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Anthroposophie / Grundlagen / Einleitungen / Goethe, Newton und die Physiker

XVI.6 Goethe, Newton und die Physiker

Als Goethe an die Betrachtung des Wesens der Farben herantrat, war es wesentlich ein Kunstinteresse, das ihn auf diesen Gegenstand brachte. Sein intuitiver Geist erkannte bald, daß die Farbengebung in der Malerei einer tiefen Gesetzlichkeit unterliege. Worinnen diese Gesetzlichkeit besteht, das konnte weder er selbst entdecken, solange er sich nur im Gebiete der Malerei theoretisierend bewegte, noch vermochten ihm unterrichtete Maler darüber eine befriedigende Auskunft zu geben. Diese wußten wohl praktisch, wie sie die Farben zu mischen und anzuwenden hatten, konnten sich aber darüber nicht in Begriffen aussprechen. Als Goethe nun in Italien nicht nur den erhabensten Kunstwerken dieser Art, sondern auch der farbenprächtigsten Natur gegenübertrat, da erwachte in ihm besonders mächtig der Drang, die Naturgesetze des Farbenwesens zu erkennen.

Über das Geschichtliche legt Goethe selbst in der «Geschichte der Farbenlehre» ein ausführliches Bekenntnis ab. Hier wollen wir nur das Psychologische und Sachliche auseinandersetzen.

Gleich nach seiner Rückkehr aus Italien begannen Goethes Farbenstudien. Dieselben wurden besonders intensiv in den Jahren 1790 und 1791, um dann den Dichter fortdauernd bis an sein Lebensende zu beschäftigen. Wir müssen uns den Stand der Goetheschen Weltanschauung in dieser Zeit, am Beginne seiner Farbenstudien, vergegenwärtigen. Damals hatte er bereits seinen großartigen Gedanken von der Metamorphose der organischen Wesen gefaßt. Es war ihm schon durch seine Entdeckung des Zwischenkieferknochens die Anschauung der Einheit alles Naturdaseins aufgegangen. Das Einzelne erschien ihm als besondere Modifikation des idealen Prinzipes, das im Ganzen der Natur waltet. Er hatte schon in seinen Briefen aus Italien ausgesprochen, daß eine Pflanze nur dadurch Pflanze ist, daß sie die «Idee der Pflanze» in sich trage. Diese Idee galt ihm als etwas Konkretes, als mit geistigem Inhalte erfüllte Einheit in allen besonderen Pflanzen. Sie war mit den Augen des Leibes nicht, wohl aber mit dem Auge des Geistes zu erfassen. Wer sie sehen kann, sieht sie in jeder Pflanze.

Damit erscheint das ganze Reich der Pflanzen und bei weiterer Ausgestaltung dieser Anschauung das ganze Naturreich überhaupt als eine mit dem Geiste zu erfassende Einheit.

Niemand aber vermag aus der bloßen Idee heraus die Mannigfaltigkeit, die vor den äußeren Sinnen auftritt, zu konstruieren. Die Idee vermag der intuitive Geist zu erkennen. Die einzelnen Gestaltungen sind ihm nur zugänglich, wenn er die Sinne nach außen richtet, wenn er beobachtet, anschaut. Warum eine Modifikation der Idee gerade so und nicht anders als sinnenfällige Wirklichkeit auftritt, dazu muß der Grund nicht ausgeklügelt, sondern im Reich der Wirklichkeit gesucht werden.

Dies ist Goethes eigenartige Anschauungsweise, die sich wohl am besten als empirischer Idealismus kennzeichnen läßt. Sie kann mit den Worten zusammengefaßt werden: Den Dingen einer sinnlichen Mannigfaltigkeit, soweit sie gleichartig sind, liegt eine geistige Einheit zugrunde, die jene Gleichartigkeit und Zusammengehörigkeit bewirkt.

Von diesem Punkte ausgehend, entstand für Goethe die Frage: Welche geistige Einheit liegt der Mannigfaltigkeit der Farbenwahrnehmungen zugrunde? Was nehme ich in jeder Farbenmodifikation wahr? Und da ward ihm bald klar, daß das Licht die notwendige Grundlage jeder Farbe sei. Keine Farbe ohne Licht. Die Farben aber sind die Modifikationen des Lichtes. Und nun mußte er jenes Element in der Wirklichkeit suchen, welches das Licht modifiziert, spezifiziert. Er fand, daß dies die lichtlose Materie, die tätige Finsternis, kurz das dem Licht Entgegengesetzte ist. So war ihm jede Farbe durch Finsternis modifiziertes Licht. Es ist vollständig unrichtig, wenn man glaubt, Goethe habe mit dem Lichte etwa das konkrete Sonnenlicht, das gewöhnlich «weißes Licht» genannt wird, gemeint. Nur der Umstand, daß man sich von dieser Vorstellung nicht losmachen kann und das auf so komplizierte Weise zusammengesetzte Sonnenlicht als den Repräsentanten des Lichtes an sich ansieht, verhindert das Verständnis der Goetheschen Farbenlehre. Das Licht, wie es Goethe auffaßt, und wie er es der Finsternis als seinem Gegenteil gegenüberstellt, ist eine rein geistige Entität, einfach das allen Farbenempfindungen Gemeinsame. Wenn Goethe das auch nirgends klar ausgesprochen hat, so ist doch seine ganze Farbenlehre so angelegt, daß nur dieses darunter verstanden werden darf. Wenn er mit dem Sonnenlichte experimentiert, um seine Theorie durchzuführen, so ist der Grund davon nur der, daß das Sonnenlicht, trotzdem es das Resultat so komplizierter Vorgänge ist, wie sie eben im Sonnenkörper auftreten, doch für uns sich als Einheit darstellt, die ihre Teile nur als aufgehobene in sich enthält. Das, was wir mit Hilfe des Sonnenlichtes für die Farbenlehre gewinnen, ist aber doch nur eine Annäherung an die Wirklichkeit. Man darf Goethes Theorie nicht so auffassen, als wenn nach ihr in jeder Farbe Licht und Finsternis real enthalten wären. Nein, sondern das Wirkliche, das unserem Auge gegenübertritt, ist nur eine bestimmte Farbennuance. Nur der Geist vermag diese sinnenfällige Tatsache in zwei geistige Entitäten auseinanderzulegen: Licht und Nicht-Licht.

Die äußeren Veranstaltungen, wodurch dieses geschieht, die materiellen Vorgänge in der Materie, werden davon nicht im mindesten berührt. Das ist eine ganz andere Sache. Daß ein Schwingungsvorgang im Äther vorgeht, während vor mir «Rot» auftritt, das soll nicht bestritten werden. Aber was real eine Wahrnehmung zustande bringt, das hat, wie wir schon gezeigt haben, mit dem Wesen des Inhaltes gar nichts zu tun.

Man wird mir einwenden: Es läßt sich aber nachweisen, daß alles an der Empfindung subjektiv ist und nur der Bewegungsvorgang, der ihr zugrunde liegt, das außer unserem Gehirne real Existierende. Dann könnte man von einer physikalischen Theorie der Wahrnehmungen überhaupt nicht sprechen, sondern nur von einer solchen der zugrunde liegenden Bewegungsvorgänge. Mit diesem Beweise verhält es sich ungefähr so: Wenn jemand an einem Orte A. ein Telegramm an mich, der ich mich in B. befinde, aufgibt, dann ist das, was ich von dem Telegramm in die Hände bekomme, restlos in B. entstanden. Es ist der Telegraphist in B.; er schreibt auf Papier, das nie in A. war, mit Tinte, die nie in A. war; er selbst kennt A. gar nicht usw.; kurz es läßt sich beweisen, daß in das, was mir vorliegt, gar nichts von A. eingeflossen ist. Dennoch ist alles, was von B. herrührt, für den Inhalt, das Wesen des Telegrammes ganz gleichgültig; was für mich in Betracht kommt, ist nur durch B. vermittelt. Will ich das Wesen des Inhaltes des Telegrammes erklären, dann muß ich ganz von dem absehen, was von B. herrührt.

Ebenso verhält es sich mit der Welt des Auges. Die Theorie muß sich auf das dem Auge Wahrnehmbare erstrecken und innerhalb desselben die Zusammenhänge suchen. Die materiellen raum-zeitlichen Vorgänge mögen recht wichtig sein für das Zustandekommen der Wahrnehmungen; mit dem Wesen derselben haben sie nichts zu tun.

Ebenso verhält es sich mit der heute vielfach besprochenen Frage: ob den verschiedenen Naturerscheinungen:

Licht, Wärme, Elektrizität usw. nicht ein und dieselbe Bewegungsform im Äther zugrunde liege? Hertz hat nämlich kürzlich gezeigt, daß die Verbreitung der elektrischen Wirkungen im Raume denselben Gesetzen unterliegt wie die Verbreitung der Lichtwirkungen. Daraus kann man schließen, daß Wellen, wie sie der Träger des Lichtes sind, auch der Elektrizität zugrunde liegen. Man hat ja auch bisher schon angenommen, daß im Sonnenspektrum nur eine Art von Wellenbewegung tätig ist, die sich, je nachdem sie auf wärme-, licht- oder chemisch-empfindende Reagentien fällt, Wärme-, Licht- oder chemische Wirkungen erzeugen.

Dies ist ja aber von vornherein klar. Wenn man untersucht, was in dem Räumlich-Ausgedehnten vorgeht, während die in Rede stehenden Entitäten vermittelt werden, dann muß man auf eine einheitliche Bewegung kommen. Denn ein Medium, in dem nur Bewegung möglich ist, muß auf alles durch Bewegung reagieren. Es wird auch alle Vermittelungen, die es übernehmen muß, durch Bewegung vollbringen. Wenn ich dann die Formen dieser Bewegung untersuche, dann erfahre ich nicht: was das Vermittelte ist, sondern auf welche Weise es an mich gebracht wird. Es ist einfach ein Unding, zu sagen: Wärme oder Licht seien Bewegung. Bewegung ist nur die Reaktion der bewegungsfähigen Materie auf das Licht.

Goethe selbst hat die Wellentheorie noch erlebt und in ihr nichts gesehen, was mit seiner Überzeugung von dem Wesen der Farbe nicht in Einklang zu bringen wäre.

Man muß sich nur von der Vorstellung losmachen, daß Licht und Finsternis bei Goethe reale Wesenheiten sind, sondern sie als bloße Prinzipien, geistige Entitäten ansehen; dann wird man eine ganz andere Ansicht über seine Farbenlehre gewinnen, als man sie gewöhnlich sich bildet. Wenn man wie Newton unter dem Lichte nur eine Mischung aus allen Farben versteht, dann verschwindet jeglicher Begriff von dem konkreten Wesen «Licht». Dasselbe verflüchtigt sich vollständig zu einer leeren Allgemeinvorstellung, der in der Wirklichkeit nichts entspricht. Solche Abstraktionen waren der Goetheschen Weltanschauung fremd. Für ihn mußte eine jegliche Vorstellung konkreten Inhalt haben. Nur hörte für ihn das «Konkrete» nicht beim «Physischen» auf.

Für «Licht» hat die moderne Physik eigentlich gar keinen Begriff. Sie kennt nur spezifizierte Lichter, Farben, die in bestimmten Mischungen den Eindruck: Weiß hervorrufen. Aber auch dieses «Weiß» darf nicht mit dem Lichte an sich identifiziert werden. Weiß ist eigentlich auch nichts weiter als eine Mischfarbe. Das «Licht» im Goetheschen Sinne kennt die moderne Physik nicht; ebensowenig die «Finsternis». Die Farbenlehre Goethes bewegt sich somit in einem Gebiete, welches die Begriffsbestimmungen der Physiker gar nicht berührt. Die Physik kennt einfach alle die Grundbegriffe der Goetheschen Farbenlehre nicht. Sie kann somit von ihrem Standpunkte aus diese Theorie gar nicht beurteilen. Goethe beginnt eben da, wo die Physik aufhört.

Es zeugt von einer ganz oberflächlichen Auffassung der Sache, wenn man fortwährend von dem Verhältnis Goethes zu Newton und zu der modernen Physik spricht und dabei gar nicht daran denkt, daß damit auf zwei ganz verschiedene Arten, die Welt anzusehen, gewiesen ist.

Wir sind der Überzeugung, daß derjenige, welcher unsere Erörterungen über die Natur der Sinnesempfindungen im richtigen Sinne erfaßt hat, gar keinen andern Eindruck von der Goetheschen Farbenlehre gewinnen kann, als den geschilderten. Wer freilich diese unsere grundlegenden Theorien nicht zugibt, der bleibt auf dem Standpunkt der physikalischen Optik stehen und damit lehnt er auch Goethes Farbenlehre ab.

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