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Inhalt

1. 1861-1872. Kraljevec, Mödling, Pottschach, Neudörfl. Kindheit.

2. 1872-1879. Wiener-Neustadt. Geometrie. Realschule. Lehrer.

3. 1879-1882. Wien, Inzersdorf. Technische Hochschule Wien, Schröer, Felix Kogutzki. Theorie des Raums, der Wärme.

4. 1882-1886. Wien. Theorie des Tons. Musik, Wagnerianer.

5. 1882-1886. Wien. Nationalitäten in Österreich. Schröer. Objektiver Idealismus. Goethe.

6. 1882-1886. Wien und Attersee. Privaterzieher. Eduard von Hartmann. Goethe-Herausgabe. Grundlinien einer Erkenntnistheorie.

7. 1886-1889. Wien. Wiener Thomisten, Sinnetts Esoterischer Buddhismus.

8. 1886-1889. Wien. Hamerlings Homunculus. Idealismus, Ästhetik.

9. 1889-1890. Weimar, Berlin, München, Wien.

10. Um 1890. Philosophie der Freiheit.

11. Um 1890. Wahre und falsche Mystik.

12. Um 1890. Goethe-Herausgabe.

13. 1890, Wien. Nietzsche. Hamerling, Antisemitismus, Breuer, Freud, Psychoanalyse.

14. 1890, Rostock, Weimar. Dissertation, Heinrich von Stein, Platonismus, Goethe-Schiller-Archiv.

15. 1890-1894, Weimar. Haeckel, Treitschke.

16. 1890-1894, Weimar.

17. 1892-1894. Philosophie der Freiheit.

18. 1894-1896, Weimar. Nietzsche-Buch, Eugen Dühring.

19. 1894-1896, Weimar.

20. 1894-1896, Weimar.

21. 1894-1897, Weimar.

22. 1897, Weimar, 35. Lebensjahr.

23. Weimar, Berlin.

24. 1897-1899, Berlin: Muss man verstummen?

25. Berlin.

26. Berlin. Prüfungskapitel.

27. Berlin. Jahrhundertwende, Stirner, Mackay.

28. Berlin. Arbeiterbildungsschule.

29. Berlin. Jacobowski, Die Kommenden, Bruno Wille, Giodano-Bruno-Bund, Beginn der anthroposophischen Tätigkeit, Geheimhaltung und Veröffentlichung der Esoterik.

30. 1899-1902, Berlin. Goethes geheime Offenbarung, Theosophische Bibliothek, Von Buddha zu Christus, Das Christentum als mystische Tatsache, Marie von Sivers.

31. 1900-1913, Berlin. Berliner Literaten. Egoismus. Theosophische Gesellschaft, Deutsche Sektion Ausschluss 1913, Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft.

32. Berlin. Öffentliches Wirken für die Anthroposophie.

33. Berlin. Vortragstätigkeit.

34. Berlin. Kunst, Geisterkenntnis.

35. Bücher, Privatdrucke, Zyklen.

36. Memphis-Misraim Maurerei.

37. Theosophischer Kongress Paris 1906.

38. Berlin, München, Münchner Kongress 1907.


Die Kapitelüberschriften stammen vom Webmaster.

27. Kapitel. Berlin

Mir schwebte damals vor, wie die Jahrhundertwende ein neues geistiges Licht der Menschheit bringen müsse. Es schien mir, dass die Abgeschlossenheit des menschlichen Denkens und Wollens vom Geiste einen Höhepunkt erreicht hätte. Ein Umschlagen des Werdeganges der Menschheitsentwickelung schien mir eine Notwendigkeit.

In diesem Sinne sprachen viele. Aber sie hatten nicht im Auge, dass der Mensch suchen werde, auf eine wirkliche Geistwelt seine Aufmerksamkeit zu richten, wie er sie durch die Sinne auf die Natur richtet. Sie vermeinten nur, dass die subjektive Geistesverfassung der Seelen einen Umschwung erfahren werde. Dass eine wirkliche neue, objektive Welt sich offenbaren könne, das zu denken, lag außerhalb des damaligen Gesichtskreises.

Mit den Empfindungen, die aus meiner Zukunftsperspektive und aus den Eindrücken der Umwelt sich ergaben, musste ich immer wieder den Geistesblick in das Werden des neunzehnten Jahrhunderts zurückwenden.

Ich sah, wie mit der Goethe- und Hegel-Zeit alles verschwindet, was in die menschliche Denkungsart erkennend Vorstellungen von einer geistigen Welt aufnimmt. Das Erkennen sollte fortan durch Vorstellungen von der geistigen Welt nicht «verwirrt» werden. Diese Vorstellungen verwies man in das Gebiet des Glaubens und des «mystischen» Erlebens.

In Hegel erblickte ich den größten Denker der neuen Zeit. Aber er war eben nur Denker. Für ihn war die Geistwelt im Denken. Gerade, indem ich restlos bewunderte, wie er allem Denken Gestaltung gab, empfand ich doch, dass er kein Gefühl für die Geistwelt hatte, die ich schaute, und die erst hinter dem Denken offenbar wird, wenn das Denken sich erkraftet zu einem Erleben, dessen Leib gewissermaßen Denken ist, und der als Seele in sich den Geist der Welt aufnimmt.

Weil im Hegeltum alles Geistige zum Denken geworden ist, stellte sich mir Hegel als die Persönlichkeit dar, die ein allerletztes Aufdämmern alten Geisteslichtes in eine Zeit brachte, in der sich für das Erkennen der Menschheit der Geist in Finsternis hüllte.

All dies stand so vor mir, ob ich in die geistige Welt schaute, oder ob ich in der physischen Welt auf das ablaufende Jahrhundert zurücksah. Aber nun trat eine Gestalt in diesem Jahrhundert auf, die ich nicht bis in die geistige Welt hinein verfolgen konnte: Max Stirner.

Hegel ganz Denkmensch, der in der inneren Entfaltung ein Denken anstrebte, das zugleich sich immer mehr vertiefte und im Vertiefen über größere Horizonte erweiterte. Dieses Denken sollte zuletzt im Vertiefen und Erweitern Eins werden mit dem Denken des Weltgeistes, das allen Welt-Inhalt einschließt. Und Stirner, alles, was der Mensch aus sich entfaltet, ganz aus dem individuell-persönlichen Willen holend. Was in der Menschheit entsteht, nur im Nebeneinander der einzelnen Persönlichkeiten.

Ich durfte gerade in jener Zeit nicht in Einseitigkeit verfallen. Wie ich im Hegeltum ganz darinnen stand, es in meiner Seele erlebend wie mein eigenes inneres Erleben, so musste ich auch in diesen Gegensatz innerlich ganz untertauchen.

Gegenüber der Einseitigkeit, den Weltgeist bloß mit Wissen auszustatten, musste ja die andere auftreten, den einzelnen Menschen bloß als Willenswesen geltend zu machen.

Hätte nun die Sache so gelegen, dass diese Gegensätze nur in mir, als Seelenerlebnisse meiner Entwickelung aufgetreten wären, so hätte ich davon nichts einfließen lassen in meine Schriften oder Reden. Ich habe es mit solchen Seelenerlebnissen immer so gehalten. Aber dieser Gegensatz: Hegel und Stirner gehörten dem Jahrhundert an. Das Jahrhundert sprach sich durch sie aus. Und es ist ja so, dass Philosophen im wesentlichen nicht durch ihre Wirkung auf ihre Zeit in Betracht kommen.

Man kann zwar gerade bei Hegel von starken Wirkungen sprechen. Aber das ist nicht die Hauptsache. Philosophen zeigen durch den Inhalt ihrer Gedanken den Geist ihres Zeitalters an, wie das Thermometer die Wärme eines Ortes anzeigt. In den Philosophen wird bewusst, was unterbewußt in dem Zeitalter lebt.

Und so lebt das neunzehnte Jahrhundert in seinen Extremen durch die Impulse, die durch Hegel und Stirner sich ausdrücken: unpersönliches Denken, das am liebsten in einer Weltbetrachtung sich ergeht, an der der Mensch mit den schaffenden Kräften seines Innern keinen Anteil hat; ganz persönliches Wollen, das für harmonisches Zusammenwirken der Menschen wenig Sinn hat. Zwar treten alle möglichen «Gesellschafts-Ideale» auf; aber sie haben keine Kraft, die Wirklichkeit zu beeinflussen. Diese gestaltet sich immer mehr zu dem, was entstehen kann, wenn die Willen Einzelner nebeneinander wirken.

Hegel will, dass im Zusammenleben der Menschen der Gedanke des Sittlichen objektive Gestalt annimmt; Stirner fühlt den «Einzelnen» (Einzigen) beirrt durch alles, was so dem Leben der Menschen harmonisierte Gestalt geben kann.

Bei mir verband sich mit der Betrachtung Stirners damals eine Freundschaft, die bestimmend auf so manches in dieser Betrachtung wirkte. Es ist die Freundschaft zu dem bedeutenden Stirner-Kenner und -Herausgeber J. H. Mackay. Es war noch in Weimar, da brachte mich Gabriele Reuter mit dieser mir sogleich durch und durch sympathischen Persönlichkeit zusammen. Er hatte sich in meiner «Philosophie der Freiheit» mit den Abschnitten befasst, die vom ethischen Individualismus sprechen. Er fand eine Harmonie zwischen meinen Ausführungen und seinen eigenen sozialen Anschauungen.

Mir war zunächst der persönliche Eindruck, den ich von J. H. Mackay hatte, das meine Seele ihm gegenüber Erfüllende. Er trug «Welt» in sich. In seiner ganzen äußern und innern Haltung sprach Welterfahrung. Er hatte Zeiten in England, in Amerika zugebracht. Das alles war in eine grenzenlose Liebenswürdigkeit getaucht. Ich fasste eine große Liebe zu dem Manne.

Als dann 1898 J. H. Mackay in Berlin zu dauerndem Aufenthalte erschien, entwickelte sich eine schöne Freundschaft zwischen uns. Leider ist auch diese durch das Leben und namentlich durch mein öffentliches Vertreten der Anthroposophie zerstört worden.

Ich darf in diesem Falle nur ganz subjektiv schildern, wie mir J. H. Mackays Werk damals erschien und heute noch immer erscheint, und wie es damals in mir gewirkt hat. Denn ich weiß, dass er sich selbst darüber ganz anders aussprechen würde. Tief verhasst war diesem Manne im sozialen Leben der Menschen alles, was Gewalt (Archie) ist. Die größte Verfehlung sah er in dem Eingreifen der Gewalt in die soziale Verwaltung. In dem «kommunistischen Anarchismus» sah er eine soziale Idee, die im höchsten Grade verwerflich ist, weil sie bessere Menschheitszustände mit Anwendung von Gewaltmitteln herbeiführen wollte.

Nun war das Bedenkliche, dass J. H. Mackay diese Idee und die auf sie gegründete Agitation bekämpfte, indem er für seine eigenen sozialen Gedanken denselben Namen wählte, den die Gegner hatten, nur mit einem andern Eigenschaftswort davor. «Individualistischer Anarchismus» nannte er, was er selber vertrat, und zwar als Gegenteil dessen, was man damals Anarchismus nannte. Das gab natürlich dazu Anlass, dass in der Öffentlichkeit nur schiefe Urteile über Mackays Ideen sich bilden konnten. Er stand im Einklange mit dem Amerikaner B. Tucker, der die gleiche Ansicht vertrat. Tucker besuchte Mackay in Berlin, wobei ich ihn kennen lernte.

Mackay ist zugleich Dichter seiner Lebensauffassung. Er schrieb einen Roman: «Die Anarchisten». Ich las ihn, nachdem ich den Verfasser kennen gelernt hatte. Es ist dies ein edles Werk des Vertrauens in den einzelnen Menschen. Es schildert eindringlich und mit großer Anschaulichkeit die sozialen Zustände der Ärmsten der Armen. Es schildert aber auch, wie aus dem Weltelend heraus die Menschen den Weg zur Besserung finden werden, die ganz den guten Kräften der Menschennatur hingegeben, diese so zur Entfaltung bringen, dass sie im freien Zusammensein der Menschen sozial, ohne Gewalt notwendig zu machen, wirken. Mackay hatte das edle Vertrauen in die Menschen, dass sie durch sich selbst eine harmonische Lebensordnung schaffen können. Allerdings hielt er dafür, dass dies erst nach langer Zeit möglich sein werde, wenn auf geistigem Wege im Innern der Menschen sich der entsprechende Umschwung vollzogen haben werde. Deshalb forderte er für die Gegenwart von dem Einzelnen, der weit genug dazu ist, die Verbreitung der Gedanken von diesem geistigen Wege. Eine soziale Idee also, die nur mit geistigen Mitteln arbeiten wollte.

J. H. Mackay gab seiner Lebensansicht auch in Gedichten Ausdruck. Freunde sahen darinnen etwas Lehrhaftes und Theoretisches, das unkünstlerisch sei. Ich hatte diese Gedichte sehr lieb.

Das Schicksal hatte nun mein Erlebnis mit J. H. Mackay und mit Stirner so gewendet, dass ich auch da untertauchen musste in eine Gedankenwelt, die mir zur geistigen Prüfung wurde.

Mein ethischer Individualismus war als reines Innen-Erlebnis des Menschen empfunden. Mir lag ganz fern, als ich ihn ausbildete, ihn zur Grundlage einer politischen Anschauung zu machen. Damals nun, um 1898 herum, sollte meine Seele mit dem rein ethischen Individualismus in eine Art Abgrund gerissen werden. Er sollte aus einem rein-menschlich Innerlichen zu etwas Äußerlichem gemacht werden. Das Esoterische sollte ins Exoterische abgelenkt werden.

Als ich dann, im Beginne des neuen Jahrhunderts, in Schriften wie «Die Mystik im Aufgange» und das «Christentum als mystische Tatsache» mein Erleben des Geistigen geben konnte, stand, nach der Prüfung, der «ethische Individualismus» wieder an seinem richtigen Orte. Doch verlief auch da die Prüfung so, dass im Vollbewußtsein die Veräußerlichung keine Rolle spielte. Sie lief unmittelbar unter diesem Vollbewußtsein ab, und konnte ja gerade wegen dieser Nähe in die Ausdrucksformen einfließen, in denen ich in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts von sozialen Dingen sprach. Doch muss man auch da gewissen, allzu radikal erscheinenden Ausführungen andere gegenüberstellen, um ein rechtes Bild zu erhalten.

Der in die Geistwelt Schauende findet sein eigenes Wesen immer veräußerlicht, wenn er Meinungen, Ansichten aussprechen soll. Er tritt in die Geistwelt nicht in Abstraktionen, sondern in lebendigen Anschauungen. Auch die Natur, die ja das sinnenfällige Abbild des Geistigen ist, stellt nicht Meinungen, Ansichten auf, sondern sie stellt ihre Gestalten und ihr Werden vor die Welt hin.

Ein inneres Bewegtsein, das alle meine Seelenkräfte in Wogen und Wellen brachte, war damals mein inneres Erlebnis.

Mein äußeres Privatleben wurde mir dadurch zu einem äußerst befriedigenden gemacht, dass die Familie Eunike nach Berlin gezogen ist, und ich bei ihr unter bester Pflege wohnen konnte, nachdem ich kurze Zeit das ganze Elend des Wohnens in einer eigenen Wohnung durchgemacht hatte. Die Freundschaft zu Frau Eunike wurde bald darauf in eine bürgerliche Ehe umgewandelt. Nur dieses sei über diese Privatverhältnisse gesagt. Ich will von dem Privatleben in diesem «Lebensgange» nirgends etwas anderes erwähnen, als was in meinen Werdegang hineinspielt Und das Leben im Eunike’schen Hause gab mir damals die Möglichkeit, eine ungestörte Grundlage für ein innerlich und äußerlich bewegtes Leben zu haben. Im übrigen gehören Privatverhältnisse nicht in die Öffentlichkeit. Sie gehen sie nichts an.

Und mein geistiger Werdegang ist ja ganz und gar unabhängig von allen Privatverhältnissen. Ich habe das Bewusstsein, er wäre der ganz gleiche gewesen bei ganz anderer Gestaltung meines Privatlebens.

In alle Bewegtheit des damaligen Lebens fiel nun die fortwährende Sorge um die Existenzmöglichkeit des «Magazins» hinein. Trotz all der Schwierigkeiten, die ich hatte, wäre die Wochenschrift zur Verbreitung zu bringen gewesen, wenn mir materielle Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Aber eine Zeitschrift, die nur äußerst mäßige Honorare zahlen kann, die mir selbst fast gar keine materielle Lebensgrundlage gab, für die gar nichts getan werden konnte, um sie bekannt zu machen: die konnte bei dem geringen Maße von Verbreitung, mit dem ich sie übernommen hatte, nicht gedeihen.

Ich gab das «Magazin» heraus, indem es für mich eine ständige Sorge war.

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