Aus anthroposophischer Perspektive leben wir derzeit im Zeitalter der Bewusstseinsseele. Es ist das Zeitalter auch der wissenschaftlichen Aufklärung, die im 16. Jahrhundert begonnen hat und noch lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Am Ende dieser Epoche wird der Mensch einen viel weiteren Bewusstseins-Horizont entwickelt haben, als wir uns das heute vorstellen können. Vorausgegangen war das Zeitalter der Verstandesseelen-Kultur. Das logische Denken, wie es von den antiken griechischen Philosophen entwickelt wurde, war eine wesentliche Fähigkeit, wie sie in diesem Zeitraum ausgebildet wurde.
Die Coronakrise ist nun ein anschauliches Beispiel, an dem wir die Auseinandersetzung zwischen der »alten« Verstandes- und der modernen Bewusstseinsseelenkultur studieren können. Einfach formuliert können wir sagen: Die Verstandesseele generalisiert, die Bewusstseinsseele integriert. Der Verstand denkt in eine Richtung, die Bewusstseinsseele erfasst die gesamte Breite, die Peripherie eines Phänomens. Wenn fünf Menschen streiten und jeder hat eine andere Meinung, dann liegt das selten an der Unvereinbarkeit der Meinungen, sondern an der Unfähigkeit einzusehen, dass jede Meinung aus einer bestimmten Perspektive ihre Berechtigung hat und dass es nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl-als-Auch geht. Die Verstandesseele denkt linear im Sinne einer eindimensionalen Logik; aus A folgt B und aus B folgt C. Und aus dem Zwingenden dieser Logik bezieht sie ihren Anspruch recht zu haben. Dieses Denken ist zum Beispiel nicht in der Lage, das Prinzip des Lebendigen zu erfassen, weil es nur in mechanistischen Kausalketten und nicht in integralen Zusammenhängen und komplexen Wechselwirkungen denkt. Die System-Wissenschaften sind Ausdruck der Bewusstseinsseelen-Entwicklung.