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Vorbemerkungen

Die Erkenntnistheorie soll eine wissenschaftliche Untersuchung desjenigen sein, was alle übrigen Wissenschaften ungeprüft voraussetzen: des Erkennens selbst. Damit ist ihr von vornherein der Charakter der philosophischen Fundamentalwissenschaft zugesprochen. Denn erst durch sie können wir erfahren, welchen Wert und welche Bedeutung die durch die anderen Wissenschaften gewonnenen Einsichten haben. Sie bildet in dieser Hinsicht die Grundlage für alles wissenschaftliche Streben. Es ist aber klar, dass sie dieser ihrer Aufgabe nur dann gerecht werden kann, wenn sie selbst, soweit das bei der Natur des menschlichen Erkenntnisvermögens möglich ist, voraussetzungslos ist. Dies wird wohl allgemein zugestanden. Dennoch findet man bei eingehender Prüfung der bekannteren erkenntnistheoretischen Systeme, dass schon in den Ausgangspunkten der Untersuchung eine ganze Reihe von Voraussetzungen gemacht werden, die dann die überzeugende Wirkung der weiteren Darlegungen wesentlich beeinträchtigen. Namentlich wird man bemerken, dass gewöhnlich schon bei Aufstellung der erkenntnistheoretischen Grundprobleme gewisse versteckte Annahmen gemacht werden. Wenn aber die Fragestellungen einer Wissenschaft verfehlte sind, dann muss man wohl an einer richtigen Lösung von vornherein zweifeln. Die Geschichte der Wissenschaften lehrt uns doch, dass unzählige Irrtümer, an denen ganze Zeitalter krankten, einzig und allein darauf zurückzuführen sind, dass gewisse Probleme falsch gestellt worden sind. Wir brauchen nicht bis auf die Physik des Aristoteles oder die Ars magna Lulliana zurückzugehen, um diesen Satz zu erhärten, sondern wir können in der neueren Zeit Beispiele genug finden. Die zahlreichen Fragen nach der Bedeutung rudimentärer Organe bei gewissen Organismen konnten erst dann in richtiger Weise gestellt werden, als durch die Auffindung des biogenetischen Grundgesetzes die Bedingungen hierzu geschaffen waren. Solange die Biologie unter dem Einflusse teleologischer Anschauungen stand, war es unmöglich, die entsprechenden Probleme so aufzuwerfen, dass eine befriedigende Antwort möglich geworden wäre. Welche abenteuerlichen Vorstellungen hatte man z. B. über die Aufgabe der sogenannten Zirbeldrüse im menschlichen Gehirne, solange man nach einer solchen Aufgabe überhaupt fragte! Erst als man auf dem Wege der vergleichenden Anatomie die Klarstellung der Sache suchte und sich fragte, ob dieses Organ nicht bloß ein beim Menschen stehengebliebener Rest aus niederen Entwicklungsformen sei, gelangte man zu einem Ziele. Oder, um noch ein Beispiel anzuführen, welche Modifikationen erfuhren gewisse Fragestellungen in der Physik durch die Entdeckung des mechanischen Wärmeäquivalentes und des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft! Kurz, der Erfolg wissenschaftlicher Untersuchungen ist ganz wesentlich davon abhängig, ob man die Probleme richtig zu stellen imstande ist. Wenn auch die Erkenntnistheorie als Voraussetzung aller übrigen Wissenschaften eine ganz besondere Stellung einnimmt, so ist dennoch vorauszusehen, dass auch in ihr ein erfolgreiches Fortschreiten in der Untersuchung nur dann möglich sein wird, wenn die Grundfragen in richtiger Form aufgeworfen werden.

Die folgenden Auseinandersetzungen streben nun in erster Linie eine solche Formulierung des Erkenntnisproblems an, die dem Charakter der Erkenntnistheorie als vollständig voraussetzungsloser Wissenschaft strenge gerecht wird. Sie wollen dann auch das Verhältnis von J. G. Fichtes Wissenschaftslehre zu einer solchen philosophischen Grundwissenschaft beleuchten. Warum wir gerade Fichtes Versuch, den Wissenschaften eine unbedingt gewisse Grundlage zu schaffen, mit dieser Aufgabe in nähere Verbindung bringen, wird sich im Verlaufe der Untersuchung von selbst ergeben.

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