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Valentin Weigel und Jacob Boehme

Paracelsus kam es vor allen Dingen darauf an, über die Natur Ideen zu gewinnen, die den Geist der von ihm vertretenen höheren Erkenntnis atmen. Ein ihm verwandter Denker, der die gleiche Vorstellungsart vorzugsweise auf die eigene Natur des Menschen anwandte, ist Valentin Weigel (1533-1588). Er ist in ähnlichem Sinne aus der protestantischen Theologie herausgewachsen wie Eckhart, Tauler und Suso aus der katholischen. Er hat Vorgänger in Sebastian Frank und Caspar Schwenckfeldt. Diese deuteten gegenüber dem am äußerlichen Bekenntnis hängenden Kirchenglauben, auf die Vertiefung des inneren Lebens. Ihnen ist nicht der Jesus wertvoll, den das Evangelium predigt, sondern der Christus, der in jedem Menschen aus dessen tieferer Natur geboren werden kann, und der ihm Erlöser vom niederen Leben und Führer zu idealer Erhebung sein soll. Weigel verwaltete still und bescheiden sein Pfarramt in Zschopau. Erst aus seinen hinterlassenen, im siebzehnten Jahrhundert gedruckten Schriften erfuhr man etwas von den bedeutsamen Ideen, die ihm über die Natur des Menschen aufgegangen waren. (Von seinen Schriften seien genannt: «Der güldene Griff; das ist: All Ding ohne Irrthumb zu erkennen, vielen Hochgelährten unbekannt, und doch allen Menschen nothwendig zu wissen.» «Erkenne dich selber.» - «Vom Ort der Welt.») Es drängt Weigel, sich über sein Verhältnis zur Lehre der Kirche klar zu werden. Das führt ihn dazu, die Grundfesten aller Erkenntnis zu untersuchen. Ob der Mensch etwas durch ein Glaubensbekenntnis erkennen könne, darüber kann er sich nur Rechenschaft geben, wenn er weiß, wie er erkennt. Von der untersten Art des Erkennens geht Weigel aus. Er fragt sich: wie erkenne ich ein sinnliches Ding, wenn es nur entgegentritt? Von da hofft er aufsteigen zu können bis zu dem Gesichtspunkte, wo er sich über die höchste Erkenntnis Rechenschaft geben kann. - Bei der sinnlichen Erkenntnis stehen sich das Werkzeug (Sinnesorgan) und das Ding, der «Gegenwurf» gegenüber. «Dieweil in der natürlichen Erkenntnis sein müssen zwei Dinge, als das Objekt oder Gegenwurf, der soll erkannt und gesehen werden vom Auge; und das Auge, oder der Erkenner, der das Objekt sieht, und erkennt, so halte gegeneinander: ob die Erkenntnis herkomme vom Objekt in das Auge; oder ob das Urteil, und die Erkenntnis fließe vom Auge in das Objekt.» («Der güldene Griff», 9. Kap.) Nun sagt sich Weigel: Würde die Erkenntnis aus dem Gegenwurf (Ding) in das Auge fließen, so müßte notwendig von einem und demselben Ding eine gleiche und vollkommene Erkenntnis in alle Augen kommen. Dies ist aber nicht der Fall, sondern jeder sieht nach Maßgabe seiner Augen. Nur die Augen, nicht der Gegenwurf, können schuld daran sein, daß von einem und demselben Ding vielerlei verschiedene Vorstellungen möglich sind. Weigel vergleicht, zur Klärung der Sache, das Sehen mit dem Lesen. Wäre das Buch nicht, so könnte ich es natürlich nicht lesen; aber es könnte immerhin da sein, und dennoch könnte ich nichts darin lesen, wenn ich nicht die Kunst, zu lesen, verstände. Das Buch muß also da sein; aber es kann mir, von sich aus, nicht das geringste geben; ich muß alles, was ich lese, aus mir herausholen. Das ist auch das Wesen der natürlichen (sinnlichen) Erkenntnis. Die Farbe ist als «Gegenwurf» da; aber sie kann, von sich aus, nichts dem Auge geben. Das Auge muß von sich aus erkennen, was die Farbe ist. So wenig wie der Inhalt des Buches in dem Leser ist, so wenig ist die Farbe im Auge. Wäre der Inhalt des Buches in dem Leser: er brauchte es nicht zu lesen. Dennoch fließt im Lesen dieser Inhalt nicht aus dem Buche, sondern aus dem Leser. So ist es auch mit dem sinnlichen Ding. Was dieses sinnliche Ding draußen ist, das fließet nicht von außen herein in den Menschen, sondern von innen heraus. - Man könnte, von diesen Gedanken ausgehend, sagen: Wenn alle Erkenntnis aus dem Menschen in den Gegenstand fließt, so erkennt man nicht, was im Gegenstande ist, sondern nur, was im Menschen selbst ist. Die ausführliche Durchbildung dieses Gedankenganges hat die Anschauung Immanuel Kants (1724-1804) gebracht. (Das Irrige dieses Gedankenganges findet man in meinem Buch «Philosophie der Freiheit» dargestellt. Hier muß ich mich darauf beschränken, zu erwähnen, daß Valentin Weigel mit seiner einfachen, urwüchsigen Vorstellungsart viel höher steht als Kant.) - Weigel sagt sich: Wenn auch die Erkenntnis aus dem Menschen fließt, so ist es doch nur das Wesen des Gegenwurfes, das von diesem auf dem Umwege durch den Menschen zum Vorschein kommt. Wie ich den Inhalt des Buches durch das Lesen erfahre, und nicht meinen eigenen, so erfahre ich die Farbe des Gegenwurfes durch das Auge; nicht die im Auge, oder in mir befindliche Farbe. Auf einem eigenen Wege kommt also Weigel zu einem Ergebnis, das uns bereits bei Nicolaus von Kues entgegengetreten ist. So hat sich Weigel über das Wesen der sinnlichen Erkenntnis aufgeklärt. Er ist zu der Überzeugung gekommen, daß alles, was uns die äußeren Dinge zu sagen haben, nur aus unserem eigenen Innern selbst herausfließen kann. Der Mensch kann sich nicht leidend verhalten, wenn er die sinnlichen Dinge erkennen will, und diese bloß auf sich wirken lassen wollen; sondern er muß sich tätig verhalten, und die Erkenntnis aus sich herausholen. Der Gegenwurf erweckt nur in dem Geiste die Erkenntnis. Zur höheren Erkenntnis steigt der Mensch auf, wenn der Geist sein eigener Gegenwurf wird. An der sinnlichen Erkenntnis ersieht man, daß keine Erkenntnis von außen in den Menschen einfließen kann. Also kann auch die höhere Erkenntnis nicht von außen kommen, sondern nur im Innern erweckt werden. Es kann daher keine äußere Offenbarung, sondern nur eine innere Erweckung geben. So wie nun der äußere Gegenwurf wartet, bis der Mensch ihm entgegentritt, in dem er sein Wesen aussprechen kann, so muß der Mensch, wenn er sich selbst Gegenwurf sein will, warten, bis in ihm die Erkenntnis seines Wesens erweckt wird. Muß in der sinnlichen Erkenntnis sich der Mensch tätig verhalten, damit er dem Gegenwurf dessen Wesen entgegenbringen kann, so muß in der höheren Erkenntnis sich der Mensch leidend verhalten, weil er jetzt Gegenwurf ist. Er muß sein Wesen in sich empfangen. Deshalb erscheint ihm die Erkenntnis des Geistes als Erleuchtung von oben. Im Gegensatz zur sinnlichen Erkenntnis nennt daher Weigel die höhere Erkenntnis das «Licht der Gnaden». Dieses «Licht der Gnaden» ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Selbsterkenntnis des Geistes im Menschen, oder die Wiedergeburt des Wissens auf der höheren Stufe des Schauens. - Wie nun Nicolaus von Kues beim Verfolgen seines Weges vom Wissen zum Schauen nicht wirklich das von ihm gewonnene Wissen auf höherer Stufe wiedergeboren werden läßt, sondern wie sich ihm das kirchliche Bekenntnis, in dem er erzogen ist, als solche Wiedergeburt vortäuscht, so ist das auch bei Weigel der Fall. Er führt sich auf den rechten Weg und verliert diesen in dem Augenblick wieder, in dem er ihn betritt. Wer den Weg gehen will, den Weigel weist, der kann diesen selbst nur bis zum Ausgangspunkte als Führer betrachten.

Es ist wie das Aufjauchzen der Natur, die, auf dem Gipfel ihres Werdens, ihre Wesenheit bewundert, was uns aus den Werken des Görlitzer Schuhmachermeisters Jacob Böhme (1575-1624) entgegentönt. Ein Mann erscheint vor uns, dessen Worte Flügel haben, gewoben aus der beseligenden Empfindung, das Wissen in sich als höhere Weisheit leuchten zu sehen. Als eine Frömmigkeit, die nur Weisheit sein will, und als eine Weisheit, die allein in Frömmigkeit leben will, beschreibt Jacob Böhme seinen Zustand:

«Als ich in Gottes Beistand rang und kämpfte, da ging meiner Seele ein wunderliches Licht auf, das der wilden Natur ganz fremd war, darin ich erst erkannte, was Gott und Mensch wäre, und was Gott mit den Menschen zu tun hätte.» Jacob Böhme fühlt sich nicht mehr als einzelne Persönlichkeit, die ihre Erkenntnisse ausspricht; er fühlt sich als Organ des großen Allgeistes, der in ihm spricht. Die Grenzen seiner Persönlichkeit erscheinen ihm nicht als Grenzen des Geistes, der aus ihm redet. Dieser Geist ist ihm allgegenwärtig. Er weiß, daß «der Sophist ihn tadeln» werde, wenn er vom Anfang der Welt und ihrer Schöpfung spricht, «dieweil ich nicht sei dabei gewesen und es selber gesehn. Dem sei gesagt, daß in meiner Seelen- und Leibesessenz, da ich noch nicht der Ich war, sondern da ich Adams Essenz war, bin ja dabei gewesen und meine Herrlichkeit in Adam selber verscherzet habe.» Nur in äußeren Gleichnissen vermag Böhme anzudeuten, wie in seinem Innern das Licht hervorgebrochen. Als er sich einmal als Knabe auf dem Gipfel eines Berges befindet, da sieht er oben, wo große rote Steine den Berg zu schließen scheinen, den Eingang offen und in seiner Vertiefung ein Gefäß mit Gold. Ein Schauer überfällt ihn; und er geht seiner Wege, ohne den Schatz zu berühren. Später ist er in Görlitz bei einem Schuhmacher in der Lehre. Ein fremder Mann tritt in den Laden und verlangt ein Paar Schuhe. Böhme darf sie ihm in Abwesenheit des Meisters nicht verkaufen. Der Fremde entfernt sich, ruft aber nach einer Weile den Lehrling heraus, und sagt ihm: Jacob, du bist klein, aber du wirst einst ein ganz anderer Mensch werden, über den die Welt in Erstaunen ausbrechen wird. In reiferen Jahren sieht Jacob Böhme beim Glanz der Sonne die Spiegelung eines zinnernen Gefäßes: der Anblick, der sich ihm da bietet, scheint ihm ein tiefes Geheimnis zu entschleiern. Er glaubt sich seit dem Eindrucke dieser Erscheinung im Besitze des Schlüssels zu der Rätselsprache der Natur. - Als geistiger Einsiedler lebt er, bescheiden sich von seinem Handwerk ernährend, und daneben, wie für sein eigenes Gedächtnis, die Töne aufzeichnend, die in seinem Innern klingen, wenn er den Geist in sich fühlt. Zelotischer Priestereifer macht dem Manne das Leben schwer. Er, der nur die Schrift lesen will, die ihm das Licht seines Innern erleuchtet, wird verfolgt und gequält von denen, welchen nur die äußere Schrift, das starre, dogmatische Bekenntnis zugänglich ist.

Ein Welträtsel lebt als Unruhe, die zur Erkenntnis treibt, in Jacob Böhmes Seele. Er glaubt mit seinem Geiste in eine göttliche Harmonie eingesenkt zu sein; wenn er aber um sich sieht, so sieht er in den göttlichen Werken überall Disharmonie. Dem Menschen eignet das Licht der Weisheit; und doch ist er dem Irrtum ausgesetzt; es lebt in ihm der Trieb zum Guten, und doch klingt der Mißton des Bösen durch die ganze menschliche Entwicklung. Die Natur wird beherrscht von den großen Naturgesetzen; und doch stören Unzweckmäßigkeiten und ein wilder Kampf der Elemente ihren Einklang. Wie ist die Disharmonie in dem harmonischen Weltganzen zu begreifen. Diese Frage quält Jacob Böhme. Sie tritt in den Mittelpunkt seiner Vorstellungswelt. Er will eine Anschauung von dem Weltganzen gewinnen, welche das Disharmonische mit umschließt. Denn wie sollte eine Vorstellung die Welt erklären, welche das vorhandene Disharmonische unerklärt liegen ließe? Die Disharmonie muß aus der Harmonie, das Böse aus dem Guten selbst erklärt werden. Beschränken wir uns, indem wir von diesen Dingen reden, auf das Gute und Böse, in dem die Disharmonie im engeren Sinne im Menschenleben ihren Ausdruck findet. Denn Jacob Böhme beschränkt sich im Grunde darauf. Er kann es, denn ihm erscheinen Natur und Mensch als Eine Wesenheit. Er sieht in beiden ähnliche Gesetze und Vorgänge. Das Unzweckmäßige ist ihm ein Böses in der Natur, wie ihm das Böse ein Unzweckmäßiges im Menschenschicksal ist. Die gleichen Grundkräfte walten da und dort. Wer den Ursprung des Bösen im Menschen erkannt hat, vor dem liegt auch derjenige des Bösen in der Natur offen. - Wie kann nun aus dem gleichen Urwesen das Böse wie das Gute fließen? Wenn man im Sinne Jacob Böhmes spricht, so gibt man die folgende Antwort. Das Urwesen lebt sein Dasein nicht in sich aus. Die Mannigfaltigkeit der Welt nimmt an diesem Dasein teil. Wie der menschliche Leib sein Leben nicht als einzelnes Glied, sondern als eine Vielheit von Gliedern lebt, so auch das Urwesen. Und wie das menschliche Leben in diese Vielheit von Gliedern ausgegossen ist, so das Urwesen in die Mannigfaltigkeit der Dinge dieser Welt. So wahr es ist, daß der ganze Mensch ein Leben hat, so wahr ist es, daß jedes Glied sein eigenes Leben hat. Und so wenig es dem ganzen harmonischen Leben des Menschen widerspricht, daß seine Hand sich gegen den eigenen Leib kehrt und diesen verwundet, so wenig ist es unmöglich, daß die Dinge der Welt, die das Leben des Urwesens auf ihre eigene Weise leben, sich gegeneinander kehren. Also schenkt das Urleben, indem es sich auf verschiedene Leben verteilt, einem jeglichen Leben die Fähigkeit, sich gegen das Ganze zu kehren. Nicht aus dem Guten strömt das Böse, sondern aus der Art, wie das Gute lebt. Wie das Licht nur zu scheinen vermag, wenn es die Finsternis durchdringt, so vermag das Gute sich nur zum Leben zu bringen, wenn es seinen Gegensatz durchsetzt. Aus dem «Ungrunde» der Finsternis heraus erstrahlt das Licht; aus dem «Ungrunde» des Gleichgültigen gebiert sich das Gute. Und wie im Schatten nur die Helligkeit den Hinweis auf das Licht verlangt; die Finsternis aber selbstverständlich als das Licht schwächend empfunden wird: so wird auch in der Welt nur die Gesetzmäßigkeit in allen Dingen gesucht, und das Böse, das Unzweckmäßige als das Selbstverständliche hingenommen. Trotzdem also für Jacob Böhme das Urwesen das All ist, so kann doch nichts in der Welt verstanden werden, wenn man nicht das Urwesen und seinen Gegensatz zugleich im Auge hat. «Das Gute hat das Böse oder Widerwärtige in sich verschlungen... Jedes Wesen hat in sich Gutes und Böses, und in seiner Auswicklung, indem es sich in Schiedlichkeit führt, wird es ein Contrarium der Eigenschaften, da eine die andere zu überwältigen sucht.» Es ist daher durchaus im Sinne Jacob Böhmes, in jedem Ding und Vorgang der Welt Gutes und Böses zu sehen; aber es ist nicht in seinem Sinne, ohne weiteres, in der Vermischung des Guten mit dem Bösen das Urwesen zu suchen. Das Urwesen mußte das Böse verschlingen; aber das Böse ist nicht ein Teil des Urwesens. Jacob Böhme sucht den Urgrund der Welt; die Welt selbst aber ist durch den Urgrund aus dem Ungrund entsprungen. «Die äußere Welt ist nicht Gott, wird auch ewig nicht Gott genannt, sondern nur ein Wesen, darin sich Gott offenbart ... Wenn man sagt: Gott ist alles, Gott ist Himmel und Erde und auch die äußere Welt, so ist das wahr; denn von ihm und in ihm urständet alles. Was mache ich aber mit einer solchen Rede, die keine Religion ist?» - Mit solcher Anschauung im Hintergrunde erbauten sich in Jacob Böhmes Geist seine Vorstellungen über das Wesen aller Welt, indem er in einer Stufenfolge die gesetzmäßige Welt aus dem Ungrunde erstehen läßt. In sieben Naturgestalten erbaut sich diese Welt. In dunkler Herbigkeit erhält das Urwesen Gestalt, stumm in sich verschlossen und regungslos. Unter dem Symbol des Salzes begreift Böhme diese Herbigkeit. Er lehnt sich mit solchen Bezeichnungen an Paracelsus an, der den chemischen Vorgängen die Namen für den Naturprozeß entlehnt hat (vgl. oben S. 116f.). Durch die Verschlingung ihres Gegensatzes tritt die erste Naturgestalt in die Form der zweiten ein; das Herbe, Regungslose nimmt die Bewegung auf; Kraft und Leben tritt in sie. Das Quecksilber ist Symbol für diese zweite Gestalt. In dem Kampf der Ruhe und Bewegung, des Todes mit dem Leben, enthüllt sich die dritte Naturgestalt (Schwefel). Dieses in sich kämpfende Leben wird sich offenbar; es lebt fortan nicht mehr einen äußeren Kampf seiner Glieder; es durchbebt wie ein einheitlich leuchtender Blitz sich selbst erhellend sein Wesen (Feuer). Diese vierte Naturgestalt steigt auf zur fünften, dem in sich ruhenden lebendigen Kampf der Teile (Wasser). Auf dieser Stufe ist eine innere Herbigkeit und Stummheit wie auf der ersten vorhanden; nur ist es nicht eine absolute Ruhe, ein Schweigen der inneren Gegensätze, sondern eine innere Bewegung der Gegensätze. Es ruht in sich nicht das Ruhige, sondern das Bewegte, das durch den Feuerblitz der vierten Stufe Entzündete. Auf der sechsten Stufe wird sich die Urwesenheit selbst als solches inneres Leben gewahr; sie nimmt sich durch Sinnesorgane wahr. Die mit Sinnen begabten Lebewesen stellen diese Naturgestalt dar. Jacob Böhme nennt sie Schall oder Hall und setzt damit die Sinnesempfindung des Tones für das sinnliche Wahrnehmen als Symbol. Die siebente Naturgestalt ist der auf Grund seiner Sinneswahrnehmungen sich erhebende Geist (die Weisheit). Er findet sich innerhalb der im Ungrunde erwachsenen, aus Harmonischem und Disharmonischem sich gestaltenden Welt als sich selbst, als Urgrund wieder. «Der heilige Geist führt den Glanz der Majestät in die Wesenheit, darinnen die Gottheit offenbar steht.» Mit solchen Anschauungen sucht Jacob Böhme die Welt zu ergründen, die ihm, nach dem Wissen seiner Zeit, für die tatsächliche gilt. Für ihn sind Tatsachen die von der Naturwissenschaft seiner Zeit und von der Bibel als solche angesehenen. Ein anderes ist seine Vorstellungsart, ein anderes seine Tatsachenwelt. Man kann sich die erstere auf eine ganz andere Tatsachenerkenntnis angewendet denken. Und so erscheint vor unserem Geiste ein Jacob Böhme, wie er auch an der Grenzscheide des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts leben könnte. Ein solcher würde mit seiner Vorstellungsart nicht das biblische Sechstagewerk und den Kampf der Engel und Teufel durchdringen, sondern Lyells geologische Erkenntnisse und die Tatsache der «Natürlichen Schöpfungsgeschichte» Haeckels. Wer in den Geist von Jacob Böhmes Schriften dringt, der muß zu dieser Überzeugung kommen. (Es seien die wichtigsten dieser Schriften genannt: «Die Morgenröthe im Aufgang.» «Die drei Prinzipien göttlichen Wesens.» «Vom dreifachen Leben des Menschen.» «Das umgewandte Auge.» «Signatura rerum oder von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen.» «Mysterium magnum.») [1]


[1] Dieser Satz darf nicht so verstanden werden, als ob in der Gegenwart die Erforschung der Bibel und der geistigen Welt eine Verirrung sei; gemeint ist, daß ein «Jacob Böhme des neunzehnten Jahrhunderts» durch ähnliche Wege, wie sie den des sechzehnten Jahrhunderts zur Bibel führten, zu der «natürlichen Schöpfungsgeschichte» geführt würde. Aber er würde von da aus zur geistigen Welt vordringen.

 

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