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Inhalt

1. 1861-1872. Kraljevec, Mödling, Pottschach, Neudörfl. Kindheit.

2. 1872-1879. Wiener-Neustadt. Geometrie. Realschule. Lehrer.

3. 1879-1882. Wien, Inzersdorf. Technische Hochschule Wien, Schröer, Felix Kogutzki. Theorie des Raums, der Wärme.

4. 1882-1886. Wien. Theorie des Tons. Musik, Wagnerianer.

5. 1882-1886. Wien. Nationalitäten in Österreich. Schröer. Objektiver Idealismus. Goethe.

6. 1882-1886. Wien und Attersee. Privaterzieher. Eduard von Hartmann. Goethe-Herausgabe. Grundlinien einer Erkenntnistheorie.

7. 1886-1889. Wien. Wiener Thomisten, Sinnetts Esoterischer Buddhismus.

8. 1886-1889. Wien. Hamerlings Homunculus. Idealismus, Ästhetik.

9. 1889-1890. Weimar, Berlin, München, Wien.

10. Um 1890. Philosophie der Freiheit.

11. Um 1890. Wahre und falsche Mystik.

12. Um 1890. Goethe-Herausgabe.

13. 1890, Wien. Nietzsche. Hamerling, Antisemitismus, Breuer, Freud, Psychoanalyse.

14. 1890, Rostock, Weimar. Dissertation, Heinrich von Stein, Platonismus, Goethe-Schiller-Archiv.

15. 1890-1894, Weimar. Haeckel, Treitschke.

16. 1890-1894, Weimar.

17. 1892-1894. Philosophie der Freiheit.

18. 1894-1896, Weimar. Nietzsche-Buch, Eugen Dühring.

19. 1894-1896, Weimar.

20. 1894-1896, Weimar.

21. 1894-1897, Weimar.

22. 1897, Weimar, 35. Lebensjahr.

23. Weimar, Berlin.

24. 1897-1899, Berlin: Muss man verstummen?

25. Berlin.

26. Berlin. Prüfungskapitel.

27. Berlin. Jahrhundertwende, Stirner, Mackay.

28. Berlin. Arbeiterbildungsschule.

29. Berlin. Jacobowski, Die Kommenden, Bruno Wille, Giodano-Bruno-Bund, Beginn der anthroposophischen Tätigkeit, Geheimhaltung und Veröffentlichung der Esoterik.

30. 1899-1902, Berlin. Goethes geheime Offenbarung, Theosophische Bibliothek, Von Buddha zu Christus, Das Christentum als mystische Tatsache, Marie von Sivers.

31. 1900-1913, Berlin. Berliner Literaten. Egoismus. Theosophische Gesellschaft, Deutsche Sektion Ausschluss 1913, Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft.

32. Berlin. Öffentliches Wirken für die Anthroposophie.

33. Berlin. Vortragstätigkeit.

34. Berlin. Kunst, Geisterkenntnis.

35. Bücher, Privatdrucke, Zyklen.

36. Memphis-Misraim Maurerei.

37. Theosophischer Kongress Paris 1906.

38. Berlin, München, Münchner Kongress 1907.


Die Kapitelüberschriften stammen vom Webmaster.

30. Kapitel. 1899-1902

Der Wille, das Esoterische, das in mir lebte, zur öffentlichen Darstellung zu bringen, drängte mich dazu, zum 28. August 1899, als zu Goethes hundertfünfzigstem Geburtstag, im «Magazin» einen Aufsatz über Goethes Märchen von der «grünen Schlange und der schönen Lilie» unter dem Titel «Goethes geheime Offenbarung» zu schreiben.

Dieser Aufsatz ist ja allerdings noch wenig esoterisch. Aber mehr, als ich gab, konnte ich meinem Publikum nicht zumuten.

In meiner Seele lebte der Inhalt des Märchens als ein durchaus esoterischer. Und aus einer esoterischen Stimmung sind die Ausführungen geschrieben.

Seit den achtziger Jahren beschäftigten mich Imaginationen, die sich bei mir an dieses Märchen geknüpft haben. Goethes Weg von der Betrachtung der äußeren Natur zum Innern der menschlichen Seele, wie er ihn sich nicht in Begriffen, sondern in Bildern vor den Geist stellte, sah ich in dem Märchen dargestellt. Begriffe schienen Goethe viel zu arm, zu tot, um das Leben und Wirken der Seelenkräfte darstellen zu können.

Nun war ihm in Schillers «Briefen über ästhetische Erziehung» ein Versuch entgegengetreten, dieses Leben und Wirken in Begriffe zu fassen. Schiller versuchte zu zeigen, wie das Leben des Menschen durch seine Leiblichkeit der Naturnotwendigkeit und durch seine Vernunft der Geistnotwendigkeit unterliege. Und er meint, zwischen beiden müsse das Seelische ein inneres Gleichgewicht herstellen. In diesem Gleichgewicht lebe dann der Mensch in Freiheit ein wirklich menschenwürdiges Dasein. Das ist geistvoll; aber für das wirkliche Seelenleben viel zu einfach. Dieses lässt seine Kräfte, die in den Tiefen wurzeln, im Bewusstsein aufleuchten; aber im Aufleuchten, nachdem sie andere ebenso flüchtige beeinflusst haben, wieder verschwinden. Das sind Vorgänge, die im Entstehen schon vergehen; abstrakte Begriffe aber sind nur an mehr oder weniger lang Bleibendes zu knüpfen.

Das alles wusste Goethe empfindend; er setzte sein Bildwissen im Märchen dem Schiller’schen Begriffswissen gegenüber.

Man ist mit einem Erleben dieser Goethe’schen Schöpfung im Vorhof der Esoterik.

Es war dies die Zeit, in der ich durch Gräfin und Graf Brockdorff aufgefordert wurde, an einer ihrer allwöchentlichen Veranstaltungen einen Vortrag zu halten. Bei diesen Veranstaltungen kamen Besucher aus allen Kreisen zusammen. Die Vorträge, die gehalten wurden, gehörten allen Gebieten des Lebens und der Erkenntnis an. Ich wusste von alledem nichts, bis ich zu einem Vortrage eingeladen wurde, kannte auch die Brockdorffs nicht, sondern hörte von ihnen zum ersten Male. Als Thema schlug man mir eine Ausführung über Nietzsche vor. Diesen Vortrag hielt ich. Nun bemerkte ich, dass innerhalb der Zuhörerschaft Persönlichkeiten mit großem Interesse für die Geistwelt waren. Ich schlug daher, als man mich aufforderte, einen zweiten Vortrag zu halten, das Thema vor: «Goethes geheime Offenbarung».

Und in diesem Vortrag wurde ich in Anknüpfung an das Märchen ganz esoterisch. Es war ein wichtiges Erlebnis für mich, in Worten, die aus der Geistwelt heraus geprägt waren, sprechen zu können, nachdem ich bisher in meiner Berliner Zeit durch die Verhältnisse gezwungen war, das Geistige nur durch meine Darstellungen durchleuchten zu lassen.

Nun waren Brockdorffs die Leiter eines Zweiges der «Theosophischen Gesellschaft», die von Blavatsky begründet worden war. Was ich in Anknüpfung an das Märchen Goethes gesagt hatte, führte dazu, dass Brockdorffs mich einluden, vor den mit ihnen verbundenen Mitgliedern der «Theosophischen Gesellschaft» regelmäßig Vorträge zu halten. Ich erklärte, dass ich aber nur über dasjenige sprechen könne, was in mir als Geisteswissenschaft lebt.

Ich konnte auch wirklich von nichts anderem sprechen. Denn von der von der «Theosophischen Gesellschaft» ausgehenden Literatur war mir sehr wenig bekannt. Ich kannte Theosophen schon von Wien her, und lernte später noch andere kennen. Diese Bekanntschaften veranlassten mich, im «Magazin» die abfällige Notiz über die Theosophen beim Erscheinen einer Publikation von Franz Hartmann zu schreiben. Und was ich sonst von der Literatur kannte, war mir zumeist in Methode und Haltung ganz unsympathisch; ich hatte nirgends die Möglichkeit, mit meinen Ausführungen daran anzuknüpfen.

So hielt ich denn meine Vorträge, indem ich an die Mystik des Mittelalters anknüpfte. Durch die Meinungen der Mystiker von Meister Eckhard bis zu Jacob Böhme fand ich die Ausdrucksmittel für die geistigen Anschauungen, die ich eigentlich darzustellen mir vorgenommen hatte. Ich fasste dann die Vorträge in dem Buche zusammen «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens». Bei diesen Vorträgen erschien eines Tages als Zuhörerin Marie von Sivers, die dann durch das Schicksal ausersehen ward, die Leitung der bald nach Beginn meiner Vorträge gegründeten «Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft» mit fester Hand zu übernehmen. Innerhalb dieser Sektion konnte ich nun vor einer sich immer vergrößernden Zuhörerschaft meine anthroposophische Tätigkeit entfalten.

Niemand blieb im Unklaren darüber, dass ich in der Theosophischen Gesellschaft nur die Ergebnisse meines eigenen forschenden Schauens vorbringen werde. Denn ich sprach es bei jeder in Betracht kommenden Gelegenheit aus.

Und als in Berlin im Beisein von Annie Besant die «Deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft» begründet und ich zu deren General-Sekretär gewählt wurde, da musste ich von den Gründungssitzungen weggehen, weil ich einen der Vorträge vor einem nicht-theosophischen Publikum zu halten hatte, in denen ich den geistigen Werdegang der Menschheit behandelte, und bei denen ich im Titel: «Eine Anthroposophie» ausdrücklich hinzugefügt hatte.

Auch Annie Besant wusste, dass ich, was ich über die Geistwelt zu sagen hatte, damals unter diesem Titel in Vorträgen vorbrachte.

Als ich dann nach London zu einem theosophischen Kongress kam, da sagte mir eine der leitenden Persönlichkeiten, in meinem Buche «Die Mystik ... » stünde die wahre Theosophie.

Ich konnte damit zufrieden sein. Denn ich hatte nur die Ergebnisse meiner Geistesschau gegeben; und in der Theosophischen Gesellschaft wurden diese angenommen. Es gab nun für mich keinen Grund mehr, vor dem theosophischen Publikum, das damals das einzige war, das restlos auf Geist-Erkenntnis einging, nicht in meiner Art, diese Geist-Erkenntnis vorzubringen. Ich verschrieb mich keiner Sektendogmatik; ich blieb ein Mensch, der aussprach, was er glaubte aussprechen zu können ganz nach dem, was er selbst als Geistwelt erlebte.

Vor die Zeit der Sektionsgründung fiel noch eine Vortragsreihe, die ich vor dem Kreise der «Kommenden» hielt, «Von Buddha zu Christus». Ich habe in diesen Ausführungen zu zeigen versucht, welch einen gewaltigen Fortschritt das Mysterium von Golgatha gegenüber dem Buddhaereignis bedeutet und wie die Entwickelung der Menschheit, indem sie dem Christusereignis entgegenstrebt, zu ihrer Kulmination kommt.

Auch sprach ich in demselben Kreise über das Wesen der Mysterien.

Das alles wurde von meinen Zuhörern hingenommen. Es wurde nicht in Widerspruch befunden mit früheren Vorträgen, die ich gehalten habe. Erst als die Sektion begründet wurde und ich damit als «Theosoph» abgestempelt erschien, fing die Ablehnung an. Es war wirklich nicht die Sache; es war der Name und der Zusammenhang mit einer Gesellschaft, die niemand haben wollte.

Aber andrerseits wären meine nicht-theosophischen Zuhörer nur geneigt gewesen, sich von meinen Ausführungen «anregen» zu lassen, sie «literarisch» aufzunehmen. Was mir auf dem Herzen lag, dem Leben die Impulse der Geistwelt einzufügen, dafür gab es kein Verständnis. Dieses Verständnis konnte ich aber allmählich in theosophisch interessierten Menschen finden.

Vor dem Brockdorff-Kreise, vor dem ich über Nietzsche und dann über Goethes geheime Offenbarung gesprochen hatte, hielt ich in dieser Zeit einen Vortrag über Goethes «Faust» vom esoterischen Gesichtspunkte. (Es ist derselbe, der dann später mit meinen Ausführungen über Goethes Märchen zusammen im philosophisch. anthroposophischen Verlag erschienen ist)

Die Vorträge über «Mystik ...» haben dazu geführt, dass derselbe theosophische Kreis mich bat, im Winter darauf wieder zu ihm zu sprechen. Ich hielt dann die Vortragsreihe, die ich in dem Buche «Das Christentum als mystische Tatsache» zusammengefasst habe.

Ich habe vom Anfange an erkennen lassen, dass die Wahl des Titels «als mystische Tatsache» wichtig ist. Denn ich habe nicht einfach den mystischen Gehalt des Christentums darstellen wollen.

Ich hatte zum Ziel, die Entwickelung von den alten Mysterien zum Mysterium von Golgatha hin so darzustellen, dass in dieser Entwickelung nicht bloß die irdischen geschichtlichen Kräfte wirken, sondern geistige außerirdische Impulse.

Und ich wollte zeigen, dass in den alten Mysterien Kultbilder kosmischer Vorgänge gegeben waren, die dann in dem Mysterium von Golgatha als aus dem Kosmos auf die Erde versetzte Tatsache auf dem Plane der Geschichte sich vollzogen.

Das wurde in der Theosophischen Gesellschaft nirgends gelehrt. Ich stand mit dieser Anschauung in vollem Gegensatz zur damaligen theosophischen Dogmatik, bevor man mich aufforderte, in der Theosophischen Gesellschaft zu wirken.

Denn diese Aufforderung erfolgte gerade nach dem hier beschriebenen Vortragszyklus über Christus. Marie von Sivers war zwischen den beiden Vortragszyklen, die ich für die Theosophische Gesellschaft hielt, in Italien (Bologna), um dort in dem theosophischen Zweige für die Theosophische Gesellschaft zu wirken.

So entwickelten sich die Tatsachen bis zu meinem ersten Besuch eines theosophischen Kongresses in London im Jahre 1902. Auf diesem Kongress, an dem auch Marie von Sivers teilnahm, war es schon als fertige Tatsache angesehen, dass nun eine deutsche Sektion der Gesellschaft mit mir, der kurz vorher eingeladen war, Mitglied der Gesellschaft zu werden, als Generalsekretär begründet werden sollte.

Der Besuch in London war von großem Interesse für mich. Ich lernte da wichtige Führer der Theosophischen Gesellschaft kennen. Im Hause Mr. Bertram Keightleys, eines dieser Führer, durfte ich wohnen. Ich wurde sehr befreundet mit ihm. Ich lernte Mr. Mead, den so verdienstvollen Schriftsteller der theosophischen Bewegung, kennen. Da wurden im Hause Bertram Keightleys die denkbar interessantesten Gespräche über die Geist-Erkenntnisse geführt, die in der Theosophischen Gesellschaft lebten.

Besonders mit Bertram Keightley selbst wurden diese Gespräche intim. H.P. Blavatsky lebte auf in diesen Gesprächen. Ihre ganze Persönlichkeit mit dem reichen Geist-Inhalte schilderte mein lieber Gastgeber, der so vieles durch sie erlebt hatte, mit größter Anschaulichkeit vor mir und Marie von Sivers.

Flüchtiger lernte ich Annie Besant kennen, ebenso Sinnett, den Verfasser des «Esoterischen Buddhismus». Nicht kennen lernte ich Mr. Leadbeater, den ich nur vom Podium herunter sprechen hörte. Er machte auf mich keinen besonderen Eindruck.

All das Interessante, das ich hörte, bewegte mich tief; auf den Inhalt meiner Anschauungen hatte es aber keinen Einfluss.

Ich versuchte die Zwischenzeiten, die mir von den Besuchen der Kongressversammlungen blieben, zu benützen, fleißig die naturwissenschaftlichen und Kunstsammlungen Londons zu besuchen. Ich darf sagen, dass mir an den naturwissenschaftlichen und historischen Sammlungen manche Idee über Natur- und Menschheitsentwickelung aufgegangen ist

So hatte ich in diesem Londoner Besuch ein für mich bedeutsames Ereignis durchgemacht. Ich reiste mit den allermannigfaltigsten, meine Seele tief bewegenden Eindrücken ab.

In der ersten «Magazin»-Nummer des Jahres 1899 findet man einen Artikel von mir mit der Überschrift «Neujahrsbetrachtung eines Ketzers». Gemeint ist da nicht eine Ketzerei gegenüber einem Religionsbekenntnis, sondern gegenüber der Kulturorientierung, welche die Zeit angenommen hatte.

Man stand vor den Toren eines neuen Jahrhunderts. Das ablaufende hatte große Errungenschaften auf den Gebieten des äußeren Lebens und Wissens gebracht.

Dem gegenüber entrang sich mir der Gedanke:

«Trotz aller dieser und manch anderer Errungenschaften z. B. auf dem Gebiete der Kunst, kann aber der tiefer blickende Mensch gegenwärtig doch nicht recht froh über den Bildungsinhalt der Zeit werden. Unsere höchsten geistigen Bedürfnisse verlangen nach etwas, was die Zeit nur in spärlichem Maße gibt.»

Und im Hinblick auf die Leerheit der damaligen Gegenwartskultur blickte ich zurück zur Zeit der Scholastik, in der die Geister wenigstens noch begrifflich mit dem Geiste lebten.

«Man darf sich nicht wundern, wenn gegenüber solchen Erscheinungen Geister mit tieferen geistigen Bedürfnissen die stolzen Gedankengebäude der Scholastik befriedigender finden als den Ideengehalt unserer eigenen Zeit. Otto Willmann hat ein hervorragendes Buch geschrieben, seine »Geschichte des Idealismus›, in dem er sich zum Lobredner der Weltanschauung vergangener Jahrhunderte aufwirft. Man muss zugeben: der Geist des Menschen sehnt sich nach jener stolzen, umfassenden Gedankendurchleuchtung, welche das menschliche Wissen in den philosophischen Systemen der Scholastiker erfahren hat.»

Die «Mutlosigkeit ist ein charakteristisches Merkmal des geistigen Lebens an der Jahrhundertwende. Sie trübt uns die Freude an den Errungenschaften der jüngst vergangenen Zeiten.»

Und gegenüber den Persönlichkeiten, die geltend machten, dass gerade das «wahre Wissen» die Unmöglichkeit eines Gesamtbildes des Daseins in einer Weltanschauung beweise, musste ich sagen:

«Ginge es nach der Meinung der Leute, die solche Stimmen vernehmen lassen, so würde man sich begnügen, die Dinge und Erscheinungen zu messen, zu wägen, zu vergleichen, sie mit den vorhandenen Apparaten zu untersuchen; niemals aber würde die Frage erhoben nach dem höheren Sinn der Dinge und Erscheinungen.»

Das ist meine Seelenstimmung, aus der heraus die Tatsachen verstanden werden müssen, die meine anthroposophische Tätigkeit innerhalb der Theosophischen Gesellschaft herbeiführten. Wenn ich damals aufgegangen war in der Zeitkultur, um für die Redaktion des « Magazins» den geistigen Hintergrund zu haben, so war es mir nachher ein tiefes Bedürfnis, die Seele an einer solchen Lektüre wie Willmanns «Geschichte des Idealismus» zu «erholen». Wenn auch ein Abgrund zwischen meiner Geistanschauung und der Ideengestaltung Otto Willmanns war: ich fühlte doch diese Ideengestaltung geistnahe.

Mit Ende September 1900 konnte ich das «Magazin» in andere Hände übergehen lassen.

Die mitgeteilten Tatsachen zeigen, dass mein Ziel nach einem Mitteilen des Inhaltes der Geistwelt schon vor dem Aufgeben des «Magazins» aus meiner Seelenverfassung heraus eine Notwendigkeit geworden war, dass es nicht etwa mit der Unmöglichkeit, das «Magazin» weiterzuführen, zusammenhängt.

Wie in das meiner Seele vorbestimmte Element, ging ich in eine Betätigung, die ihre Impulse in der Geist-Erkenntnis hatte, hinein.

Aber ich habe auch heute noch das Gefühl, dass, wenn nicht die hier geschilderten Hemmnisse vorhanden gewesen wären, auch mein Versuch, durch das naturwissenschaftliche Denken hindurch zur Geist-Welt zu führen, ein aussichtsvoller hätte werden können.

Ich schaue zurück auf das, was ich von 1897 bis 1900 ausgesprochen habe, als auf etwas, das gegenüber der Denkweise der Zeit hat einmal ausgesprochen werden müssen; und ich schaue andrerseits zurück als auf etwas, in dem ich meine intensivste geistige Prüfung durchgemacht habe. Ich habe gründlich kennen gelernt, wo die vom Geiste wegstrebenden Kultur-auflösenden, Kultur-zerstörenden Kräfte der Zeit liegen. Und aus dieser Erkenntnis hat sich mir vieles zu der Kraft hinzugesetzt, die ich weiterhin brauchte, um aus dem Geiste heraus zu wirken.

Noch vor der Zeit der Betätigung innerhalb der Theosophischen Gesellschaft, noch in der letzten Zeit der Redaktion des «Magazin» liegt die Ausarbeitung meines zweibändigen Buches «Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert», das dann von der zweiten Auflage ab erweitert um einen Überblick über die Entwickelung der Weltanschauungen von der Griechenzeit bis zum neunzehnten Jahrhundert als «Rätsel der Philosophie» erschienen ist.

Der äußere Anlass zur Entstehung dieses Buches ist als völlige Nebensache zu betrachten. Er war dadurch gegeben, dass Cronbach, der Verleger des «Magazin», eine Sammlung von Schriften veranstaltete, die die verschiedenen Gebiete des Wissens und Lebens in ihrer Entwickelung im neunzehnten Jahrhundert behandeln sollten. Er wollte in dieser Sammlung auch eine Darstellung der Welt- und Lebensanschauungen haben und übertrug mir diese.

Ich hatte den ganzen Stoff des Buches seit lange in meiner Seele. Meine Betrachtungen der Weltanschauungen hatten in derjenigen Goethes einen persönlichen Ausgangspunkt. Der Gegensatz, in den ich Goethes Denkungsart zum Kantianismus bringen musste, die neuen philosophischen Ansätze an der Wende des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts in Fichte, Schelling, Hegel: das alles war für mich der Anfang einer Epoche der Weltanschauungsentwickelung. Die geistvollen Bücher Richard Wahles, die die Auflösung alles philosophischen Weltanschauungsstrebens am Ende des neunzehnten Jahrhunderts darstellten, schlossen diese Epoche. So rundete sich das Weltanschauungsstreben des neunzehnten Jahrhunderts zu einem Ganzen, das in meiner Anschauung lebte und das darzustellen ich die Gelegenheit gerne ergriff.

Wenn ich auf dieses Buch zurückblicke, so scheint mir mein Lebensgang gerade an ihm sich symptomatisch auszudrücken. Ich bewegte mich nicht, wie viele glauben, in Widersprüchen vorwärts. Wäre das der Fall, ich würde es gerne zugeben. Allein es wäre nicht die Wirklichkeit in meinem geistigen Fortgang. Ich bewegte mich so vorwärts, dass ich zu dem, was in meiner Seele lebte, neue Gebiete hinzufand. Und ein besonders regsames Hinzufinden auf geistigem Gebiete fand bald nach der Bearbeitung der «Welt- und Lebensanschauungen» statt

Dazu kam, dass ich nirgends in das Geistgebiet auf einem mystisch-gefühlsmäßigen Wege vordrang, sondern überall über kristallklare Begriffe gehen wollte. Das Erleben der Begriffe, der Ideen führte mich aus dem Ideellen in das Geistig-Reale.

Die wirkliche Entwickelung des Organischen von Urzeiten bis zur Gegenwart stand vor meiner Imagination erst nach der Ausarbeitung der «Welt- und Lebensanschauungen».

Während dieser hatte ich noch die naturwissenschaftliche Anschauung vor dem Seelenauge, die aus der Darwin’schen Denkart hervorgegangen war. Aber diese galt mir nur als eine in der Natur vorhandene sinnenfällige Tatsachenreihe. Innerhalb dieser Tatsachenreihe waren für mich geistige Impulse tätig, wie sie Goethe in seiner Metamorphosenidee vorschwebten.

So stand die naturwissenschaftliche Entwickelungsreihe, wie sie Haeckel vertrat, niemals vor mir als etwas, worin mechanische oder bloß organische Gesetze walteten, sondern als etwas, worin der Geist die Lebewesen von den einfachen durch die komplizierten bis herauf zum Menschen fährt. Ich sah in dem Darwinismus eine Denkart, die auf dem Wege zu der Goethe’schen ist, aber hinter dieser zurückbleibt

Das alles war von mir in ideellem Inhalte noch gedacht; zur imaginativen Anschauung arbeitete ich mich erst später durch. Erst diese Anschauung brachte mir die Erkenntnis, dass in Urzeiten in geistiger Realität ganz anderes Wesenhaftes vorhanden war als die einfachsten Organismen. Dass der Mensch als Geist-Wesen älter ist als alle andern Lebewesen, und dass er, um seine gegenwärtige physische Gestaltung anzunehmen, sich aus einem Weltenwesen herausgliedern musste, das ihn und die andern Organismen enthielt.

Diese sind somit Abfälle der menschlichen Entwickelung; nicht etwas, aus dem er hervorgegangen ist, sondern etwas, das er zurückgelassen, von sich abgesondert hat, um seine physische Gestaltung als Bild seines Geistigen anzunehmen. Der Mensch als makrokosmisches Wesen, das alle übrige irdische Welt in sich trug, und das zum Mikrokosmos durch Absonderung des übrigen gekommen ist, das war für mich eine Erkenntnis, die ich erst in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts erlangte.

Und so konnte diese Erkenntnis in den Ausführungen der «Welt- und Lebensanschauungen» nirgends impulsierend wirken. Ich verfasste gerade den zweiten Band dieses Buches so, dass in einer vergeistigten Gestalt des im Lichte der Goethe’schen Weltanschauung gesehenen Darwinismus und Haeckelismus der Ausgangspunkt einer geistigen Vertiefung in die Weltgeheimnisse gegeben sein sollte.

Als ich dann später die zweite Auflage des Buches bearbeitete, da war in meiner Seele schon die Erkenntnis von der wahren Entwickelung. Ich fand nötig, obwohl ich den Gesichtspunkt, den ich in der ersten Auflage eingenommen hatte, als das festhielt, was Denken ohne geistige Anschauung geben kann, kleine Änderungen in der Ausdrucksform vorzunehmen. Sie waren nötig, erstens weil doch das Buch durch die Aufnahme des Überblicks über die Gesamtphilosophie eine ganz andere Komposition hatte, und zweitens, weil diese zweite Auflage erschien, als schon meine Ausführungen über die wahre Entwickelung des Lebendigen der Welt vorlagen.

Bei alledem hat die Gestalt, die meine «Rätsel der Philosophie» bekommen haben, nicht nur eine subjektive Berechtigung als festgehaltener Gesichtspunkt aus einem gewissen Abschnitte meines geistigen Werdeganges, sondern eine ganz objektive. Diese besteht darin, dass ein Denken, wenn es auch geistig erlebt wird, als Denken, die Entwickelung der Lebewesen nur so vorstellen kann, wie das in meinem Buche dargestellt wird. Und dass der weitere Schritt durch die geistige Anschauung geschehen muss.

So stellt mein Buch ganz objektiv den voranthroposophischen Gesichtspunkt dar, in den man untertauchen muss, den man im Untertauchen erleben muss, um zu dem höheren aufzusteigen. Dieser Gesichtspunkt tritt bei demjenigen Erkennenden auf als eine Etappe des Erkenntnisweges, der nicht in mystisch-verschwommener, sondern in geistig-klarer Art die Geistwelt sucht. In der Darstellung dessen, was sich von diesem Gesichtspunkt aus ergibt, liegt also etwas, das der Erkennende als Vorstufe des Höheren braucht.

In Haeckel sah ich nun einmal damals die Persönlichkeit, die mutvoll auf den denkerischen Standpunkt in der Naturwissenschaft sich stellte, während die andere Forscherwelt das Denken ausschloss und nur die sinnenfälligen Beobachtungsergebnisse gelten lassen wollte. Dass Haeckel auf das schaffende Denken bei Ergründung der Wirklichkeit Wert legte: das zog mich immer wieder zu ihm hin. Und so widmete ich ihm mein Buch, trotzdem dessen Inhalt – auch in der damaligen Gestalt – durchaus nicht in seinem Sinne verfasst war.

Aber Haeckel war eben so gar nicht philosophischer Natur. Er stand der Philosophie ganz als Laie gegenüber. Und deshalb erschienen mir die Angriffe der Philosophen, die gerade damals auf Haeckel nur so niederhagelten, als ganz unangebracht. In Opposition zu ihnen widmete ich Haeckel das Buch, wie ich in Opposition zu ihnen auch schon meine Schrift «Haeckel und seine Gegner» verfasst hatte. Haeckel hatte in voller Naivität gegenüber aller Philosophie das Denken zu einem Mittel gemacht, die biologische Wirklichkeit darzustellen; man richtete gegen ihn philosophische Angriffe, die auf einem geistigen Gebiet lagen, das ihm fremd war. Ich glaube, er hat nie gewusst, was die Philosophen von ihm wollten. Es ergab sich mir dieses aus einem Gespräch, das ich nach dem Erscheinen der «Welträtsel» in Leipzig gelegentlich einer Aufführung des Borngräber’schen Stückes «Giordano Bruno» mit ihm hatte.

Da sagte er: «Die Leute sagen, ich leugne den Geist. Ich möchte, dass sie sehen, wie die Stoffe durch ihre Kräfte sich gestalten, sie würden da ‹Geist› in jedem Retortenvorgang wahrnehmen. Überall ist Geist.» Haeckel wusste eben überhaupt nichts vom wirklichen Geist. Er sah in den Kräften der Natur schon «Geist».

Man musste damals nicht gegen solche Blindheit für den Geist mit philosophisch toten Begriffen kritisch vorgehen, sondern sehen, wie weit das Zeitalter von Geist-Erleben entfernt ist, und versuchen, aus den Grundlagen, die sich boten, der biologischen Naturerklärung, den Geistesfunken zu schlagen.

Das war damals meine Meinung. Aus ihr heraus schrieb ich auch meine «Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert».

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