Dass dieser Christus ein hohes Engelwesen war, wurde als selbstverständlich vorausgesetzt. In den spätjüdisch-urchristlichen, apokalyptischen Kreisen zweifelte niemand daran, so dass darüber auch nicht gestritten wurde oder viel geredet werden musste. Für das nachapostolische Christentum wurde im Zuge der Enteschatologisierung der ursprüngliche Sinn der Bezeichnungen Christus und Menschensohn problematisch. Aber die Erinnerung daran, dass damit ein menschgewordenes hohes Engelwesen gemeint war, blieb lebendig. So kam es zu der paradoxen Erscheinung, dass im nachapostolischen Christentum wesentlich häufiger als im Urchristentum von Christus ausdrücklich als einem Engelwesen die Rede war.
Der Umdeutung entgegengewirkt hat der Einfluss der spätjüdischen Apokalyptik, besonders der Einfluss des Henochbuches. Davon zeugt der aus dem zweiten Jahrhundert stammende Judasbrief im Neuen Testament: er verurteilt Häretiker, die Christus verleugnen, und zitiert die Henochapokalypse als inspirierte Schrift. Gleichzeitig wirft er den Häretikern eine Verachtung der Kyriotetes vor, d.h. jener Engel, mit denen Henoch den Menschensohn in Verbindung gebracht hat. Der Judasbrief verteidigt also die Engelschristologie.
Auch die rabbinische Exegese des Alten Testamentes übte immer noch einen gewissen Einfluss auf die kirchliche Theologie aus. Origenes berichtet, der Rabbi, den er in exegetischen Fragen zu Rate zog, habe ihn darüber belehrt, dass von den beiden Seraphim, die bei Jesajas zu beiden Seiten des Gottes-Thrones stehen, der eine der Christus, der andere der Heilige Geist sei.
Eine solche Vorstellung begegnet aber schon lange vor Origenes in der Mitte des 2. Jahrhunderts beim christlichen Verfasser der Himmelfahrt Jesajas ...