Mit den Hamburger Vorträgen über das Johannes-Evangelium im Mai 1908 (GA 103) stößt Steiners Darstellung der Christologie in eine gänzlich neue Dimension vor. Zwar begegnen uns viele Motive, die auch schon früher behandelt wurden, aber gleichzeitig treten vollkommen neuartige auf, insbesondere solche, die auf die Frage »Wer war Christus?« im Anschluss an den Prolog des Evangeliums Antworten zu geben versuchen.
Auch diese Vorträge wurden vor Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft gehalten, Walter Vegelahn hat sie aufgezeichnet. Sie nehmen im Druck zwischen 15 und 23 Seiten ein, sind also ebensowenig wie die bisher behandelten vollständige Wortprotokolle. Dennoch scheint das erhaltene Textmaterial von ungleich besserer Qualität, als das der vorangegangenen Jahre.
Steiner tritt in diesen Vorträgen als der virtuose Redner hervor, der er war, als Sprachkünstler, der alle Register und Modulationen des Ausdrucks meisterhaft beherrscht und sein Kunstmittel gleichzeitig wie ein Bildhauer handhabt, der mit dem Meißel seines Denkens plastische Geistgestalten aus der Substanz der Vorstellungen und Begriffe herausschlägt. Er malt expressionistische Sprachbilder, die ansonsten erforderliche, langatmige begriffliche Erörterungen in substantiellen Wendungen verdichten, deren Symbolkraft sich stellenweise zu mantrischer Form erhebt.