht heruntersteigen auf den physischen Plan. Da sahen sie nur einzelne Menschengestalten. Aber die waren ihnen nicht die Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit war in der geistigen Welt. Sie ahnten, dass das, was durch das Blut fließt, das Göttliche sei. Und weil sie den Gott sehen mussten in Jehova, nannten sie dieses Göttliche Jahve, oder auch sein Antlitz: Michael. Als geistige Gruppenseele des Volkes betrachteten sie Jahve.

Der einzelne Mensch hier konnte diese geistigen Wesenheiten nicht sehen. Der Eingeweihte, der den großen Moment erlebte, wo der astralische Leib in den Ätherleib hineingedrückt wurde, der bekam zuerst die wichtigsten Gruppenseelen zu schauen.

Wenn wir nämlich zurückschauen in die alten Zeiten der Menschheit, so finden wir überall, dass das gegenwärtige Ich sich herausentwickelt hat aus solchem Gruppenbewusstsein, Gruppen-Ich, so dass für den Seher, wenn er zurückschaut, die einzelnen Menschen immer mehr zusammenströmen in die Gruppenseelen.

GA 104, Die Apokalypse des Johannes 1908, Mitgliedervortrag in Nürnberg, 19.6.1908, S. 97-98


Christentum heißt: Bruderliebe zu entfalten über die ganze Erde hin

»Das ist wiederum der Fortschritt gegenüber der früheren atlantischen Zeit, dass damals an einem kleinen Ort die Kolonie sich entwickelte, bei uns aber die Möglichkeit gegeben ist, dass über die ganze Erde hin aus allen Stämmen sich diejenigen herausrekrutieren, die wirklich den Ruf der Erdenmission verstehen, die es verstehen, den Christus in sich lebendig zu machen, das Prinzip der Bruderliebe zu entfalten über die ganze Erde hin, und zwar entfalten im richtigen Sinn, nicht im Sinn der christlichen Konfessionen, sondern im Sinne des wahren esoterischen Christentums, das aus allen Kulturen hervorgehen kann.«

GA 101, Nürnberg, 24. Juni 1908, Die Apokalypse des Johannes, S. 151-152


Wir können noch von Rassen sprechen, aber nur in einem solchen Sinn, das der Rassenbegriff seine Bedeutung verliert

»Wenn man heute von Rassen spricht, bezeichnet man etwas, was nicht mehr ganz richtig ist. Auch in theosophischen Handbüchern werden hier große Fehler gemacht. Man spricht davon, dass unsere Entwicklung sich so vollzieht, dass Runden, und in jeder Runde Globen, und in jedem Globus Rassen sich hintereinander entwickeln, so dass wir also in allen Epochen der Erdenevolution Rassen haben würden. Das ist aber nicht so. Es hat zum Beispiel schon gegenüber der heutigen Menschheit keinen rechten Sinn mehr, von einer bloßen Rassenentwicklung zu sprechen. Von einer solchen Rassenentwicklung im wahren Sinne des Wortes können wir nur während der atlantischen Entwicklung sprechen. ... in unserer Zeit wird der Rassenbegriff in einer gewissen Weise verschwinden, da wird aller von früher her gebliebene Unterschied nach und nach verschwinden. So dass alles, was in bezug auf Menschenrassen heute existiert, Überbleibsel aus der Differenzierung sind, die sich in der atlantischen Zeit herausgebildet hat. Wir können noch von Rassen sprechen, aber nur in einem solchen Sinn, dass der eigentliche Rassenbegriff seine Bedeutung verliert.«

GA 105, Welt, Erde und Mensch, 16.08.1908, S. 183-184


Die atlantischen Eingeweihten strebten nach dem Ideal der allgemeinen Menschheit

»Was tat der atlantische Eingeweihte? ... Die Menschengestalt als Gedankenform stellte der Eingeweihte der Atlantis vor den sehenden Blick des Schülers hin, mit all den Impulsen und Empfindungen, die darin waren. ... Dieses Gedankenbild bekam er immer als Ideal. Er musste diesen Gedanken wollen: Mein physischer Leib soll werden wie dieses Bild. ...

Da blicken wir auf merkwürdige Geheimnisse zurück, da blicken wir in die Mysterien der atlantischen Zeit. Und auch ein anderes wird nun auffallen. Wie auch die Menschen gestaltet waren, eines schwebte vor ihrer Seele als Bild, das als Geistbild schon vorhanden war, als die Sonne mit der Erde noch vereint war. Und dieses Bild trat immer mehr heraus als der Sinn der Erde, als das, was der Erde geistig zugrunde liegt. Und dieses Bild erschien ihnen nicht in der oder jener Gestalt, als das Bild der oder jener Rasse, es erschien ihnen als das allgemeine Ideal der Menschheit. Das ist das Gefühl, das der Schüler sich an diesem Bilde hat entwickeln sollen: Die höchsten geistigen Wesen haben dieses Bild gewollt, dieses Bild, durch das Einheit kommt in die Menschheit. Dieses Bild ist der Sinn der Erdenentwicklung, dieses Bild zu verwirklichen, hat die Sonne sich getrennt von der Erde, ist der Mond herausgetreten. Dadurch konnte der Mensch Mensch werden. Das ist das Eine, was zuletzt erscheinen soll als das hohe Ideal der Erde. ... «

So war es ungefähr um die Mitte der atlantischen Zeit, und wir werden zu verfolgen haben, wie dieses Bild der Meditation, das da vor dem Schüler als Menschengestalt stand, sich umwandelte in etwas anderes, und wie dieses herübergerettet wurde nach der atlantischen Katastrophe. Das ist es, was auflebte in dem indischen Eingeweihtenunterricht, das, was man zusammenfassen kann in dem uralt heiligen Namen: Brahma. Das, was die Weltengottheit gewollt hat als Sinn der Erde, das war das Heiligste des alten indischen Eingeweihten, dann sprach er von Brahma. ...

GA 106, Ägyptische Mythen und Mysterien, 4. 9. 1908, Mitgliedervortrag, S.49-50

Fortsetzung:

»Das, was da geschaut wurde, das wurde heruntergeführt in den folgenden Kulturperioden bis auf den physischen Plan; bis im vierten nachatlantischen Zeitraum sich hineinsenkte in den physischen Plan die Wesenheit, die wir als das Brahman der indischen Kulturperiode kennengelernt haben, die wir als Christus bezeichnen, die nicht mehr das Geistige zu vermitteln hat, sondern selbst Mensch wurde, um über alle Menschen auszustrahlen die geheimnisvolle Macht des Urwortes.«

GA 106, Ägyptische Mythen und Mysterien, 5. 9. 1908, Mitgliedervortrag, S. 62-63


1909:

Mission des Christus-Impulses:
das Reich der Brüderlichkeit und der Liebe auf der Erde zu begründen

»Gleichzeitig mit dem historischen Ereignis auf dem physischen Plan geschah etwas Spirituelles, das zugleich auch ein Symbolisches war, da aus den Wunden des Erlösers das Blut floss. Als der Christus nicht mehr lebte in dem physischen Leibe des Jesus von Nazareth, in dem Augenblick, da er auf Golgatha gestorben war, erschien der Christus in der geistigen Welt den zwischen Tod und Geburt lebenden Seelen, und da wich die Finsternis dort. Wie von einem Lichte wurde plötzlich die geistige Welt durchstrahlt. Wie in einem dunklen Raum die Gegenstände alle plötzlich sichtbar werden, wenn ein Lichtstrahl hereindringt, wie Sie plötzlich alles das sehen, was ja immer vorhanden war, was Sie aber vorher nicht wahrnehmen konnten, so ergoss sich das Licht in jene Welt der Abgeschiedenen. Und diese konnten wiederum wahrnehmen, was um sie herum war, konnten wieder sich verbunden fühlen im Geistgebiet mit ihren Brüdern und konnten nun als Anlage in die physische Welt hereinbringen die Liebe und die Brüderlichkeit.

Ein neues Licht kam so hinein in diese Welt der Toten, denn das Mysterium von Golgatha hat nicht nur eine Bedeutung für die Welt, in der es sich physisch vollzogen hat, sondern es hat eine Bedeutung für alle die Welten, mit denen der Mensch in seiner Entwickelung es zu tun hat. Wäre es in der geistigen Welt so geblieben, wie es für die Toten in der griechisch-lateinischen Zeit war, wäre die Seele in der eisigen Kälte und Einsamkeit von damals geblieben, so wäre immer mehr in der physischen Welt das verschwunden, was man Brüderlichkeit und Liebe nennt. Es hätte der Mensch aus dem Devachan mitgebracht den Hang zur Abgeschlossenheit. Denn das Licht, das damals hineinströmte in die irdische Welt und das auch hineingeleuchtet hat in die Welt der Toten, das soll das Reich der Brüderlichkeit und der Liebe auf der Erde begründen. Das ist die Mission des Christus-Impulses.

Nun wollen wir uns noch von einer andern Seite her das Mysterium von Golgatha, das Geheimnis des aus den Wunden des Erlösers fließenden Blutes, klarmachen.

Wir wissen, dass der Mensch auf der Erde vom Monde her eine Erbschaft angetreten hat. Die drei niederen Leiber, physischer Leib, Äther- und Astralleib waren ihm zubereitet, und erst auf der Erde kam das Ich dazu, der Ausdruck der menschlichen Freiheit und Selbständigkeit. Wichtig war es in alten Zeiten, zu begründen die Zusammengehörigkeit der Menschheit. Es geschah anfangs so, dass nur gerettet wurden die Beziehungen von Mensch zu Mensch dadurch, dass man ihnen eine physische Grundlage gab. Das Blut, es ist der Ausdruck des Ich. Die Blutsverwandtschaft und die Blutsbande beherrschten das Menschengeschlecht. Das physische Blut war das Mittel, das Medium, um von Mensch zu Mensch zu wirken. So war es in alten Zeiten. Nun ist aber durch den Christus Jesus die Liebe zu einem unsinnlichen Band geworden. Das Wirken des menschlichen Gruppen-lchs tritt zurück. Früher gehörte der einzelne Mensch zu einem gemeinschaftlichen Stammes-Ich, und er fühlte sich darin geborgen, im Schoße des Vaters Abraham. Viel wichtiger war diese Zusammengehörigkeit als seine individuelle Person. In der Zusammengehörigkeit der Blutsverwandtschaft besteht sein höheres Selbst. Wir hören im Alten Testament von Noah und andern Stammvätern, dass sie jahrhundertelang lebten. Das ist so zu nehmen, dass wir da in Zeiten zurückgeführt werden, in denen der Mensch nicht nur ein Gedächtnis für das hatte, was er selbst erlebte, sondern wo dieses weit hinauf in die Generationen zurückging. Er sagte nicht «Ich» zu sich, sondern er lebte wie in seinem Ich bis zu den fernliegenden Urahnen hin. Sein Leben fing nicht an bei seiner Geburt, er fing nicht da an, zu sich Ich zu sagen, sondern er sagte Ich zu alledem, was seine Ahnen erlebt hatten.

Gegen die Blutsliebe führten in allen Zeiten die luziferischen Wesenheiten ihre allerschärfsten Angriffe. Sie wollten jeden einzelnen Menschen auf sich selbst stellen. Das Selbstbewusstsein, das wollten sie den Menschen einimpfen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Göttliche Wesenheiten, Träger der Liebe, trachteten den Menschen mit dem Menschen in Liebe zusammenzubringen durch andere Bande als die Blutsbande, die nicht mit der Freiheit rechnen. Das Christus-Prinzip verbindet mit der vollen Ausprägung des Ich die dem Geist der Liebe entströmende Kraft und lässt sie walten von Mensch zu Mensch. Daher heißt ein Ausspruch: Christus verus Luciferus — Christus der wahre Luzifer oder Lichtbringer, und zuletzt der Gegner des gefallenen Luzifer. Die Blutsliebe wurde umgewandelt durch den Christus in die geistige Liebe, in die strömende Bruderliebe von Seele zu Seele. Der Ausspruch des Christus: Wer nicht verlässet Vater und Mutter, der kann nicht mein Jünger sein — ist so zu verstehen, dass die Blutsliebe sich umwandeln muss in die Bruderliebe, die alle Menschen mit gleicher Kraft umfasst. Nichts wegnehmen will die Geisteswissenschaft von all diesen Aussprüchen der Bibel, sondern hinzufügen kann sie nur ein tieferes Verständnis der christlichen Gnade, wenn sie im rechten Sinne entgegengenommen wird. Die Kraft der geistigen Liebe, die hat der Christus der Menschenseele zuerst gebracht bei seinem Erscheinen auf der Erde, und mit dem Blute, das auf Golgatha aus den Wunden des Erlösers floss, war sozusagen das überschüssige Blut der Menschheit geopfert worden, durch die Tat war die Lehre besiegelt worden, dass das Individuum dem Individuum als Menschenbruder dem Menschenbruder gegenüberzustehen hat. Das Christus-Verständnis ist heute noch sehr klein in der Welt. Man muss erst lernen, die ganze Größe dieses gewaltigsten kosmischen Ereignisses zu verstehen.«

GA 109/11, Das Prinzip der spirituellen Ökonomie ..., 11.6.1909, Mitgliedervortrag, S. 254-257


Afrikanische Völker schufen das seelische Ebenbild der Gottheit, wurden zu Trägern der Wissenschaftlichkeit und Weisheit

»Sehen Sie sich einmal die griechische Plastik an!

Wenn sie darstellen wollte den durchgeistigten, veredelten physischen Leib, dann stellte sie den Angehörigen von Völkermassen der nördlichen Strömung dar. All die Gestalten des Zeus, der Aphrodite, der Pallas Athene sind in ihrer äußeren Konfiguration der Rassentypus der nördlichen Völkermassen.

Da, wo hingewiesen werden sollte auf die innere Entwickelung des Seelenlebens, hatte man das Bedürfnis zu zeigen, dass die Kräfte, die sich entwickeln, unsichtbar in der Seele sich entwickeln; da stellte man eine solche Figur hin wie den Hermes, den Merkur. Er ist anders gestaltet wie die anderen Götter; er ist so gestaltet wie die afrikanischen Völker gestaltet sind. ... Dafür wusste man, dass in diesem Menschheitstypus der Träger gegeben ist der Wissenschaftlichkeit, der Weisheit, alles dessen, was auf die Seele des Menschen wirkt. Das verband man mit dem Begriff des Boten zu der unteren Götterwelt, mit Hermes oder Merkur.

Man kann den Unterschied der beiden Völkerströmungen in der Weise charakterisieren, dass man sagt: die nördliche Völkerströmung arbeitet darauf hin, einen äußeren Menschen hinzustellen, der in seiner äußeren Leiblichkeit den Geist wie im Abbilde darlebt; der anderen Völkerströmung kam es darauf an, die unsichtbar sich zeigende Seele, dasjenige also, was nur, wenn man den Blick nach innen wendet, empfindbar wird, auszugestalten.

So schuf die nördliche Völkerströmung das Ebenbild der Gottheit im Menschen, wie es äußerlich erscheint; es schuf die südliche Völkerströmung das seelische Ebenbild der Gottheit, das unsichtbar im Inneren wirkende und webende Seelenebenbild der Gottheit.«

GA 113, Der Orient im Lichte des Okzident. Die Kinder des Luzifer und die Brüder ChristiMünchen, 27. 8.1909, S. 103-104


Mitleid ist die höchste Tugend

»Überall aber gibt es Grade in der Erkenntnis. Der eine wandelt in der betreffenden Inkarnation seines Erdendaseins so, dass er nur weniges einsieht von dem, was Moral ist, dass er nur wenig Mitleid entfaltet zu den Mitmenschen: wir nennen ihn einen Menschen auf einer niederen moralischen Stufe. Oder ein anderer wandelt so durch das Leben, dass seine intellektuellen Kräfte wenig ausgebildet sind: wir nennen ihn einen Menschen auf einer niederen intellektuellen Stufe. Wir wissen aber, dass diese intellektuellen Erkenntniskräfte hinaufgehen können bis zu einer hohen Stufe. Von dem Menschen, der wenig moralisch und intellektuell ist, bis zu dem Menschen, den wir im Sinne Fichtes ein «moralisches Genie» nennen und der sich bis zur höchsten moralischen Phantasie entwickelt, haben wir alle möglichen Zwischenstufen; und wir wissen, dass wir uns zu dieser Höhe der menschlichen Vollkommenheit für die Gegenwart hinaufentwickeln können, ohne hellseherische Kräfte zu haben, nur durch die Veredelung derjenigen Kräfte, welche dem gewöhnlichen Menschen zur Verfügung stehen. Diese Stufen mussten von der Menschheit erst erreicht werden im Laufe der Erdenentwickelung. Was heute der Mensch schon bis zu einem gewissen Grade durch die eigene Intelligenz erkennt, und auch, was er durch die eigene moralische Kraft erreicht, nämlich dass man mit den Leiden und Schmerzen des anderen Menschen Mitleid haben soll, das hätte der Mensch der Urzeit nicht durch sich selbst erringen können. Man kann heute sagen, das sich der gesunde moralische Sinn des Menschen schon zu dieser Einsicht auch ohne Hellsichtigkeit erhebt, und die Menschen werden sich immer mehr zu der Einsicht erheben können, dass Mitleid die höchste Tugend ist und dass die Menschheit ohne Liebe nicht weiter vorwärtskommen könnte. Man kann sagen: Dies kann heute der menschliche moralische Sinn erkennen, und er wird sich noch immer mehr und mehr steigern. Aber man muss zurückblicken in Zeiten, in welchen der moralische Sinn so war, dass er das nicht hat selbst einsehen können.

Es gab Zeiten, in welchen die Menschen nimmermehr hätten selbst einsehen können, dass Mitleid und Liebe zu der höchsten Entwickelung der menschlichen Seele gehören könnten. Daher mussten sich verkörpern in Menschengestalten solche geistige Wesenheiten, zu denen auch zum Beispiel die Bodhisattvas gehören, die aus höheren Welten herunter die Offenbarungen empfingen von der wirkenden Kraft des Mitleides, von der wirkenden Kraft der Liebe, und welche den Menschen zu sagen vermochten, wie sie sich zu verhalten hatten in Mitleid und Liebe, weil die Menschen noch nicht reif waren, um aus ihren eigenen Kräften heraus das einzusehen. Was die Menschen heute aus eigener Kraft heraus als die hohe Tugend des Mitleides und der Liebe erkennen, wozu der moralische Sinn sich erhebt, das musste durch Epochen und Epochen aus Himmelshöhen gelehrt werden. Und der Lehrer der Liebe und des Mitleides in jenen Zeiten, als die Menschen selber noch nicht die Einsicht in die Natur des Mitleides und der Liebe hatten, war derjenige Bodhisattva, der sich dann in dem Gautama Buddha zum letzten Male verkörperte.

GA 141, Das Lukas-Evangelium, Vortrag vom 16. September 1909 in Basel vor Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft, S. 40-41


»... in dem Leibe des Gautama Buddha liegen die Ursachen für alle Zeiten, dass die Menschen bis in alle Zukunft hinein die Kräfte des achtgliedrigen Pfades in sich entwickeln können, so dass der achtgliedrige Pfad Eigentum eines jeden Menschen werden kann ... was nach dieser Richtung geschehen wird, bis die ganze Menschheit sich den achtgliedrigen Pfad angeeignet hat, das wird dem Buddha-Dasein verdankt.«

GA 141, Das Lukas-Evangelium, Vortrag vom 17. September 1909 in Basel vor Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft, S. 69


»Was später jene Wesenheit zu sagen hatte, die sich im Körper des nathanischen Jesus verbarg, das war etwas, was eine Kundschaft war an die ganze Menschheit. Das war etwas, was die Menschheit hinwegbringen sollte über alle frühere engere Blutsverwandtschaft ... Sie [diese Wesenheit] sollte etwas bringen von Liebe, von Vertiefung der Liebe, die nichts zu tun hat mit dem, was an die Verwandtschaft des Blutes geknüpft ist. Dazu aber musste diese Wesenheit, die in dem Körper des nathanischen Jesus lebte, erst auf der Erde selber erfahren, was es heißt, keine Verbindungen fühlen, nicht durch das Blut mit anderen zusammenhängen. Dann konnte sie rein empfinden, was nur von Mensch zu Mensch spielt. Frei musste sie sich erst fühlen von allen Blutsbanden, ja, von der Möglichkeit der Blutsbande. Nicht nur ein »heimatloser« Mensch werden wie der Buddha ... sondern als herausgetreten aus allen Familienzusammenhängen, aus allem, was mit irgendwelchen Blutsbanden etwas zu tun hat, musste die Individualtät des nathanischen Jesus vor der Welt stehen ... aus der großen Einsamkeit, der Familienverlassenheit heraus musste die Individualität sprechen, die in dem nathanischen Jesus lebte. ... Damit einer einmal die allgemeine Menschenliebe verkünden konnte, musste er wirklich einmal in einer Gestalt inkarniert sein, in welcher er erfahren konnte das Verlassensein von allem, was Blutsbande begründen können. Zu dieser Gestalt schweifen unsere Gefühle hin, so dass sie zu ihr ganz wie in menschliche Nähe treten, zu einer Gestalt, die von hohen geistigen Höhen heruntersteigt und menschlich Erfahrenes und Erlerntes zum Ausdruck bringt. Daher schlagen unsere Herzen ihr zu. Und je geistiger wir sie verstehen, desto besser werden wir sie verstehen, und desto mehr werden unsere Herzen ihr entgegen schlagen und unsere Seelen ihr zujauchzen.«

GA 141, Das Lukas-Evangelium, Vortrag vom 20. September 1909 in Basel vor Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft, S. 128-130


»Wir haben gesehen, was der Buddha für eine Mission hatte. Er hat zuerst hingestellt, was man nennen kann, die große Lehre von der Liebe und dem Mitleid und allem, was damit zusammenhängt und was umschrieben ist in dem achtgliedrigen Pad ... Es nimmt die Menschheit von da an den Ausgangspunkt und erlangt erst nach langer Zeit das, was zuerst als eine gewaltige Tat vorbildlich hingestellt wurde. So stand der Buddha in seiner Zeit und brachte der Welt die Lehre von der Liebe und dem Mitleid als ein Wahrzeichen für kommende Geschlechter, die sich nach und nach die Fähigkeit erobern sollen, aus sich heraus das zu erkennen, was in dem achtgliedrigen Pfad liegt. Und in dem sechsten Kulturzeitraume [ab ca. 2800 n.Chr.] wird es schon eine gute Anzahl von Menschen geben, die dazu fähig sein werden. Oh, wir haben es noch ziemlich weit bis dahin, dass die Menschen sich sagen: Was der Buddha im fünften, sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung vorbildlich hingestellt hat, das können wir jetzt aus unserer eigenen Seele heraus gewinnen; wir sind jetzt in unserer eigenen Seele ähnlich geworden dem Buddha. So muss die Menschheit nach und nach aufsteigen zum Gipfel.«

GA 141, Das Lukas-Evangelium, Vortrag vom 24. September 1909 in Basel vor Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft, S. 163-164


Gruppenseele muss überwunden werden

»So dürfen wir dasjenige, was anthroposophische Bewegung, geistiges Leben ist, nicht als bloße Theorie betrachten, sondern als etwas, was uns gegeben wird innerhalb der Gegenwart, weil es vorbereitet etwas, was notwendig ist für die Zukunft der Menschheit. Wenn wir uns richtig erfassen in dem Punkt, gerade da, wo wir jetzt sind, aus der Vergangenheit hergekommen sind, und ein wenig hinblicken auf die Zukunft, so müssen wir sagen:

Jetzt ist die Zeit da, wo man beginnt, die menschliche Fähigkeit der Rückerinnerung [an frühere Inkarnationen] auszubilden. Es kommt nur darauf an, dass wir sie richtig ausbilden, das heißt, dass wir uns anerziehen ein individuelles Ich. Denn nur an dasjenige, was wir geschaffen haben in unserer Seele, an das können wir uns erinnern. Haben wir es nicht geschaffen, dann bleibt uns nur die fesselnde Erinnerung an ein Gruppen-Ich, und dann empfinden wir das als ein Herunterfallen in eine Gruppe sozusagen höherer Tierheit. Wenn auch die menschlichen Gruppenseelen feiner und höher sind als die tierischen, so bleiben sie eben doch Gruppenseelen. Die Menschen der Vorzeit empfanden das nicht als Fall, weil sie daran waren, sich herauszuentwickeln von der Gruppenseelenhaftigkeit zur einzelnen Seele. Wenn sie jetzt beibehalten wird, dann fallen sie bewusst hinein, und das wird die drückende Empfindung in der Zukunft derjenigen sein, die nicht in der richtigen Art den Anschluss finden entweder jetzt oder in einer späteren Inkarnation: dass sie empfinden werden den Fall in der Gruppenseelenhaftigkeit.

Das ist die reale Aufgabe der Anthroposophie: den Anschluss zu geben. So müssen wir sie erfassen innerhalb der Menschenlebens. Wenn wir dies ins Auge fassen, dass der sechste Kulturzeitraum gerade die erste Überwindung, völlige Überwindung des Rassenbegriffes ist, so müssen wir klar sein, dass es phantastisch wäre zu glauben, dass auch die sechste »Rasse« von irgendeinem Ort der Erde ausginge und sich so bildete wie die früheren Rassen. Das ist der Fortschritt, dass immer neue Arten der Lebensentwicklung auftreten innerhalb des Fortganges, dass nicht dasjenige, was an Begriffen für frühere Zeiten gegolten hat, auch für künftige gelten soll.

Sonst - wenn wir das nicht einsehen, wird uns nicht die Idee des Fortschrittes ganz klarwerden. Wir werden sozusagen sonst immer wiederum in den Fehler zurückfallen, dass wir sagen: So und so viele »Runden«, »Globen«, »Rassen« und so weiter. Und immer kugelt das herum und wieder herum und immer in derselben Weise.

Man kann nicht einsehen, warum dieses Rad von Runden, Globen, Rassen sich immer wieder drehen soll. Darum handelt es sich, dass das Wort Rasse eine Bezeichnung ist, die nur für gewisse Zeiten gilt. Um den sechsten Zeitraum herum hat der Begriff kaum mehr einen Sinn. Rasse halten nur noch in sich die Elemente, die von der atlantischen Zeit geblieben sind.«

GA 117, Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien, 4.12.1909, S. 164/5


Die anthroposophische Bewegung muss die Rassenunterschiede überwinden

»Nun leben wir nämlich gerade in der Gegenwart im eminentesten Sinn in einem Übergange. Alle Gruppenseelenhaftigkeit soll nach und nach abgestreift werden. So wie die Abgründe zwischen den einzelnen Nationen immer mehr und mehr verschwinden, so wie sich die einzelnen Teile der verschiedenen Nationen immer mehr und mehr verstehen, so werden sich auch andere Gruppenseelenhaftigkeiten abstreifen, und immer mehr und mehr wird das Individuelle des einzelnen Menschen in den Vordergrund treten.

Damit haben wir aber etwas ganz Wesentliches in der Entwickelung charakterisiert. Wenn wir es von einer andern Seite fassen wollen, so können wir sagen, innerhalb der Entwicklung der Menschheit verliert immer mehr und mehr der Begriff, worin sich die Gruppenseelenhaftigkeit am meisten ausdrückt, an Bedeutung, nämlich der Rassenbegriff. Wenn wir hinter die große atlantische Katastrophe zurückgehen, so sehen wir ja, wie sich die menschlichen Rassen vorbereiten. In der alten atlantischen Zeit haben wir durchaus die Menschen gruppiert nach äußeren Merkmalen in ihrem Körperbau, noch viel stärker als heute. Was wir heute Rassen nennen, das sind nur noch Überbleibsel jener bedeutsamen Unterschiede der Menschen, wie sie in der alten Atlantis üblich waren. So recht anwendbar ist der Rassenbegriff nur auf die alte Atlantis. Daher haben wir, da wir rechnen mit einer wirklichen Entwickelung der Menschheit, für die nachatlantische Zeit gar nicht den Begriff der Rasse im eminentesten Sinne gebraucht. Wir sprechen nicht von einer indischen Rasse, persischen Rasse und so weiter, weil das nicht mehr richtig ist. Wir sprechen von einem altindischen Kulturzeitraum, von einem altpersischen Kulturzeitraum und so weiter.

Und vollends würde es jeden Sinn verlieren, wenn wir davon sprechen wollten, dass sich in unserer Zeit vorbereite eine sechste Rasse. Wenn noch in unserer Zeit Reste der alten atlantischen Unterschiede, der alten atlantischen Gruppenseelenhaftigkeit vorhanden sind, so dass man noch sprechen kann davon, dass die Rasseneinteilung noch nachwirkt - was sich vorbereitet für den sechsten Zeitraum, das besteht gerade darinnen, dass der Rassencharakter abgestreift wird. Das ist das Wesentliche. Deshalb ist es notwendig, dass diejenige Bewegung, welche die anthroposophische genannt wird, welche vorbereiten soll den sechsten Zeitraum, gerade in ihrem Grundcharakter dieses Abstreifen des Rassencharakters aufnimmt, dass sie nämlich zu vereinigen sucht Menschen aus allen Rassen, aus allen Nationen und auf diese Weise überbrückt diese Differenzierung, diese Unterschiede, diese Abgründe, die zwischen den einzelnen Menschengruppen vorhanden sind. Denn es hat in gewisser Beziehung physischen Charakter, was alter Rassenstandpunkt ist, und es wird einen viel geistigeren Charakter haben, was sich in die Zukunft hinein vollzieht.

Daher ist es so dringend notwendig, zu verstehen, dass unsere anthroposophische Bewegung eine geistige ist, die auf das Spirituelle sieht, und gerade das, was aus physischen Unterschieden herrührt, durch die Kraft der geistigen Bewegung überwindet. Es ist ja durchaus begreiflich, dass eine jede Bewegung sozusagen ihre Kinderkrankheiten hat und dass man im Anfang der theosophischen Bewegung die Sache so dargestellt hat, als wenn sozusagen die Erde in sieben Zeiträume zerfiele - man nannte das Hauptrassen - und jede der Hauptrassen in sieben Unterrassen; und dass das alles sich so stetig wiederholen würde, so dass man immer von sieben Rassen sprechen könnte und sieben Unterrassen. Aber man muss über die Kinderkrankheiten hinauskommen und sich klar sein darüber, dass der Rassenbegriff aufhört eine jegliche Bedeutung zu haben gerade in unserer Zeit.«

GA 117, Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien, 4.12.1909, 5. 151/2


»Die Rasse ist etwas, was entstanden ist und wieder vergeht. Das Zeitalter in dem die Rassen sich gebildet haben, ist das lemurische und atlantische Zeitalter. Heute haben wir nur die Nachzügler der Rassen.«

GA 109, Das Prinzip der spirituellen Ökonomie, 9.6.1909, S. 234


1910:

Christus Jesus, der Idealmensch, ist das Ideal der umfassenden Brüderlichkeit

»Was durch die Christus-Erscheinung der Menschheitsentwickelung zugeflossen ist, wirkte wie ein Same in derselben. Der Same kann nur allmählich reifen. Nur der allergeringste Teil der Tiefen der neuen Weistümer ist bis auf die Gegenwart herein in das physische Dasein eingeflossen. Dieses steht erst im Anfange der christlichen Entwickelung. Diese konnte in den aufeinanderfolgenden Zeiträumen, die seit jener Erscheinung verflossen sind, nur immer so viel von ihrem inneren Wesen enthüllen, als die Menschen, die Völker fähig waren, zu empfangen, als diese in ihr Vorstellungsvermögen aufnehmen konnten. Die erste Form, in welche sich dieses Erkennen gießen konnte, lässt sich als ein umfassendes Lebensideal aussprechen. Als solches stellte es sich entgegen dem, was in der nachatlantischen Menschheit sich als Lebensformen herausgebildet hatte.

Es sind oben die Verhältnisse geschildert worden, welche in der Entwickelung der Menschheit seit der Wiederbevölkerung der Erde in der lemurischen Zeit gewirkt haben. Die Menschen sind demgemäß seelisch auf verschiedene Wesenheiten zurückzuführen, welche aus anderen Welten kommend in den Leibesnachkommen der alten Lemurier sich verkörperten. Die verschiedenen Menschenrassen sind eine Folge dieser Tatsache. Und in den wiederverkörperten Seelen traten, infolge ihres Karmas, die verschiedensten Lebensinteressen auf. Solange alles das nachwirkte, konnte es nicht das Ideal der «allgemeinen Menschlichkeit» geben.

Die Menschheit ist von einer Einheit ausgegangen; aber die bisherige Erdenentwickelung hat zur Sonderung geführt. In der Christus-Vorstellung ist zunächst ein Ideal gegeben, das aller Sonderung entgegenwirkt, denn in dem Menschen, der den Christusnamen trägt, leben auch die Kräfte des hohen Sonnenwesens, in denen jedes menschliche Ich seinen Urgrund findet. ... Indem zunächst in dem bloßen Gedanken erfasst wurde, dass in Christus Jesus der Idealmensch lebt, zu dem die Bedingungen der Sonderung nicht dringen, wurde das Christentum das Ideal der umfassenden Brüderlichkeit. Über alle Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften hinweg trat das Gefühl auf, dass des Menschen innerstes Ich bei jedem den gleichen Ursprung hat. (Neben allen Erdenvorfahren tritt der gemeinsame Vater aller Menschen auf. «Ich und der Vater sind Eins.»)

GA 13, Die Geheimwissenschaft im Umriss, Berlin 1910, Kapitel: »Die Weltentwicklung und der Mensch«, S. 293-294


Durch die Geisteswissenschaft wird alle Menschen-Zersplitterung aufhören

»Wir dienen der gesamten Menschheit am besten, wenn wir das in uns besonders Veranlagte entwickeln, um es der gesamten Menschheit einzuverleiben als ein Opfer, das wir dem fortschreitenden Kulturstrom bringen. Das müssen wir verstehen lernen.

Verstehen müssen wir lernen, dass es schlimm wäre, wenn die Geisteswissenschaft ... beitragen würde zur Überwindung einer Volksgesinnung durch die andere. Nicht dazu ist die Geisteswissenschaft da, dazu zu verhelfen, dass sich das, was als religiöses Bekenntnis irgendwo auf der Erde herrscht, ein anderes Gebiet erobern kann. Würde jemals der Okzident durch den Orient erobert werden oder umgekehrt, so entspräche das durchaus nicht der geisteswissenschaftlichen Gesinnung. Allein das entspricht ihr, wenn wir unser Bestes, rein Menschliches für die gesamte Menschheit hingeben. Und wenn wir ganz in uns selber leben, aber nicht für uns, sondern für alle Menschen, so ist das wahrhafte geisteswissenschaftliche Toleranz. Das sind Worte, die ich anschließen musste an unser bedenkliches Thema.

Durch die Geisteswissenschaft – das werden wir immer mehr einsehen – wird alle Menschen-Zersplitterung aufhören. Deshalb ist gerade jetzt die richtige Zeit, die Volksseelen kennen zu lernen, weil die Geisteswissenschaft da ist, die uns dazu bringt, die Volksseelen nicht einander gegenüber zu stellen in Opposition, sondern sie aufzurufen zu harmonischem Zusammenwirken. Je besser wir das verstehen, desto bessere Schüler der Geist-Erkenntnis werden wir sein.

GA 121, »Die Mission einzelner Volksseelen«, Kristiania [Oslo] Juni 1910, Vortragsreihe vor Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft, S. 202 f


1911:

Die anthroposophische Bewegung bietet eine Lehre, die allen Menschen zugänglich ist, ohne Unterschied von Rasse, Nation und Geschlecht

»Aber jetzt schon hört der Rassenbegriff auf, in bezug auf die Entwicklung der Menschheit einen rechten Sinn zu haben. ... wichtig ist ... dass Theosophie sich verbreitet unter der Menschheit, dass sie ... eine Lehre sein muss ohne Unterschied von Rasse, Nation und Geschlecht. Aus allen Rassen heraus werden diejenigen, die durch die Geisteswissenschaft gegangen sind, für die sechste Kulturepoche kommen und über die Erde hin eine neue Kulturepoche begründen, welche nicht mehr auf einen Rassenbegriff gegründet ist, gegenüber welcher der Rassenbegriff nicht mehr seine Bedeutung hat. ... Das müssen wir allmählich verstehen lernen, indem wir uns weiter entwickeln mit der geisteswissenschaftlichen Bewegung. Das wurde im Anfange noch nicht verstanden. Deshalb sehen wir, wie das sonst so verdienstvolle Buch «Der buddhistische Katechismus» von Olcott, wenn wir es durchlesen, etwas hervorruft, als wenn sich Rassen immer gleichartig abwickeln wie Räder. Aber diese Begriffe verlieren ihre Bedeutung für die nächste Zeit, und wir müssen uns klar sein, dass diese Anfangsstadien der theosophischen Bewegung überholt sind und dass wir für die sechste Kulturepoche dem Rassenbegriff keinen rechten Sinn mehr beilegen können.«

GA 130, Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit, 2.12.1911, S. 169/170


1912:

Jede Menschenseele trägt einen göttlichen Kern in sich

»Zwei Grundimpulse sind es zunächst, welche ein wirklich moralisches Leben begründen können: Erstens der Glaube an das Göttliche auf dem Grund einer jeden Menschenseele, zweitens die aus diesem Glauben hervorsprießende maßlose Liebe zum Menschen ... der dritte Impuls, das ist die Hoffnung für jede Menschenseele, dass sie den Weg wieder zurückfinden kann zu dem Göttlich-Geistigen.«

GA 155, Theosophische Moral, 29.5.1912, S. 103-104


Ohne Unterschied eines äußeren Bekenntnisses muss Brüderlichkeit unter den Menschen sein

»Wenn einmal nicht nur der Brahmine den Brahminen, der Paria den Paria, der Jude den Juden, der Christ den Christen lieben und verstehen wird, sondern wenn der Jude den Christen, der Paria den Brahminen, der Amerikaner den Asiaten als Mensch zu verstehen und sich in ihn zu versetzen vermag, dann wird man auch wissen, wie tief christlich empfunden es ist, wenn wir sagen: Ohne Unterschied eines jeglichen äußeren Bekenntnisses muss Brüderlichkeit unter den Menschen sein.«

GA 155, Theosophische Moral, 29.5.1912, S. 103-104


Geisteswissenschaft soll ohne Unterschied der Rassen und Stämme die Kultur über die ganze Erde tragen

»Im Anfange der Erdenentwicklung haben sozusagen in die Menschen als Formen dasjenige, was in den verschiedenen Menschenformen zum Ausdruck gekommen ist, hineingeprägt die Geister der Form. Wie sich die einzelnen Menschenrassen mit ihren Physiognomien gebildet haben, wie die einzelnen Menschen gestaltet sind mit den einzelnen Rasseneigentümlichkeiten, so ist es den einzelnen Gruppen der gesamten Menschheit auf der Erde eingeprägt worden von den Geistern der Form. Jetzt ist seit langem das, was von diesen Geistern der Form dem Menschen eigentlich eingeprägt ist, im Grunde genommen vererbt. Das ist seit langem ein Erbstück, erbt sich fort von Geschlecht zu Geschlecht, und die Geister der Form lassen in einer gewissen Beziehung dem Menschen insofern immer mehr und mehr Freiheit, als sie selbst hinaufsteigen in eine höhere Kategorie, sich zurückziehen von der formenden Tätigkeit, die ihnen oblegen hat im Beginne der Erdenentwicklung [der Menschheit]. Der Mensch wird in der Tat in bezug auf die Wesenheiten der höheren Hierarchien immer mündiger und mündiger. Das müssen wir uns klarmachen. [...]

Denn so gestaltet sich allmählich die menschliche Entwicklung: Je weiter wir zurückgehen, desto ähnlicher ist in der äußeren Gestalt das Kind den Vorfahren. Je weiter wir in die Zukunft hineingehen, desto mehr wird der äußere Mensch ein Ausdruck der Individualität werden, die von Inkarnation zu Inkarnation geht. Heute schon kann derjenige, der mit diesem Wissen der Geisteswissenschaft ausgerüstet ist, wenn er nur wirklich die Menschen über die ganze Erde hin anschaut, soweit es ihm möglich ist, sehen, wie neben den vererbten Rassen-, Familien- und sonstigen Eigentümlichkeiten immer auftreten individuellere und individuellere Physiognomien. Er kann sehen, wie stark voneinander verschieden sind die einzelnen Formen der Angehörigen einer und derselben Familie. Natürlich leben wir in dieser Beziehung in einem Übergangszeitalter. Aber es bereitet sich jetzt schon der sechste nachatlantische Kulturzeitraum vor, dessen Eigentümlichkeit sein wird, dass wenig maßgebend sein werden - wie bei den vorhergehenden Kulturzeiträumen - die äußeren physiognomischen Rassenmerkmale, sondern über die ganze Erde hin wird im sechsten Kulturzeitraum maßgebend sein, wie stark (sich) schon die einzelnen Individualitäten ihrem Antlitze und ihrem ganzen Wesen aufgedrückt haben werden

[...]

Es ist jeder wirklichen Erkenntnis der Geisteswissenschaft zuwiderlaufend, wenn davon gesprochen würde, dass ... es ... in der Zukunft eine ... führende Rasse geben würde, die namentlich durch Naturmerkmale hervorgebracht würde. ... Heute schon sehen wir, wie im Grunde genommen die Kultur nicht mehr getragen wird von einer führenden Rasse ..., sondern wie die Kultur sich über alle Rassen ausbreitet. Und die Geisteswissenschaft soll ja gerade dasjenige sein, was ohne Unterschied der Rassen und Stämme die Kultur über die ganze Erde trägt, insofern die Kultur Geisteskultur ist. [...]

Und wenn Theosophie ihren guten alten Grundsätzen treu bleiben soll, so wird sie ... gar nicht darauf verfallen können, eine Zukunftskultur zu erhoffen von einer einzelnen besonderen Rasse. [...]

Nicht das Hereintreten in eine neue Gruppenseele, sondern das Abstreifen des Gruppenseelenhaften ist das, was über den ganzen Erdball hin immer mehr sich ausbreiten wird, und das gerade das Charakeristikum des sechsten Kulturzeitalters sein wird. Damit steht in inniger Verbindung, dass der Mensch inbezug auf seine ganze geistige Führung immer individueller und individueller, ja man darf sagen, immer freier und freier wird.«

GA 133, Der irdische und der kosmische Mensch, 20.6.1912, S. 151—153


Europäische Kolonialisten: Horden wilder Tiere

»Das Christentum, das durch Jahrhunderte und Jahrtausende vorbereitet worden ist und das in die Welt gekommen ist, hat noch nirgends auf der Erde gesiegt. Und derjenige, der heute glauben würde, dass er in wahrem, echtem Sinn das Christus-Prinzip und den Christus-Impuls schon in der Gegenwart vertreten könnte, würde einem unbeschreiblichen Hochmut zum Opfer gefallen sein. ... Jeder Angehörige von okkulten Bewegungen wird niemals zugeben, dass der Christus innerhalb des »christlichen Europa« herrsche, sondern er wird sagen: Ihr sprecht »Christus«, ihr meint aber immer noch dasselbe, was die alten mitteleuropäischen Völkerschaften gemeint haben, als sie von ihrem Gott Saxnot sprachen.

[...]

Wundern wird uns daher nicht, dass es oftmals diesen östlichen Völkern vorgekommen ist, wenn die Europäer über sie hergefallen sind, wie es eben einer Schar von Menschen vorkommt, wenn ihnen eine Herde wilder Tiere entgegenkommt, gegen die sie sich wehren, denen sie das, was sie tun, nicht übelnehmen, die sie aber als etwas Inferiores betrachten. Wir Westländer werden aus den angedeuteten Gründen ... und nach den Traditionen des Ostens von jedem Angehörigen etwa des Brahmanentums selbstverständlich als inferiore Menschen angesehen.«

GA 158, Ansprache für die russischen Zuhörer des Vortragszyklus »Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen«, Helsingfors, 11. April 1912, S. 198-200


1914:

Kein Glück, solange andere leiden

»Unsere Gesellschaft vereint in einer gemeinsamen geistigen Strömung die Angehörigen der verschiedensten Rassen, Völker, die heute feindlich gegeneinander sind. ... Wir suchen das, was zerstreut war in der Welt, wiederum zu sammeln, und die Angehörigen der verschiedenen Nationen umfassen sich wieder brüderlich, werden Brüder innerhalb unserer Reihen. ...

Es wird notwendig sein, dass alle, die im echten, wahren Sinn unserer Zeit das geistige Leben ergreifen, verstehen lernen, wie diese Volksseelen, die echten, wahren Volksseelen, eine Art von Chor bilden, in dem sie schon harmonisch zusammen leben. Aber man muss sich zu ihrem Wesen finden, und das kann man nur im Geist. [...]

Da finden wir den Weg zum Volksgeist, dem wir zugehören, und den Weg von diesem Volksgeist zur Zwiesprache des Volksgeistes mit dem Christus, der der Lehrer aller Volksgeister ist. Und wenn sie sich in diesem Christus zusammenfinden, werden sich die Volksgeister in der richtigen Art zusammenfinden, da all diese Volksgeister, die die Völker richtig führen ... den Christus als ihren Lehrmeister betrachten. [...]

Der Christus, wenn er ein Volk führt, führt dieses Volk so, dass es mit seinem Heil das Heil der Menschheit sucht. Mit Recht rufen wir den Volksgeist an, dem wir innig verbunden sind, so dass wir hinaufblicken, wie er seinerseits mit dem Christus spricht; durch den Volksgeist sprechen wir mit dem Christus. [...]

Der Christus ist erstanden erst für viele, wenn wir ihn so verstehen, dass wir wissen: für den anderen kann es keinen Schmerz geben, der nicht auch unser Schmerz ist; denn überall, wo er eingetreten ist, ist es eigener Schmerz. Solange es für uns die Möglichkeit gibt, einen Schmerz bei einem anderen zu sehen, den wir nicht mitfühlen als unseren eigenen Schmerz, so lange ist der Christus noch nicht völlig in die Welt eingezogen.«

GA 174 a, Mitteleuropa zwischen Ost und West, 13.9.1914, S. 21-25


Ohne Unterschied der Rasse, Farbe, Nationalität

»Verspüren wir, dass der Grundsatz, den wir haben innerhalb unserer Geistesbewegung, von einem gewissen Wirken, ohne Unterschied der Rasse, Farbe, Nationalität und so weiter, im Grunde genommen so eng zusammenhängt mit dem tieferen Wesen dieser unserer Bewegung, dass es ja eigentlich für den, der den tiefen Ernst der geisteswissenschaftlichen Wahrheiten einsieht, ein Unsinn ist, diesen ersten Grundsatz nicht zu vertreten.«

GA 174 a, Mitteleuropa zwischen Ost und West, 3.12.1914, S. 36


1915:

Durch die Geisteswissenschaft muss der Nationalismus überwunden werden

»Die fünfte Kulturepoche [1413 n. Chr.-3573 n. Chr.] war gerade durch ihre Eigentümlichkeit dazu geeignet, das die ihr angehörigen Persönlichkeiten in einer gewissen Weise aufgingen in dem nationalen Empfinden und sich wiederum persönlich aus ihm hinausrangen. Die sechste und siebente Kulturepoche werden so sein, dass diejenigen, die bloß national sein wollen, zurückbleiben hinter den Aufgaben der Menschheit. Aber dies ist ja der Grund, warum wir geisteswissenschaftliche Weltanschauung treiben: dass die Menschheit sich herausringe aus dem bloß nationalen Empfinden, aus demjenigen Empfinden, das nicht allgemein menschliches Empfinden ist. ... Geisteswissenschaft, wir treiben sie, damit gerade etwas sich ausbreite über die ganze Erde, was über alle Differenzierungen hinausgeht ...«

GA 174 b, Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkriegs, 14.2.1915, S. 56-57


Der Deutsche muss das Allgemeinmenschliche suchen

»Der Deutsche wird durch Geisteswissenschaft erkennen – er hat nötig, das in aller Objektivität und Demut aufzufassen –, dass er durch das, was die Volksseele zu seinem Ich spricht, dazu prädestiniert ist, das Allgemein-Menschliche durch seine Nationalität zu suchen. Dass er mitbekommt, was ihn über die Nationalität hinausführt, das ist das Nationale deutschen Wesens. Darin besteht das konkret Nationale deutschen Wesens, dass es durch das Nationale über die Nation hinausgetrieben wird in das allgemeine Menschentum hinein.«

GA 174 a, Mitteleuropa zwischen Ost und West, 23.3.1915, S. 72


1916:

Christus ist der Überwinder der Rassen und Nationen

»Und das ist auch mit der Sinn des Mysteriums von Golgatha, die Eroberung der Einheit der Menschen von innen heraus. Verschieden werden die Menschen immer mehr und mehr in bezug auf das Äußere, und das wird gerade bewirken, dass nicht Einförmigkeit, sondern Mannigfaltigkeit ist über die Erde hin. Das wird bewirken, dass die Menschen um so mehr Kraft anwenden müssen von innen heraus, um zur Einheit zu kommen. Rückschläge gegen diese Einheit des Menschen über die Erde hin wird es immer geben. Wir sehen solche Rückschläge auftauchen. Dasjenige, was eigentlich für eine frühere Zeitepoche bestimmt war, erhält sich in eine spätere Zeitepoche hinein. Dasjenige, was bestimmt war, Verschiedenheit zu bewirken für einen bestimmten Zeitraum, stellt sich nebeneinander. Die Menschen bilden verschiedene Gruppen, und während sie sich ihre Einheit über die Erde erobern durch den Christus-Namen, durch den Christus-Impuls, bleibt die Verschiedenheit als Nachschläge vorhanden und wird immer vorhanden bleiben, indem die Menschen nur nach und nach sich ihre Einheit werden erobern können, und immer daneben die einzelnen Menschengruppen sich bis aufs Blut bekämpfen werden in bezug auf alles äußere Leben. Nachschläge sind da aus früheren Zeiten, die im Grunde genommen gegen den Christus-Impuls, nicht mit dem Christus-Impuls laufen.

Allerdings, eine tiefe, tiefe Bedeutung dieses Christus-Impulses geht uns da auf. Aus wirklicher Erkenntnis heraus können wir sagen: Der Christus ist der Erretter der Menschheit von der Zersplitterung in Gruppen. [...]

Dann ist es notwendig, dass man die ganze Bedeutung der Geister der Form aufnimmt, wie diese Geister der Form haben ausbilden wollen ein einheitliches Menschengeschlecht, das sie aber gleichsam versuchen wollten in sieben aufeinanderfolgenden Stufen auszubilden, und wie dieses einheitliche Menschengeschlecht zersplittert worden ist durch Luzifer-Ahriman, und wie durch den Christus-Impuls von innen heraus belebt worden ist diejenige Kraft, die trotz aller äußeren Verschiedenheit den einheitlichen Menschennamen sinnvoll über die ganze Erde hin ausbreiten will bis zum Ende der Erdenzeit.

[...]

Das wollte ich vorzugsweise klarmachen, dass der Christus im Laufe der Erdenentwicklung derjenige Geist aus dem Weltenall war, der auf geistige Weise dasjenige gebracht hat, was zwar auf äußere Formweise veranlagt werden musste, was aber auf die äußere Formweise nicht hat zu Ende kommen können, weil sonst der Mensch ein Automat der Liebe und der Menschengleichheit geworden wäre. Auf dem physischen Plan ist es einmal ein Grundgesetz, dass alles durch Gegensätzlichkeiten, alles durch Polaritäten wirken muss. Nicht hat einfach, wie eben eine kindliche Menschenweisheit sagen könnte, das göttliche Wirken heruntersenden können gleich im Anfange der Erdenentwickelung den Christus, denn dann wäre dieser Gegensatz des äußeren Zerstreuens und des inneren Sammelns nimmermehr entstanden. Unter diesem Gegensatz, unter dieser Polarität muss aber die Menschheit leben. Dann bringt man den Christus die richtigen Empfindungen entgegen, so dass er immer mehr werden kann dasjenige Wesen, das unser eigenes Ich im Innersten ausfüllt, wenn man ihn ansieht als den Erretter der Erdenmenschheit aus der Zersplitterung heraus. Überall, wo man wirklich diese Vereinigung der ganzen Menschheit durch den Christus über die Erde hin aufzufassen in der Lage ist, da ist Christentum. Es wird in der Zukunft wenig davon abhängen, ob dasjenige, was der Christus ist, auch noch der Christus geheißen wird, aber davon wird viel abhängen, dass man in dem Christus den Vereinheitlicher der ganzen Menschheit auf einem geistigen Wege sucht und dass man sich abfindet mit dem Gedanken, dass äußere Mannigfaltigkeit immer größer und größer werden wird in der Welt. [...]

Aber so viel gesagt werden kann über dieses Prinzip im Christus-Impuls, das die Errettung der Menschheit aus der leiblichen Zersplitterung in die geistige Vereinheitlichung hinein ist, das muss ausgesprochen werden, denn das muss wirksam und immer wirksamer werden innerhalb der Menschheitsentwicklung.«

GA 165, Die geistige Vereinigung der Menschheit durch den Christus-Impuls, 9.1.1916, 5. 179—184


»Was heißt das: die Bewusstseinsseele soll ausgebildet werden? ... Die verschiedenen Völker dieser fünften nachatlantischen Kulturperiode [seit dem 15. Jahrhundert] sollen zusammenwirken, um die Bewusstseinsseele zum Ausdruck zu bringen.«

GA 168, Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten, 10.10.1916, S. 92


»Soziales Verständnis, Gedankenfreiheit, Geist-Erkenntnis - das sind die drei großen Ziele, Impulse des fünften nachatlantischen Zeitraums [seit dem 15. Jahrhundert].«

GA 168, Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten, 10.10.1916, S. 113


»Sie wissen, wir können diesen Ausdruck Unterrasse aus oftgenannten Gründen nicht brauchen, weil man dadurch schon ein einseitiges, ein Gruppenziel verfolgt, während es uns nie um Gruppenziele zu tun ist, sondern immer um die allgemeinen menschheitlichen Ziele.«

GA 173, Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit, 17.12.1916, S. 166


1917:

Nationalismus ist eine Anomalie

»Ob eine Eisenbahn oder eine ähnliche Einrichtung in England, in Rußland, in China oder in Japan gebaut wird, die Gesetze, nach denen dies geschieht, die Kenntnisse, die man dazu braucht, sind überall dieselben, weil alles dies nur nach mechanischen, vom Menschen losgelösten Gesichtspunkten bewerkstelligt wird; so dass in der Tat ein internationales Prinzip auf diesem Gebiete in allerumfänglichster Weise Platz gegriffen hat. [...]

Weil der materielle Fortschritt gewissermaßen vorausgeeilt ist dem guten Willen zur geistigen Erkenntnis, so ist dem Menschen dieser materielle Fortschritt, und namentlich alles, was aus diesem Fortschritt an Leidenschaften, an Impulsen in den Seelen sich ergibt, über den Kopf gewachsen. Es zeigt sich dies ja äußerlich am eindringlichsten dadurch, dass nicht diejenigen Ideen, welche auf harmonisches Zusammenleben der Menschen auf Erden hinzielen, dass mit andern Worten nicht die christlichen Ideen die Oberhand gewonnen haben, sondern, bis zur Exaltation, solche, welche die Menschheit spalten und sie in Kulturepochen zurückführen, von denen man glauben konnte, dass sie längst überwunden seien. Dass im 19. Jahrhundert innerhalb der miteinander lebenden Nationalitäten der Nationalismus solche Blüten treiben konnte, wie er sie getrieben hat, das ist die starke, große Anomalie, und sie zeigt, dass die Menschen mit ihrer Seelenentwicklung der materiellen Entwicklung nicht nachgekommen sind.

GA 174, Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit, 2. Teil, 6.1.1917, S. 37-38


Das Allgemein-Menschliche ist der Hauptinhalt der Anthroposophie

»Nun ist gerade das Allgemein-Menschliche das, was der Mensch an sich trägt, ohne dass es sich in dieses oder jenes Volkstum individualisiert, spezifiziert, was man sich durch die Geisteswissenschaft voll zum Bewusstsein bringen kann, weil ja alles das, was den Hauptinhalt der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft ausmacht, wirklich für jeden Menschen gilt, ohne irgendeinen Gruppenunterschied. [...]

In der Hauptsache geschieht ja die Einwirkung der Volksseele auf die Individualität des Menschen auf dem Umweg des mütterlichen Prinzips. Das mütterliche Prinzip ist eingebettet in das Volksseelentum [...]

Im wesentlichen wird, so wie die Dinge heute noch liegen, zunächst durch das Blut vom Volkstum aus in den Menschen hineingewirkt, und durch dasjenige, was im Ätherleib dem Blute entspricht. Natürlich haben wir es da mit einem mehr oder weniger animalischen Impulse zu tun, und er bleibt animalisch für den weitaus größten Teil der heutigen Menschen. Der Mensch gehört einem gewissen Volkstum an durch sein Blut. [...]

Viel bewusster lebt der Mensch in all dem, was an Menschlichkeit ohne Unterschied der Nation in ihm lebt. Daher wird auch das Pathos, die Leidenschaft, der Affekt, mit dem sich der Mensch eines Nationalität angehörig fühlt, mit einer gewissen elementaren Kraft hervortreten. Der Mensch wird nicht versuchen, logische Gründe oder Urteile geltend zu machen, wenn es sich für ihn darum handelt, seine Zusammengehörigkeit mit seiner Nationalität zu bestimmen oder zu empfinden. Das Blut und das Herz, das unter dem Einflusse des Blutes steht, bringt den Menschen mit seiner Nationalität zusammen, lässt ihn in der Nationalität drinnen leben. Die Impulse, die da in Betracht kommen, sind unterbewusst, und es ist schon viel gewonnnen, wenn man sich dieses unterbewussten Charakters bewusst ist. Gerade in bezug darauf ist es wichtig, wenn der Mensch, der an die Geisteswissenschaft herantritt, in sich selber eine Entwicklung durchmacht, wenn er in bezug auf diese Dinge gewissermaßen anders empfindet als die übrige Menschheit. [...]

Während also der Nichtgeisteswissenschafter sich nur die Antwort geben kann: Durch mein Blut hänge ich mit meiner Nationalität zusammen, durch mein Blut verteidige ich dasjenige, was in der Nation lebt, durch mein Blut fühle ich die Verpflichtung, mich zu identifizieren mit meiner Nationalität –, muss der Geisteswissenschafter sich die andere Antwort geben: Durch mein Karma bin ich mit der Nationalität verbunden, denn es ist ein Teil des Karma. 

Sobald man Karmabegriffe einführt, vergeistigt man allerdings das gesamte Verhältnis. Und während der Nichtgeisteswissenschafter für alles das, was er als Angehöriger eines bestimmten Volkes tut, das Pathos, die Impulsivität, das Blut aufrufen wird, wird derjenige, der die geisteswissenschaftliche Entwicklung durchgemacht hat, sich durch das Karma verbunden fühlen mit diesem oder jenem Volkstum. [...]

Es wird eine viel freiere Auffassung dieser Zugehörigkeit Platz greifen, wenn die ganze Angelegenheit als eine Karmaangelegenheit betrachtet wird. Dann werden gewisse feine Begriffe auftauchen für denjenigen, der sich vielleicht der oder jener Nationalität bewusst anschließt und dadurch eine Karmaschwenkung vollzieht.«

GA 174, Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit, 2. Teil, 7.1.1917, S. 55-58


Nationaler Chauvinismus entspringt aus ungeläuterten sexuellen Instinkten

»Mehr als man glaubt, ist nämlich das Problem des Volkstums in Beziehung zu setzen mit dem sexuellen Problem. Denn die Zugehörigkeit zum Volkstum beruht auf der gleichen Organgrundlage – dem Gangliensystem –, das auch dem Sexuellen zugrunde liegt. Das ist ja äußerlich schon dadurch zu verstehen, dass man seinem Volkstum durch die Geburt angehört, insoferne als man in der Mutter eines bestimmten Volkes gereift ist; insoferne ist ja schon die Vermittlung da. Da sehen sie, durch welche, ich möchte sagen, seelenunterirdischen Untergründe gerade das Nationalitätenproblem schon mit dem Sexualproblem zusammenhängt. Und daher ist in der Escheinung so viel Verwandtes zwischen diesen beiden Impulsen im Leben. Wer nur offene Augen für das Leben hat, der wird ungeheuer viel Verwandtes finden zwischen der Art und Weise, wie sich der Mensch betätigt aus dem Erotischen heraus, und wie er sich betätigt in seiner Zugehörigkeit zum Volkstume. Es ist natürlich damit weder pro noch kontra in bezug auf das eine oder das andere etwas gesagt; aber die Tatsachen liegen so, wie ich das charakterisiert habe. Die Erregungen nationaler Art, die insbesondere stark unbewusst wirken, wenn sie nicht ins Ich-Bewusstsein heraufgeholt werden, indem man die Frage zu einer Karmafrage macht, wie ich das neulich charakterisiert habe, sind sehr verwandt den sexuellen Erregungen. Man darf über solche Dinge nicht dadurch hinweggehen, dass man aus gewissen Täuschungen und Sehnsuchten heraus eine emotionelle Art des Nationalempfindens zu einer recht vornehmen Empfindung machen möchte, und die Sexualempfindung zu einer recht wenig vornehmen; denn die Tatsachen liegen schon so, wie ich es ihnen entwickelt habe.«

GA 174, Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit, 2. Teil, 14.1.1917, S. 142-143


Christus überwindet alle kollektiven Identitäten

»Ich habe es betont, stark betont: Der Christus ist für die individuellen Menschen gestorben. Das müssen wir als etwas ganz wesentlich zum Mysterium von Golgatha Gehöriges betrachten. Der Christus hat eine wichtige Tat im fünften – davon wollen wir zunächst absehen–, aber auch im sechsten nachatlantischen Zeitraum zu tun: nämlich hier für die Erde ein Helfer zu werden zur Überwindung, zur letztlichen Überwindung alles desjenigen, was aus dem Nationalprinzip kommt.«

GA 174, Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit, 2. Teil, 22.1.1917, S. 233


Rudolf Steiner im Semi-Kürschner

Philipp Stauff, der völkische Multifunktionär, gab den »Semikürschner« heraus, in dem auch Rudolf Steiner als »Jude« aufgeführt wurde. Rudolf Steiner äußerte sich in einem Vortrag über diesen völkischen Antisemiten:

Da ist mir neulich eine Art Lexikon geschickt worden, worin Schriftstellernamen verzeichnet werden. Es sollen alle diejenigen Schriftstellernamen verzeichnet werden, deren Träger etwas in sich haben, was Judentum ist, was im Sinne der Verwirklichung des Judaismus in der Welt, des Judentums wirkt. Unter diesen Schriftstellern bin ich auch angeführt, und zwar bin ich aus dem Grunde angeführt, weil ich viele Ähnlichkeiten hätte – nach der Ansicht des Verfassers jenes literarischen Lexikons [Philipp Stauff] – mit lgnaz von Loyola, der gerade wegen seines Judaismus den Jesuitismus begründet habe, und weil ich außerdem herstammte aus einer Grenzgegend zwischen Deutschen und Slawen, wo ich zufällig geboren bin, trotzdem ich gar nicht dorther stamme, und weil das, dass ich dorther stamme – ich weiß nicht, aus welchen Gründen –, darauf hindeute, dass ich jüdischer Abstammung sei. Über diese Sache habe ich mich nicht besonders verwundert, denn heute erscheinen noch verwunderlichere Sachen, nicht wahr? Aber unter diesen Menschen, die da als Förderer des Judaismus aufgeführt werden, befindet sich auch Hermann Bahr – ich habe darin so geblättert –, der nun so durch und durch Oberösterreicher ist, dass es wahrhaftig ganz unmöglich ist, darauf zu kommen, ihn irgendwie mit jüdischem Blute oder so etwas in Zusammenhang zu bringen. Trotzdem wird in diesem literarischen Lexikon ein bekannter Literarhistoriker zitiert als Quelle dafür, dass Hermann Bahr doch etwas Jüdisches unbedingt habe.

Nun, als mir einmal vorgeworfen wurde – diese Dinge sind ja nicht neu –, dass ich jüdisch sei, da ließ ich meinen Taufschein photographieren. Hermann Bahr musste auch solche Experimente machen, weil ihm von einem Literarhistoriker vorgeworfen worden ist, dass er Jude sei. Er wollte eben die Wahrheit an die Stelle setzen. Und da sagte der betreffende Literarhistoriker: Na, aber es kann ja der Großvater Jude gewesen sein.

Aber es lässt sich schlechterdings nichts in der Ahnenschaft von Hermann Bahr nachweisen, was nicht absolut uroberösterreichisch-deutsch ist; es lässt sich durchaus nichts nachweisen. Das war natürlich fatal für jenen Literarhistoriker, aber von seiner Meinung ließ er sich deshalb nicht abbringen. Und dieses, dass er sich nicht von seiner Meinung abbringen ließ, richtete er auf folgende Weise ein. Er sagte: Und wenn Hermann Bahr durch zwölf Generationen hinauf mir die Taufscheine vorlegt, dass er nicht einen Tropfen jüdischen Blutes von irgendeiner Seite bekommen haben kann, dann würde ich nötigenfalls an die Reinkarnation glauben. Also, Sie sehen: Die Gründe, an die Reinkarnation zu glauben, liegen bei diesem sehr verbreiteten und sehr berühmten Literarhistoriker auf einem sonderbaren Feld.

Es ist heute zuweilen schon schwierig, dasjenige, was berühmte Menschen aussprechen, überhaupt noch ernst zu nehmen.

GA 177, Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt, 1.10.1917, S. 46-47


Blonde Bestien

Es war schon der Teufel, der den Menschen die Versuchung eingegeben hat, als Nietzsche-Anhänger selbst »blonde Bestien« zu sein.

GA 177, Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt, 1´6.10.1917, S. 74


Rassenideale sind Inspirationen der Geister der Finsternis

»So dass wir seit diesem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eigentlich eine vollständige Umkehrung aller Verhältnisse haben. Die regelrecht fortwirkenden Geister des Lichtes haben genug getan in der Festlegung der Blutsbande, der Stammes-, der Rassenbande und so weiter, denn in der Entwickelung hat alles seine bestimmte Zeit. Dasjenige, was gefestigt worden ist in der Menschheit durch die Blutsbande, dem ist genug geschehen in der allgemeinen gerechten Weltenordnung. So dass seit dieser neueren Zeit die Geister des Lichtes sich so wandeln, dass sie jetzt den Menschen inspirieren, freie Ideen, Empfindungen, Impulse der Freiheit zu entwickeln, dass sie es sind, die den Menschen auf die Grundlage seiner Individualität stellen wollen. Und die den alten Geistern der Finsternis verwandten Geister, die bekommen jetzt nach und nach die Aufgabe, in den Blutsbanden zu wirken.

Das, was gut war in alten Zeiten, oder besser gesagt, was in der Sphäre der guten Geister des Lichtes war, das wird abgegeben im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts an die Geister der Finsternis. So dass von da ab die alten Impulse, die sich auf Rassen-, Stammes- und Volkszusammenhänge, auf das Blut gründen, übergehen in die Regierung der Geister der Finsternis, dass von da ab die Geister der Finsternis, die früher die Rebellen der Freiheit waren, den Menschen einzuimpfen beginnen, die Ordnungen auf Stammeszusammengehörigkeiten, auf Blutsbande zu begründen.

Sie sehen, definieren kann man nicht. Denn definiert man die Geister der Finsternis nach ihrer Aufgabe in alten Zeiten, so bekommt man gerade das Gegenteil von dem heraus, was die Geister der Finsternis in neuen Zeiten, seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, als Aufgabe haben. In alten Zeiten hatten die Geister der Finsternis die Aufgabe, entgegenzuarbeiten den vererbten Merkmalen der Menschen; seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bleiben sie zurück, wollen zurückbleiben, wollen die Menschen wieder und wiederum hinweisen, auf ihre Stammes- und Bluts- und Vererbungszusammenhänge zu pochen.

Diese Dinge sind einfach eine Wiedergabe der Wahrheit, aber einer Wahrheit, die den Menschen heute im höchsten Grade unbequem ist, die die Menschen heute nicht hören wollen, denn sie haben sich durch Jahrtausende das Pochen auf die Blutsbande eingeimpft. Und diese Gewohnheit lassen sie aus Bequemlichkeit übergehen in die Führung der Geister der Finsternisse.

Und so sehen wir, das gerade im 19. Jahrhundert ein Pochen auf Stammes- und Volks- und Rassenzusammenhänge beginnt, und dass man von diesem Pochen als einem idealistischen spricht, während es in Wahrheit der Anfang ist einer Niedergangserscheinung der Menschen, der Menschheit. ...

Im stärksten Maße werden sich die Geister der Finsternis anstrengen, wie sie sich früher angestrengt haben, den rebellischen Sinn für die Freiheit in die Menschen zu pflanzen, als die Vererbungsmerkmale im guten Sinne von den fortschrittlichen Geistern vererbt wurden, so werden sie sich im äußersten Maße anstrengen in den drei folgenden Zeiten der Menschheitsentwicklung bis zu der großen Katastrophe, durch die Konservierung der alten Vererbungsmerkmale und der aus der Konservierung. dieser Vererbungsmerkmale folgenden Gesinnung die notwendigen Niedergangsmerkmale in die Menschheit zu bringen.

Da ist wiederum ein Punkt, an dem man wachsam sein muss ... ein Mensch, der heute von dem Ideal von Rassen und Nationen und Stammeszusammengehörigkeiten spricht, der spricht von Niedergangsimpulsen der Menschheit. Und wenn er in diesen sogenannten Idealen glaubt, fortschrittliche Ideale vor die Menschheit hinzustellen, so ist das die Unwahrheit. Denn durch nichts wird sich die Menschheit mehr in den Niedergang bringen, als wenn sich die Rassen-, Volks- und Blutsideale fortpflanzen. Durch nichts wird der wirkliche Fortschritt der Menschheit mehr aufgehalten als dadurch, dass aus früheren Jahrhunderten stammende, von luziferisch-ahrimanischen Mächten fortkonservierte Deklamationen herrschen werden über die Ideale der Völker, während das wirkliche Ideal dasjenige werden müsste, was in der rein geistigen Welt, nicht aus dem Blute heraus, gefunden werden kann.

Der Christus, der im Laufe des 20. Jahrhunderts erscheinen soll, in besonderer Form erscheinen soll, der wird nichts wissen von jenen sogenannten Idealen, von denen heute die Menschen deklamieren. Denn so wie da das Wesen aus der Hierarchie der Archangeloi, das wir als Michael bezeichnen, gewissermaßen der Statthalter Jahves in früheren Zeiten war, wird er sein durch jene Funktion, die er 1879 übertragen erhalten hat, der Statthalter des Christus, des Christus-Impulses, der darauf hinausläuft, an die Stelle der bloß natürlichen Blutsbande geistige Bande unter den Menschen zu schaffen. Denn nur durch geistige Bande unter den Menschen wird in das Niedergehende, das ganz naturgemäß ist, Fortschreitendes hineinkommen. Ich sage: das Niedergehende ist naturgemäß. Denn geradeso wie der Mensch, wenn er ins Alter kommt, nicht ein Kind bleiben kann, sondern mit seinem Leib in eine absteigende Entwickelung eintritt, so trat auch die ganze Menschheit in eine absteigende Entwickelung ein. Wir haben den vierten Zeitraum überschritten, wir sind im fünften darinnen; der sechste und der siebente werden mit dem fünften zusammen das Alter der gegenwärtigen Weltentwicklung sein. Zu glauben, dass die alten Ideale fortleben können, ist geradeso gescheit, wie zu glauben, dass der Mensch sein ganzes Leben hindurch buchstabieren lernen soll, weil es dem Kinde gut ist, buchstabieren zu lernen. Ebenso gescheit wäre es, wenn man in der Zukunft davon reden wollte, dass über die Erde hin eine soziale Struktur sich ausbreiten soll auf Grundlage der Blutszusammengehörigkeit der Völker. Das ist zwar Wilsonianismus, das ist aber zu gleicher Zeit Ahrimanismus, das ist der Geist der Finsternis.«

GA 177, Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis, 26.10.1917, S. 203-206


1918:

Wer Rassismus und Nationalismus bekämpft, kämpft für den wahren Zeitgeist

»Diese geistigen Wesenheiten, die von diesem, zum Zeitgeist werdenden Erzengel Michael bekämpft werden mussten, sie haben immer eingegriffen in das Leben, in die Evolution der Menschheit. Sie haben nämlich in den letzten Jahrtausenden vor der Mitte des 19. Jahrhunderts die Aufgabe gehabt, die Menschen von der geistigen Welt aus zu differenzieren. [...]

Diese geistigen Wesenheiten, die das michaelische Prinzip zu bekämpfen hatte, sind die, welche die Aufgabe hatten, Differenzierung in die Menschheit hineinzubringen, das einheitliche Menschengeschlecht zu spalten in Rassen, in Völker, in alle diejenigen Unterschiede, welche mit dem Blute, mit den Nerven, dem Temperament zusammenhängen. ... Man mag diese geistigen Wesenheiten, die solche Differenzierung in die Menschheit hineinzubringen hatten, ahrimanische Wesenheiten nennen. [...]

Es kam die Zeit heran, von den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts angefangen, in welcher die alten Differenzierungen verschwinden sollten, die Zeit, in welcher zusammengefasst werden sollte das differenzierte Menschengeschlecht in eine Menschheitseinheit. [...]

Es tendiert schon die Menschheit dahin, auszulöschen die verschiedenen Unterschiede, welche das Blut, das Nerventemperament beförderte. Es ist tatsächlich nicht eine Tendenz der geistigen Welten, die Menschheit weiter zu differenzieren, sondern es ist eine Tendenz in den geistigen Welten, Kosmopolitisches über die Menschheit auszugießen. So wenig Verständnis auch heute dafür da ist unter dem Eindruck unserer katastrophalen Zeit, so ist es eben doch so, dass man der Wahrheit gemäß dies gestehen muss. Und diese in den irdischen Ereignissen sich spiegelnde Tatsache, die führt dazu, wenn man sie in ihren geistigen Hintergründen beobachtet, zu schauen, wie die Rassengeister, jene die Menschheit differenzierenden Volksgeister, von den vierziger Jahren ab bekämpft worden sind gerade von dem Geiste, der Zeitgeist werden sollte in der neueren Zeit. [...]

Und so haben wir seit dem Ende der siebziger Jahre ein Zwiefaches. Wir haben auf der einen Seite für diejenigen, von denen man sagen könnte, dass sie guten Willens sind – wenn man den Ausdruck im bedingten Sinne versteht –, wir haben seit dem Jahre 1879 auf der Erde die Herrschaft des Zeitgeistes Michael, der einen befähigt, spiritualisierte Begriffe, ein spiritualisiertes Geistesleben zu bekommen. Und wir haben auf der Erde die widerstrebenden Geister, die einen dazu verführen, die Geistigkeit der Gegenwart abzuleugnen. [...]

Denn es sind im wesentlichen Lügengeister, welche vom Himmel auf die Erde gestoßen worden sind, jene Geister, welche vorläufig auch als Geister der Hindernisse verhindern, dass gerade in dem Erfassen des naturgemäßen Daseins das Spirituelle gesucht wird. [...]

Und im wesentlichen ist es ein Mitkämpfen mit dem Erzengel Michael, wenn man sich gegen diese Geister auflehnt, wenn man sucht, sie aus dem Felde zu schlagen. [...]

Michael ist der Geist, der mit der Freiheit der Menschen im eminentesten Sinne arbeitet.«

GA 174 a, Mitteleuropa zwischen Ost und West, 17.2.1918, S. 224-240


Nationaler Chauvinismus

»Gewisse Dinge dürfen eben nicht im Laufe der Entwicklung ins Fleisch gehen, sondern müssen in der Seele bleiben. Was geschieht denn, wenn sie ins Fleisch, ins Blut gehen? Dann begründen sie im Unterbewussten Affekte, Leidenschaften, denen Namen gegeben werden, denen Masken gegeben werden, und die manchmal etwas ganz anderes sind als die Masken, die ihnen gegeben werden. Heute lebt so vieles ... was dadurch entstanden ist, dass ins Blut, ins Fleisch übergegangen ist, was in der Seele hätte bleiben sollen. Und was wird dadurch begründet? Es begründet Streit, Zwietracht. Disharmonie über die Erde hin. Das maskiert sich in allen möglichen Formen, das maskiert sich darin, dass der Italiener den Germanen, dass der Engländer den Deutschen, dass der Germane den Romanen nicht ausstehen kann; das maskiert sich in diesen Leidenschaften, die über die Erde hin wüten ...«

GA 174 b, Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkriegs, 26.4.1918, S. 348


Nationalisten bäumen sich gegen den »gottgewollten Gang der Evolution« auf, der die Überwindung der nationalen Unterschiede herbeiführen will

Die Menschheit bäumt sich auf, indem in der Zukunft überwunden werden soll alles soziale Sonderbestreben, bäumt sich heute dagegen auf, gerade indem der billige Grundsatz über die ganze Welt hin geschleudert wird, die Menschen sollen sich nach Nationen gruppieren. Was heute geschieht, das ist ein Aufbäumen gegen den gottgewollten Gang der Menschheitsentwicklung, das ist ein Sich-Zerren zum Gegenteil dessen, was doch kommen muss.

GA 185, Geschichtliche Symptomatologie, 26.10.1918, S. 119


Einsatz für Dreyfus, völkische Reaktionen

Ich möchte nur an eine kleine Episode dabei erinnern. Unter denjenigen Männern innerhalb der zeitgenössischen Geisteskultur, die sich am allerintensivsten einsetzten für dasjenige, was ich auf dem Gebiete des Goetheanismus geleistet hatte, befand sich ein Professor an einer Universität. Ich erzähle nur eine Tatsache. Diejenigen, die mich kennen, werden es mir nicht als eine Albernheit auslegen, wenn ich Ihnen sage, dass mir jener Professor im «Russischen Hof» in Weimar einmal gesagt hat: Ach, gegenüber dem, was Sie über Goethe geschrieben haben, verblasst doch alles, was wir irgendwie Unbedeutendes in Anknüpfung an Goethe sagen können. ...

Nun, jener selbige Literaturprofessor, der mir dieses gesagt hatte, war auch Abonnent des «Magazin». Sie wissen ja, welche weltgeschichtlichen Fragen dazumal der Dreyfus-Prozess aufgewirbelt hat. Ich hatte im «Magazin» nicht nur über den Dreyfus-Prozess selber eine Mitteilung gemacht, die eigentlich nur von mir gemacht werden konnte, sondern ich war auch mit aller Energie eingetreten für die berühmte Rede, welche dazumal als «J' accuse-Rede» Émile Zola für Dreyfus gehalten hat. Ich bekam darauf von jenem Literaturprofessor, der mir früher manches Anbeterische in allerlei Briefen geschrieben hat, es auch hat drucken lassen, ich könnte es heute noch zeigen, auf einer Postkarte die Nachricht: Hierdurch bestelle ich das «Magazin für Literatur» ein für allemal ab, da ich ein Organ, das für den sein Vaterland verratenden Judensöldling Émile Zola eintritt, nicht in meiner Bibliothek dulden mag. – Das ist nur eine solche Episode, die ich, ich darf schon sagen in diesem Falle, ins Hundertfache vermehren könnte. Es würde sich manches Charakteristische ergeben, wenn ich Ihnen erzählen würde, in welche Kenntnis erweckenden Zusammenhänge mich dann die Redaktion des «Magazin für Literatur» gebracht hat.

GA 185, Geschichtliche Symptomatologie, 27.10.1918, S. 136-137


1919:

Die Europäer hatten eine heillose Furcht vor den Indianern und ihrer Spiritualität, deswegen wurden sie massakriert

»Diese Indianer, die man ausgerottet hat bei der Eroberung von Amerika, sie waren ja nach der Ansicht der Europäer recht unkultivierte Menschen. Ja, äußerlich waren sie auch recht unkultivierte Menschen. Aber das Eigentümliche war, dass diese amerikanischen Indianer, die man ausrottete, ein ganz intensives übersinnliches Wissen hatten [...]

Die Geschichte erzählt von allerlei Kulturwanderungen von Asien herüber nach Europa über Griechenland, Rom und so weiter. Aber sie erzählt nicht, dass noch eine andere Kulturwanderung stattgefunden hat, jetzt nicht auf dem Wege von Asien herüber nach Europa, sondern von Asien über den Stillen Ozean herüber nach unserem heutigen Westen, nach Amerika, auf den Wegen, die in alten Zeiten eben durchaus möglich waren. Dasjenige, was im Osten an Geistigkeit errungen worden ist, das ist gerade nach Amerika gebracht worden. [...]

Aber man hat ihn [den Kontakt zu Amerika] so entdeckt, dass man die damaligen Amerikaner, die amerikanischen Indianer massakriert hat. Diese Art von Kulturausdehnung, das war die erste Etappe auf dem Wege, auf dem wir dann nach und nach weitergegangen sind. Ja, es ist in der Tat so, dass, als die Europäer nach Amerika gekommen sind, sie bei den Indianern wohl eine äußere Schmutzkultur in der materiellen Welt gefunden haben, dass sie aber auch gefunden haben ein hohes spirituelles Leben bei diesen sogenannten wilden Menschen, denen sie den Garaus gemacht haben. Und diese »wilden« Menschen haben bei jeder Gelegenheit gesprochen von dem Geiste, der in allen Einzelheiten ihres Lebens bei ihnen lebte. Es war für diejenigen Europäer, die etwas davon verstehen konnten, zuweilen ein großes Erlebnis, gerade die Art und Weise kennenzulernen, wie diese amerikanischen Indianer von dem großen Geiste redeten. Wodurch hatten sich im Laufe der Erdenentwickelung gerade diese äußerlich herabgekommenen Indianer die Möglichkeit bewahrt, zu diesem großen Geiste, der die Welt durchwellt und durchwebt, aufzuschauen? Dadurch hatten sie sich die Möglichkeit bewahrt, dass sie gerade äußerlich-physisch in einer gewissen Weise herabgekommen waren. Sie waren äußerlich-physisch verknöchert. Dadurch war ihnen geblieben, wie eine gewaltige Erinnerung, das Wissen von dem großen Geiste, das ihnen von Osten, von unserem Osten, aber auf dem anderen, dem entgegengesetzten Wege durch den Stillen Ozean, zugekommen war. Das hatten sie sich bewahrt. Sie hatten sich abgegliedert von der Seelenerkenntnis und leiblichen Erkenntnis die geistige Erkenntnis. Sie lebten gewissermaßen ganz aufgehend im Geiste.

Die Europäer hatten eine heillose Furcht vor dem, was da als Kunde über den Geist von seiten der nordamerikanischen Indianer zutage trat. Die Europäer hatten ja auch schon früher dafür gesorgt, dass diese Furcht vor dem Geiste nicht ausgetrieben werde. Ich habe Ihnen öfters jenes denkwürdige Konzil von Konstantinopel im Jahre 869 erwähnt, auf dem die katholische Kirche den Glauben an den Geist abgeschafft hat, auf dem die katholische Kirche dekretiert hat, dass man künftig nicht glauben dürfe an Leib, Seele und Geist, sondern dass man nur glauben dürfe an Leib und Seele. Und diese Abschaffung der Erkenntnis des Geistes, sie hat alles dasjenige bewirkt, was an wissenschaftlichem und Erkenntnis-Chaos über Europa gekommen ist. Es war daher kein Wunder, dass diese in der Furcht vor allem Geistigen erwachsene europäische Menschheit noch heillosere Angst bekam, als sie nun den amerikanischen Indianern mit ihrer Kunde von dem großen Geiste gegenüberstand.«

GA 192, Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen, 20.7.1919, 5. 309—311


1920:

Völkische Nationalisten wollen Herdentiere bleiben

»Die Wissenschaft der Initiation wendet sich schlechterdings immer an den einzelnen Menschen. Auch wenn sie zu einer Summe von Menschen spricht, so wendet sie sich in Wirklichkeit an den einzelnen Menschen. Man kann nicht die wahre Wissenschaft der Initiation so vortragen, wie man in früheren Zeiten auf die Menschen gewirkt hat. Die katholische Kirche zum Beispiel verpflanzte diese Art auch in die Gegenwart herein, übrigens nicht bloß die katholische Kirche, sondern auch gewiße Parteirichtungen bedienen sich heute noch derselben Methode. Man hat ja so gewirkt, dass man, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Massenpsyche zu Hilfe nahm, dass man appelliert an das, was einer Menschengemeinschaft in einer gewissen ... hypnotisierenden Weise etwas einimpft. ... Es ist etwas Wahres an einer solchen Massenhypnose ... Dieser Mittel, die durchaus wirksam sind, kann sich eine wahre Weisheit der Initiation nicht bedienen. Sie muss so sprechen, dass sie zu jedem einzelnen Menschen spricht und dass sie an die Überzeugungskraft jedes einzelnen Menschen appelliert. [...]

Damit ist zugleich ein wichtiges soziales Prinzip gegeben ... das sie systematisch und prinzipiell durchgeführt finden in meinem Buche »Die Philosophie der Freiheit«. Wenn man nur mit ethischen, mit moralischen Impulsen an den einzelnen appellieren will, dann kann man nicht aus allgemeinen Abstraktionen heraus organisieren wollen, dann kann man nicht Gruppen von Menschen wie Herdentiere zusammenfassen, um ihnen irgendeine gemeinsame Direktive zu geben, sondern dann kann man sich eben nur an den einzelnen wenden [...]

Auf ein anderes Prinzip als auf dieses Prinzip des allgemeinen Menschenverhaltens kann die Sozialmoral der Zukunft gar nicht begründet werden ... Sie führt nur dann in einen Anarchismus hinein, wenn es nicht gelingen sollte, die Menschen zu wirklichen Menschen zu machen, das heißt, wenn die Menschen durchaus Untermenschen sein wollen, wenn sie durchaus unter solchen Gesichtspunkten zusammengehalten sein wollen, wie die Glieder einer Tiergruppe zusammengehalten sind. Löwen sind schon durch ihre Löwenform als Löwen zusammengehalten, Hyänen auch, Hunde auch; aber die Entwicklung der Menschheit geht dahin, dass nicht Menschengruppen, weder unter Blutsorganisationsbanden noch auch unter ideellen Organisationsbanden in der Zukunft organisiert werden sollen wie Hammelherden, sondern dass tatsächlich das, was im Zusammenwirken der Menschen entsteht, aus der Kraft der Individualitäten heraus geschieht.«

GA 196, Geistige und soziale Wandlungen in der Menschheitsentwickelung, 17.1.1920, S. 73-74


Der Mensch muss aus dem Völkischen herauswachsen, um Vollmensch zu sein

Daher muss der moderne Mensch, der nun einsieht, dass über die ganze Erde hin eine gleichmäßige, nicht nur materiell-wirtschaftliche, sondern Seelenkultur wachsen muss, der muss aus anderen Untergründen heraus als dem Völkischen geistig-sittliche Ideen entwickeln. Die Menschheit ist dazu veranlagt, denn in ihren verschiedenen Völkern bringt sie die einseitigen Begabungen. Aber über das Völkische muss der Einzelmensch hinauswachsen. Er wächst nur hinaus über das Völkische, ... wenn er aus diesem Volkstum heraus das allgemeine Menschentum zu gestalten vermag.

Für die ethische Grundlegung der Weltanschauung habe ich das versucht in meinem Buche, das Anfang der neunziger Jahre [1894] zum ersten Male erschienen ist, in meiner »Philosophie der Freiheit«. Da ist versucht worden, den Menschen den Weg zu Freiheit und zugleich zur Sittlichkeit zu zeigen, so dass in diesem Buche aber auch gar nichts gefunden werden kann, was nur aus einer einseitigen, völkischen Richtung heraus geboren wäre. ...

Da ist wie eine selbstverständliche Note durch das ganze Buch durchgehend, dass der Mensch noch nicht Vollmensch ist, wenn er sich als Angehöriger einer menschlichen Differenzierung fühlt, einer Nation, eines Volkes fühlt, dass er Vollmensch ist erst, wenn er herauswächst aus dieser Differenzierung. Gewiss, der Mensch ist Russe, der Mensch ist Engländer, der Mensch ist Franzose; aber der Franzose, der Russe, der Engländer ist als solcher nicht Mensch, sondern der Mensch muss aus seinem Volkstum herauswachsen. Das zeigt gerade ein wirkliches verständnisvolles Betrachten dieses Volkstums.

Dann aber kommt man dazu, die Sittlichkeit auf die menschliche Individualität zu bauen. Und baut man sie auf die menschliche Individualität, dann kommt man darauf, worauf im sozialen Zusammenleben die Sittlichkeit beruhen muss: Die Sittlichkeit muss im sozialen Zusammenleben beruhen auf dem Vertrauen, das der einzelne Mensch zum einzelnen Menschen haben kann. ... Dahin muss die Erziehung wirken, jene Erziehung, welche uns allein Besserung unserer sozialen Verhältnisse bringen kann.

GA 334, Vom Einheitsstaat zum dreigliedrigen sozialen Organismus, 6.5.1920, S. 291-292


Rassismus ist eine urreaktionäre Weltanschauung

»Man fragt ... heute zuerst: Wo hat das Kind das, wo jenes her? — Und wenige Menschen geben sich darauf die Antwort: Das hat das Kind von dem oder jenem Erlebnisse der geistigen Welt —, sondern man forscht danach, ob das von Großmutter, Großvater und dergleichen herstammt. Aber je mehr im einzelnen Menschen dies nicht als eine theoretische Ansicht, sondern als ein Gefühl auftritt, als ein Gefühl der Abhängigkeit von bloß irdisch vererbten Eigenschaften, desto drückender wird dieses Gefühl, desto furchtbarer nach und nach wird dieses Gefühl. Und dieses Gefühl wird mit einer rasenden Eile an Stärke zunehmen. Es wird bis zur Unerträglichkeit sich steigern müssen in dem nächsten Jahrzehnt, denn dieses Gefühl ist verbunden mit einem anderen, mit einem gewissen Gefühl der Wertlosigkeit des menschlichen Daseins. Das wird immer mehr und mehr auftreten, dass der Mensch die Wertlosigkeit seines Daseins fühlt, wenn er dieses Sein als nichts anderes fühlen kann denn als eine Zusammenfassung dessen, was seinem Blute, was seinen übrigen Organen eingepflanzt ist aus den physisch vererbten Eigenschaften heraus. Heute ist das, was da auftritt, allerdings noch bis zu einem gewissen Grade eine bloße Theorie. Dichter haben es auch schon als Erlebnis dargestellt. Aber es wird als Gefühl, es wird als Empfindung auftreten, und dann wird es eine drückende Eigentümlichkeit sein des Fühlens der zivilisierten Menschheit. Es wird wie eine Last auf der Seele ruhen, dieses Sich-Erleben in den bloß vererbten Eigenschaften. So tritt das, was die Naturwissenschaft dem Menschen nicht geben kann, das Menschenverständnis selber, so tritt es auf in seinem Mangel, indem der Mensch sich nicht als ein Kind der geistigen Welt fühlt, sondern lediglich als ein Kind der in dem irdischen, physischen Daseinslaufe vererbten Eigenschaften.

Aber mit aller Vehemenz tritt das im sozialen Leben auf. Denken Sie nur, welche Forderungen da auftraten als der Ausfluss einer riesigen weltpolitischen Dummheit, die in den letzten Jahren durch die Welt gezogen ist! Langsam ist es heraufgekommen in den letzten Jahrhunderten, seine Kulmination hat es erlangt, als es in unseren Tagen eben eine weltpolitische Dummheit geworden ist. [...] Im allerschlimmsten Sinne wurde nationaler Chauvinismus gerade in der neuesten Zeit wachgerufen.

Und nationaler Chauvinismus klingt heute durch die ganze zivilisierte Welt. Das ist nur das soziale Gegenbild für jene urreaktionäre Weltanschauung, welche alles auf die vererbten Eigenschaften zurückführen will.

Wenn man nicht mehr danach strebt, sein Wesen als Mensch zu ergründen und die soziale Struktur so zu gestalten, dass dieses Wesen als Mensch zurechtkommt, sondern wenn man nur darnach strebt, die soziale Struktur so herbeizuführen, dass sie dem entspricht, was man als Tscheche, als Slowake, als Magyar, als Franzose, als Engländer, als Pole und so weiter ist, dann vergisst man alle Geistigkeit. Dann schließt man alle Geistigkeit aus, dann will man die Welt bloß nach den blutsvererbten Eigenschaften ordnen, weil man immer mehr und mehr dazu gekommen ist, in seinen Begriffen nicht den geringsten Inhalt zu haben, [...] Deshalb musste man sich anlehnen an irgend etwas, was ganz geistlos ist, die Blutsverwandtschaft, die blutsverwandten Eigenschaften der Nationen, [...] Nichts zeigt vielleicht deutlicher den Materialismus der Neuzeit, dieses Verleugnen alles Geistigen, als das Auftreten des Nationalprinzips.

Das ist selbstverständlich eine Wahrheit, die heute vielen Menschen unangenehm ist. Und das macht es wiederum, dass so viel Lüge auf dem Grunde der Seele sich ablagern muss. Denn geht man nicht ehrlich darauf ein, dass man den Geist ableugnet, wenn man eine Weltordnung nur auf die Blutsverwandtschaft begründen will, so lügt man; man lügt, wenn man dann sagt, man neige irgendeiner geistigen Weltanschauung zu.

GA 200, Dornach, 31.10.1920, S.126-128, Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des 20. Jahrhunderts


»Diese indianische Bevölkerung, sie hat ja merkwürdige innere seelische Qualitäten gehabt. Man wird solchen Dingen in der Regel nicht gerecht, wenn man - bloß egoistisch pochend auf seine »höhere« Kultur - das alles als ein bloßes Barbarentum anschaut, wenn man nicht das ganz Andersartige solcher Menschen, wie diejenigen, die erobert und ausgerottet worden sind nach der Entdeckung Amerikas, berücksichtigt, wenn man diese nicht im ihrer besonderen Eigenart betrachtet, sondern sie einfach von der Vogelperspektive einer höheren Kultur herunter ins Auge fasst.«

GA 202, Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen, 14.12.1920


Nationaler Chauvinismus ist Opposition gegen den Geist

»Dieses Pochen auf die Nationalität, dieses nur leben wollen in der Nationalität. Das ist die Opposition gegen das Geistig-Seelische, denn dieses Geistig-Seelische, das kümmert sich nicht um die Nationalität.«

GA 202, 14.12.1920, S. 154


1921:

Indianer besaßen hohe Spiritualität

»Man wird, was ich zu sagen habe, nur verstehen, wenn man diese von den Europäern ausgerotteten Indianer in der richtigen Weise beurteilt. Gewiss, in dem Sinne waren das nicht gebildete Leute, in dem man jetzt unter uns Bildung auffasst, aber es war etwas in diesen Seelen, was ich bezeichnen möchte als eine universelle pantheistische religiöse Empfindung. Gerade bei diesen Indianern ... die dort das tonangebende Element bildeten, hat man angetroffen ein religiöses Gefühl, das sich richtete auf eine geistige Wesenheit, monotheistisch sogar, das einen einheitlichen Geist in den Naturerscheinungen und auch in den Taten der Menschen lebendig und intensiv empfand. Diese Seelenstimmung muss man ins Auge fassen und muss durch manches Vorurteil wie durch Gestrüpp hindurch begreifen, dass man in diesen Seelen doch etwas anderes zu sehen hat als das, was man nur dann im Indianer sieht, wenn man ihn nach äußerlicher, naturalistischer Methode gewissermaßen wie ein halbes Tier ansieht.«

GA 203, Die Verantwortung des Menschen für die Weltentwicklung ..., 6.1.1921, S. 37


1922:

Christus ist kein Volksgott, kein Rassengott

»Das Christentum ist nicht realisiert, denn den Christus voll verstehen, heißt: den Menschen als Menschen in sich finden. Der Christus ist kein Volksgott, ist kein Rassengott, der Christus ist überhaupt nicht der Gott irgendeiner Menschengruppe, sondern der Christus ist der Gott des einzelnen Menschen, insofern dieser einzelne Mensch nur ein Angehöriger der gesamten Menschheit ist. Und erst, wenn man die Christus-Wesenheit ... wird so verstehen können, dass man sie als den Menschheitsgott versteht, erst dann wird der Christus, aber dann auch gewiss die größte soziale Bedeutung über das ganze Erdenrund haben.«

GA 210, Alte und neue Einweihungsmethoden, Vortrag vor Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft in Dornach, 7.1.1922, S. 25

Steiner gegen die Blut- und Rassenmystik Oswald Spenglers

Oswald Spengler gilt manchen als »Meisterdenker der konservativen Revolution«, manchen als »Wegbereiter des Nationalsozialismus«. Berühmt wurde er durch seinen 1918 erschienenen »Untergang des Abendlandes«, dem er 1922 einen zweiten Band nachfolgen ließ. Die zustimmende und kritische Rezeption reicht von Robert Musil über Thomas Mann, Karl Popper, Theodor Adorno, Claude Lévi-Strauss bis zu Jorge Luis Borges, um nur die bekanntesten Autoren zu nennen.

Dem zweiten Band des »Untergangs« hat Steiner 1922 vier kritische Artikel gewidmet, die August – September in der Zeitschrift »Das Goetheanum«, erschienen sind.

In diesen Aufsätzen setzt sich Steiner kritisch mit der Blut- und Rassenmystik Spenglers auseinander.

Zu den Aufsätzen →


1923:

Indianer wurden ausgerottet

»So stießen die Menschen aufeinander. Und dann kam die Ausrottung der Indianer. Aber woher kamen denn die Menschen, die die Indianer ausgerottet haben? Die kamen von Europa! Und wenn die Menschen, die noch 1323 in Europa gelebt haben, herübergekommen wären, die wären in ihren Anschauungen viel ähnlicher gewesen denen der Indianer. Denn diese Menschen haben 1323 in Europa auch noch gewusst von dem Einfluss der Gestirne. Die hätten sich noch besser verstehen können. Aber jene Menschen, die dann hinüberkamen, die verstanden sich gar nicht mehr mit den Indianern, die konnten sie nur ausrotten. Und auf der Stelle, wo die ausgerotteten Indianer waren, entwickelte sich dann die europäische Menschheit. Sie müssen nur bedenken: Die Amerikaner, die sich dort entwickelt haben, sind ja Europäer.«

GA 350, Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen, Vortrag vor Arbeitern am Goetheanumbau, 25.6.1923, 5. 126


1924:

»Deshalb waren diese ursprünglichen Menschen, die nicht aus dem Verstand, sondern aus der Phantasie arbeiteten, natürlich geneigt, überall von Geist zu sprechen. Wenn einer natürlich heute nach dem Verstand eine Maschine zusammensetzt, da sagt er nicht: Der Geist hat mir geholfen.

Er sagt es mit Recht nicht. Wenn aber der ursprüngliche Mensch, der es nicht gewusst hat, der überhaupt gar nicht daran denken konnte zu denken - wenn der ursprüngliche Mensch etwas zusammensetzte, fühlte er gleich: Der Geist hat mir geholfen.

Daher war es auch so, dass, als die Europäer, diese «besseren» Menschen, zuerst nach Amerika gekommen sind, ja auch noch später, als sie im 19. Jahrhundert in jene Gegenden gekommen sind, wo noch Indianer der alten Zeit gelebt haben, da sprachen diese Indianer - man kriegte das heraus, von was sie sprachen - von dem «Großen Geist», der alles beherrscht. ... Die Indianer hatten noch keinen Verstand [kein Abstraktionsvermögen, keine wissenschaftliche Aufklärung]. Sehen Sie, die Indianer haben allmählich kennengelernt die «besseren» Menschen, die über sie gekommen sind, bevor diese sie ausgerottet haben. ... Aber dabei müssen wir immer denken: Diese ursprüngliche Vollkommenheit war eben durchaus verbunden damit, dass der Mensch wie besessen war von dem Geiste, nicht frei war. Nur durch den Verstand kann der Mensch frei werden; durch den Intellekt kann er frei werden. ...

Aber sehen Sie, meine Herren, so ist es, dass wir dazu kommen, dem ursprünglicheren, primitiven Menschen wirklich auch mehr Geist zuzuschreiben, denn die Phantasie ist eben etwas Geistigeres in der Seele des Menschen als der bloße Verstand, den der heutige Mensch so schätzt.

Nun können aber niemals alte Zustände wiederum heraufkommen. Daher muss das so sein, dass wir allerdings fortschreiten, aber dass wir doch nicht denken, dass dasjenige, was bloß Instinkt in dem heutigen Tiere ist, sich zum Geistigen hin hätte entwickeln können. Wir dürfen uns also nicht die primitiven Menschen so vorstellen, dass sie bloßen Instinkt gehabt hätten. Sie wussten, der Geist ist es, der in ihnen wirkt. Und deshalb hatten sie auch diesen Glauben an den Geist.«

GA 354, Die Schöpfung der Welt und des Menschen, Vortrag vor Arbeitern am Goetheanumbau, 6.8.1924, 5. 140-142


Rassismus und Nationalismus sind etwas ganz Furchtbares

»Das ist ja etwas ganz Furchtbares, wie heute die Menschen hineinstreben in Rassen und Völker und wie sie allen Kosmopolitismus im Grunde begraben wollen.«

GA 346, 18. September 1924, Apokalypse und Priesterwirken, S. 206

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