Diese beiden Gedankenbewegungen, die zugleich ontologische Bewegungen sind, solche des Entstehens und der Umwandlung des Entstandenen, finden sich auch im Vater Unser, dessen Anrufungen des Namens, des Reiches und des Willens den Blick auf das geistige Wesen des Menschen lenken, das als Ausstülpung des Göttlichen in ihn verstanden werden kann, während die vier darauf folgenden Bitten den Blick auf jenen Teil des Menschen lenken, der aus der Natur hervorgewachsen und mit ihr weiterhin verbunden ist. Aber auch durch diesen Teil seines Wesens ist er mit dem Göttlichen verbunden, wenn auch mit jener Form der Göttlichen, das sich in die Schöpfung entäußert hat.
Die Entäußerung kann man, nach einem Gedankenmotiv der Kabbala, als Zerbrechen der Gefäße auffassen, was verschiedene Formen der Unvollkommenheit, der Abhängigkeit und Verstrickung zur Folge hat, die durch die Bitten angesprochen werden: tägliches Brot, Schuld, Versuchung und Übel. Letztere enthalten zugleich eine soziale Dimension in sich, denn durch die Not, sein tägliches Brot zu erwerben, verschuldet sich der Mensch an der Erde, durch seine Verbindung mit Kollektiven wie Familie, Clan, Volk und Gesellschaft an seinen Mitmenschen, durch seine persönlichen Leidenschaften und Begierden ebenfalls, durch seine Entfernung von der ursprünglichen Einheit mit Gott, die zur Grundlage seines Selbstbewusstseins geworden ist, verfiel er in die Selbstsucht, die wiederum Voraussetzung für die zu erringende Selbstlosigkeit ist, deren vollkommene Verkörperung die Schöpfermacht darstellt, die das große Opfer der Emanation – der Schöpfung – vollbringt. Aus dem »Gedankenmantram« des Vater Unser kann man die Gewissheit schöpfen, dass es kein Leben ohne Schuld gibt, aber auch, dass jede Schuld vergeben werden kann, denn die Kraft der Vergebung fließt aus dem Willen, der da geschieht, wie im Himmel, also auch auf Erden.