Rückblende 1994. In einem von fremdenfeindlichen Pogromen und der Debatte um die Einschränkung des Asylrechtes geprägten, politisch aufgeheizten Klima des wiedervereinigten Landes kommt es zu einem Brandanschlag einer linken Splittergruppe auf die in Weimar ansässige Druckerei des politisch rechts stehenden Blattes »Junge Freiheit«. Diesem vorausgegangen sind gegen einzelne Kioske gerichtete Attacken, deren Besitzer die umstrittene Zeitschrift im Sortiment vorhielten. In Teilen der linksautonomen Szene wird der Brandanschlag begrüßt, Sympathieäußerungen reichen jedoch weit in das sich als linksliberal verstehende bürgerliche Lager hinein. Doch da geschieht etwas Unerhörtes: Unter dem Rosa-Luxemburg-Ausspruch »Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden« veröffentlichen politisch unverdächtige Akteure wie der grüne Bundestagsabgeordnete Daniel Cohn-Bendit und die DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe zusammen mit Angehörigen des konservativen Lagers wie dem CSU-Politiker Peter Gauweiler und dem Verleger Herbert Fleissner einen Solidaritätsaufruf, in dem sie die Gewaltdelikte als demokratiefeindlich und gefährlich anprangern: »Wir verurteilen diese Anschläge ›autonomer‹ Täter, die sich – historisch ignorant und moralisch anmaßend – gern als ›Antifaschisten‹ bezeichnen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt selbstverständlich für Zeitungen und Autoren des gesamten politischen Spektrums.«
Momentaufnahme 2020. Auf das Auto des liberalkonservativen B.Z.-Kolumnisten Gunnar Schupelius, dessen Kommentare zu den politischen Geschehnissen der Hauptstadt sich durch Sachverstand und Umsicht auszeichnen, wird zum wiederholten Mal ein Brandanschlag verübt. Vera Lengsfeld, die frühere DDR-Bürgerrechtlerin und Mitbegründerin von »Bündnis 90«, kommentiert das auf der inzwischen verbotenen Online-Plattform indymedia kursierende Bekennerschreiben, das zum Terror gegen missliebige Personen aufruft, wie folgt: »Gruseliger als diese offenen Morddrohungen ist das Schweigen von Schupelius’ Kollegen … Kein Entsetzen von Tom Buhrow, keine Solidaritätsbekundung von Georg Restle, kein einziges Wort vom Böhmermännlein, das sonst immer sofort seine mahnende Stimme erhebt.«