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Inhalt

1. 1861-1872. Kraljevec, Mödling, Pottschach, Neudörfl. Kindheit.

2. 1872-1879. Wiener-Neustadt. Geometrie. Realschule. Lehrer.

3. 1879-1882. Wien, Inzersdorf. Technische Hochschule Wien, Schröer, Felix Kogutzki. Theorie des Raums, der Wärme.

4. 1882-1886. Wien. Theorie des Tons. Musik, Wagnerianer.

5. 1882-1886. Wien. Nationalitäten in Österreich. Schröer. Objektiver Idealismus. Goethe.

6. 1882-1886. Wien und Attersee. Privaterzieher. Eduard von Hartmann. Goethe-Herausgabe. Grundlinien einer Erkenntnistheorie.

7. 1886-1889. Wien. Wiener Thomisten, Sinnetts Esoterischer Buddhismus.

8. 1886-1889. Wien. Hamerlings Homunculus. Idealismus, Ästhetik.

9. 1889-1890. Weimar, Berlin, München, Wien.

10. Um 1890. Philosophie der Freiheit.

11. Um 1890. Wahre und falsche Mystik.

12. Um 1890. Goethe-Herausgabe.

13. 1890, Wien. Nietzsche. Hamerling, Antisemitismus, Breuer, Freud, Psychoanalyse.

14. 1890, Rostock, Weimar. Dissertation, Heinrich von Stein, Platonismus, Goethe-Schiller-Archiv.

15. 1890-1894, Weimar. Haeckel, Treitschke.

16. 1890-1894, Weimar.

17. 1892-1894. Philosophie der Freiheit.

18. 1894-1896, Weimar. Nietzsche-Buch, Eugen Dühring.

19. 1894-1896, Weimar.

20. 1894-1896, Weimar.

21. 1894-1897, Weimar.

22. 1897, Weimar, 35. Lebensjahr.

23. Weimar, Berlin.

24. 1897-1899, Berlin: Muss man verstummen?

25. Berlin.

26. Berlin. Prüfungskapitel.

27. Berlin. Jahrhundertwende, Stirner, Mackay.

28. Berlin. Arbeiterbildungsschule.

29. Berlin. Jacobowski, Die Kommenden, Bruno Wille, Giodano-Bruno-Bund, Beginn der anthroposophischen Tätigkeit, Geheimhaltung und Veröffentlichung der Esoterik.

30. 1899-1902, Berlin. Goethes geheime Offenbarung, Theosophische Bibliothek, Von Buddha zu Christus, Das Christentum als mystische Tatsache, Marie von Sivers.

31. 1900-1913, Berlin. Berliner Literaten. Egoismus. Theosophische Gesellschaft, Deutsche Sektion Ausschluss 1913, Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft.

32. Berlin. Öffentliches Wirken für die Anthroposophie.

33. Berlin. Vortragstätigkeit.

34. Berlin. Kunst, Geisterkenntnis.

35. Bücher, Privatdrucke, Zyklen.

36. Memphis-Misraim Maurerei.

37. Theosophischer Kongress Paris 1906.

38. Berlin, München, Münchner Kongress 1907.


Die Kapitelüberschriften stammen vom Webmaster.

22. Kapitel. 1897

Am Ende meiner weimarischen Zeit hatte ich sechsunddreißig Lebensjahre hinter mir. Schon ein Jahr vorher hatte in meiner Seele ein tiefgehender Umschwung seinen Anfang genommen. Mit meinem Weggang von Weimar wurde er einschneidendes Erlebnis. Er war ganz unabhängig von der Änderung meiner äußeren Lebensverhältnisse, die ja auch eine große war. Das Erfahren von dem, was in der geistigen Welt erlebt werden kann, war mir immer eine Selbstverständlichkeit; das wahrnehmende Erfassen der Sinneswelt bot mir die größten Schwierigkeiten. Es war, als ob ich das seelische Erleben nicht so weit in die Sinnesorgane hätte ergießen können, um, was diese erlebten, auch vollinhaltlich mit der Seele zu verbinden.

Das änderte sich völlig vom Beginne des sechsunddreißigsten Lebensjahres angefangen.

Mein Beobachtungsvermögen für Dinge, Wesen und Vorgänge der physischen Welt gestaltete sich nach der Richtung der Genauigkeit und Eindringlichkeit um. Das war sowohl im Wissenschaftlichen wie im äußeren Leben der Fall.

Während es vorher für mich so war, dass große wissenschaftliche Zusammenhänge, die auf geistgemäße Art zu erfassen sind, ohne alle Mühe mein seelisches Eigentum wurden und das sinnliche Wahrnehmen und namentlich dessen erinnerungsgemäßes Behalten mir die größten Anstrengungen machte, wurde jetzt alles anders.

Eine vorher nicht vorhandene Aufmerksamkeit für das Sinnlich-Wahrnehmbare erwachte in mir. Einzelheiten wurden mir wichtig; ich hatte das Gefühl, die Sinneswelt habe etwas zu enthüllen, was nur sie enthüllen kann.

Ich betrachtete es als ein Ideal, sie kennen zu lernen allein durch das, was sie zu sagen hat, ohne dass der Mensch etwas durch sein Denken oder durch einen andern in seinem Innern auftretenden Seeleninhalt in sie hineinträgt.

Ich wurde gewahr, dass ich einen menschlichen Lebensumschwung in einem viel spätern Lebensabschnitt erlebte als andere. Ich sah aber auch, dass das für das Seelenleben ganz bestimmte Folgen hat. Ich fand, wie die Menschen, weil sie früh vom seelischen Weben in der geistigen Welt zum Erleben des Physischen übergehen, zu keinem reinen Erfassen weder der geistigen, noch der physischen Welt gelangen. Sie vermischen fortdauernd ganz instinktiv dasjenige, was die Dinge ihren Sinnen sagen, mit dem, was die Seele durch den Geist erlebt und was dann von ihr mitgebraucht wird, um sich die Dinge «vorzustellen».

Für mich war in der Genauigkeit und Eindringlichkeit der sinnenfälligen Beobachtung das Beschreiten einer ganz neuen Welt gegeben. Das von allem Subjektiven in der Seele freie, objektive Sich-Gegenüberstellen der Sinneswelt offenbarte etwas, worüber eine geistige Anschauung nichts zu sagen hatte.

Das warf aber auch sein Licht auf die Welt des Geistes zurück. Denn indem die Sinneswelt im sinnlichen Wahrnehmen selbst ihr Wesen enthüllte, war für das Erkennen der Gegenpol da, um das Geistige in seiner vollen Eigenart, unvermischt mit dem Sinnlichen, zu würdigen.

Besonders einschneidend in das Seelenleben wirkte dieses, weil es sich auch auf dem Gebiete des menschlichen Lebens zeigte.

Meine Beobachtungsgabe stellte sich darauf ein, dasjenige ganz objektiv, rein in der Anschauung hinzunehmen, was ein Mensch darlebte. Mit Ängstlichkeit vermied ich, Kritik zu üben an dem, was die Menschen taten, oder Sympathie und Antipathie in meinem Verhältnis zu ihnen geltend zu machen: ich wollte «den Menschen, wie er ist, einfach auf mich wirken lassen».

Ich fand bald, dass ein solches Beobachten der Welt wahrhaft in die geistige Welt hineinführt. Man geht im Beobachten der physischen Welt ganz aus sich heraus; und man kommt gerade dadurch mit einem gesteigerten geistigen Beobachtungsvermögen wieder in die geistige Welt hinein.

So waren damals die geistige und die sinnenfällige Welt in ihrer vollen Gegensätzlichkeit mir vor die Seele getreten. Aber ich empfand den Gegensatz nicht als etwas, das durch irgendwelche philosophische Gedanken – etwa zu einem «Monismus» – ausgleichend geführt werden müsste. Ich empfand vielmehr, dass ganz voll mit der Seele in diesem Gegensatz drinnen stehen, gleichbedeutend ist mit «Verständnis für das Leben haben».

Wo die Gegensätze als ausgeglichen erlebt werden, da herrscht das Lebenslose, das Tote. Wo Leben ist, da wirkt der unausgeglichene Gegensatz; und das Leben selbst ist die fortdauernde Überwindung, aber zugleich Neuschöpfung von Gegensätzen.

Aus alledem drang in mein Gefühlsleben eine ganz intensive Hingabe nicht an ein gedankenmäßiges theoretisches Erfassen, sondern an ein Erleben des Rätselhaften in der Welt. Ich stellte, um meditativ das rechte Verhältnis zur Welt zu gewinnen, immer wieder vor meine Seele: Da ist die Welt voller Rätsel. Erkenntnis möchte an sie herankommen. Aber sie will zumeist einen Gedankeninhalt als Lösung eines Rätsels aufweisen. Doch die Rätsel - so musste ich mir sagen - lösen sich nicht durch Gedanken. Diese bringen die Seele auf den Weg der Lösungen; aber sie enthalten die Lösungen nicht. In der wirklichen Welt entsteht ein Rätsel; es ist als Erscheinung da; seine Lösung ersteht ebenso in der Wirklichkeit. Es tritt etwas auf, das Wesen oder Vorgang ist; und das die Lösung des andern darstellt.

So sagte ich mir auch: die ganze Welt, außer dem Menschen, ist ein Rätsel, das eigentliche Welträtsel; und der Mensch ist selbst die Lösung.

Dadurch konnte ich denken: der Mensch vermag in jedem Augenblick etwas über das Welträtsel zu sagen. Was er sagt, kann aber stets nur so viel an Inhalt über die Lösung geben, als er selbst über sich als Mensch erkannt hat.

So wird auch das Erkennen zu einem Vorgang in der Wirklichkeit. Fragen offenbaren sich in der Welt; Antworten offenbaren sich als Wirklichkeiten; Erkenntnis im Menschen ist dessen Teilnahme an dem, was sich die Wesen und Vorgänge in der geistigen und physischen Welt zu sagen haben.

Es war dies alles zwar schon andeutungsweise, an einigen Stellen sogar ganz deutlich in den Schriften enthalten, die von mir bis in die hier geschilderte Zeit gedruckt sind. Allein in dieser Zeit wurde es intensivstes Seelen-Erlebnis, das die Stunden erfüllte, in denen Erkenntnis meditierend auf die Weltgründe blicken wollte. Und was die Hauptsache ist: dieses Seelen-Erlebnis ging in seiner damaligen Stärke aus dem objektiven Hingeben an die reine, ungetrübte Sinnes-Beobachtung hervor. Mir war in dieser Beobachtung eine neue Welt gegeben; ich musste aus dem, was bisher erkennend in meiner Seele war, dasjenige suchen, was das seelische Gegen-Erlebnis war, um das Gleichgewicht mit dem Neuen zu bewirken.

Sobald ich die ganze Wesenhaftigkeit der Sinneswelt nicht dachte, sondern sinnlich anschaute, ward ein Rätsel als Wirklichkeit hingestellt. Und im Menschen selbst liegt dessen Lösung.

Es lebte in meinem ganzen Seelenwesen die Begeisterung für dasjenige, was ich später «wirklichkeitsgemäße Erkenntnis» nannte. Und namentlich war mir klar, dass der Mensch mit einer solchen «wirklichkeitsgemäßen Erkenntnis» nicht in irgendeiner Weltecke stehen könne, während sich außer ihm das Sein und Werden abspielt. Erkenntnis wurde mir dasjenige, was nicht allein zum Menschen, sondern zu dem Sein und Werden der Welt gehört. Wie Wurzel und Stamm eines Baumes nichts Vollendetes sind, wenn sie nicht in die Blüte sich hineinleben, so sind Sein und Werden der Welt nichts wahrhaft Bestehendes, wenn sie nicht zum Inhalt der Erkenntnis weiterleben.

Auf diese Einsicht blickend, wiederholte ich bei jeder Gelegenheit, bei der es angebracht war: der Mensch ist nicht das Wesen, das für sich den Inhalt der Erkenntnis schafft, sondern er gibt mit seiner Seele den Schauplatz her, auf dem die Welt ihr Dasein und Werden zum Teil erst erlebt. Gäbe es nicht Erkenntnis, die Welt bliebe unvollendet.

In solchem erkennenden Einleben in die Wirklichkeit der Welt fand ich immer mehr die Möglichkeit, dem Wesen der menschlichen Erkenntnis einen Schutz zu schaffen gegen die Ansicht, als ob der Mensch in dieser Erkenntnis ein Abbild oder dergleichen der Welt schaffe. Zum Mitschöpfer an der Welt selbst wurde er für meine Idee des Erkennens, nicht zum Nachschaffer von etwas, das auch aus der Welt wegbleiben könnte, ohne dass diese unvollendet wäre.

Aber auch zur « Mystik» hin wurde dadurch fuhr mein Erkennen immer größere Klarheit geschaffen. Das Miterleben des Weltgeschehens von Seiten des Menschen wurde aus dem unbestimmten mystischen Erfühlen herausgezogen und in das Licht gerückt, in dem die Ideen sich offenbaren. Die Sinnenwelt, rein in ihrer Eigenart angeschaut, ist zunächst ideenlos wie die Wurzel und der Stamm des Baumes blütelos sind. Aber wie die Blüte nicht ein sich verdunkelndes Hinschwinden des Pflanzen-Daseins ist, sondern eine Umformung dieses Daseins selbst, so ist die auf die Sinneswelt bezügliche Ideenwelt im Menschen eine Umformung des Sinnesdaseins, nicht ein mystisch-dunkles Hineinwirken von etwas Unbestimmtem in die Seelenwelt des Menschen. So hell wie in ihrer Art die physischen Dinge und Vorgänge im Lichte der Sonne, so geistig hell muss erscheinen, was als Erkenntnis in der Menschen-Seele lebt.

Es war ein ganz klares Seelen-Erleben, was in dieser Orientierung damals in mir vorhanden war. Doch im Übergehen dazu, diesem Erleben Ausdruck zu verschaffen, lag etwas außerordentlich Schwieriges.

Es entstanden in meiner letzten weimarischen Zeit mein Buch «Goethes Weltanschauung», und die Einleitungen zum letzten Band, den ich für die Ausgabe in «Kürschners Deutscher National-Literatur» herausgegeben hatte. Ich sehe da insbesondere auf dasjenige hin, was ich als Einleitung zu den von mir herausgegebenen «Sprüchen in Prosa» von Goethe geschrieben habe und vergleiche dieses mit der Formulierung des Inhaltes des Buches «Goethes Weltanschauung». Man kann, wenn man die Dinge nur an der Oberfläche betrachtet, diesen oder jenen Widerspruch konstruieren zwischen dem Einen und dem Andern in diesen meinen fast in der ganz gleichen Zeit entstandenen Darstellungen. Sieht man aber nach dem, was unter der Oberfläche lebt, was in den an der Oberfläche sich nur gestaltenden Formulierungen sich als Anschauung der Lebens-, Seelen- und Geistes-Tiefen offenbaren will, so wird man nicht Widersprüche finden, sondern gerade in meinen damaligen Arbeiten ein Ringen nach Ausdruck. Ein Ringen, eben das in die Weltanschauungsbegriffe hineinzubringen, was ich hier als Erlebnis von der Erkenntnis, von dem Verhältnis des Menschen zur Welt, von dem Rätsel-Werden und Rätsel-Lösen innerhalb der wahren Wirklichkeit geschildert habe.

Als ich etwa dreieinhalb Jahre später mein Buch «Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert» schrieb, war manches bei mir wieder weiter; und ich konnte mein hier dargestelltes Erkenntnis-Erlebnis für die Schilderung der einzelnen, in der Geschichte auftretenden Weltanschauungen fruchtbar machen.

Wer Schriften deshalb ablehnen will, weil in ihnen das seelische Leben erkennend ringt, das heißt im Lichte der hier gegebenen Darstellung, in ihnen das Weltenleben in seinem Ringen auf dem Schauplatze der Menschenseele weiter sich entfaltet, dem kann es – meiner Einsicht nach – nicht gelingen, mit seiner erkennenden Seele in die wahre Wirklichkeit unterzutauchen. Das ist etwas, das sich als Anschauung gerade damals in mir befestigt hat, während es meine Begriffswelt lange schon durchpulst hatte.

Im Zusammenhange mit dem Umschwung in meinem Seelenleben stehen für mich inhaltsschwere innere Erfahrungen.

Ich erkannte im seelischen Erleben das Wesen der Meditation und deren Bedeutung für die Einsichten in die geistige Welt.

Ich hatte auch früher schon ein meditatives Leben geführt; doch kam der Antrieb dazu aus der ideellen Erkenntnis seines Wertes für eine geistgemäße Weltanschauung. Nunmehr trat in meinem Innern etwas auf, das die Meditation forderte wie etwas, das meinem Seelenleben eine Daseinsnotwendigkeit wurde. Das errungene Seelenleben brauchte die Meditation, wie der Organismus auf einer gewissen Stufe seiner Entwickelung die Lungenatmung braucht.

Wie die gewöhnliche begriffliche Erkenntnis, die an der Sinnesbeobachtung gewonnen wird, sich zu der Anschauung des Geistigen verhält, das wurde mir in diesem Lebensabschnitt aus einem mehr ideellen Erleben zu einem solchen, an dem der ganze Mensch beteiligt ist.

Das ideelle Erleben, das aber das wirkliche Geistige doch in sich aufnimmt, ist das Element, aus dem meine «Philosophie der Freiheit» geboren ist. Das Erleben durch den ganzen Menschen enthält die Geisteswelt in einer viel wesenhafteren Art als das ideelle Erleben. Und doch ist dieses schon eine obere Stufe gegenüber dem begrifflichen Erfassen der Sinneswelt. Im ideellen Erleben erfasst man nicht die Sinneswelt, sondern eine gewissermaßen unmittelbar an sie angrenzende geistige Welt.

Indem all das damals nach Ausdruck und Erlebnis in meiner Seele suchte, standen drei Arten von Erkenntnis vor meinem Innern.

Die erste Art ist die an der Sinnesbeobachtung gewonnene Begriffs-Erkenntnis. Sie wird von der Seele angeeignet und dann nach Maßgabe der vorhandenen Gedächtniskraft im Innern behalten. Wiederholungen des anzueignenden Inhaltes haben nur die Bedeutung, dass dieser gut behalten werden könne.

Die zweite Art der Erkenntnis ist die, bei der nicht an der Sinnesbeobachtung Begriffe erworben, sondern diese unabhängig von den Sinnen im Innern erlebt werden. Es wird dann das Erleben durch seine eigene Wesenheit Bürge dafür, dass die Begriffe in geistiger Wirklichkeit gegründet sind. Zu dem Erfahren, dass Begriffe die Bürgschaft geistiger Wirklichkeit enthalten, kommt man mit derselben Sicherheit aus der Natur der Erfahrung bei dieser Art von Erkenntnis, wie man bei der Sinneserkenntnis die Gewissheit erlangt, dass man nicht Illusionen, sondern physische Wirklichkeit vor sich habe.

Bei dieser ideell-geistigen Erkenntnis genügt nun schon nicht mehr – wie bei der sinnlichen – ein Aneignen, das dann dazu führt, dass man sie für das Gedächtnis hat. Man muss den Aneignungsvorgang zu einem fortdauernden machen. Wie es für den Organismus nicht genügt, eine Zeitlang geatmet zu haben, um dann in der Atmung das Angeeignete im weiteren Lebensprozess zu verwenden, so genügt ein der Sinneserkenntnis ähnliches Aneignen für die ideell-geistige Erkenntnis nicht. Für sie ist notwendig, dass die Seele in einer fortdauernden lebendigen Wechselwirkung stehe mit der Welt, in die man sich durch diese Erkenntnis versetzt. Das geschieht durch die Meditation, die – wie oben angedeutet – aus der ideellen Einsicht in den Wert des Meditierens hervorgeht. Diese Wechselwirkung hatte ich schon lange vor meinem Seelenumschwunge (im fünfunddreißigsten Lebensjahre) gesucht.

Was jetzt eintrat, war Meditieren als seelische Lebensnotwendigkeit.

Und damit stand die dritte Art der Erkenntnis vor meinem Innern. Sie führte nicht nur in weitere Tiefen der geistigen Welt, sondern gewährte auch ein intimes Zusammenleben mit dieser. Ich musste, eben aus innerer Notwendigkeit, eine ganz bestimmte Art von Vorstellungen immer wieder in den Mittelpunkt meines Bewusstseins rücken.

Es war diese:

Lebe ich mich mit meiner Seele in Vorstellungen ein, die an der Sinneswelt gebildet sind, so bin ich im unmittelbaren Erfahren nur imstande, von der Wirklichkeit des Erlebten so lange zu sprechen, als ich sinnlich beobachtend einem Dinge oder Vorgange gegenüberstehe. Der Sinn verbürgt mir die Wahrheit des Beobachteten, solange ich beobachte.

Nicht so, wenn ich mich durch ideell-geistige Erkenntnis mit Wesen oder Vorgängen der geistigen Welt verbinde. Da tritt in der Einzel-Anschauung die unmittelbare Erfahrung von dem über die Anschauungsdauer hinausgehenden Bestand des Wahrgenommenen ein. Erlebt man zum Beispiel das «Ich» des Menschen als dessen ureigenste innere Wesenheit, so weiß man im anschauenden Erleben, dass dieses «Ich» vor dem Leben im physischen Leibe war und nach demselben sein wird. Was man so im «Ich» erlebt, offenbart dieses unmittelbar, wie die Rose ihre Röte im unmittelbaren Wahrnehmen offenbart.

In einer solchen aus innerer geistiger Lebensnotwendigkeit geübten Meditation entwickelt sich immer mehr das Bewusstsein von einem «inneren geistigen Menschen», der in völliger Loslösung von dem physischen Organismus im Geistigen leben, wahrnehmen und sich bewegen kann. Dieser in sich selbständige geistige Mensch trat in meine Erfahrung unter dem Einfluss der Meditation. Das Erleben des Geistigen erfuhr dadurch eine wesentliche Vertiefung. Dass die sinnliche Erkenntnis durch den Organismus entsteht, davon kann die für diese Erkenntnis mögliche Selbstbeobachtung ein genügendes Zeugnis geben. Aber auch die ideell-geistige Erkenntnis ist von dem Organismus noch abhängig. Die Selbstbeobachtung zeigt dafür dieses: Für die Sinnesbeobachtung ist der einzelne Erkenntnisakt an den Organismus gebunden. Für die ideell-geistige Erkenntnis ist der einzelne Akt ganz unabhängig von dem physischen Organismus; dass aber solche Erkenntnis überhaupt durch den Menschen entfaltet werden kann, hängt davon ab, dass im allgemeinen das Leben im Organismus vorhanden ist. Bei der dritten Art von Erkenntnis ist es so, dass sie nur dann durch den geistigen Menschen zustande kommen kann, wenn er sich von dem physischen Organismus so frei macht, als ob dieser gar nicht vorhanden wäre.

Ein Bewusstsein von alledem entwickelte sich unter dem Einfluss des geschilderten meditativen Lebens. Ich konnte die Meinung, man unterliege durch eine solche Meditation einer Art von Autosuggestion, deren Ergebnis die folgende Geist-Erkenntnis sei, für mich wirksam widerlegen. Denn von der Wahrheit des geistigen Erlebens hatte mich schon die allererste ideell-geistige Erkenntnis überzeugen können. Und zwar wirklich die allererste, nicht bloß die im Meditieren an ihrem Leben erhaltene, sondern die, welche ihr Leben begann. Wie man in besonnenem Bewusstsein ganz exakt Wahrheit feststellt, das hatte ich schon getan für das, was in Frage kommt, bevor überhaupt von Autosuggestion hat die Rede sein können. Es konnte sich bei dem, was die Meditation errungen hatte, also nur um das Erleben von etwas handeln, dessen Wirklichkeit zu prüfen ich vor dem Erleben schon völlig imstande war.

All dieses, das mit meinem Seelen-Umschwung verbunden war, zeigte sich im Zusammenhang mit einem Ergebnis möglicher Selbstbeobachtung, das ebenso wie das geschilderte für mich inhaltschwere Bedeutung gewann.

Ich fühlte, wie das Ideelle des vorangehenden Lebens nach einer gewissen Richtung zurücktrat und das Willensmäßige an dessen Stelle kam. Damit das möglich ist, muss sich das Wollen bei der Erkenntnis-Entfaltung aller subjektiven Willkür enthalten können. Der Wille nahm in dem Maße zu, als das Ideelle abnahm. Und der Wille übernahm auch das geistige Erkennen, das vorher fast ganz von dem Ideellen geleistet worden ist. Ich hatte ja schon erkannt, dass die Gliederung des Seelenlebens in Denken, Fühlen und Wollen nur eingeschränkte Bedeutung hat. In Wahrheit ist im Denken ein Fühlen und Wollen mitenthalten; nur ist über die letzteren das Denken vorherrschend. Im Fühlen lebt Denken und Wollen, im Wollen Denken und Fühlen ebenso. Nun wurde mir Erlebnis, wie das Wollen mehr vom Denken, das Denken mehr vom Wollen aufnahm.

Führt auf der einen Seite das Meditieren zu der Erkenntnis des Geistigen, so ist andererseits die Folge solcher Ergebnisse der Selbstbeobachtung die innere Verstärkung des geistigen, vom Organismus unabhängigen Menschen und die Befestigung seines Wesens in der Geisteswelt, so wie der physische Mensch seine Befestigung in der physischen Welt hat.

Nur wird man gewahr, wie die Befestigung des geistigen Menschen in der Geisteswelt sich ins Unermessliche steigert, wenn der physische Organismus diese Befestigung nicht beschränkt, während die Befestigung des physischen Organismus in der physischen Welt – mit dem Tode – dem Zerfalle weicht, wenn der geistige Mensch diese Befestigung nicht mehr von sich aus unterhält.

Mit solch einem erlebenden Erkennen ist nun jede Form einer Erkenntnistheorie unverträglich, die das Wissen des Menschen auf ein gewisses Gebiet beschränkt, und die «jenseits» desselben die «Urgründe», die «Dinge an sich» als für das menschliche Wissen Unzugängliches hinstellt. Jedes «Unzugängliche» war mir ein solches nur «zunächst»; und es kann nur so lange unzugänglich verbleiben, als der Mensch in seinem Innern nicht das Wesenhafte entwickelt hat, das mit dem vorher Unbekannten verwandt ist und daher im erlebenden Erkennen mit ihm zusammenwachsen kann. Diese Fähigkeit des Menschen, in jede Art des Seins hineinwachsen zu können, wurde für mich etwas, das der anerkennen muss, der in die Stellung des Menschen zur Welt im rechten Lichte sehen will. Wer zu dieser Anerkennung sich nicht durchringen kann, dem vermag Erkenntnis nicht etwas wirklich zur Welt Gehöriges zu geben, sondern nur ein der Welt gleichgültiges Nachbilden irgend eines Teiles des Welt-Inhaltes. Bei solcher bloß nachbildenden Erkenntnis kann der Mensch aber nicht in sich ein Wesen ergreifen, das ihm als vollbewußte Individualität ein inneres Erleben davon gibt, er stehe im Weltenall fest.

Mir kam es darauf an, von Erkenntnis so zu sprechen, dass das Geistige nicht bloß anerkannt, sondern so anerkannt werde, dass der Mensch es mit seinem Anschauen erreichen könne. Und wichtiger erschien es mir, festzuhalten, dass die «Urgründe» des Daseins innerhalb dessen liegen, was der Mensch in seinem Gesamterleben erreichen kann, als ein unbekanntes Geistiges in irgend einem «jenseitigen» Gebiet gedanklich anzuerkennen.

Deshalb lehnte mein Anschauen die Denkungsart ab, die den Inhalt der sinnenfälligen Empfindung (Farbe, Wärme, Ton usw.) nur für etwas hält, das eine unbekannte Außenwelt durch die Sinneswahrnehmung im Menschen hervorruft, während diese Außenwelt selbst nur hypothetisch vorgestellt werden könne. Die theoretischen Ideen, die dem physikalischen und physiologischen Denken nach dieser Richtung zugrunde liegen, empfand mein erlebendes Erkennen als ganz besonders schädlich. Dieses Gefühl steigerte sich in meiner hier geschilderten Lebensepoche zur größten Lebhaftigkeit. Alles, was in der Physik und Physiologie als «hinter der subjektiven Empfindung liegend» bezeichnet wurde, machte mir, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, Erkenntnis-Unbehagen.

Dagegen sah ich in der Denkungsart Lyells, Darwins, Haeckels etwas, das, wenn es auch, so wie es auftrat, unvollkommen war, doch der Entwickelung nach einem Gesunden fähig ist.

Lyells Grundsatz, die Erscheinungen in dem Teile des Erdenwerdens, der sich, weil er in der Vorzeit liegt, der sinnlichen Beobachtung entzieht, durch Ideen zu erklären, die sich an der gegenwärtigen Beobachtung dieses Werdens ergeben, schien mir nach der angedeuteten Richtung hin fruchtbar. Verständnis suchen für den physischen Bau des Menschen durch Herleitung seiner Formen aus den tierischen, wie das Haeckels «Anthropogenie» in umfassender Art tut, hielt ich für eine gute Grundlage zur weiteren Entwickelung der Erkenntnis.

Ich sagte mir: setzt sich der Mensch eine Erkenntnisgrenze, jenseits deren die «Dinge an sich» liegen sollen, so versperrt er sich damit den Zugang zur geistigen Welt; stellt er sich zur Sinneswelt so, dass eines das andere innerhalb ihrer erklärt (das gegenwärtig im Erdenwerden Vorsichgehende die geologische Vorzeit, die Formen der tierischen Gestalt diejenigen der menschlichen), so kann er bereit sein, diese Erklärbarkeit der Wesen und Vorgänge auch auf das Geistige auszudehnen.

Auch für mein Empfinden auf diesem Gebiete kann ich sagen: «Das ist etwas, das sich als Anschauung gerade damals in mir befestigt hat, während es meine Begriffswelt lange schon durchpulst hatte.»

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