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Erkenntnistheoretische Schlußbetrachtung

Wir haben die Erkenntnistheorie begründet als die Wissenschaft von der Bedeutung alles menschlichen Wissens. Durch sie erst verschaffen wir uns Aufklärung über das Verhältnis des Inhaltes der einzelnen Wissenschaften zur Welt. Sie macht es uns möglich, mit Hilfe der Wissenschaften zur Weltanschauung zu kommen. Positives Wissen erwerben wir durch die einzelnen Erkenntnisse; den Wert des Wissens für die Wirklichkeit erfahren wir durch die Erkenntnistheorie. Dadurch, dass wir streng an diesem Grundsatze festgehalten haben und keinerlei Einzelwissen in unseren Auseinandersetzungen verwertet haben, dadurch haben wir alle einseitigen Weltanschauungen überwunden. Die Einseitigkeit entspringt gewöhnlich daher, dass die Untersuchung, statt sich an den Erkenntnisprozess selbst zu machen, sogleich an irgendwelche Objekte dieses Prozesses herantritt. Nach unseren Auseinandersetzungen muss der Dogmatismus sein «Ding an sich», der subjektive Idealismus sein «Ich» als Urprinzip fallen lassen, denn diese sind ihrem gegenseitigen Verhältnis nach wesentlich erst im Denken bestimmt. «Ding an sich» und «Ich» sind nicht so zu bestimmen, dass man das eine von dem anderen ableitet, sondern beide müssen vom Denken aus nach ihrem Charakter und Verhältnis bestimmt werden. Der Skeptizismus muss von seinem Zweifel an der Erkennbarkeit der Welt ablassen, denn an dem «Gegebenen» ist nichts zu bezweifeln, weil es von allen durch das Erkennen erteilten Prädikaten noch unberührt ist. Wollte er aber behaupten, dass das denkende Erkennen nie an die Dinge herankommen könne, so könnte er das nur durch denkende Überlegung selbst tun, womit er sich aber auch selbst widerlegt. Denn wer durch Denken den Zweifel begründen will, der gibt implizite zu, dass dem Denken eine für das Stützen einer Überzeugung hinreichende Kraft zukommt. Unsere Erkenntnistheorie, endlich, überwindet den einseitigen Empirismus und den einseitigen Rationalismus, indem sie beide auf einer höheren Stufe vereinigt. Auf diese Weise wird sie beiden gerecht. Dem Empiriker werden wir gerecht, indem wir zeigen, dass alle inhaltlichen Erkenntnisse über das Gegebene nur in unmittelbarer Berührung mit diesem selbst erlangt werden können. Auch der Rationalist findet bei unseren Auseinandersetzungen seine Rechnung, da wir das Denken für den notwendigen und einzigen Vermittler des Erkennens erklären.

Am nächsten berührt sich unsere Weltanschauung, wie wir sie erkenntnistheoretisch begründet haben, mit der von A. E. Biedermann vertretenen. (1) Aber Biedermann braucht zur Begründung seines Standpunktes Feststellungen, die durchaus nicht in die Erkenntnistheorie gehören. So operiert er mit den Begriffen: Sein, Substanz, Raum, Zeit usw., ohne vorher den Erkenntnisprozess für sich untersucht zu haben. Statt festzustellen, dass im Erkenntnisprozess zunächst nur die beiden Elemente Gegebenes und Denken vorhanden sind, spricht er von Seinsweisen der Wirklichkeit.

So sagt er z. B. § 15: «In allem Bewusstseinsinhalt sind zwei Grundtatsachen enthalten: 1. es ist uns darin zweierlei Sein gegeben, welchen Seinsgegensatz wir als sinnliches und geistiges, dingliches und ideelles Sein bezeichnen.» Und §19: «Was räumlich-zeitliches Dasein hat, existiert als etwas Materielles; was Grund alles Daseinsprozesses und Subjekt des Lebens ist, das existiert ideell, ist real als ein Ideell- Seiendes.» Solche Erwägungen gehören nicht in die Erkenntnistheorie, sondern in die Metaphysik, die erst mit Hilfe der Erkenntnistheorie begründet werden kann. Zugegeben werden muss, dass Biedermanns Behauptungen den unseren vielfach ähnlich sind; unsere Methode aber berührt sich mit der seinigen durchaus nicht. Daher fanden wir auch nirgends Veranlassung, uns direkt mit ihm auseinander zu setzen. Biedermann sucht mit Hilfe einiger metaphysischer Axiome einen erkenntnistheoretischen Standpunkt zu gewinnen. Wir suchen durch Betrachtung des Erkenntnisprozesses zu einer Ansicht über die Wirklichkeit zu kommen.

Und wir glauben in der Tat gezeigt zu haben, dass aller Streit der Weltanschauungen daher kommt, dass man ein Wissen über ein Objektives (Ding, Ich, Bewusstsein usw.) zu erwerben trachtet, ohne vorher dasjenige genau zu kennen, was allein erst über alles andere Wissen Aufschluss geben kann: die Natur des Wissens selbst.


(1) Christliche Dogmatik. Die erkenntnistheoretischen Untersuchungen im 1. Band. Eine erschöpfende Auseinandersetzung über diesen Standpunkt hat Eduard von Hartmann geliefert, siehe «Kritische Wanderungen durch die Philosophie der Gegenwart» S.200 ff.

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