Das Buch »Vom Menschenrätsel. Ausgesprochenes und Unausgesprochenes im Denken, Schauen, Sinnen einer Reihe deutscher und österreichischer Persönlichkeiten« erschien 1916 in Berlin, mitten im I. Weltkrieg. Steiner wollte mit diesem Werk angesichts der Anfeindungen, denen sich Mitteleuropa ausgesetzt sah, auf jene Traditionen und Strömungen des deutschen und österreichischen Geisteslebens aufmerksam machen, die er als wesentlichen Beitrag zum gemeinsamen Kulturleben des Abendlandes betrachtete. Zugleich beschrieb er mit den in diesem Buch behandelten Gestalten auch eine bestimmte Form des geistigen Lebens, in dem er eine unverzichtbare Vorstufe für die Anthroposophie sah. Dies wird besonders deutlich in den Schilderungen der Idealisten Fichte, Schelling und Hegel, aber auch einer Reihe »vergessener« Denker des späten 19. Jahrhunderts, wie Immanuel Hermann Fichte, Paul Ignaz Vital Troxler, Carl Christian Planck und Wilhelm Heinrich Preuß. Besonders lesenswert ist das Buch auch durch das Kapitel »Ausblicke«, in dem Steiner den Weg schildert, der von diesem Gedankenleben zur Geisteswissenschaft führen könnte.
»Es ist die Wirklichkeit selbst, die von der einen Seite her durch materialistische Ideen erkannt sein will; von einer anderen durch geistgemäße, von einer dritten als Einheit (Monon), von einer weiteren als Zweiheit. Der denkende Mensch möchte durch eine Vorstellungsart das Wesen der Wirklichkeit umfassen«, schreibt Steiner 1916 im Vorwort des Buches. Dasselbe, legt er nahe, gilt auch für »Völker«. Jedes einzelne hat eine bestimmte Art, die Welt zu betrachten, entwickelt, nur die Gesamtheit dieser Betrachtungsarten ergibt die Totalität der einen Menschheit. Die Einsicht in das Vorhandensein einer solchen Totalität ist der Quell einer unerschöpflichen Toleranz, die jedes einzelne Volk als geistig notwendigen Ast am Baum der Menschheit betrachtet. Wäre dieser Friedensgedanke 1916 historisch realisiert worden, hätte dies allen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Völkern und Nationen ein Ende gesetzt.
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