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Teil 2, 62-117


Etwas vom Geist-Verstehen und Schicksals-Erleben

In die Mitteilungen und Betrachtungen, die an dieser Stelle an die Mitglieder gerichtet werden, soll diesmal einiges einfließen, das geeignet sein kann, den Gedanken über die Leitsätze eine weitere Richtung zu geben.

Das Verständnis des anthroposophischen Erkennens kann gefördert werden, wenn die menschliche Seele immer wieder auf das Verhältnis von Mensch und Welt hingelenkt wird.

Richtet der Mensch die Aufmerksamkeit auf die Welt, in die er hineingeboren wird und aus der er herausstirbt, so hat er zunächst die Fülle seiner Sinneseindrücke um sich. Er macht sich Gedanken über diese Sinnes-Eindrücke.

Indem er dieses sich zum Bewusstsein bringt: «Ich mache mir Gedanken über das, was mir meine Sinne als Welt offenbaren», kann er schon mit der Selbstbetrachtung einsetzen. Er kann sich sagen: in meinen Gedanken lebe «Ich». Die Welt gibt mir Veranlassung, in Gedanken mich zu erleben. Ich finde mich in meinen Gedanken, indem ich die Welt betrachte.

So fortfahrend im Nachsinnen verliert der Mensch die Welt aus dem Bewusstsein; und das Ich tritt in dieses ein. Er hört auf, die Welt vorzustellen; er fängt an, das Selbst zu erleben.

Wird umgekehrt die Aufmerksamkeit auf das Innere gerichtet, in dem die Welt sich spiegelt, so tauchen im Bewusstsein die Lebensschicksalsereignisse auf, in denen das menschliche Selbst von dem Zeitpunkte an, bis zu dem man sich zurückerinnert, dahingeflossen ist. Man erlebt das eigene Dasein in der Folge dieser Schicksals-Erlebnisse.

Indem man sich dieses zum Bewusstsein bringt: «Ich habe mit meinem Selbst ein Schicksal erlebt», kann man mit der Weltbetrachtung einsetzen. Man kann sich sagen: In meinem Schicksal war ich nicht allein; da hat die Welt in mein Erleben eingegriffen. Ich habe dieses oder jenes gewollt; in mein Wollen ist die Welt hereingeflutet. Ich finde die Welt in meinem Wollen, indem ich dieses Wollen selbstbetrachtend erlebe.

So fortfahrend, sich in das eigene Selbst einlebend, verliert der Mensch das Selbst aus dem Bewusstsein; die Welt tritt in dieses ein. Er hört auf, das Selbst zu erleben; er fängt an, die Welt im Erfühlen gewahr zu werden.

Ich denke hinaus in die Welt; da finde ich mich; ich versenke mich in mich selbst, da finde ich die Welt. Wenn der Mensch dieses stark genug empfindet, steht er in den Welt- und Menschenrätseln drinnen.

Denn fühlen: man müht sich im Denken ab, um die Welt zu ergreifen, und man steckt in diesem Denken doch nur selbst darinnen, das gibt das erste Welträtsel auf.

Vom Schicksal in seinem Selbst sich geformt fühlen und in diesem Formen das Fluten des Weltgeschehens empfinden; das drängt zum zweiten Welträtsel hin.

In dem Erleben dieses Welt- und Menschenrätsels erkeimt die Seelenverfassung, in der der Mensch der Anthroposophie so begegnen kann, dass er in seinem Innern von ihr einen Eindruck erhält, der seine Aufmerksamkeit erregt.

Denn Anthroposophie macht nun dieses geltend: Es gibt ein geistiges Erleben, das nicht im Denken die Welt verliert. Man kann auch im Denken noch leben. Sie gibt im Meditieren ein inneres Erleben an, in dem man nicht denkend die Sinneswelt verliert, sondern die Geistwelt gewinnt. Statt in das Ich einzudringen, in dem man die Sinnen-Welt versinken fühlt, dringt man in die Geist-Welt ein, in der man das Ich erfestigt fühlt.

Anthroposophie zeigt im weiteren: Es gibt ein Erleben des Schicksals, in dem man nicht das Selbst verliert. Man kann auch im Schicksal noch sich selbst als wirksam erleben. Sie gibt in dem unegoistischen Betrachten des Menschenschicksals ein Erleben an, in dem man nicht nur das eigene Dasein, sondern die Welt lieben lernt. Statt in die Welt hineinzustarren, die in Glück und Unglück das Ich auf ihren Wellen trägt, findet man das Ich, das wollend das eigene Schicksal gestaltet. Statt an die Welt zu stoßen, an der das Ich zerschellt, dringt man in das Selbst ein, das sich mit dem Weltgeschehen verbunden fühlt.

Das Schicksal des Menschen wird ihm von der Welt bereitet, die ihm seine Sinne offenbaren. Findet er die eigene Wirksamkeit in dem Schicksalswalten, so steigt ihm sein Selbst wesenhaft nicht nur aus dem eigenen Innern, sondern es steigt ihm aus der Sinneswelt auf.

Kann man auch nur leise empfinden, wie im Selbst die Welt als Geistiges erscheint und wie in der Sinneswelt das Selbst sich als wirksam erweist, so ist man schon im sicheren Verstehen der Anthroposophie darinnen.

Denn man wird dann einen Sinn dafür entwickeln, dass in der Anthroposophie die Geist-Welt beschrieben werden darf, die vom Selbst erfasst wird. Und dieser Sinn wird auch Verständnis dafür entwickeln, dass in der Sinneswelt das Selbst auch noch anders als durch Versenken in das Innere gefunden werden kann. Anthroposophie findet das Selbst, indem sie zeigt, wie aus der Sinneswelt für den Menschen nicht nur sinnliche Wahrnehmungen sich offenbaren, sondern auch die Nachwirkungen aus seinem vorirdischen Dasein und aus den vorigen Erdenleben.

Der Mensch kann nun in die Welt der Sinne hinausblicken und sagen: da ist ja nicht nur Farbe, Ton, Wärme; da wirken auch die Erlebnisse der Seelen, die diese Seelen vor ihrem gegenwärtigen Erdendasein durchgemacht haben. Und er kann in sich hineinblicken und sagen: da ist nicht nur mein Ich, da offenbart sich eine geistige Welt.

In einem solchen Verständnisse kann der von den Welt- und Menschenrätseln berührte Mensch sich mit dem Eingeweihten zusammenfinden, der, nach seinen Einsichten, von der äußeren Sinneswelt so reden muss, als ob aus derselben nicht nur sinnliche Wahrnehmungen sich kundgäben, sondern die Eindrücke von dem, was Menschenseelen im vorirdischen Dasein und in verflossenen Erdenleben gewirkt haben; und der von der inneren Selbst-Welt aussagen muss, dass sie Geistzusammenhänge offenbart, so ein-drucks- und wirkungsvoll, wie die Wahrnehmungen der Sinneswelt sind.

Bewusst sollten sich die tätig sein wollenden Mitglieder zu Vermittlern dessen machen, was die fragende Menschenseele als Welt- und Menschenrätsel fühlt, mit dem, was die Eingeweihten-Erkenntnis zu sagen hat, wenn sie aus Menschen-Schicksalen eine vergangene Welt heraufholt, und wenn sie aus seelischer Erkraftung die Wahrnehmung einer Geist-Welt erschließt.

So kann im Arbeiten der tätig sein wollenden Mitglieder die Anthroposophische Gesellschaft zu einer echten Vorschule der Eingeweihten-Schule werden. Auf dieses wollte die Weihnachtstagung kräftig hinweisen; und wer diese Tagung richtig versteht, wird mit diesem Hinweisen fortfahren, bis ein genügendes Verständnis dafür der Gesellschaft wieder neue Aufgaben bringen kann.

Aus diesen Hinweisen mögen denn die im folgenden zu gebenden «Leitsätze» erfließen.

Leitsätze Nr. 62 bis 65 (13. Juli 1924)

62. Die Sinneswelt trägt in den Sinneswahrnehmungen nur einen Teil des Wesens an die Oberfläche, das sie in ihren Wellentiefen birgt. Bei eindringlicher geistgemäßer Beobachtung zeigt sie, dass in diesen Tiefen die Nachwirkungen dessen sind, was Menschenseelen noch in langvergangenen Zeiten gewirkt haben.

63. Die menschliche Innenwelt offenbart dem gewöhnlichen Selbstbetrachten nur einen Teil dessen, in dem sie darinnen steht. Bei erstarktem Erleben zeigt sie, dass sie in einer geistlebendigen Wirklichkeit steht.

64. In dem Schicksal des Menschen offenbart sich nicht bloß die Wirksamkeit einer Außenwelt, sondern auch diejenige des eigenen Selbst.

65. In den menschlichen Seelen-Erlebnissen offenbart sich nicht bloß ein Selbst, sondern auch eine Geistwelt, die das Selbst in geistmäßiger Erkenntnis mit der eigenen Wesenheit verbunden wissen kann.

Leitsätze Nr. 66 bis 68 (20. Juli 1924)

66. Die Wesenheiten der dritten Hierarchie offenbaren sich in dem Leben, das im menschlichen Denken als Geist-Hintergrund zur Entfaltung gelangt. Dieses Leben verbirgt sich in der menschlichen Denktätigkeit. Wirkten sie in dieser als Eigensein fort, so könnte der Mensch nicht zur Freiheit gelangen. Wo kosmische Denktätigkeit aufhört, beginnt menschliche Denktätigkeit.

67. Die Wesenheiten der zweiten Hierarchie offenbaren sich in einem außermenschlichen Seelischen, das dem menschlichen Fühlen als kosmisch-seelisches Geschehen verborgen ist. Dieses Kosmisch-Seelische schafft im Hintergrunde des menschlichen Fühlens. Es gestaltet das Menschlich-Wesenhafte zum Gefühls-Organismus, bevor in diesem selbst das Fühlen leben kann.

68. Die Wesenheiten der ersten Hierarchie offenbaren sich in einem außermenschlichen Geistschaffen, das dem menschlichen Wollen als kosmisch-geistige Wesenswelt innewohnt. Dieses Kosmisch-Geistige erlebt sich selbst schaffend, indem der Mensch will. Es gestaltet den Zusammenhang des Menschlich-Wesenhaften mit der außermenschlichen Welt, bevor der Mensch durch seinen Willens-Organismus zum frei wollenden Wesen wird.


Geistige Weltbereiche und menschliche Selbsterkenntnis

Die Leitsätze, die in diesen Wochen vom Goetheanum aus den Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft gesandt worden sind, lenken den Seelenblick zu den Wesenheiten der geistigen Reiche hin, mit denen nach oben der Mensch ebenso zusammenhängt wie nach unten hin mit den Naturreichen.

Eine wahre Selbsterkenntnis des Menschen kann die Führerin werden zu diesen geistigen Reichen. Und wenn nach solcher Selbsterkenntnis mit rechtem Sinne gestrebt wird, so wird sich in ihr das Verständnis für dasjenige erschließen, was die Anthroposophie aus dem Einblick in das Leben der geistigen Welt an Erkenntnissen vermittelt. Man muss nur die Selbsterkenntnis im wirklichen Sinne, nicht in dem eines bloßen Hineinstarrens in das «Innere» üben.

Bei einer solchen wirklichen Selbst-Erkenntnis findet man zunächst, was in der Erinnerung lebt. In Gedanken-Bildern ruft man die Schatten dessen in das Bewusstsein herauf, in dem man in vergangener Zeit mit unmittelbarem lebendigem Erfahren darinnen gestanden hat. Wer einen Schatten sieht, wird aus einem inneren Drang heraus im Denken nach dem Gegenstande hingelenkt, der den Schatten wirft. Wer eine Erinnerung in sich trägt, kann in solch unmittelbarer Art nicht den Seelenblick nach dem Erlebnisse hinlenken, das in der Erinnerung nachwirkt. Wenn er sich aber wirklich auf sein eigenes Sein besinnt, so wird er sich sagen müssen: er selbst sei, seiner seelischen Wesenheit nach, dasjenige, was die Erlebnisse aus ihm gemacht haben, die in der Erinnerung ihre Schatten werfen. Im Bewusstsein treten die Erinnerungs-Schatten auf, im Seelensein leuchtet, was in der Erinnerung schattet. Toter Schatten west in der Erinnerung; lebendiges Sein west in der Seele, in der die Erinnerung wirkt.

Man muss sich dieses Verhältnis der Erinnerung zum wirklichen Seelenleben nur klarmachen; und man wird in diesem Streben nach Klarheit im Selbst-Erkennen empfinden, wie man auf dem Wege nach der geistigen Welt ist.

Durch die Erinnerung sieht man auf das Geistige der eigenen Seele. Für das gewöhnliche Bewusstsein kommt dieses Sehen nicht zu einem wirklichen Ergreifen dessen, wonach der Blick gerichtet ist. Man schaut nach etwas hin; aber der Blick begegnet keiner Wirklichkeit. Anthroposophie weist aus der imaginativen Erkenntnis auf diese Wirklichkeit hin. Sie verweist von dem Schattenden auf das Leuchtende. Sie tut dies, indem sie von dem Ätherleibe des Menschen spricht. Sie zeigt, wie in den Gedanken-Schatten-Bildern der physische Leib wirkt; wie aber in dem Leuchtenden der Ätherleib lebt.

Mit dem physischen Leibe ist der Mensch in der sinnlichen Welt; mit dem Ätherleibe ist er in der Ätherwelt. In der sinnlichen Welt hat er eine Umgebung; er hat eine solche auch in der Ätherwelt. Die Anthroposophie spricht von dieser Umgebung als von der ersten verborgenen Welt, in der sich der Mensch befindet. Es ist das Reich der dritten Hierarchie.

Man nähere sich nun in derselben Art, wie man so an die Erinnerung herangetreten ist, der Sprache. Sie quillt aus dem Inneren des Menschen hervor wie die Erinnerung. In ihr verbindet sich der Mensch mit einem Sein, wie er sich in der Erinnerung mit seinen eigenen Erlebnissen verbindet. Im Worte lebt auch ein Schattendes. Dieses ist kräftiger als das Schattende der Erinnerungs-Gedanken. Indem der Mensch seine Erlebnisse in der Erinnerung innerlich abschattet, ist er mit seinem eigenen verborgenen Selbst bei dem ganzen Vorgange selbst wirksam. Er ist dabei, indem das Leuchtende den Schatten wirft.

In der Sprache ist auch ein Schattenwerfen. Worte sind Schatten. Was leuchtet da? Kräftigeres leuchtet, weil Worte kräftigere Schatten sind als Erinnerungs-Gedanken. Was im menschlichen Selbst Erinnerungen im Laufe eines Erdenlebens schaffen kann, kann nicht die Worte schaffen. Sie muss der Mensch im Zusammenhange mit ändern Menschen lernen. Ein tiefer in ihm liegendes Wesen als das in der Erinnerung Schattende muss sich daran beteiligen. Anthroposophie spricht da aus der inspirierten Erkenntnis heraus vom Astralleib, wie sie der Erinnerung gegenüber vom Ätherleib spricht. Zu dem physischen und Ätherleib tritt der Astralleib als ein drittes Glied der menschlichen Wesenheit.

Aber auch dieses dritte Glied hat eine Welt-Umgebung. Es ist diejenige der zweiten Hierarchie. In der menschlichen Sprache ist ein Schattenbild dieser zweiten Hierarchie gegeben. Der Mensch lebt innerhalb des Bereiches dieser Hierarchie mit seinem Astralleibe.

Man kann weiter gehen. An dem Sprechen ist der Mensch mit einem Teile seines Wesens beteiligt. Er bringt im Sprechen sein Inneres in Bewegung. Wovon dieses Innere umschlossen wird, das bleibt im Sprechen selbst in Ruhe. Die Bewegung des Sprechens entringt sich diesem ruhig bleibenden Menschenwesen. Aber der ganze Mensch kommt in Bewegung, wenn er in Regsamkeit bringt, was Gliedmaßen-artig an ihm ist. In dieser Bewegung ist der Mensch nicht minder ausdrucksvoll wie in der Erinnerung und in der Sprache. Die Erinnerung drückt die Erlebnisse aus; die Sprache hat ihr Wesen eben darinnen, dass sie Ausdruck von etwas ist. So auch drückt der in seinem ganzen Wesen bewegte Mensch ein «Etwas» aus.

Was so ausgedrückt wird, weist die Anthroposophie als ein weiteres Glied der menschlichen Wesenheit auf. Sie spricht aus der intuitiven Erkenntnis heraus von dem «wahren Selbst» oder dem «Ich». Auch für dieses findet sie eine Welt-Umgebung. Es ist diejenige der ersten Hierarchie.

Indem der Mensch an seine Erinnerungs-Gedanken herantritt, begegnet ihm ein erstes Übersinnliches, sein eigenes Ätherwesen. Anthroposophie weist ihm die entsprechende Welt-Umgebung auf. Indem sich der Mensch als Sprechenden erfasst, begegnet ihm sein Astralwesen. Das wird nicht mehr in dem erfasst, was nur innerlich wie die Erinnerung wirkt. Es wird von der Inspiration geschaut als dasjenige, was in dem Sprechen aus dem Geistigen heraus einen physischen Vorgang gestaltet. Sprechen ist ein physischer Vorgang. Ihm liegt das Schaffen aus dem Bereiche der zweiten Hierarchie zugrunde.

In dem ganzen bewegten Menschen ist ein intensiveres physisches Wirken vorhanden als im Sprechen. Nicht etwas am Menschen wird gestaltet; der ganze Mensch wird gestaltet. Da wirkt die erste Hierarchie in dem in Gestaltung webenden Physischen.

So kann wirkliche Selbst-Erkenntnis des Menschenwesens geübt werden. Aber der Mensch erfasst dabei nicht das eigene Selbst allein. Stufenweise erfasst er seine Glieder: den physischen Leib, den Ätherleib, den Astralleib, das Selbst. Aber indem er diese erfasst, kommt er auch stufenweise an höhere Welten heran, die wie die drei Naturreiche, das tierische, das pflanzliche, das mineralische, als drei geistige Reiche zu der Gesamtwelt gehören, in der sich sein Wesen entfaltet.

Leitsätze Nr. 69 bis 71 (27. Juli 1924)

69. Die dritte Hierarchie offenbart sich als ein rein Geistig-Seelisches. Sie webt in dem, was der Mensch auf seelische Art ganz innerlich erlebt. Weder im Ätherischen, noch im Physischen könnten Vorgänge entstehen, wenn nur diese Hierarchie wirkte. Seelisches könnte allein da sein.

70. Die zweite Hierarchie offenbart sich als ein Geistig-Seelisches, das im Ätherischen wirkt. Alles Ätherische ist Offenbarung der zweiten Hierarchie. Sie offenbart sich aber nicht unmittelbar im Physischen. Ihre Stärke reicht nur bis zu den ätherischen Vorgängen. Es würde nur Seelisches und Ätherisches bestehen, wenn nur dritte und zweite Hierarchie wirkten.

71. Die stärkste, erste Hierarchie offenbart sich als das im Physischen geistig Wirksame. Sie gestaltet die physische Welt zum Kosmos. Die dritte und zweite Hierarchie sind dabei die dienenden Wesenheiten.

Leitsätze Nr. 72 bis 75 (3. August 1924)

72. Sobald man an die höheren Glieder der menschlichen Wesenheit: den ätherischen, astralischen Leib und die Ich-Organisation herantritt, ist man genötigt, das Verhältnis des Menschen zu den Wesen der geistigen Reiche zu suchen. Nur die physische Leibesorganisation kann von den drei physischen Naturreichen aus beleuchtet werden.

73. Im Ätherleibe gliedert sich dem Menschenwesen die Intelligenz des Kosmos ein. Dass dies geschehen kann, setzt die Tätigkeit von Welt-Wesen voraus, die in ihrem Zusammenwirken den menschlichen Ätherleib so gestalten wie die physischen Kräfte den physischen.

74. Im Astralleibe prägt die geistige Welt dem Menschenwesen die moralischen Impulse ein. Dass diese in der menschlichen Organisation sich darleben können, ist von der Tätigkeit solcher Wesen abhängig, die das Geistige nicht nur denken, sondern wesenhaft gestalten können.

75. In der Ich-Organisation erlebt der Mensch im physischen Leib sich selbst als Geist. Dass dies geschehen kann, ist die Tätigkeit von Wesen notwendig, die selbst als geistige in der physischen Welt leben.


Wie die Leitsätze anzuwenden sind

In den Leitsätzen, die vom Goetheanum ausgegeben werden, soll die Anregung für die tätig sein wollenden Mitglieder gegeben sein, den Inhalt des anthroposophischen Wirkens einheitlich zu gestalten. Man wird finden, wenn man an diese Sätze jede Woche herantritt, dass sie eine Anleitung dazu geben, sich in den vorhandenen Stoff der Zyklen zu vertiefen und diesen in einer gewissen Anordnung in den Zweigversammlungen vorzubringen.

Es wäre ja gewiss wünschenswerter, wenn jede Woche sogleich die Vorträge, die in Dornach gehalten werden, in allen Richtungen an die einzelnen Zweige gebracht werden könnten. Allein man sollte auch bedenken, welch komplizierte technische Einrichtungen dazu nötig sind. Es wird gewiss von Seite des Vorstandes am Goetheanum nach dieser Richtung alles Mögliche angestrebt und noch getan werden. Aber man muss mit den vorhandenen Möglichkeiten rechnen. Die Absichten, die auf der Weihnachtstagung geäußert worden sind, werden verwirklicht werden. Aber wir brauchen Zeit.

Vorläufig sind diejenigen Zweige im Vorteil, welche Mitglieder in sich haben, die das Goetheanum besuchen, da die Vorträge hören und deren Inhalt in den Zweigversammlungen vorbringen können. Und es sollte von den Zweigen erkannt werden, dass die Entsendung solcher Mitglieder an das Goetheanum eine Wohltat ist. Aber man sollte auch nicht die Arbeit, die in der Anthroposophischen Gesellschaft schon geleistet ist und die in den gedruckten Zyklen und Vorträgen vorliegt, allzu sehr unterschätzen. Wer diese Zyklen vornimmt, sich nach den Titeln erinnert, welcher Stoff in diesem oder jenem enthalten ist, und dann an die Leitsätze herantritt, der wird finden, dass er in dem einen Zyklus das eine und in dem anderen ein anderes findet, das den Leitsatz weiter ausführt. Aus dem Zusammenlesen dessen, was in den einzelnen Zyklen getrennt steht, können die Gesichtspunkte gefunden werden, von denen aus in Anlehnung an die Leitsätze gesprochen werden kann.

Wir wirken in der Anthroposophischen Gesellschaft wie rechte Verschwender, wenn wir die gedruckten Zyklen ganz unbenutzt lassen und immer nur «das Neueste» vom Goetheanum empfangen wollen. Es ist doch auch leicht begreiflich, dass allmählich jede Möglichkeit, die Zyklen zu drucken, aufhören müsste, wenn diese nicht ausgiebig benützt würden.

Es kommt noch ein anderer Gesichtspunkt in Frage. Bei der Verbreitung des Inhaltes der Anthroposophie ist Gewissenhaftigkeit und Verantwortlichkeitsgefühl in allererster Linie notwendig. Man muss das, was über die geistige Welt gesagt wird, in eine Form bringen, dass die Bilder der geistigen Tatsachen und Wesenheiten, die gegeben werden, nicht Missverständnissen ausgesetzt werden. Wer am Goetheanum einen Vortrag hört, kann einen unmittelbaren Eindruck haben. Wenn er dessen Inhalt wiedergibt, so kann bei ihm dieser Eindruck nachklingen, und er ist imstande, die Dinge so zu formulieren, dass sie richtig verstanden werden können. Wird aber ein Zweiter, Dritter der Vermittler, so wird die Wahrscheinlichkeit immer größer, dass sich Ungenauigkeiten einschleichen. Alle diese Dinge sollten bedacht werden.

Und ein weiterer Gesichtspunkt ist ja wohl der allerwichtigste. Es handelt sich ja nicht darum, dass der anthroposophische Inhalt nur äußerlich angehört oder gelesen werde, sondern dass er in das lebendige Seelenwesen aufgenommen werde. Im Fortdenken und Fortfühlen des Aufgenommenen liegt ein Wesentliches. Das aber soll mit Bezug auf die schon vorliegenden gedruckten Zyklen gerade durch die Leitsätze angeregt werden. Wird dieser Gesichtspunkt zu wenig berücksichtigt, so wird es fortdauernd daran fehlen, dass das Wesen der Anthroposophie durch die Anthroposophische Gesellschaft sich offenbaren könne. Man sagt nur mit scheinbarem Recht: was nützt es mir, noch soviel von geistigen Welten zu hören, wenn ich nicht selbst in solche Welten hineinschauen kann. Man berücksichtigt dabei nicht, dass dieses Hineinschauen gefördert wird, wenn über die Verarbeitung des anthroposophischen Inhaltes so gedacht wird, wie es hier angedeutet ist. Die Vorträge am Goetheanum sind so gehalten, dass ihr Inhalt lebendig und frei in den Gemütern der Zuhörer fortwirken kann. Und so ist auch der Inhalt der Zyklen. Da ist kein totes Material zur bloßen äußeren Mitteilung; da ist Stoff, der unter verschiedene Gesichtspunkte gerückt das Schauen in geistige Welten anregt. Man sollte nicht glauben: den Inhalt der Vorträge höre ich an; die Erkenntnis der geistigen Welt eigne ich mir durch Meditation an. So wird man nie im wahren Sinne weiterkommen. Beides muss in der Seele zusammenwirken. Und das Fortdenken und Fortfühlen des anthroposophischen Inhaltes ist auch Seelenübung. Man lebt sich in die geistige Welt schauend hinein, wenn man so, wie es hier gesagt ist, mit diesem Inhalt verfährt.

Es wird eben doch in der Anthroposophischen Gesellschaft viel zu wenig darauf gesehen, dass Anthroposophie nicht graue Theorie, sondern wahres Leben sein soll. Wahres Leben, das ist ihr Wesen; und wird sie zur grauen Theorie gemacht, dann ist sie oft gar nicht eine bessere, sondern eine schlechtere Theorie als andere. Aber sie wird eben erst Theorie, wenn man sie dazu macht, wenn man sie tötet. Das wird noch viel zu wenig gesehen, dass Anthroposophie nicht nur eine andere Weltanschauung ist als andere, sondern dass sie auch anders aufgenommen werden muss. Man erkennt und erlebt ihr Wesen erst in dieser anderen Art des Aufnehmens.

Das Goetheanum sollte als der notwendige Mittelpunkt des anthroposophischen Arbeitens und Wirkens angesehen werden; aber man sollte nicht aus dem Auge verlieren, dass in den Zweigen der anthroposophische Stoff, der erarbeitet worden ist, auch zur Geltung komme. Was am Goetheanum gewirkt wird, das kann im vollen lebendigen Sinne die ganze Anthroposophische Gesellschaft nach und nach haben, wenn möglichst viele Mitglieder aus dem Leben der Zweige heraus an das Goetheanum selbst herankommen und, soviel ihnen möglich ist, an seinem lebendigen Wirken teilnehmen. Das alles aber muss mit Innerlichkeit gestaltet werden; mit dem äußerlichen «Mitteilen» des Inhaltes von jeder Woche geht es nicht. Der Vorstand am Goetheanum wird Zeit brauchen und bei den Mitgliedern Verständnis finden müssen. Dann wird er im Sinne der Weihnachtstagung wirken können.

Leitsätze Nr. 76 bis 78 (10. August 1924)

76. Will man eine Vorstellung der ersten Hierarchie (Seraphim, Cherubim und Throne) hervorrufen, so wird man darnach suchen müssen, Bilder zu gestalten, in denen Geistiges (nur übersinnlich Schaubares) in den Formen sich wirkend offenbart, die in der Sinnenwelt zur Erscheinung kommen. Geistiges in sinnenfälliger Bildlichkeit muss Inhalt der Gedanken über die erste Hierarchie sein.

77. Will man eine Vorstellung der zweiten Hierarchie (Kyriotetes, Dynameis, Exusiai) hervorrufen, so wird man darnach suchen müssen, Bilder zu gestalten, in denen Geistiges nicht in sinnenfälligen Formen, sondern auf rein geistige Art sich offenbart. Geistiges in nicht sinnenfälliger, sondern rein geistiger Bildlichkeit muss der Inhalt der Gedanken über die zweite Hierarchie sein.

78. Will man eine Vorstellung der dritten Hierarchie (Archai, Archangeloi, Angeloi) hervorrufen, so wird man darnach suchen müssen, Bilder zu gestalten, in denen Geistiges nicht in sinnenfälligen Formen, aber auch nicht auf rein geistige Art, sondern so sich offenbart, wie Denken, Fühlen und Wollen in der menschlichen Seele sich darleben. Geistiges in seelenhafter Bildlichkeit muss der Inhalt der Gedanken über eine dritte Hierarchie sein.


Im Anbruch des Michael-Zeitalters

Bis zum neunten Jahrhundert nach dem Mysterium von Golgatha stand der Mensch anders zu seinen Gedanken als später. Er hatte nicht die Empfindung, dass er die in seiner Seele lebenden Gedanken selbst hervorbringe. Er betrachtete sie als Eingebungen einer geistigen Welt. Auch wenn er über das Gedanken hatte, was er mit seinen Sinnen wahrnahm, waren ihm die Gedanken Offenbarungen des Göttlichen, das aus den Sinnesdingen zu ihm sprach.

Wer geistige Schauungen hat, begreift diese Empfindung. Denn, wenn ein geistig Wirkliches sich der Seele mitteilt, so hat man niemals das Gefühl, da ist die geistige Wahrnehmung, und man formt selber den Gedanken, um die Wahrnehmung zu begreifen; sondern man schaut den Gedanken, der in der Wahrnehmung enthalten und mit ihr gegeben ist, so objektiv wie sie selbst.

Mit dem neunten Jahrhundert - selbstverständlich sind solche Angaben so zu nehmen, dass sie eine mittlere Zeitangabe bilden; der Übergang geschieht ganz allmählich -leuchtete in den Menschenseelen die persönlich-individuelle Intelligenz auf. Der Mensch bekam das Gefühl: ich bilde die Gedanken. Und dieses Bilden der Gedanken wurde das Überragende im Seelenleben, so dass die Denkenden das Wesen der Menschenseele im intelligenten Verhalten sahen. Vorher hatte man von der Seele eine imaginative Vorstellung. Man sah ihr Wesen nicht im Gedankenbilden, sondern in ihrem Teilhaben an dem geistigen Inhalt der Welt. Die übersinnlichen geistigen Wesen dachte man denkend; und sie wirken in den Menschen hinein; sie denken auch in ihn hinein. Was so von der übersinnlichen geistigen Welt im Menschen lebt, das empfand man als Seele.

Sobald man in die geistige Welt mit seiner Anschauung hinaufdringt, kommt man an konkrete geistige Wesensmächte heran. In alten Lehren hat man die Macht, aus der die Gedanken der Dinge erfließen, mit dem Namen Michael bezeichnet. Der Name kann beibehalten werden. Dann kann man sagen: die Menschen empfingen einst von Michael die Gedanken. Michael verwaltete die kosmische Intelligenz. Vom neunten Jahrhundert an verspürten die Menschen nicht mehr, dass ihnen Michael die Gedanken inspiriert. Sie waren seiner Herrschaft entfallen; sie fielen aus der geistigen Welt in die individuellen Menschenseelen.

Innerhalb der Menschheit wurde nunmehr das Gedankenleben ausgebildet. Man war zunächst unsicher, was man an den Gedanken hatte. Diese Unsicherheit lebte in den scholastischen Lehren. Die Scholastiker zerfielen in Realisten und Nominalisten. Die Realisten - deren Führer Thomas von Aquino und die ihm Nahestehenden waren -fühlten noch die alte Zusammengehörigkeit von Gedanke und Ding. Sie sahen daher in den Gedanken ein Wirkliches, das in den Dingen lebt. Die Gedanken des Menschen sahen sie als etwas an, das als Wirklichkeit aus den Dingen in die Seele hinüberfließt. - Die Nominalisten fühlten stark den Tatbestand, dass die Seele ihre Gedanken bildet. Sie empfanden die Gedanken nur als Subjektives, das in der Seele lebt und das mit den Dingen nichts zu tun hat. Sie meinten: die Gedanken seien nur vom Menschen gebildete Namen für die Dinge. (Man sprach nicht von «Gedanken», sondern von «Universalien»; aber das kommt für das Prinzipielle der Anschauung nicht in Betracht, da Gedanken ja immer etwas Universelles im Verhältnis zu den einzelnen Dingen haben.)

Man kann sagen: Die Realisten wollten Michael die Treue bewahren; auch da die Gedanken aus seinem Bereich in den der Menschen gefallen waren, wollten sie als Denker dem Michael dienen als dem Fürsten der Intelligenz des Kosmos. - Die Nominalisten vollzogen in ihrem unbewussten Seelenteil den Abfall von Michael. Sie betrachteten nicht Michael, sondern den Menschen als den Eigentümer der Gedanken.

Der Nominalismus gewann an Verbreitung und Einfluss. Das konnte so fortgehen bis in das letzte Drittel des neunzehnten Jahrhunderts. In diesem Zeitalter empfanden diejenigen Menschen, die sich auf die Wahrnehmung der geistigen Geschehnisse innerhalb des Weltalls verstehen, dass Michael dem Strom des intellektuellen Lebens nachgezogen war. Er sucht nach einer neuen Metamorphose seiner kosmischen Aufgabe. Er ließ vorher von der geistigen Außenwelt her die Gedanken in die Seelen der Menschen strömen; vom letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts an will er in den Menschenseelen leben, in denen die Gedanken gebildet werden. Vorher sahen die Michael verwandten Menschen Michael im Geistbereich seine Tätigkeit entfalten; jetzt erkennen sie, dass sie Michael im Herzen wohnen lassen sollen; jetzt weihen sie ihm ihr gedankengetragenes geistiges Leben; jetzt lassen sie sich im freien, individuellen Gedankenleben von Michael darüber belehren, welches die rechten Wege der Seele sind.

Menschen, die im vorangehenden Erdenleben in inspiriertem Gedankenwesen gestanden haben, also Michaeldiener waren, fühlten sich, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts wieder ins Erdenleben gekommen, zu solcher freiwilligen Michaelgemeinschaft gedrängt. Sie betrachteten ihren alten Gedankeninspirator nunmehr als den Weiser im höheren Gedankenwesen.

Wer auf solche Dinge zu achten versteht, der konnte wissen, welch ein Umschwung im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts sich mit Bezug auf das Gedankenleben der Menschen vollzogen hat. Vorher konnte der Mensch nur fühlen, wie aus seinem Wesen heraus die Gedanken sich formten; von dem angedeuteten Zeitabschnitt an kann er sich über sein Wesen erheben; er kann den Sinn ins Geistige lenken; da tritt ihm Michael entgegen, und der erweist sich als altverwandt mit allem Gedankenweben. Der befreit die Gedanken aus dem Bereich des Kopfes; er macht ihnen den Weg zum Herzen frei; er löst die Begeisterung aus dem Gemüte los, so dass der Mensch in seelischer Hingabe leben kann an alles, was sich im Gedankenlicht erfahren lässt. Das Michaelzeitalter ist angebrochen. Die Herzen beginnen, Gedanken zu haben; die Begeisterung entströmt nicht mehr bloß mystischem Dunkel, sondern gedankengetragener Seelenklarheit. Dies verstehen, heißt, Michael in sein Gemüt aufnehmen. Gedanken, die heute nach dem Erfassen des Geistigen trachten, müssen Herzen entstammen, die für Michael als den feurigen Gedankenfürsten des Weltalls schlagen.

Leitsätze Nr. 79 bis 81 (17. August 1924)

79. An die dritte Hierarchie (Archai, Archangeloi, Angeloi) kann man geistig herantreten, wenn man Denken, Fühlen und Wollen so kennen lernt, dass man in ihnen das in der Seele wirkende Geistige gewahr wird. Das Denken stellt zunächst nur Bilder, nicht ein Wirkliches in die Welt. Das Fühlen webt in diesem Bildhaften; es spricht für ein Wirkliches im Menschen, kann es aber nicht ausleben. Das Wollen entfaltet eine Wirklichkeit, die den Leib voraussetzt, aber an seiner Gestaltung nicht bewusst mitwirkt. Das Wesenhafte, das im Denken lebt, um den Leib zur Grundlage dieses Denkens zu machen, das Wesenhafte, das im Fühlen lebt, um den Leib zum Mit-Erleber einer Wirklichkeit zu machen, das Wesenhafte, das im Wollen lebt, um an seiner Gestaltung bewusst mitzuwirken, ist in der dritten Hierarchie lebendig.

80. An die zweite Hierarchie (Exusiai, Dynameis, Kyriotetes) kann man geistig herantreten, wenn man die Naturtatsachen als Erscheinungen eines in ihnen lebenden Geistigen erschaut. Die zweite Hierarchie hat dann die Natur zu ihrem Aufenthalt, um in ihr an den Seelen zu wirken.

81. An die erste Hierarchie (Seraphim, Cherubim, Throne) kann man geistig herantreten, wenn man die im Natur- und Menschenreich vorhandenen Tatsachen als die Taten (Schöpfungen) eines in ihnen wirkenden Geistigen erschaut. Die erste Hierarchie hat dann das Natur- und Menschenreich zu ihrer Wirkung, in der sie sich entfaltet.

Leitsätze Nr. 82 bis 84 (24. August 1924)

82. Der Mensch blickt zu den Sternenwelten auf; was sich da den Sinnen darbietet, sind nur die äußeren Offenbarungen derjenigen Geistwesenheiten und ihrer Taten, von denen in den vorigen Betrachtungen als den Wesen der geistigen Reiche (Hierarchien) gesprochen worden ist.

83. Die Erde ist der Schauplatz der drei Naturreiche und des Menschenreiches, insofern diese den äußeren Sinnenschein von der Tätigkeit geistiger Wesenheiten offenbaren.

84. Die Kräfte, welche in die irdischen Naturreiche und in das Menschenreich von Seiten geistiger Wesen hineinwirken, enthüllen sich dem Menschengeiste durch die wahre, die geistgemäße Erkenntnis der Gestirnwelten.


Die menschliche Seelenverfassung vor dem Anbruch des Michael-Zeitalters

Heute soll eine Betrachtung hier eingefügt werden, die sich an die Ideen «Im Anbruch des Michael-Zeitalters» anschließt. Dieses Michael-Zeitalter ist in der Entwicklung der Menschheit heraufgekommen nach dem Vorherrschen der intellektuellen Gedankenbildung auf der einen Seite und der auf die äußere Sinnenwelt - die physische Welt - gerichteten menschlichen Anschauungsweise auf der ändern.

Die Gedankenbildung ist in ihrer eigenen Wesenheit nicht eine Entwicklung nach dem Materialistischen hin. Dasjenige, was in altern Zeitaltern wie inspiriert an den Menschen herantrat, die Ideenwelt, wurde in der Zeit, die der Michael-Epoche voranging, Eigentum der menschlichen Seele. Diese empfängt nicht mehr die Ideen «von oben» aus dem geistigen Inhalt des Kosmos; sie holt sie aktiv aus der eigenen Geistigkeit des Menschen herauf. Damit ist der Mensch erst reif geworden, sich auf die eigene geistige Wesenheit zu besinnen. Vorher drang er bis zu dieser Tiefe des eigenen Wesens nicht vor. Er sah in sich gewissermaßen den Tropfen, der aus dem Meere der kosmischen Geistigkeit sich für das Erdenleben abgetrennt hat, um sich nach demselben wieder mit ihm zu vereinigen.

Es ist die im Menschen stattfindende Gedankenbildung ein Fortschritt in der menschlichen Selbsterkenntnis. Im Übersinnlichen angeschaut, stellt sich die Sache so dar: Die geistigen Mächte, die man mit dem Michael-Namen bezeichnen kann, verwalteten im geistigen Kosmos die Ideen. Der Mensch erlebte diese Ideen, indem er mit seiner Seele an dem Leben der Michael-Welt teilnahm. Dieses Erleben ist nun sein eigenes geworden. Dadurch ist eine zeitweilige Trennung des Menschen von der Michael-Welt eingetreten. Mit den inspirierten Gedanken der Vorzeit empfing der Mensch zugleich die geistigen Weltinhalte. Indem diese Inspiration aufhörte und der Mensch in eigener Tätigkeit die Gedanken bildet, ist er auf die Anschauung der Sinne verwiesen, um für diese Gedanken einen Inhalt zu haben. So musste der Mensch zunächst die errungene eigene Geistigkeit mit materiellem Inhalt erfüllen. Er fiel in die materialistische Anschauung in dem Zeitalter, das sein eigenes geistiges Wesen auf eine Stufe brachte, die höher ist als die vorangehenden.

Das kann leicht verkannt werden; man kann den «Fall» in den Materialismus nur allein beachten, und dann über ihn traurig sein. Aber während das Anschauen dieses Zeitalters sich auf die äußere physische Welt beschränken musste, entfaltete sich im Innern der Seele eine gereinigte, in sich selbst bestehende Geistigkeit des Menschen als Erleben. Diese Geistigkeit muss nun im Michael-Zeitalter nicht mehr unbewusstes Erleben bleiben, sondern sich ihrer Eigenart bewusst werden. Das bedeutet den Eintritt der Michael-Wesenheit in die menschliche Seele. Der Mensch hat eine gewisse Zeit hindurch das eigene Geistige mit dem Materiellen der Natur erfüllt; er soll es wieder mit ureigener Geistigkeit als kosmischen Inhalt erfüllen.

Die Gedankenbildung verlor sich eine Weile an die Materie des Kosmos; sie muss sich in dem kosmischen Geiste wieder finden. In die kalte, abstrakte Gedankenwelt kann Wärme, kann wesenserfüllte Geist-Wirklichkeit eintreten. Das stellt den Anbruch des Michael-Zeitalters dar.

Nur in der Trennung von dem Gedankenwesen der Welt konnte in den Tiefen der menschlichen Seele das Bewusstsein der Freiheit erwachsen. Was von den Höhen kam, musste aus den Tiefen wiedergefunden werden. Deshalb ist die Entwicklung dieses Bewusstseins der Freiheit zunächst mit einer nur auf das Äußere gerichteten Naturerkenntnis verbunden gewesen. Während der Mensch im Innern seinen Geist unbewusst zur Reinheit der Ideen erbildete, waren seine Sinne nach außen nur auf das Materielle gerichtet, das in keiner Weise störend in das eingriff, was zunächst als zarter Keim in der Seele aufleuchtete.

Aber es kann in die Anschauung des äußeren Materiellen das Erleben des Geistigen und damit die geistige Anschauung in neuer Art wieder einziehen. Was im Zeichen des Materialismus an Naturerkenntnis gewonnen worden ist, kann in geistgemäßer Art im inneren Seelenleben erfasst werden. Michael, der «von oben» gesprochen hat, kann «aus dem Innern», wo er seinen neuen Wohnsitz aufschlagen wird, gehört werden. Mehr imaginativ gesprochen, kann dies so ausgedrückt werden: Das Sonnenhafte, das der Mensch durch lange Zeiten nur aus dem Kosmos in sich aufnahm, wird im Innern der Seele leuchtend werden. Der Mensch wird von einer «innern Sonne» sprechen lernen. Er wird sich deshalb in seinem Leben zwischen Geburt und Tod nicht weniger als Erdenwesen wissen; aber er wird das auf der Erde wandelnde eigene Wesen als sonnengeführt erkennen. Er wird als Wahrheit empfinden lernen, dass ihn im Innern eine Wesenheit in ein Licht stellt, das zwar auf das Erdendasein leuchtet, aber nicht in diesem entzündet wird. Im Anbruche des Michael-Zeitalters mag es noch scheinen, als ob dies alles der Menschheit recht ferne liegen könne; doch [68] es ist «im Geiste» nahe; es muss nur «gesehen» werden. Von dieser Tatsache, dass die Ideen des Menschen nicht nur «denkend» bleiben, sondern im Denken «sehend» werden, hängt unermesslich viel ab.

Leitsätze Nr. 85 bis 87 (31. August 1924)

85. Im wachen Tagesbewusstsein erlebt sich im gegenwärtigen Weltenalter zunächst der Mensch. Dieses Erleben verhüllt ihm, dass innerhalb der Wachheit die dritte Hierarchie in seinem Erleben gegenwärtig ist.

86. Im Traumbewusstsein erlebt der Mensch in chaotischer Art das eigene Wesen mit dem Geistwesen der Welt unharmonisch vereinigt. Stellt sich dem Traumbewusstsein das imaginative als dessen anderer Pol gegenüber, so wird der Mensch gewahr, dass die zweite Hierarchie in seinem Erleben gegenwärtig ist.

87. Im traumlosen Schlafbewusstsein erlebt der Mensch ohne eigene Bewusstheit das eigene Wesen mit dem Geistwesen der Welt vereinigt. Stellt sich dem Schlafbewusstsein das inspirierte als dessen anderer Pol gegenüber, so wird der Mensch gewahr, dass die erste Hierarchie in seinem Erleben gegenwärtig ist.


Aphorismus (Aus einem am 24. August in London gehaltenen Mitgliedervortrag)

Das menschliche Bewusstsein entwickelt im gegenwärtigen Weltstadium seiner Entwicklung drei Formen, das wachende, das träumende und das traumlos schlafende Bewusstsein.

Das wachende erlebt die sinnenfällige Außenwelt, bildet über diese Ideen und kann aus diesen Ideen heraus solche gestalten, welche eine rein geistige Welt abbilden. Das träumende Bewusstsein entwickelt Bilder, welche die Außenwelt umformen, zum Beispiel an die in das Bett scheinende Sonne das Traumerlebnis einer Feuersbrunst mit vielen Einzelheiten knüpfen. Oder es stellt die menschliche Innenwelt in symbolischen Bildern vor die Seele, zum Beispiel das stark pochende Herz im Bild eines überheizten Ofens. Auch die Erinnerungen leben umgestaltet im Traumbewusstsein auf. Dazu kommen Inhalte solcher Bilder, die nicht der Sinneswelt entnommen sind, sondern der geistigen, die aber nicht die Möglichkeit bieten, in die geistige Welt erkennend einzudringen, weil ihr Dämmersein nicht ganz in das Wachbewusstsein sich heben lässt, und weil, was in dieses herüberspielt, nicht wahrhaft ergriffen werden kann.

Es ist aber möglich, von der Traumwelt unmittelbar im Erwachen so viel zu erfassen, dass man gewahr wird, wie sie der unvollkommene Abdruck eines geistigen Erlebens ist, das den Schlaf erfüllt, aber dem Wachbewusstsein sich zum weitaus größten Teile entzieht. Es ist nur nötig, um das zu durchschauen, den Augenblick des Erwachens so zu gestalten, dass dieses nicht mit einem Schlage die Außenwelt vor die Seele zaubert, sondern dass die Seele, ohne noch nach außen zu schauen, sich dem innen Erlebten hingegeben fühlt.

Das traumlose Schlafbewusstsein lässt die Seele Erlebnisse durchmachen, die in der Erinnerung nur als unterschiedsloses Einerlei der Zeit-Erfüllung erscheinen. Man wird von diesen Erlebnissen so lange als von etwas gar nicht Vorhandenem sprechen können, solange man nicht durch geisteswissenschaftliche Forschung in sie eindringt. Geschieht dies aber, entwickelt man auf die in der anthroposophischen Literatur gegebene Art das imaginierte und inspirierte Bewusstsein, dann treten aus der Finsternis des Schlafes die Bilder und die Inspirationen von Erlebnissen früheren Erdendaseins hervor. Und dann kann man auch den Inhalt des Traumbewusstseins überschauen. Er besteht in einem vom Wachbewusstsein nicht zu ergreifenden Inhalt, der in diejenige Welt verweist, in welcher der Mensch zwischen zwei Erdenleben als unverkörperte Seele verweilt.

Lernt man kennen, was für die gegenwärtige Weltenphase das Traum- und das Schlafbewusstsein verbergen, dann wird der Weg eröffnet auf die Entwicklungsformen des menschlichen Bewusstseins in der Vorwelt. Man kann dazu allerdings nicht durch die äußere Forschung gelangen. Denn die erhaltenen äußeren Zeugnisse bringen nur Nachwirkungen von vorgeschichtlichen Erlebnissen des menschlichen Bewusstseins. Die anthroposophische Literatur bringt Aufschlüsse darüber, wie man durch geistige Forschung zur Anschauung von solchen Erlebnissen gelangen kann.

In der alten Zeit Ägyptens findet diese Forschung ein Traumbewusstsein, das dem Wachbewusstsein viel näher steht, als das jetzt beim Menschen der Fall ist. Die Traumerlebnisse strahlten erinnerungsgemäß in das Wachbewusstsein herüber; und dieses lieferte nicht bloß die in scharf konturierte Gedanken zu fassenden Sinneseindrücke, sondern verbunden mit diesen das Geistige, das in der Sinneswelt wirkt. Dadurch stand der Mensch mit seinem Bewusstsein instinktiv in der Welt darinnen, die er bei seiner Erdenverkörperung verlassen hat und die er wieder betreten wird, wenn er durch die Todespforte geschritten sein wird.

Die erhaltenen Schrift-Denkmäler und anderes geben dem, der unbefangen in ihren Inhalt eindringt, deutliche Nachbilder eines solchen Bewusstseins, das einer Zeit angehört, aus der äußere Denkmäler nicht vorhanden sind.

Das Schlafbewusstsein der ägyptischen Urzeit enthielt Träume der geistigen Welt in einer ähnlichen Art, wie das gegenwärtige Träume aus der physischen Welt enthält.

Bei ändern Völkern findet man aber noch ein anderes Bewusstsein. Der Schlaf strahlte seine Erlebnisse in das Wachen herüber, und zwar so, dass in diesem Herüberstrahlen eine Anschauung der wiederholten Erdenleben instinktiv vorhanden war. Die Traditionen von der Erkenntnis der wiederholten Erdenleben durch die Urmenschen entstammen diesen Bewusstseins-Formen.

Man findet, was in alten Zeiten an Traumbewusstsein dämmerhaft instinktiv vorhanden war, in der entwickelten imaginativen Erkenntnis wieder. Nur ist es bei dieser vollbewusst wie das Wachleben.

Und man wird durch die inspirierte Erkenntnis ebenso die vorzeitliche instinktive Einsicht gewahr, die noch etwas von den wiederholten Erdenleben sah. Auf diese Verwandlung der menschlichen Bewusstseinsformen geht die heutige Menschheitsgeschichte nicht ein. Sie möchte gerne glauben, dass im wesentlichen die gegenwärtigen Bewusstseinsformen immer vorhanden waren, solange es eine Erdenmenschheit gibt.

Und was doch auf solche andere Bewusstseinsformen hinweist, die Mythen und Märchen, möchte man als den Ausfluss der dichtenden Phantasie des Urmenschen ansehen.

Leitsätze Nr. 88 bis 90 (7. September 1924)

88. Im wachen Tagesbewusstsein erlebt sich im gegenwärtigen Weltenalter der Mensch als innerhalb der physischen Welt stehend. Dieses Erleben verbirgt ihm, dass innerhalb seiner eigenen Wesenheit die Wirkungen eines Lebens zwischen Tod und Geburt vorhanden sind.

89. Im Traumbewusstsein erlebt der Mensch in chaotischer Art das eigene Wesen mit dem Geisteswesen der Welt unharmonisch vereint. Das Wachbewusstsein kann den eigentlichen Inhalt dieses Traumbewusstseins nicht ergreifen. Es enthüllt sich dem imaginativen und inspirierten Bewusstsein, dass die Geistwelt, die der Mensch zwischen Tod und Geburt durchlebt, an dem Aufbau seines Innenwesens beteiligt ist.

90. Im traumlosen Schlafbewusstsein erlebt der Mensch ohne eigene Bewusstheit das eigene Wesen als durchdrungen mit den Ergebnissen vergangener Erdenleben. Das inspirierte und intuitive Bewusstsein dringt zur Anschauung dieser Ergebnisse vor und sieht das Wirken voriger Erdenleben in dem Schicksalsverlauf (Karma) des gegenwärtigen.

Leitsätze Nr. 91 bis 93 (14. September 1924)

91. Der Wille tritt in das gewöhnliche Bewusstsein im heutigen Weltalter nur durch den Gedanken ein. Dieses gewöhnliche Bewusstsein kann aber nur an das sinnlich Wahrnehmbare anknüpfen. Es ergreift auch an dem eigenen Willen nur das, was von diesem in die sinnliche Wahrnehmungswelt eintritt. Der Mensch weiß in diesem Bewusstsein von seinen Willensimpulsen nur durch die vorstellende Beobachtung seiner selbst, wie er von der Außenwelt nur durch Beobachtung weiß.

92. Das Karma, das im Willen wirkt, ist eine ihm aus vorangegangenen Erdenleben anhaftende Eigenschaft. Diese kann daher nicht durch die Vorstellungen des gewöhnlichen Sinnesseins, die nur auf das gegenwärtige Erdenleben hin orientiert sind, erfasst werden.

93. Weil diese Vorstellungen das Karma nicht erfassen können, verweisen sie das ihnen an den menschlichen Willensimpulsen entgegentretende Unverständliche in das mystische Dunkel der Körperkonstitution, während es die Wirkung vorangegangener Erdenleben ist.

Leitsätze Nr. 94 bis 96 (21. September 1924)

94. Mit dem gewöhnlichen Vorstellungsleben, das durch die Sinne vermittelt wird, steht der Mensch in der physischen Welt. Um diese in sein Bewusstsein aufzunehmen, muss das Karma im Vorstellungsleben schweigen. Der Mensch vergisst gewissermaßen als Vorstellender sein Karma.

95. In den Willensoffenbarungen wirkt das Karma. Aber die Wirkung bleibt im Unbewussten. Durch das Erheben dessen, was im Willen unbewusst wirkt, zur Imagination, wird das Karma ergriffen. Man fühlt in sich sein Schicksal.

96. Tritt Inspiration und Intuition in die Imagination ein, dann wird im Willenswirken außer den Impulsen der Gegenwart das Ergebnis voriger Erdenleben wahrnehmbar. Das vergangene Leben erweist sich in dem gegenwärtigen als wirksam.

Leitsätze Nr. 97 bis 99 (28. September 1924)

97. Eine gröbere Darstellung darf sagen: in der Seele des Menschen leben Denken, Fühlen und Wollen. Eine feinere muss sagen: Denken enthält immer einen Untergrund von Fühlen und Wollen, Fühlen einen solchen von Denken und Wollen, Wollen einen von Denken und Fühlen. Im Gedankenleben ist nur das Denken, im Gefühlsleben das Fühlen, im Willensleben das Wollen gegenüber den anderen Seeleninhalten vorherrschend.

98. Das Fühlen und Wollen des Gedankenlebens enthalten das karmische Ergebnis voriger Erdenleben. Das Denken und Wollen des Gefühlslebens bestimmen auf karmische Art den Charakter. Das Denken und Fühlen des Willenslebens reißen das gegenwärtige Erdenleben aus dem karmischen Zusammenhange heraus.

99. Im Fühlen und Wollen des Denkens lebt der Mensch sein Karma der Vergangenheit aus; im Denken und Fühlen des Wollens bereitet er das Karma der Zukunft vor.

Leitsätze Nr. 100 bis 102 (5. Oktober 1924)

100. Die Gedanken haben ihren eigentlichen Sitz im ätherischen Leib des Menschen. Aber da sind sie lebendig-wesenhafte Kräfte. Sie prägen sich dem physischen Leibe ein. Und als solche «eingeprägte Gedanken» haben sie die schattenhafte Art, in der sie das gewöhnliche Bewusstsein kennt.

101. Was in den Gedanken als Fühlen lebt, das kommt vom astralischen Leib, was als Wollen, vom «Ich» her. Im Schlafen erstrahlt der Ätherleib des Menschen durchaus in dessen Gedankenwelt; nur der Mensch nimmt nicht daran teil, weil er das Fühlen der Gedanken mit dem Astralleib, das Wollen derselben mit dem «Ich» aus dem ätherischen und physischen Leib herausgezogen hat.

102. In dem Augenblicke, in dem während des Schlafes der astralische Leib und das Ich das Verhältnis zu den Gedanken des Ätherleibes lösen, gehen sie ein solches zu dem «Karma», zur Anschauung der Geschehnisse durch die wiederholten Erdenleben hindurch ein. Diese Anschauung ist dem gewöhnlichen Bewusstsein versagt; ein übersinnliches Bewusstsein tritt in sie ein.


Der vor-michaelische und der Michaels-Weg

Man wird nicht im rechten Lichte sehen können, wie der Michael-Einschlag in die Menschheits-Entwicklung hereindringt, wenn man sich über das Verhältnis der neueren Ideenwelt zur Natur die Vorstellung macht, die heute allgemein üblich ist.

Da denkt man: draußen ist die Natur mit ihren Vorgängen und Wesen; im Innern, da sind die Ideen. Diese stellen Begriffe von Naturwesen dar oder auch sogenannte Naturgesetze. Es kommt den Denkern dabei vor allem darauf an, zu zeigen, wie man die Ideen bildet, die das rechte Verhältnis zu den Naturwesen haben oder die wahre Naturgesetze enthalten.

Man legt dabei wenig Wert darauf, wie diese Ideen zu dem Menschen stehen, der sie hat. Und doch wird man, worauf es ankommt, nur einsehen, wenn man vor allem die Frage aufwirft: Was erlebt der Mensch in den neueren naturwissenschaftlichen Ideen?

Man wird zu einer Antwort auf die folgende Art kommen.

Heute empfindet der Mensch, dass Ideen in ihm durch die Tätigkeit seiner Seele ausgebildet werden. Er hat das Gefühl: er ist der Ausbildner der Ideen, während nur die Wahrnehmungen von außen an ihn herandringen.

Dieses Gefühl hatte der Mensch nicht immer. Er empfand in älteren Zeiten den Inhalt der Ideen nicht als etwas Selbst-Gemachtes, sondern als etwas durch Eingebung aus der übersinnlichen Welt Erhaltenes.

Dieses Gefühl machte Stufen durch. Und die Stufen hingen davon ab, mit welchem Teil seines Wesens der Mensch das erlebte, was er heute seine Ideen nennt. Heute in dem Zeitalter der Entwicklung der Bewusstseinsseele gilt uneingeschränkt, was in den vorigen Leitsätzen steht: «Die Gedanken haben ihren eigentlichen Sitz im ätherischen Leib des Menschen. Aber da sind sie lebendig-wesenhafte Kräfte. Sie prägen sich dem physischen Leibe ein. Und als solche ,eingeprägte Gedanken’ haben sie die schattenhafte Art, in der sie das gewöhnliche Bewusstsein kennt.»

Man kann nun zurückgehen in Zeiten, in denen Gedanken unmittelbar im «Ich» erlebt wurden. Da aber waren sie nicht schattenhaft wie heute; sie waren nicht bloß lebend; sie waren beseelt und durchgeistigt. Das heißt aber: der Mensch dachte nicht Gedanken; sondern er erlebte die Wahrnehmung von konkreten geistigen Wesenheiten.

Man wird ein Bewusstsein, das so zu einer Welt von geistigen Wesenheiten aufsieht, überall in der Vorzeit der Völker finden. Was sich davon geschichtlich erhalten hat, bezeichnet man heute als mythenbildendes Bewusstsein und legt ihm keinen besonderen Wert bei für die Erfassung der wirklichen Welt. - Und doch steht der Mensch mit diesem Bewusstsein in seiner Welt, in der Welt seines Ursprunges darinnen, während er sich mit dem heutigen Bewusstsein aus dieser seiner Welt heraushebt.

Der Mensch ist Geist. Und seine Welt ist die der Geister.

Eine nächste Stufe ist diejenige, wo das Gedankliche nicht mehr vom «Ich», sondern von dem astralischen Leibe erlebt wird. Da geht die unmittelbare Geistigkeit für den seelischen Anblick verloren. Das Gedankliche erscheint als ein beseeltes Lebendiges.

Auf der ersten Stufe, dem Erschauen des konkret geistig Wesenhaften, hat der Mensch gar nicht stark das Bedürfnis, das Erschaute an die Welt des Sinnlich-Wahrgenommenen heranzutragen. Die sinnlichen Welterscheinungen offenbaren sich zwar als die Taten des übersinnlich Erschauten ; aber eine besondere Wissenschaft von dem auszubilden, was dem «geistigen Blick» unmittelbar anschaulich ist, liegt keine Nötigung vor. Außerdem ist, was als die Welt der Geistwesen erschaut wird, von solcher Fülle, dass darauf vor allem die Aufmerksamkeit ruht.

Anders wird dies bei der zweiten Bewusstseins-Etappe. Da verbergen sich die konkreten Geistwesen; ihr Abglanz, als beseeltes Leben, erscheint. Man beginnt das «Leben der Natur» an dieses «Leben der Seelen» heranzutragen. Man sucht in den Naturwesen und Naturvorgängen die wirksamen Geistwesen und deren Taten. In dem, was später als alchymistisches Suchen auftrat, ist geschichtlich der Niederschlag dieser Bewusstseins-Etappe zu sehen.

Wie der Mensch, indem er auf erster Bewusstseins-Etappe Geistwesen «dachte», ganz in seinem Wesen lebte, so steht er auf dieser zweiten sich und seinem Ursprung noch nahe.

Damit ist aber auf beiden Stufen ausgeschlossen, dass der Mensch im eigentlichen Sinne zu einem inneren eigenen Antrieb für sein Handeln komme.

Geistiges, das von seiner Art ist, handelt in ihm. Was er zu tun scheint, ist Offenbarung von Vorgängen, die sich durch Geistwesen abspielen. Was der Mensch tut, ist die sinnlich-physische Erscheinung eines dahinterstehenden wirklichen göttlich-geistigen Geschehens.

Eine dritte Epoche der Bewusstseins-Entwicklung bringt die Gedanken, aber als lebendige, im ätherischen Leib zum Bewusstsein.

Als die griechische Zivilisation groß war, lebte sie in diesem Bewusstsein. Wenn der Grieche dachte, so bildete er sich nicht einen Gedanken, durch den er, als mit seinem eigenen Gebilde, die Welt ansah; sondern er fühlte in sich erregt Leben, das auch draußen in den Dingen und Vorgängen pulsierte.

Da erstand zum ersten Male die Sehnsucht nach Freiheit des eigenen Handelns. Noch nicht wirkliche Freiheit; aber die Sehnsucht darnach.

Der Mensch, der das Regen der Natur in sich selber sich regend empfand, konnte die Sehnsucht ausbilden, die eigene Regsamkeit loszulösen von der als fremd wahrgenommenen Regsamkeit. Aber es wurde immerhin in der äußeren Regsamkeit noch das letzte Ergebnis der wirksamen Geist-Welt empfunden, die gleicher Art mit dem Menschen ist.

Erst als die Gedanken ihre Prägung im physischen Leibe annahmen und sich das Bewusstsein nur auf diese Prägung erstreckte, trat die Möglichkeit der Freiheit ein. Das ist der Zustand, der mit dem fünfzehnten nachchristlichen Jahrhundert gegeben ist.

In der Welt-Entwicklung kommt es nicht darauf an, was für Bedeutung die Ideen der heutigen Naturanschauung zur Natur haben; denn diese Ideen haben ihre Formen nicht deshalb angenommen, um ein bestimmtes Bild der Natur zu liefern, sondern um den Menschen zu einer bestimmten Stufe seiner Entwicklung zu bringen.

Als die Gedanken den physischen Körper ergriffen, war aus ihrem unmittelbaren Inhalte Geist, Seele, Leben getilgt; und der abstrakte Schatten, der am physischen Leibe haftet, ist allein geblieben. Solche Gedanken können nur Physisch-Materielles zum Gegenstande ihrer Erkenntnis machen. Denn sie sind selbst nur wirklich an dem physischmateriellen Leibe des Menschen.

Nicht deshalb ist der Materialismus entstanden, weil nur materielle Wesen und Vorgänge in der äußeren Natur wahrzunehmen sind; sondern weil der Mensch in seiner Entwicklung eine Etappe durchzumachen hatte, die ihn zu einem Bewusstsein führte, das zunächst nur materielle Offenbarungen zu schauen fähig ist. Die einseitige Ausgestaltung dieses menschlichen Entwicklungs-Bedürfnisses ergab die Naturanschauung der neueren Zeit.

Michaels Sendung ist, in der Menschen Äther-Leiber die Kräfte zu bringen, durch die die Gedanken-Schatten wieder Leben gewinnen; dann werden sich den belebten Gedanken Seelen und Geister der übersinnlichen Welten neigen ; es wird der befreite Mensch mit ihnen leben können, wie ehedem der Mensch mit ihnen lebte, der nur das physische Abbild ihres Wirkens war.

Leitsätze Nr. 103 bis 105 (12. Oktober 1924)

(Auf Grund des vorangehend Dargestellten)

103. In der Menschheits-Entwicklung steigt das Bewusstsein auf der Leiter der Gedanken-Entfaltung herab. Es gibt eine erste Bewusstseins-Etappe: da erlebt der Mensch die Gedanken im «Ich» als durchgeistigte, beseelte, belebte Wesen. Auf einer zweiten Etappe erlebt der Mensch die Gedanken im astralischen Leib; sie stellen da nur mehr die beseelten und belebten Abbilder der Geistwesen dar. Auf einer dritten Etappe erlebt der Mensch die Gedanken im Äther-Leibe; sie stellen nur eine innere Regsamkeit wie einen Nachklang von Seelenhaftem dar. Auf der vierten, gegenwärtigen Etappe erlebt der Mensch die Gedanken im physischen Leibe; sie stellen tote Schatten des Geistigen dar.

104. In demselben Maße, in dem das Geistig-Seelisch-Lebendige im Menschendenken zurücktritt, lebt des Menschen Eigenwille auf; die Freiheit wird möglich.

105. Es ist Michaels Aufgabe, den Menschen auf den Bahnen des Willens dahin wieder zu führen, woher er gekommen ist, da er auf den Bahnen des Denkens von dem Erleben des Übersinnlichen zu dem des Sinnlichen mit seinem Erdenbewusstsein heruntergestiegen ist.


Michaels Aufgabe in der Ahriman-Sphäre

(Goetheanum, 10. Oktober 1924)

Wenn der Mensch auf seine Entwicklung zurückblickt und dabei die besondere Eigenheit sich zur geistigen Anschauung bringt, die sein Geistesleben seit fünf Jahrhunderten angenommen hat, so muss er schon innerhalb des gewöhnlichen Bewusstseins wenigstens ahnend erkennen, dass er seit diesen fünf Jahrhunderten an einem bedeutsamen Wendepunkte der ganzen irdischen Entwicklung der Menschheit steht.

In der letzten Betrachtung habe ich, von einem Gesichtspunkte aus, auf diese bedeutsame Wendung hingewiesen. Da kann man hinauf blicken in die Vorzeit der Entwicklung. Man schaut, wie sich im Menschen die Seelenkraft gewandelt hat, die gegenwärtig als die Kraft der Intelligenz tätig ist.

Jetzt erscheinen Gedanken, tote, abstrakte Gedanken im Felde des menschlichen Bewusstseins. Diese Gedanken sind an den physischen Menschenleib gebunden; der Mensch muss sie als die von ihm erzeugten anerkennen.

In der Urzeit schaute der Mensch, wenn er seinen Seelenblick in die Richtung wendete, in der ihm heute die eigenen Gedanken sich offenbaren, göttlich-geistige Wesenheiten. An diese Wesenheiten fand der Mensch sein ganzes Sein, bis zum physischen Leib, gebunden; er musste sich als das Erzeugnis dieser Wesenheiten anerkennen. Aber als solches Erzeugnis nicht nur sein Sein anerkennen, sondern auch sein Tun. Der Mensch hatte keinen eigenen Willen. Was er tat, war Erscheinung des göttlichen Willens.

Stufenweise, wie dies geschildert wurde, ist es bis zum eigenen Willen gekommen, dessen Zeit vor ungefähr fünf Jahrhunderten eingetreten ist.

Aber die letzte Etappe unterscheidet sich von allen vorangehenden viel stärker als diese untereinander.

Indem die Gedanken an den physischen Leib übergehen, verlieren sie die Lebendigkeit. Sie werden tot; geistig tote Gebilde. Sie waren vorher, indem sie dem Menschen angehörten, noch immer zugleich Organe der göttlich-geistigen Wesenheiten, zu denen der Mensch gehört. Sie wollten im Menschen wesenhaft. Und dadurch fühlte sich der Mensch durch sie mit der geistigen Welt lebendig verbunden.

Mit den toten Gedanken fühlt er sich abgelöst von der geistigen Welt. Er fühlt sich ganz versetzt in die physische Welt.

Damit aber ist er in die Sphäre der ahrimanischen Geistigkeit versetzt. Diese hat keine starke Macht in den Gebieten, in denen die Wesenheiten der höheren Hierarchien den Menschen so in ihrer Sphäre halten, dass sie entweder, wie in Urzeiten, selbst im Menschen wirken oder, wie später, durch ihren beseelten oder lebendigen Abglanz. Solange dieses ins Menschenwirken hereingehende Wirken übersinnlicher Wesenheiten besteht, das heißt bis etwa zum fünfzehnten Jahrhundert, haben innerhalb der Menschheitsentwicklung die ahrimanischen Mächte nur eine - man möchte sagen - leise anklingende Macht.

Was die persische Weltanschauung von dem Wirken Ahrimans schildert, ist damit nicht im Widerspruche. Denn diese Weltanschauung meint nicht ein Wirken Ahrimans innerhalb der menschlichen Seelen-Entfaltung, sondern ein solches in einer an die menschliche Seelenwelt unmittelbar angrenzenden Welt. Ahrimans Weben spielt da wohl herüber aus einer benachbarten Geistwelt in die menschliche Seelenwelt, aber es greift nicht unmittelbar ein.

Dieses unmittelbare Eingreifen ist eben erst in der Zeitspanne möglich geworden, die vor etwa fünf Jahrhunderten begonnen hat.

So steht der Mensch am Ende einer Entwicklungsströmung, innerhalb welcher sein Wesen aus solcher göttlicher Geistigkeit geworden ist, die zuletzt für sich in der abstrakten Intelligenz-Wesenheit des Menschen erstirbt.

Der Mensch ist nicht in den Sphären verblieben, in denen er als in dieser göttlichen Geistigkeit seinen Ursprung hat.

Was vor fünf Jahrhunderten für das Bewusstsein des Menschen begonnen hat, es hatte sich für einen weiteren Umfang seiner Gesamtwesenheit schon vollzogen zur Zeit, als das Mysterium von Golgatha in die irdische Erscheinung getreten ist. Da war es, dass unwahrnehmbar für das damals bei den meisten Menschen vorhandene Bewusstsein, allmählich die Menschheitsentwicklung aus einer Welt, in der Ahriman wenig, in eine solche hineinglitt, in der er viel Macht hat. Dieses Gleiten in eine andere Weltschichte erreichte ihre Vollendung eben im fünfzehnten Jahrhundert.

Ahrimans Einfluss auf den Menschen in dieser Weltschichte ist deshalb möglich und kann verheerend wirken, weil in dieser Schichte das dem Menschen verwandte Götterwirken erstorben ist. Aber der Mensch konnte zur Entfaltung des freien Willens gar nicht auf eine andere Art kommen als dadurch, dass er sich in eine Sphäre begab, in der die vom Urbeginn mit ihm verbundenen göttlich-geistigen Wesen nicht lebendig waren.

Kosmisch angesehen liegt in dem Wesen dieser menschlichen Entwicklung das Sonnen-Mysterium. Mit dem, was der Mensch bis zu dem bedeutsamen Wendepunkte seiner Entwicklung in der Sonne wahrnehmen konnte, waren die göttlich-geistigen Wesenheiten seines Ursprungs verbunden. Diese haben sich von der Sonne losgelöst und auf dieser nur ihr Erstorbenes zurückgelassen, so dass der Mensch in seine Leiblichkeit durch die Sonne nurmehr die Kraft toter Gedanken aufnehmen kann.

Aber diese Wesenheiten haben den Christus aus der Sonne zur Erde gesandt. Dieser hat sein Wesen zum Heile der Menschheit mit der Erstorbenheit des göttlich-geistigen Seins in Ahrimans Reich verbunden. So hat die Menschheit die zweifache Möglichkeit, die die Gewähr ihrer Freiheit ist: zu Christus sich wenden in der Geistgesinnung, die beim Heruntersteigen aus der Anschauung des übersinnlichen Geistdaseins bis zum Gebrauche der Intelligenz unterbewusst vorhanden war, jetzt in bewusster Art; oder sich erfühlen wollen in der Losgelöstheit von diesem Geistdasein und damit verfallen in die Orientierung, die die ahrimanischen Mächte nehmen.

In dieser Situation ist die Menschheit seit dem Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts. Vorbereitet ist diese - in der Entwicklung geschieht ja alles allmählich - seit dem Mysterium von Golgatha, das als das größte Erden-Ereignis dazu bestimmt ist, den Menschen vor dem Verderben zu retten, dem er ausgesetzt sein muss, weil er ein freies Wesen sein soll.

Man kann nun sagen: was von Seite der Menschheit bisher innerhalb dieser Situation geschehen ist, vollzog sich halb-unbewusst. Und in dieser Art hat es zu dem Guten der in abstrakten Ideen lebenden Naturanschauung und zu manchen ebenso guten Prinzipien der Lebenshaltung geführt.

Aber dieses Zeitalter, in dem der Mensch unbewusst in der gefährlichen Ahriman-Sphäre sein Dasein entfalten darf, ist vorüber.

Der Erforscher der geistigen Welt muss heute die Menschheit auf die geistige Tatsache aufmerksam machen, dass Michael die geistige Führung der Menschheitsangelegenheiten übernommen hat. Michael vollbringt, was er zu vollbringen hat, so, dass er die Menschen nicht dadurch beeinflusst; aber sie können in Freiheit ihm folgen, um mit der Christus-Kraft den Weg aus der Ahriman-Sphäre wieder herauszufinden, in die sie notwendig kommen mussten.

Wer ehrlich, aus dem tiefsten Wesen seiner Seele, sich mit Anthroposophie eins fühlen kann, der ist ein rechter Versteher dieses Michael-Phänomens. Und Anthroposophie möchte die Botschaft von dieser Michael-Mission sein.

Goetheanum, 10. Oktober 1924.

Leitsätze Nr. 106 bis 108 (19. Oktober 1924)

106. Michael geht die Wege wieder aufwärts, welche die Menschheit abwärts auf den Stufen der Geistesentwicklung bis zur Intelligenzbetätigung gegangen ist. Nur wird Michael den Willen aufwärts die Bahnen führen, welche die Weisheit bis zu ihrer letzten Stufe, der Intelligenz, abwärts gegangen ist.

107. Wie Michael von diesem Zeitpunkte der Weltentwicklung seinen Weg bloß zeigt, so dass ihn der Mensch in Freiheit wandeln kann, das unterscheidet diese Michael-Führung von allen früheren Erzengel-Führungen, ja von allen früheren Michael-Führungen selbst. Diese Führungen wirkten im Menschen; sie zeigten nicht bloß ihr Wirken, so dass der Mensch in dem seinigen damals nicht frei sein konnte.

108. Dieses einzusehen, ist des Menschen gegenwärtige Aufgabe, damit er mit seiner ganzen Seele seinen Weg des Geistes innerhalb des Michael-Zeitalters finden könne.


Michaels Erfahrungen und Erlebnisse während der Erfüllung seiner kosmischen Mission

Goetheanum, 19. Oktober 1924

Man kann das Fortschreiten der Menschheit von der Bewusstseinsetappe, auf der sich der Mensch als Glied der göttlich-geistigen Ordnung, bis zu der gegenwärtigen, durch die er sich als eine vom Göttlich-Geistigen losgelöste Individualität mit Eigengebrauch der Gedanken erfühlt, vom Gesichtspunkte der Menschheit verfolgen. Das ist im letzten Aufsatz geschehen.

Man kann aber auch durch übersinnliches Schauen ein Bild von dem entwerfen, was Michael und die Seinen während dieser Entwicklungsströmung erleben, also dieselbe Tatsachenreihe von dem Gesichtspunkte Michaels schildern. Das soll diesmal versucht werden.

Es gibt zunächst eine älteste Zeit, in der man eigentlich nur von dem sprechen kann, was unter göttlich-geistigen Wesenheiten geschieht. Man hat es mit einem fortlaufenden Götterhandeln zu tun. Götter vollbringen, was ihnen die Impulse ihrer Wesenheiten eingeben; sie sind entsprechend befriedigt in dieser Tätigkeit. Und was sie bei alledem erleben, kommt allein in Betracht. Nur in einer Ecke im Felde dieses Götterhandelns ist etwas wie die Menschheit bemerkbar. Sie ist ein Teil in dem Götterhandeln.

Die geistige Wesenheit aber, die von Anfang an ihren Blick auf die Menschheit gelenkt hat, ist Michael. Er gliedert gewissermaßen das Götterhandeln so, dass in einer kosmischen Ecke die Menschheit bestehen kann. Und die Art, wie er sich da betätigt, ist verwandt dem Tun, das später im Menschen als Intellekt zur Offenbarung kommt; nur [89] ist sie als Kraft betätigt, die in Ideenordnung durch den Kosmos strömt, Wirklichkeit verursachend. In dieser Kraft wirkt Michael. Die kosmische Intellektualität zu verwalten, ist sein Amt. Er möchte den weiteren Fortschritt auf seinem Gebiete. Und der kann nur darin bestehen, dass, was als Intelligenz durch den ganzen Kosmos wirkt, später sich konzentriert in der menschlichen Individualität. Was dadurch zustande kommt, ist dieses: es tritt in der Weltentwicklung eine Zeit ein, in der der Kosmos nicht mehr von seiner gegenwärtigen, sondern von seiner vergangenen Intelligenz lebt. Und die gegenwärtige Intelligenz ist in der menschheitlichen Entwicklungsströmung.

Michael möchte, was sich da innerhalb der Menschheit als Intelligenz entwickelt, fortdauernd im Zusammenhange mit den göttlich-geistigen Wesen erhalten.

Dem aber steht ein Widerstand entgegen. Was die Götter als Entwicklung durchmachen in der Linie von der Ablösung der Intellektualität von ihrem kosmischen Tun bis zur Eingliederung in die menschliche Natur hin, das steht offen als Tatsache in der Welt drinnen. Sind Wesen vorhanden, die ein Wahrnehmungsvermögen haben, durch das sie diese Tatsachen schauen können, so können sie sich diese zunutze machen. - Und solche Wesenheiten sind vorhanden. Es sind die ahrimanischen Wesen. Sie sind ganz dazu veranlagt, alles, was sich als Intelligenz von den Göttern loslöst, in sich aufzusaugen. Sie sind dazu veranlagt, die Summe aller Intellektualität mit ihrem eigenen Wesen zu vereinigen. Sie werden damit die größten, die umfassendsten und eindringlichsten Intelligenzen des Kosmos.

Michael sieht voraus, wie der Mensch, indem er immer mehr zum Eigengebrauch der Intelligenz vorrückt, sich mit den ahrimanischen Wesen begegnen muss und wie er dann ihnen verfallen kann, indem er eine Verbindung mit ihnen eingeht. - Deshalb bringt Michael die ahrimanischen Mächte unter seine Füße, er stößt sie fortwährend in ein tieferes Gebiet, als das ist, in dem der Mensch sich entfaltet. Michael, den Drachen zu seinen Füßen, ihn in den Abgrund stoßend: das ist das im Menschenbewusstsein lebende gewaltige Bild der hier geschilderten übersinnlichen Tatsachen.

Die Entwicklung rückt vorwärts. Die Intellektualität, die zuerst ganz im Bereiche der göttlichen Geistigkeit war, löst sich so weit los, dass sie zur Beseelung des Kosmos wird. Was vorher nur von den Göttern ausstrahlte, das erglänzt jetzt als die Offenbarung des Göttlichen aus der Sternenwelt. Vorher ward die Welt gelenkt durch die göttliche Wesenheit selbst, jetzt wird sie gelenkt durch die objektiv gewordene göttliche Offenbarung, hinter der die göttliche Wesenheit die nächste Stufe ihrer eigenen Entwicklung durchläuft.

Wieder ist Michael der Verwalter der kosmischen Intelligenz, insofern diese durch die Offenbarungen des Kosmos in Ideenordnung strömt.

Die dritte Phase der Entwicklung ist ein weiteres Loslösen der kosmischen Intelligenz von ihrem Ursprünge. In den Sternenwelten waltet nun nicht mehr die gegenwärtige Ideenordnung als göttliche Offenbarung; es laufen die Sterne und ordnen sich nach der in der Vergangenheit ihnen eingepflanzten Ideenordnung. Michael sieht, wie immer mehr, was er im Kosmos verwaltet hat, die kosmische Intellektualität, den Weg zur Erdenmenschheit nimmt.

Michael sieht aber auch, wie die Gefahr, dass die Menschheit den ahrimanischen Mächten verfällt, immer größer wird. Er weiß: für sich wird er Ahriman immer unter seinen Füßen haben; ob aber auch für den Menschen?

Das größte Erden-Ereignis sieht Michael eintreten. Aus dem Reiche, dem Michael selbst diente, steigt die Christus-Wesenheit hinunter in den Erdbereich, um da zu sein, wenn die Intelligenz völlig bei der menschlichen Individualität sein wird. Denn dann wird der Mensch den Drang am stärksten empfinden, sich an die Macht hinzugeben, die restlos in aller Vollkommenheit sich zum Träger der Intellektualität gemacht hat. Aber Christus wird da sein; er wird in derselben Sphäre durch sein großes Opfer leben, in der auch Ahriman lebt. Der Mensch wird wählen können zwischen Christus und Ahriman. Die Welt wird in der Menschheits-Entwicklung den Christus-Weg finden können.

Das ist Michaels kosmische Erfahrung mit dem, was er im Kosmos zu verwalten hat. Er tritt, um bei dem Gegenstande seiner Verwaltung zu bleiben, den Weg vom Kosmos zu der Menschheit an. Er ist auf diesem Wege seit dem achten nachchristlichen Jahrhunderte, ist aber eigentlich angekommen bei seinem Erdenamte, in das sich sein kosmisches Amt verwandelt hat, erst im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts.

Zwingen kann Michael die Menschen zu nichts. Denn der Zwang hat ja eben dadurch aufgehört, dass die Intelligenz ganz in den Bereich der menschlichen Individualität getreten ist. - Aber als eine majestätische vorbildliche Handlung, in der an die sichtbare zunächst angrenzenden übersinnlichen Welt, kann Michael entfalten, was er entfalten will. Mit einer Licht-Aura, mit einer Geistwesen-Geste kann da Michael sich zeigen, in der sich aller Glanz und alle Herrlichkeit der vergangenen Götter-Intelligenz offenbart. Zur Erscheinung kann er da bringen, wie die Wirkung dieser Vergangenheits-Intelligenz in der Gegenwart noch wahrer, schöner und tugendhafter ist als alles in unmittelbarer Gegenwarts-Intelligenz, das in trugvollem, verführerischem Glanz von Ahriman herströmt. Er kann bemerklich machen, wie für ihn Ahriman immer der niedrige Geist unter seinen Füßen sein wird.

Diejenigen Menschen, welche die an die sichtbare Welt angrenzende nächste übersinnliche schauen, nehmen so, wie hier geschildert, Michael und die Seinen bei dem wahr, was sie für die Menschen tun möchten. Solche Menschen sehen, wie der Mensch in Freiheit durch das Bild Michaels in der Ahriman-Sphäre von Ahriman ab zu Christus geführt werden soll. Wenn es solchen Menschen gelingt, durch ihr Schauen auch Herzen und Sinnen andrer Menschen aufzuschließen, damit ein Kreis von Menschen wisse, wie jetzt Michael unter den Menschen lebt, dann wird die Menschheit beginnen, Michael-Feste mit dem rechten Inhalt zu feiern, auf denen die Seelen werden in sich die Kraft Michaels aufleben lassen. Michael wird dann als eine reale Macht unter den Menschen wirken. Der Mensch aber wird frei sein und doch in inniger Gemeinschaft mit Christus seinen Geist-Lebensweg durch den Kosmos gehen.

Goetheanum, 19. Oktober 1924.

Leitsätze Nr. 109 bis 111 (26. Oktober 1924)

(Mit Bezug auf die vorangehende Darstellung der Michael-Erfahrungen)

109. Sich der Michael-Wirksamkeit im geistigen Weltzusammenhang recht bewusst werden, heißt das Rätsel der menschlichen Freiheit aus den kosmischen Zusammenhängen heraus lösen, soweit die Lösung dem Erdenmenschen notwendig ist.

110. Denn die «Freiheit» ist als Tatsache jedem Menschen, der sich selber im gegenwärtigen Abschnitt der Menschheitsentwicklung versteht, unmittelbar gegeben. Keiner darf sagen, wenn er nicht eine offenbare Tatsache leugnen will, «Freiheit ist nicht». Aber man kann einen Widerspruch finden zwischen dem, was so tatsächlich gegeben ist, und den Vorgängen im Kosmos. In der Betrachtung von Michaels Sendung im Kosmos fällt dieser Widerspruch hinweg.

111. In meiner «Philosophie der Freiheit» findet man die «Freiheit» des Menschenwesens in der gegenwärtigen Weltzeit als Inhalt des Bewusstseins nachgewiesen; in den Darstellungen der Michael-Mission, die hier gegeben werden, findet man das «Werden dieser Freiheit» kosmisch begründet.


Menschheitszukunft und Michael-Tätigkeit

(Goetheanum, 25. Oktober 1924)

Wie steht heute der Mensch auf seiner Entwicklungsstufe zu Michael und den Seinen?

Der Mensch steht einer Welt gegenüber, die einstmals ganz göttlich-geistiger Wesenheit war. Einer solchen göttlich-geistigen Wesenheit, der auch er selbst als ein Glied zugehörte. Damals also war die dem Menschen zugehörige Welt göttlich-geistiger Wesenheit. In einer folgenden Entwicklungsetappe war sie es nicht mehr. Da war sie kosmische Offenbarung des Göttlich-Geistigen, und dessen Wesenheit schwebte hinter dieser Offenbarung. Aber sie webte und lebte doch eben in der Offenbarung. Eine Sternenwelt war schon da. In ihrem Scheinen und Sich-Bewegen webte und lebte als Offenbarung das Göttlich-Geistige. Man kann sagen: wie damals ein Stern stand oder sich bewegte, darinnen konnte unmittelbar die Tätigkeit des Göttlich-Geistigen gesehen werden.

In alledem, wie der göttliche Geist in dem Kosmos wirkte, wie der Mensch in seinem Leben ein Ergebnis war der Tätigkeit des Göttlich-Geistigen im Kosmos, da war Michael widerstandslos noch in seinem Element. Er vermittelte das Verhältnis des Göttlichen zum Menschen.

Andere Zeiten kamen. Die Sternenwelt hörte auf, unmittelbar gegenwärtig die göttlich-geistige Tätigkeit in sich zu tragen. Sie lebte und regte sich, indem sie beharrend weiter fortsetzte, was solche Tätigkeit früher in ihr war. Das Göttlich-Geistige lebte im Kosmos nicht mehr als Offenbarung, sondern nur noch als Wirksamkeit. Es war eine deutliche Zweiheit zwischen dem Göttlich-Geistigen und dem Kosmischen aufgetreten. Michael hielt sich auf Grund seiner eigenen Wesenheit beim Göttlich-Geistigen. Er suchte den Menschen so nahe als möglich bei diesem zu erhalten. Das tat er immer weiter. Er wollte den Menschen davor bewahren, zu stark in einer Welt zu leben, die nur Wirksamkeit des Göttlich-Geistigen ist, nicht Wesenheit und nicht Offenbarung.

Michael rechnet es sich zur tiefsten Befriedigung an, dass es ihm gelungen ist, die Sternenwelt durch den Menschen noch unmittelbar mit dem Göttlich-Geistigen auf die folgende Art verbunden zu erhalten. Wenn der Mensch, nachdem er das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt vollbracht hat, wieder den Weg zu einem neuen Erdendasein antritt, dann sucht er beim Hinabstieg zu diesem Dasein eine Harmonie zwischen dem Sternengang und seinen Erdenleben herzustellen. Diese Harmonie, die vor Zeiten selbstverständlich da war, weil das Göttlich-Geistige in den Sternen wirkte, in denen auch das Menschenleben seinen Quell hatte: sie würde heute, wo der Sternengang bloß die Wirksamkeit des Göttlich-Geistigen fortsetzt, nicht da sein, wenn der Mensch sie nicht suchte. Er bringt sein aus früherer Zeit bewahrtes Göttlich-Geistiges in ein Verhältnis zu den Sternen, die ihr Göttlich-Geistiges nur noch als Nachwirkung einer früheren Zeit in sich haben. Dadurch kommt ein Göttliches in das Verhältnis des Menschen zur Welt, das früheren Zeiten entspricht, doch aber in späteren Zeiten erscheint. Dass dies so ist, das ist die Tat Michaels. Und diese Tat gibt ihm eine so tiefe Befriedigung, dass er in dieser Befriedigung einen Teil seines Lebens-Elementes, seiner Lebens-Energie, seines sonnenhaften Lebenswillens hat.

Heute aber sieht er, wenn er das Geistes-Auge zur Erde richtet, noch einen wesentlich anderen Tatbestand. Der Mensch ist während seines Lebens im Physischen zwischen Geburt und Tod von einer Welt umgeben, die unmittelbar auch nicht mehr die Wirksamkeit des Göttlich-Geistigen zeigt, sondern nur etwas, das von dieser Wirksamkeit geblieben ist; man kann sagen, nur noch das Werk des Göttlich-Geistigen. Dieses Werk ist in seinen Formen durchaus göttlich-geistiger Art. Für das menschliche Anschauen zeigt sich das Göttliche in den Formen, in dem naturhaften Geschehen; aber es ist nicht mehr als Lebendiges darinnen. Die Natur ist dies gottgewirkte Werk des Göttlichen und ist überall Abbild der göttlichen Wirksamkeit.

In dieser sonnenhaft göttlichen, aber nicht lebendig göttlichen Welt lebt der Mensch. Er aber hat, als Ergebnis des Wirkens Michaels an ihm, als Mensch den Zusammenhang mit dem Wesen des Göttlich-Geistigen bewahrt. Er lebt als Gott-durchdrungenes Wesen in einer nicht Gott-durchdrungenen Welt.

In diese Gott-leergewordene Welt wird der Mensch hineintragen, was in ihm ist, das, zu dem seine Wesenheit in diesem Zeitalter geworden ist.

Menschheit wird sich hineinentfalten in eine Welt-Entwicklung. Das Göttlich-Geistige, dem der Mensch entstammt, kann als kosmisch sich ausbreitende Menschenwesenheit durchleuchten den Kosmos, der nur noch in dem Abbild des Göttlich-Geistigen vorhanden ist.

Nicht mehr dieselbe Wesenheit, die einst als Kosmos war, wird da durch die Menschheit aufleuchten. Das Göttlich-Geistige wird im Durchgang durch das Menschentum ein Wesen erleben, das es vorher nicht offenbarte.

Dass die Entwicklung diesen Fortgang nehme, dagegen wenden sich die ahrimanischen Mächte. Sie wollen nicht, dass die ursprünglichen göttlich-geistigen Mächte das Weltall in seinem weiteren Fortgang erleuchten; sie wollen, dass die von ihnen aufgesogene kosmische Intellektualität den ganzen neuen Kosmos durchstrahle und dass der Mensch in diesem intellektualisierten und ahrimanisierten Kosmos weiterlebe.

Bei einem solchen Leben würde der Mensch den Christus verlieren. Denn dieser ist mit einer Intellektualität in die Welt hereingetreten, die ganz so ist, wie sie einst in dem Göttlich-Geistigen gelebt hat, da dies noch in seiner Wesenheit den Kosmos bildete. Sprechen wir heute so, dass unsere Gedanken auch die des Christus sein können, so setzen wir den ahrimanischen Mächten etwas entgegen, das uns behütet, ihnen zu verfallen.

Den Sinn der Michael-Mission im Kosmos verstehen, heißt, so sprechen können. Man muss heute über die Natur so sprechen können, wie es die Entwicklungsetappe der Bewusstheitsseele fordert. Man muss die rein naturwissenschaftliche Denkungsart in sich aufnehmen können. Aber man sollte auch so über die Natur sprechen - das heißt empfinden-lernen, wie es Christus gemäß ist. Nicht bloß über Erlösung von der Natur, nicht bloß über Seele und Göttliches sollen wir die Christus-Sprache lernen, sondern über den Kosmos.

Dass unser menschlicher Zusammenhang mit dem ursprünglich Göttlich-Geistigen so gewahrt bleibe, dass wir über den Kosmos die Christus-Sprache zu pflegen verstehen, dazu werden wir kommen, wenn wir uns in innerlichem herzlichen Erfühlen ganz in das einleben, was Michael und die Seinen mit ihren Taten, mit ihrer Mission unter uns sind. Denn Michael verstehen, heißt heute den Weg finden zu dem Logos, den Christus unter Menschen auf der Erde lebt.

Anthroposophie schätzt in rechter Art, was die naturwissenschaftliche Denkweise gelernt hat, seit vier bis fünf Jahrhunderten über die Welt zu sagen. Aber sie spricht außer dieser Sprache eben noch eine andere über das Wesen des Menschen, über die Entwicklung des Menschen und über das Werden des Kosmos; sie möchte die Christus-Michael-Sprache sprechen.

Denn werden beide Sprachen gesprochen, dann wird die Entwicklung nicht abreißen und vor dem Finden des ursprünglich Göttlich-Geistigen auf das Ahrimanische übergehen können. Die bloße naturwissenschaftliche Art zu sprechen, entspricht der Loslösung der Intellektualität von dem ursprünglich Göttlich-Geistigen. Sie kann ins Ahrimanische übergehen, wenn der Mission Michaels nicht geachtet wird. Sie wird es nicht, wenn der frei gewordene Intellekt sich durch die Kraft des Michael-Vorbildes wieder findet in der vom Menschen losgelösten, ihm gegenüber objektiv gewordenen ursprünglichen kosmischen Intellektualität, die im Quell des Menschen liegt und die in Christus innerhalb des Menschheitsbereiches wesenhaft erschienen ist, nachdem sie aus dem Menschen zur Entfaltung seiner Freiheit gewichen war.

Goetheanum, 25. Oktober 1924.

Leitsätze Nr. 112 bis 114 (2. November 1924)

(Mit Bezug auf die vorangehende Darstellung der Michael-Tätigkeit)

112. Das Göttlich-Geistige kommt im Kosmos in den folgenden Etappen auf verschiedene Art zur Geltung: 1. durch seine ureigene Wesenheit; 2. durch die Offenbarung dieser Wesenheit; 3. durch die Wirksamkeit, wenn die Wesenheit aus der Offenbarung sich zurückzieht; 4. durch das Werk, wenn in dem erscheinenden Weltall das Göttliche nicht mehr ist, sondern nur dessen Formen.

113. Der Mensch hat in der gegenwärtigen Naturanschauung nicht ein Verhältnis zu dem Göttlichen, sondern nur zu dessen Werk. Mit dem, was sich der menschlichen Seelenverfassung durch diese Anschauung mitteilt, kann man sich als Mensch sowohl mit den Christus-Mächten wie mit den ahrimanischen Gewalten zusammenschließen.

114. Michael ist durchdrungen von dem Bestreben, das im Menschen aus den Zeiten der göttlichen Wesensgeltendmachung und der Offenbarung bewahrte Verhältnis zum Kosmos in einer solchen Art durch sein frei wirkendes Vorbild der menschlich-kosmischen Entwicklung einzuverleiben, dass, was die rein auf das Bild, die Form des Göttlichen bezügliche Naturanschauung sagt, einläuft in eine höhere, geistgemäße Naturanschauung. Diese wird zwar im Menschen vorhanden sein; sie wird aber eben ein menschliches Nacherlebnis des göttlichen Verhältnisses zum Kosmos während der zwei ersten Etappen der kosmischen Entwicklung sein. Anthroposophie bejaht in dieser Art die Naturanschauung des Bewusstseinszeitalters; sie ergänzt sie aber auch durch eine solche, die von dem Blick des Geistes-Auges aus sich ergibt.


Das Michael-Christus-Erlebnis des Menschen

(Goetheanum, 2. November 1924)

Wer die von gründlicher Empfindung getragene innere Anschauung von Michaels Wesen und Taten in seine Gesinnung aufnehmen wird, dem wird das rechte Verständnis davon aufgehen, wie eine Welt von dem Menschen zu nehmen ist, die nicht göttlicher Wesenheit oder Offenbarung oder Wirksamkeit, sondern der Götter Werk ist. In diese Welt erkennend blicken, bedeutet Formen, Gestaltungen vor sich haben, die überall laut von dem Göttlichen sprechen; in denen aber selbstlebendes göttliches Sein nicht gefunden wird, wenn man sich keiner Illusion hingibt. Und man wird nicht bloß auf das Erkennen der Welt blicken dürfen. An diesem offenbart sich wohl die Konfiguration der Welt, die heute den Menschen umgibt, am deutlichsten. Wesentlicher für das alltägliche Leben ist aber das Fühlen, das Wollen, das Arbeiten in einer Welt, die in ihrer Gestaltung wohl als göttlich empfunden, aber nicht als göttlichbelebt erfahren werden kann. In diese Welt wirkliches sittliches Leben zu bringen, dazu sind die ethischen Impulse notwendig, die ich in der «Philosophie der Freiheit» gezeichnet habe.

In dieser Werk-Welt kann für den echt fühlenden Menschen Michaels Wesen und gegenwärtige Tatenwelt leuchten. Michael kommt als Erscheinung nicht in die physische Welt herein. Er hält sich mit all seinem Wirken innerhalb einer übersinnlichen Region, die aber unmittelbar an die physische Welt der gegenwärtigen Weltentwicklungsphase angrenzt. Dadurch kann nie die Möglichkeit eintreten, dass durch die Eindrücke, die Menschen vom Michaels-Wesen her erhalten, sie die Naturanschauung ins Phantastische führen oder das sittlich-praktische Leben in einer gottgestalteten, aber gottunbelebten Welt so bilden möchten, wie wenn Impulse da sein könnten, die nicht von dem Menschen selbst ethisch-geistig getragen sein müssten. Man wird stets, ob denkend oder wollend, durch ein Sich-Versetzen ins Geistige an Michael herankommen müssen.

Dadurch wird man in der folgenden Art geistig leben. Man wird Erkennen und Leben so hinnehmen, wie sie nun einmal seit dem fünfzehnten Jahrhundert hingenommen werden müssen. - Aber man wird sich an die Michael-Offenbarung halten; man wird diese Offenbarung als ein Licht in die Gedanken leuchten lassen, die man aus der Natur empfängt; man wird sie als Wärme im Herzen tragen, wenn man der göttlichen Werk-Welt gemäß leben muss. - Man wird sich dann nicht nur Beobachtung und Erleben der gegenwärtigen Welt, sondern auch dasjenige, was Michael vermittelt, einen vergangenen Weltzustand, vor Augen stellen, einen Weltzustand, den eben Michael durch sein Wesen und seine Taten in die Gegenwart hereinträgt.

Wäre es anders: wirkte Michael so, dass er seine Taten hereintrüge in die Welt, die der Mensch gegenwärtig als physische erkennen und erleben muss, so erführe der Mensch in der Gegenwart aus der Welt das, was in Wirklichkeit nicht in ihr ist, sondern war. Geschieht solches, dann führt dies illusorische Erfassen der Welt die Seele des Menschen aus der ihr angemessenen Wirklichkeit in eine andere, nämlich in eine luziferische.

Die Art, wie Michael das Vergangene im gegenwärtigen Menschenleben zur Wirksamkeit bringt, ist die im Sinne des rechten geistigen Weltenfortschritts gehaltene, die nichts Luziferisches enthält. Es ist wichtig, dass in der Auffassung der Menschenseele eine rechte Vorstellung davon lebe, wie in Michaels Mission alles Luziferische vermieden wird.

Diese Stellung zu dem in der Menschheitsgeschichte aufgehenden Michaels-Lichte haben, heißt auch den rechten Weg zu Christus finden können.

Michael wird die rechte Orientierung geben, wenn es sich um die Welt handelt, die den Menschen für sein Erkennen oder für sein Handeln umgibt. Zu Christus wird man im Innern den Weg finden müssen.

Es ist durchaus begreiflich, dass in der Zeit, in der die Naturerkenntnis die Form hat, die ihr die letzten fünf Jahrhunderte gegeben haben, auch die Erkenntnis der übersinnlichen Welt so geworden ist, wie sie gegenwärtig die Menschheit erlebt.

Die Natur muss erkannt und erlebt werden so, dass alles götterleer ist. Dadurch erlebt sich in seinem so gestalteten Verhältnis zur Welt der Mensch selbst nicht mehr. Insofern der Mensch ein übersinnliches Wesen ist, gibt ihm die dem Zeitalter angemessene Stellung seiner selbst zur Natur nichts über sein eigenes Wesen. Er kann auch, wenn er nur diese Stellung im Auge hat, nicht ethisch so leben, wie es seiner Menschheit angemessen ist.

Dadurch wird die Veranlassung dazu gegeben, diese Erkenntnis- und Lebensart in nichts einfließen zu lassen, was sich auf die übersinnliche Menschenwesenheit, ja auf die übersinnliche Welt überhaupt bezieht. Es wird dieses Gebiet abgesondert von dem der menschlichen Erkenntnis Erreichbaren. Es wird ein außer- oder überwissenschaftliches Gebiet der Glaubens-Offenbarung gegenüber dem Erkennbaren in Anspruch genommen.

Aber dem steht das rein geistige Wirken des Christus gegenüber. Der Christus ist seit dem Mysterium von Golgatha der Menschenseele erreichbar. Und deren Beziehung zu ihm braucht nicht eine unbestimmte, dunkel-gefühls-mystische zu bleiben; sie kann eine völlig konkrete, menschlich tief und klar zu erlebende werden.

Dann aber strömt aus dem Zusammenleben mit Christus in die Menschenseele herüber, was diese wissen soll über ihre eigene übersinnliche Wesenheit. Die Glaubens-Offenbarung muss dann so empfunden werden, dass in sie die lebendige Christus-Erfahrung fortwährend einströmt. Es wird das Leben dadurch durchchristet werden können, dass in Christus das Wesen empfunden wird, welches der Menschenseele die Anschauung ihrer eigenen Übersinnlichkeit gibt.

So werden nebeneinanderstehen können: Michael-Erlebnis und Christus-Erlebnis. Durch Michael wird der Mensch gegenüber der äußeren Natur in der rechten Art ins Übersinnliche den Weg finden. Naturanschauung wird, ohne in sich selbst verfälscht zu werden, sich neben eine geistgemäße Anschauung von der Welt und vom Menschen, sofern er ein Weltwesen ist, hinstellen können.

Durch die rechte Stellung zu Christus wird der Mensch dasjenige, was er sonst nur als traditionelle Glaubens-Offenbarung empfangen könnte, im lebendigen Verkehr der Seele mit Christus erfahren. Die innere Welt des seelischen Erlebens wird als eine geistdurchleuchtete erlebt werden können wie die äußere Welt der Natur als eine geistgetragene.

Würde der Mensch ohne in dem Zusammenleben mit der Christus-Wesenheit den Aufschluss gewinnen wollen über seine eigene übersinnliche Wesenheit, so würde ihn dies aus seiner eigenen Wirklichkeit heraus- und in die ahrimanische hineinführen. Christus trägt in sich in kosmisch gerechtfertigter Art die Zukunftsimpulse der Menschheit. Sich mit ihm verbinden, heißt für die Menschenseele ihre eigenen Zukunftskeime kosmisch gerechtfertigt in sich aufnehmen. Andere Wesen, die in der Gegenwart schon Gestaltungen aufweisen, die kosmisch für Menschen erst in der Zukunft gerechtfertigt sind, gehören der ahrimanischen Sphäre an. Sich mit Christus in rechter Art verbinden, heißt sich auch vor dem Ahrimanischen in der rechten Art bewahren.

Es liegt bei denjenigen, welche die Bewahrung der Glaubens-Offenbarungen vor dem Einfließen menschlicher Erkenntnis streng verlangen, die unbewusste Furcht vor, der Mensch könne auf solchen Wegen in ahrimanische Einflüsse hineinkommen. Das muss verstanden werden. Aber verstanden sollte auch werden, dass es zur Ehre und wirklichen Anerkenntnis Christi ist, wenn dem Erleben mit Christus das gnadeerfüllte Einfließen des Geistigen in die Menschenseele zugeschrieben wird.

So können in der Zukunft Michael-Erlebnis und Christus-Erlebnis nebeneinander stehen; dadurch wird der Mensch seinen rechten Freiheitsweg finden zwischen der luziferischen Abirrung in Denk- und Lebens-Illusionen und der ahrimanischen Verlockung in Zukunftgestaltungen, die seinen Hochmut befriedigen, die aber noch nicht seine gegenwärtigen sein können.

In luziferische Illusionen verfallen, heißt nicht voll Mensch werden, nicht bis zur Freiheit-Etappe vorschreiten wollen, sondern auf einer zu frühen Stufe der Entwicklung - als Gott-Mensch - stehen bleiben wollen. In ahrimanische Verlockungen verfallen, heißt nicht warten wollen, bis bei einem bestimmten Grade des Menschtums der rechte kosmische Augenblick gekommen ist, sondern diesen Grad vorausnehmen wollen.

Michael-Christus wird in der Zukunft als das Richtungs-Wort stehen im Beginne des Weges, auf dem der Mensch kosmisch-gerecht zwischen den luziferischen und den ahrimanischen Mächten zu seinem Welten-Ziele kommen kann.

Leitsätze Nr. 115 bis 117 (9. November 1924)

(Mit Bezug auf die vorangehende Darstellung des Michael- und Christus-Erlebnisses durch den Menschen)

115. Der Mensch wandelt seinen Weg durch den Kosmos so, dass ihm die Rückschau in die Vorwelt gefälscht werden kann durch luziferische Impulse und das Vorwärtssinnen in die Zukunft getäuscht werden kann durch ahrimanische Verlockungen.

116. Zu den luziferischen Fälschungen findet der Mensch die rechte Stellung durch die Durchdringung seiner Gesinnung für Erkenntnis und Leben mit der Michael-Wesenheit und der Michael-Mission.

117. Dadurch aber bewahrt sich der Mensch auch vor den ahrimanischen Verlockungen, denn der Geist-Weg in die äußere Natur, der durch Michael angeregt wird, führt zu der rechten Stellung zu dem Ahrimanischen, weil das rechte Erleben mit Christus gefunden wird.


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