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Anthroposophie / trithemius verlag / Jahrbuch 1999 Holocaustleugnung

Holocaust-Leugnung und der Umgang mit der deutschen Geschichte

Von Ralf Sonnenberg

Unter den Begriffen »Revisionismus« oder »Negationismus« werden im Sprachgebrauch der Geschichtswissenschaft Bestrebungen zusammengefaßt, die darauf abzielen, historische Wahrheit zu verfälschen und die Massenvernichtungen dieses Jahrhunderts zu verharmlosen oder sogar gänzlich in Abrede zu stellen. Je nach politischem Motiv und weltanschaulicher Überzeugung können im Zentrum negationistischer Bemühungen die Entkulakisierungen und Zwangsdeportationen der Ära Stalins, der von den Jungtürken während des Ersten Weltkrieges an den Armeniern verübte Völkermord, die von Einheiten der serbischen Armee besorgten »ethnischen Säuberungen« im früheren Bundesstaat Jugoslawien oder der nationalsozialistische Genozid an Juden, Sinti und Roma stehen.1 Das internationale Völkerrecht definiert »Revisionismus« darüber hinaus als die Bereitschaft, Verträge abzuändern, sich mit territorialen Grenzziehungen nicht abfinden zu wollen und auf eine Revision der entsprechenden vertraglichen Übereinkünfte hinzuarbeiten. Das wohl folgenreichste und zugleich verhängnisvollste Beispiel eines Revisionismus der jüngeren Geschichte war mit dem Diktat von Versailles verbunden, dessen einseitige Schuldzuweisung in bezug auf die Ursachen des Ersten Weltkrieges der nationalsozialistischen Propaganda die Rechtfertigung lieferte, auf die Wiederherstellung militärischer Macht und Geltung Deutschlands zu pochen. Nach 1945 konzentrierten sich die Bemühungen sogenannter Revisionisten zunehmend auf den Versuch, den Charakter des von der Wehrmacht im Osten Europas geführten »Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskriegs« (Ernst Nolte) zu leugnen, die Hintergründe für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu verschleiern sowie die Dimension des Demozids an den Juden zu bestreiten. Mitunter scheuen sich die Revisionisten nicht, längst widerlegte Legenden und Unwahrheiten aus dem Begründungsarsenal der politischen Propaganda zu reanimieren und diesen den Anschein geschichtlicher Authentizität zu verleihen. Während der Holocaust-Negationismus in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg öffentlich kaum Beachtung erfuhr und überwiegend das obskure Betätigungsfeld einiger unbedeutender Politsekten bildete, hat sich diese Situation seit dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung Ende der achtziger Jahre gewandelt. Es hat den Anschein, als ob mit einer wachsenden zeitlichen Distanz zu den Greueltaten dieses Jahrhunderts die Bereitschaft zunähme, Geschichte umzudeuten und einer grundsätzlichen »Revision« zu unterziehen. Offensichtlich sollen auf diesem Weg politisch kompromittierte Ideologien reanimiert und bis zu einem gewissen Grad gesellschaftlich »salonfähig« gemacht werden. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit der Methode und den Hintergründen der revisionistischen Geschichtsklitterung am Beispiel der Holocaust-Leugnung und ihrer Protagonisten.

Politisches Umfeld und Vorgehensweise der Auschwitz-Negationisten

Vor einiger Zeit baten mich Freunde eines Arbeitskreises, ein Referat zum Thema »Holocaust-Leugnung und die Vorgehensweise der Revisionisten« zu halten. Den Hintergrund für diesen Vorschlag bildete die tendenziöse Darstellung eines Prozesses gegen zwei prominente Schweizer Revisionisten, der seinerzeit auch in der kantonalen Medienlandschaft für einiges Aufsehen sorgte. Der unveröffentlicht gebliebene Beitrag stammte aus der Feder eines gewissen Xaver März und war verschiedenen Mitarbeitern anthroposophischer Einrichtungen zugesandt worden.2 Bei den Angeklagten handelte es sich um die bereits einschlägig vorbestraften Negationisten Gerhard Förster und Jürgen Graf, die sich am 16. Juli 1998 gemeinsam vor einem Gericht in Baden zu verantworten hatten. Ihnen wurde unter anderem zur Last gelegt, die Gasmorde an den jüdischen Insassen der nationalsozialistischen Vernichtungslager öffentlich bestritten und damit die Schmähung von Millionen unschuldiger Opfer und ihrer Angehörigen in Kauf genommen zu haben. Der Autor zeichnete in seiner Schilderung des Prozeßgeschehens das Bild zweier Biedermänner, denen es lediglich um »wissenschaftliche Aufklärung«, um die Forderung nach »Gerechtigkeit für das deutsche Volk« sowie um die Verhinderung einer »totalitären Diktatur in der Schweiz« zu tun sei. Letzterer Hinweis zielte auf den Artikel 261 des Schweizer Strafgesetzbuches, welcher – vergleichbar mit entsprechenden juristischen Bestimmungen in anderen europäischen Ländern – die Verharmlosung und Leugnung von Verbrechen des Nationalsozialismus unter Strafe stellt. In Deutschland findet der Inhalt dieses Artikels eine Entsprechung in dem 1994 durch eine Zusatzregelung verschärften § 130 des StGB, der eine juristische Ahndung im Fall der Bagatellisierung und Leugnung von NS-Verbrechen, der Volksverhetzung sowie der Verunglimpfung von Opfern des Rassenhasses vorsieht. Dem Schutz einer Minderheit vor gröbster Beleidigung sowie der Aufrechterhaltung des inneren sozialen Friedens räumt der Gesetzgeber somit Priorität ein. Dieser auch unter Juristen nicht unumstrittene Gesetzespassus basiert auf der Erfahrung des Versagens der Justiz in der Weimarer Zeit, als antisemitisch motivierte und verfassungsfeindliche Straftaten nur in Ausnahmefällen von den zuständigen Staatsanwälten und Richtern geahndet wurden. Als eine Folgeerscheinung des Erstarkens der extremistischen Opposition ging die erste parlamentarische Demokratie auf deutschem Boden zugrunde. Die Feinde der Republik von Weimar bedienten sich dabei zynisch der Paradoxien und Freiräume der demokratischen Verfassung, um diese auf legalem Weg schrittweise auszuhöhlen. Bezeichnend für diese Absicht ist das Eingeständnis des damaligen Berliner Gauleiters und späteren Propagandaministers Joseph Goebbels in einem Ende der zwanziger Jahre erschienenen Zeitungsartikel, derzufolge der NSDAP das parlamentarische Mandat lediglich dazu diene, sich »im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen.«3

Über Sinn und Unsinn, Effizienz oder Nichteffizienz einer juristischen Strafverfolgung der Holocaust-Leugnung sowie über Möglichkeiten des Mißbrauchs einer solchen Gesetzgebung läßt sich gewiß streiten. Mit Sicherheit übertrieben ist jedoch der in diesem Zusammenhang von den Negationisten häufig vorgebrachte Einwand, hierbei handle es sich um einen gezielten Versuch, Grundrechte des demokratischen Staates außer Kraft zu setzen. Angesichts der die Repräsentanten dieses Metiers auszeichnenden Neigung zur Selbststilisierung sowie Verwendung von Superlativen und Pleonasmen verwundert es nicht, wenn die Holocaust-Leugner Parallelen zu sowjetischen Repressionspraktiken ziehen, die Schweiz, Österreich oder die Bundesrepublik Deutschland als »totalitäre Diktaturen« brandmarken und sich selber als Märtyrer gerieren. Umfang und Vehemenz der revisionistischen Stimmungsmache gegen den § 130 stehen freilich in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen Anwendung dieser juristischen Regelung, von der in der Vergangenheit nur äußerst behutsam Gebrauch gemacht wurde. Nur wenige Fälle besonders hartnäckiger Varianten der öffentlichen Leugnung von NS-Massenverbrechen – meist in Verbindung mit dem Tatbestand der rechtsextremistischen Agitation – gelangten bislang überhaupt vor bundesdeutsche Gerichte. Diese Situation unterscheidet sich übrigens nicht von der anderer westeuropäischer Staaten, in denen die Negierung des nationalsozialistischen Völkermords einen Gegenstand des Strafrechts ausmacht.4

Problematisch wird es dort, wo die Motive und Intentionen der Revisionisten undurchschaut bleiben und ihre politische Strategie mit basisdemokratischer Tugendhaftigkeit oder gar aufrichtigem Wahrheitsstreben verwechselt wird. Denn das von den Protagonisten der Auschwitz-Negation in der Regel sorgsam gepflegte Image politischer Unbedarfheit weist bei näherem Hinsehen erhebliche Risse auf. So widmet sich Gerhard Förster als Gesellschafter und Geschäftsführer eines in Würenlos in der Schweiz ansässigen Unternehmens namens »Neue Visionen GmbH« bereits seit Jahren dem weltweiten Vertrieb rechtslastigen Propagandamaterials. Sein Gesinnungsgenosse, der 1993 vom Schulunterricht suspendierte Lehrer Jürgen Graf, verfaßte diverse Traktate zur »Auschwitz-Lüge« und trat ein Jahr später als Referent des 12. »Revisionisten-Kongresses« des in Kalifornien ansässigen »Institute for Historical Review« (IHR) auf. Diese obskure Einrichtung wurde 1978 von dem ehemaligen Ku-Klux-Klan-Anhänger Willis Allison Carto ins Leben gerufen und dient seitdem als Drehscheibe und Koordinierungspunkt revisionistischer Aktivitäten in aller Welt. Das pseudowissenschaftliche Institut unterhält seit seiner Gründung enge Kontakte zur internationalen Rechtsextremisten-Szene, verfügt über eine eigene Homepage und gibt in regelmäßigen Abständen ein Journal of Historical Review sowie den IHR-Newsletter heraus. Zu den regelmäßigen Referenten auf Tagungen des Instituts zählte neben dem britischen Journalisten David Irving, dem französischen Revisionisten Robert Faurisson und dem 1997 verstorbenen Altnazi Otto Ernst Remer der Deutsch-Kanadier Ernst Zündel, der als Inhaber des Verlags Samisdat von Toronto aus via Internet weltweit Interessenten mit nationalsozialistischen Schulungsmaterialien versorgt. Auch Holocaust-Leugner Gennadij Bondarew beruft sich in der russischen Originalausgabe seines umstrittenen Buches auf Mitarbeiter dieser vermeintlich wissenschaftlichen Einrichtung, deren rechtsextremen und demagogischen Hintergrund er allerdings nicht ausdrücklich problematisiert. Da Bondarew in der russischen Ausgabe seines mit einer Fülle von spekulativen Querverweisen und gedanklichen Assoziationen angereicherten Buches die Vergasung von einigen Millionen Menschen expressis verbis als »methodologisch unmöglich« apostrophiert und die umfangreiche Geschichtsforschung zum Holocaust pauschal als zionistische »Propaganda« verunglimpft, bleibt aus rationaler Sicht nicht nachvollziehbar, weshalb es immer noch der Anthroposophie nahestehende Personen gibt, die diesen Sachverhalt in Abrede stellen.5

Charakteristisch für die Methode der Revisionisten ist das Ignorieren der historischen Quellen sowie das Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen des aktuellen Forschungsstandes. Die hartnäckige Verweigerung vor der Realität des nationalsozialistischen Völkermordes gerät somit zu einer makaberen Farce, die sich nicht zuletzt deshalb grotesk ausnimmt, weil die Vernichtungspolitik des Dritten Reichs mittlerweile zu den am gründlichsten sondierten Themenbereichen der internationalen Historiographie zählt. Die Ergebnisse der seriösen Holocaust-Forschung werden jedoch von seiten der Negationisten wenn überhaupt, dann ausschließlich selektiv herangezogen. Nicht selten reißen die Auschwitz-Leugner Aussagen renommierter NS-Forscher wie Hans Mommsen, Raul Hilberg oder Saul Friedländer aus dem inhaltlichen Kontext bzw. verfälschen absichtlich deren Sinngehalt. So wurde in jüngster Zeit ausgerechnet dem jüdischen Autor des Werkes Hitlers willige Vollstrecker, Daniel Jonah Goldhagen, unterstellt, er deklariere bereits im Vorwort seines Buches »die von den Wissenschaftern verbreitete Version von den Gaskammern zum Mythos.«6 Goldhagen hatte jedoch auf den Umstand hinweisen wollen, daß den Vergasungen im Bewußtsein der Öffentlichkeit ein höherer Stellenwert zukomme als anderen Stadien des nationalsozialistischen Genozids, denen aber ungefähr ebenso viele Menschen zum Opfer fielen. Die Existenz der Gaskammern leugnet der Verfasser hingegen an keiner Stelle seines Buches. Goldhagen eignet sich infolgessen denkbar schlecht dazu, als Kronzeuge des Auschwitz-Revisionismus ins Feld geführt zu werden.7

Darüber hinaus gehört der Gebrauch von nebulösen Begriffen, assoziativen Gedankenketten und wortreichen Übertreibungen zum Standardrepertoire der Holocaust-Leugner. So wird beispielsweise durch die Wiedergabe einzelner Aussagen von Historikern wie Martin Broszat und Hellmut Diwald, derzufolge in den Arbeitslagern Dachau und Bergen-Belsen keine Vergasungen stattgefunden hätten, impliziert, daß auch in den sechs nationalsozialistischen Vernichtungslagern von der SS keine Massenmorde mittels Cyanwasserstoffgas begangen worden seien. Geflissentlich wird in diesem Kontext dem irreführenden Eindruck Vorschub geleistet, die Allgemeinheit werde gezielt mit Falschinformationen über den Holocaust versorgt und von den Politikern und den Strategen der öffentlichen Medienmache hintergangen: »Müssen wir uns jeden Schwindel, jede Lüge anhören und damit ihren Folgen generationenlang unterwerfen?«, ereifert sich Gennadij Bondarew an einer Stelle seines Buches mit rhetorischer Entrüstung über diese vermeintliche Manipulation des allgemeinen Bewußtseins, um einige Zeilen später eine Replik aufzufahren, deren Botschaft kollektive Erleichterung zu bieten verspricht: »Es ist nicht zu übersehen, daß sich durch das Quellenstudium mehr Fragen als Antworten ergeben, ja eine Revision der Geschichte fast provoziert wird. Wir sehen aber auch, daß wir sehr viel Mut benötigen, um das Wesen und den Maßstab jener va-banque-Spiele mit ganzen Völkern zu erkennen, denn Mangel an historischen Dokumenten leiden wir nicht.«8 Die semantisch oszillierende Wendung »... eine Revision der Geschichte fast provoziert wird« ist gerade aufgrund ihrer Unklarheit dazu angetan, im herabgestimmten Bewußtsein des Lesers eine Melange aus Assoziationen und dumpfen Ressentiments freizusetzen, deren Bandbreite von einem verletzten Narzißmus nationaler Observanz über »Schlußstrich«-Sehnsüchte bis hin zu einer Infragestellung der Geschichtsschreibung über den Holocaust verläuft. Der als kollektive narzißtische Kränkung erfahrenen Faktizität der Shoah gilt ja gerade die Stoßrichtung dieser revisionistisch geleiteten Attacke. Verantwortlich für die öffentliche Berichterstattung über den Holocaust und somit für die geistige Misere »Mitteleuropas« seien – wie an anderer Stelle noch ausführlicher herausgearbeitet werden soll – in erster Linie die Juden: »Es besteht kein Zweifel daran, daß, solange man die Deutschen mit Hilfe der »Kinder Ahasvers« zur Erde niederbeugt, diese sich nicht werden aufrichten können.«9 Unnötig zu betonen, daß die geschichtswissenschaftliche Debatte um die Frage, ob in Dachau und Bergen-Belsen tatsächlich Menschen in einem geringeren Umfang mittels Zyanid oder Kohlenmonoxid ermordet wurden, nie Gegenstand einer medialen Geheimhaltungsstrategie bildete, wie in diesem Kontext nach dem Strickmuster verschwörungstheoretischer Topoi impliziert werden soll. Die Opferbilanz der durch Arbeit, Seuchen, Hunger, Erschießungen, medizinische Experimente und Todesmärsche in den Konzentrationslagern Dachau und Bergen-Belsen dezimierten Häftlinge ist freilich auch so erschreckend genug, um angesichts des Ausmaßes dieser Verbrechen Bestrebungen, welche die Forderung nach einer »Revision der Geschichte« beinhalten, eine deutliche Absage zu erteilen.10

Revisionistische Autoren operieren gerne mit vermeintlich oder tatsächlich (noch) nicht gestopften Löchern der akademischen Forschung. Die Art dieses Vorgehens folgt fast immer demselben Strickmuster: Durch gegenseitiges voneinander Abschreiben und Zitieren sowie durch ein Kokettieren mit barocken, inhaltlich jedoch wenig aussagenden Anmerkungsapparaten soll wissenschaftliche Seriosität vorgetäuscht werden. Die in Negationisten-Kreisen vorherrschende Gewohnheit, das sorgfältige Studium der historischen Quellen durch das Plagiieren einschlägiger revisionistischer Literatur zu ersetzen, veranlaßte den Historiker Hermann Graml dazu, von regelrechten Zitatenkarussellen zu sprechen. Die dergestalt transportierten Geschichtsklitterungen und oft willkürlichen Zahlenspielereien dienen der Absicht, vor allem unter Laien Verwirrung zu stiften und Zweifel an der Ernsthaftigkeit der wissenschaftlichen Shoah-Forschung zu schüren.

Mit manipulierten Zahlenbeispielen soll überdies die Unfähigkeit der Historiker untermauert werden, die vollständige Anzahl der von den Nazis ermordeten Juden mathematisch exakt zu bestimmen.11 Dabei machen sich die Revisionisten die allgemeine Unwissenheit über das Zustandekommen von Zahlen dieser Größenordnung zunutze, deren Schätzungen naturgemäß keine Exaktheit beanspruchen können. Dies wird freilich auch von keinem Historiker behauptet. Das Ergebnis von ungefähr sechs Millionen ermordeten Juden entspricht – ebenso wie die Zahl der 55 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges oder der 20 Millionen Opfer des von der deutschen Wehrmacht geführten Eroberungs- und Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion – einem approximativen Wert, dem darüber hinaus auch eine symbolische Dimension zukommt. Die von den Geschichtswissenschaftlern mit großer Sorgfalt angestellten und zudem fortwährend präzisierten Berechnungen weisen ein arithmetisches Intervall auf, das allerdings nicht beliebig unterschritten werden kann. Die Gesamtbilanz der von den Nationalsozialisten ermordeten Juden aus insgesamt achtzehn europäischen Staaten ergibt neuesten Erhebungen zufolge ein Minimum von 5, 29 Millionen und ein Maximum von knapp über sechs Millionen.12 Der Ermittlung dieser Zahlen wurden Deportationslisten, Transportmeldungen, Zugangslisten, Sterbebücher von Lagern, Meldungen der Einsatzgruppen und andere Quellen sowie Bevölkerungsstatisken der betreffenden Regionen zugrundegelegt. Wenn von diesen Zahlenangaben abweichende Beispiele gelegentlich durch die Literatur der Negationisten geistern und für Verwirrung sorgen, dann sind diese in der Regel – sofern nicht gänzlich aus der Luft gegriffen oder dem ursprünglichen Kontext entrissen – älteren Schätzungen entlehnt. Letztere sind allerdings aufgrund der damals dürftigen Quellenbasis in einigen Bereichen ungenau und fehlerhaft.13

Leugnung der historischen Quellen und Fixierung der negationistischen Aufmerksamkeit auf die vermeintliche Nichtexistenz der Gaskammern

Eine weitere Variante des revisionistischen Vorgehens mag folgendes Beispiel demonstrieren: Auf die Frage des Staatsanwaltes, welche Beweggründe den Angeklagten zur Abfassung eines den NS-Genozid negierenden Buches veranlaßt hätten, entgegnet dieser: »Für die behaupteten Massenvergasungen in Auschwitz gibt es weder Sach- noch Dokumentarbeweise, sondern lediglich Zeugenaussagen. Da lag doch die Idee nahe, die wichtigsten dieser Zeugenaussagen zu sammeln, zu zitieren und zu analysieren. Wenn vor mir kein Historiker auf diese Idee verfallen ist, so ist dies nicht mein Fehler.«14 Diese scheinbar so plausible Aussage transportiert gleich mehrere Unwahrheiten, die allerdings auf den ersten Blick nicht für jeden erkennbar sind. Die von den Revisionisten so vehement bestrittenen Sach- und Dokumentarbelege existieren selbstverständlich15, auch wenn die Handlanger des Regimes in den letzten Monaten und Wochen seines Bestehens bemüht waren, alle Hinweise auf Verbrechen sorgfältig zu beseitigen. Die Spurentilgung erfolgte in der Regel durch die Sprengung der Tötungsanlagen und Krematorien, die Verbrennung von Menschenkadavern, die Ermordung von Zeugen sowie die Vernichtung von bedeutsamen Dokumenten und anderen Hinweisen, welche das Grauen belegten. Das »Sonderkommando 1005«, dessen Name erstmals in einem Brief des Gestapo-Chefs Heinrich Müller an Martin Luther im Auswärtigen Amt Erwähnung fand, war seit Juni 1942 mit der Beseitigung von Leichen sowie anderen Zeugnissen des Rassenmords beschäftigt. Die vom »Reichsführer SS« Heinrich Himmler beaufsichtigte Operation begann unter dem Decknamen »Aktion 1005« zunächst in dem Vernichtungslager Chelmno mit der Verbrennung von Leichen und wurde Anfang Juni 1943 auf die Beseitigung der Massengräber in Gebieten der besetzten Sowjetunion und Polens ausgedehnt.16

Darüber hinaus fällt auf, daß der Urheber der oben zitierten Bemerkung seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Vergasungsvorgänge in Auschwitz konzentriert, deren Authentizität er gleichwohl in Abrede stellt. Die Existenz der anderen fünf Vernichtungslager, in denen nach übereinstimmenden Zeugnissen ebenfalls Zyanidmorde in einem beträchtlichen Umfang verübt wurden, ist dem Betreffenden keine Erwähnung wert. Außer acht gelassen wird zudem das Umfeld der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Ausmerzungspolitik, in das die industriell betriebenen Massentötungen eingebettet waren: Die Deportationen in die Sammellager und Ghettos, in denen durch gezielten Einsatz von Hunger und Seuchen in wenigen Monaten Hunderttausende Menschen ihr Leben verloren sowie die systematischen Massenexekutionen von jüdischen Frauen, Männern und Kindern, wie sie seit Ende Juni 1941 von den Einsatzgruppen, den Polizeibataillonen und Einheiten der Wehrmacht hinter dem Frontverlauf vorgenommen wurden.17 Auf diesen in der Regel von den Negationisten verschwiegenen Part des Völkermords entfällt zahlenmäßig immerhin ungefähr die Hälfte der von den Nationalsozialisten ermordeten Juden Europas.18 Somit entsteht der falsche Eindruck, der an den Juden verübte Genozid werde auf die Vergasungen innerhalb der Vernichtungslager reduziert, für die es darüber hinaus keinerlei Beweise gäbe. »Die radikalen Revisionisten,« so faßt der Historiker Ernst Nolte in einem Buch zu den Kontroversen um den Nationalsozialismus die Strategie dieses Vorgehens zusammen, »fixieren ihre Aufmerksamkeit ganz überwiegend auf die Probleme der »Endlösung«, ja der »Gaskammern«, und sie blenden alles aus, was doch mit dieser »Endlösung« in unübersehbarem Zusammenhang steht: die frühen und späten Aussagen Hitlers; die Herabwürdigung der Juden, die schon der Trennungs- und Vertreibungspolitik inhärent war; das Konzept der biologischen »Gesundung« des Volkskörpers und damit der Sterilisierungspolitik und die Euthanasie; die Politik der völkischen Flurbereinigung im Osten; die Intentionen des »Generalplans Ost«. Indem man alle weitgesteckten Absichten in Abrede stellt und damit die ideologischen Überzeugungen der radikalen Nationalsozialisten und insbesondere Hitlers nicht ernst nimmt, macht man Hitler, Himmler und Heydrich zu wohlmeinenden und etwas dümmlichen Biedermännern, ja Irving scheut sich nicht, an einer Stelle Hitler als den »wichtigsten Freund« zu bezeichnen, den die Juden im nationalsozialistischen Deutschland hatten.«19

Der von den Bürokraten des Reichssicherheitshauptamtes unter der Ägide Reinhard Heydrichs entworfene »Generalplan Ost« sah die Zwangsumsiedlung, Versklavung und physische »Verschrottung« (NS-Jargon) von mehreren Millionen »Fremdvölkischen«, überwiegend Slawen und Juden, vor.20 Der eliminatorischen Terminologie des »Generalplans Ost« korrespondierte die Entschlossenheit der von Heydrich am 20. Januar 1942 nach Berlin beorderten führenden Repräsentanten der deutschen Ministerialbürokratie, die »Endlösung der Judenfrage« in Europa sobald wie möglich in die Wege zu leiten. Nach dem Ort des Zusammentreffens, einer Villa Am Großen Wannsee 56-58, ging diese geheime Versammlung als »Wannsee-Konferenz« in die Geschichtsschreibung ein. Den späteren Aussagen Adolf Eichmanns zufolge, der das von Heydrich und Gestapo-Chef Heinrich Müller nachträglich überarbeitete Protokoll der Unterredung anfertigte, diente die Konferenz neben der Koordinierung der zu diesem Zeitpunkt bereits fortgeschrittenen Deportationen, Ghettoisierungen und Erschießungen der Erörterung zusätzlicher Vernichtungsvarianten: »Ich weiß, daß die Herren beisammengestanden und beisammengesessen sind und da haben sie eben in sehr unverblümten Worten – nicht in den Worten, wie ich sie dann ins Protokoll geben mußte, sondern in sehr unverblümten Worten die Sache genannt – ohne sie zu kleiden ... Sie sprachen über Tötungsmöglichkeiten, über Liquidierung, über Vernichtung.«21 Das nach dem Zweiten Weltkrieg aufgefundene Protokoll Eichmanns umschreibt die geplante »Endlösung« in der verklausulierten Diktion der Nationalsozialisten, deren semantischer Kern jedoch trotz aller Verschleierungstendenzen deutlich erhalten bleibt. Im Mittelpunkt dieses von Revisionisten bis heute geleugneten Dokuments stand die geplante – und zu diesem Zeitpunkt bereits in den Anfängen realisierte – vollständige Ausrottung der Juden Europas: »In großen Arbeitskolonnen,«, so vermerkt das Protokoll, »unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endliche verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaus anzusprechen ist.«22 Von der angekündigten »Endlösung« sollten Aufzeichnungen der »Wannsee-Konferenz« zufolge insgesamt 11 Millionen Juden, einschließlich Irlands und Englands, betroffen sein.23

Aus dem Umstand, daß es keinen erhaltenen schriftlichen Befehl Hiters zur Ausrottung des europäischen Judentums gibt, haben Revisionisten wie Paul Rassinier, Robert Faurisson und David Irving die Berechtigung entnommen, die Shoah insgesamt in Abrede zu stellen. Jedoch entsprach es der Gewohnheit des »Führers und Reichskanzlers«, nach dem sogenannten Euthanasiebefehl vom 1. September 1939 sowie dem antisowjetischen »Kommissarbefehl« vom 13. Mai 1941 Tötungsanweisungen nur noch in mündlicher Form weiterzugeben, wie von Zeugen übereinstimmend bestätigt worden ist. Die Mehrzahl der Historiker, die sich mit dem Holocaust auseinandersetzen, geht von einem im Sommer 1941 verbal erteilten Hitlerbefehl zur »Ausmerzung« der Juden aus. Der britische Forscher Gerald Fleming führt an, daß zu dem genannten Zeitpunkt – »nach diesbezüglichen Weisungen des Führers« – drei Aufträge erteilt wurden: »... einer vom Reichsführer SS Heinrich Himmler an den Kommandanten von Auschwitz Rudolf Höß, ein weiterer ebenfalls von Himmler an ... Christian Wirth, und ein dritter ging von Göring an Heydrich unter dem Datum 31. Juli 1941.«24

Bereits in seiner Reichstagsrede vom 30. Januar 1939 hatte Hitler die »Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« für den Fall eines erneuten Weltkrieges angekündigt. Propagandaminister Joseph Goebbels nahm auf den Inhalt dieser Ansprache in einem in der Wochenzeitung Das Reich im Herbst 1941 erschienenen Artikel bezug. Goebbels kommentierte die anlaufenden Deportations- und Vernichtungsmaßnahmen mit der ihm eigenen zynischen Realitätsverkennung. An den Juden, so Hitlers treuester Paladin, bewahrheite sich die Prognose, »die der Führer am 30. Januar 1939 im Deutschen Reichstag aussprach, daß, wenn es dem internationalen Finanzjudentum gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein werde, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa. Wir erleben gerade den Vollzug dieser Prophezeiung und es erfüllt sich am Judentum ein Schicksal, das zwar hart, aber mehr als verdient ist. Mitleid oder gar Bedauern ist da gänzlich unangebracht.«25 In einer Tagebuchnotiz Goebbels’, datiert auf den 12. Februar 1942, heißt es ebenso unmißverständlich: »Der Führer gibt noch einmal seiner Meinung Ausdruck, daß er entschlossen ist, rücksichtslos mit den Juden in Europa aufzuräumen. Hier darf man keinerlei sentimentale Anwandlungen haben. Die Juden haben die Katastrophe, die sie heute erleben, verdient. Sie werden mit der Vernichtung unserer Feinde auch ihre eigene Vernichtung erleben. Wir müssen diesen Prozeß mit einer kalten Rücksichtslosigkeit beschleunigen, wir tun damit der leidenden und seit Jahrtausenden gequälten Menschheit einen unschätzbaren Dienst.«26 In einem Eintrag einen Monat später kam Goebbels noch einmal auf Hitlers öffentliche Ankündigung der Vernichtung der Juden, die dieser mit »Ungeziefer« und »Bakterien« gleichsetzte, zurück. Bemerkenswert in diesem Kontext ist der Sachverhalt, daß Goebbels in dieser Notiz ausdrücklich den Gebrauch einer besonderen Tötungsprozedur erwähnt, welche die Beseitigung der polnischen und russischen Juden forciere: »Es wird hier ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes Verfahren angewandt, und von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig. Im großen kann man wohl feststellen, daß 60 % davon liquidiert werden müssen, während nur noch 40 % in die Arbeit eingesetzt werden können ... An den Juden wird ein Strafgericht vollzogen, das zwar barbarisch ist, das sie aber vollauf verdient haben. Die Prophezeiung, die der Führer ihnen für den Fall eines Weltkriegs mit auf den Weg gegeben hat, beginnt sich in der furchtbarsten Weise zu verwirklichen. Man darf in diesen Dingen keine Sentimentalität obwalten lassen. Die Juden würden, wenn wir uns ihrer nicht erwehren würden, uns vernichten. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod zwischen der arischen Rasse und dem jüdischen Bazillus. Keine andere Regierung und kein anderes Regime konnte die Kraft aufbringen, diese Frage generell zu lösen. Auch hier ist der Führer der unentwegte Vorkämpfer und Wortführer einer radikalen Lösung, die nach Lage der Dinge geboten ist und deshalb unausweichlich erscheint. Gottseidank haben wir jetzt während des Krieges eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die uns im Frieden verwehrt wären.«27

Zum Zeitpunkt dieses an Deutlichkeit kaum zu übertreffenden Eintrags lagen die ersten Probevergasungen in Auschwitz durch Einsatz des Präparats »Zyklon B«, das von der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung in Frankfurt am Main hergestellt wurde, bereits neun Monate zurück. Die Zielgruppe dieser Morde waren vor allem russische Kriegsgefangene gewesen. Ab September 1941 wurden Vergasungswagen der »Vernichtung lebensunwerten Lebens«, von der überwiegend Behinderte und Kranke betroffen waren, als mobile Tötungskammern für die Judenausrottung im Osten eingesetzt. Bereits am 25. Oktober 1941 war in einem Gutachten für Alfred Rosenberg – als den Minister für die besetzten Ostgebiete – die Verwendung von Gas im Hinblick auf die Ermordung nicht arbeitsfähiger Juden ausdrücklich ins Auge gefaßt worden.28 Im Rahmen der »Aktion Reinhard« begann schließlich im März 1942 die systematische Vergasung von Juden in Belzec, ab April 1942 in Sobibor und ab August 1942 auch in Treblinka. Die Tötungen wurden von dem SS-Oberführer Viktor Brack aus der »Kanzlei des Führers der NSDAP«, d.h. unmittelbar aus einem Büro Hitlers, überwacht.29 Anzunehmen, Hitler hätte diese Verbrechen nicht ausdrücklich instruiert oder sei über die Vorgänge, deren Durchführung einer ihm unmittelbar unterstellten Instanz oblag, nicht im Bild gewesen, erscheint daher mehr als unwahrscheinlich. Im Frühjahr 1942, verstärkt ab März, gelangten die von Adolf Eichmann dirigierten jüdischen Sammeltransporte aus dem gesamten deutschen Herrschaftsbereich nach Auschwitz, das wegen seiner günstigen Lage nahe eines ostoberschlesischen Eisenbahnknotenpunktes von Himmler zum Standort der Massenvernichtungsanlage bestimmt worden war. Zeitgleich setzten in Auschwitz-Birkenau, dem eigentlichen Vernichtungslager dieses Komplexes, die systematischen Vergasungen von Juden ein. Im Herbst 1942 wurde hier mit dem Bau großer Krematorien begonnen, die Vergasungs- und Verbrennungsvorrichtungen aufwiesen. Insgesamt 92 Spezialisten der Euthanasiemorde fungierten in den sechs nationalsozialistischen Vernichtungslagern nicht nur als Berater für den Ausbau der Gaskammern, sondern zum Teil sogar direkt als Lagerkommandanten. Auch sie unterstanden größtenteils der »Kanzlei des Führers der NSDAP«, einer zentralen Schaltstelle des Massenmords im Dritten Reich. Der »Leiter des Judenreferats« der Gestapo, Adolf Eichmann, teilte bereits Ende 1944 mit, »in den verschiedenen Vernichtungslagern seien etwa vier Millionen Juden getötet worden, während weitere zwei Millionen auf andere Weise den Tod fanden.«30 Zahlreiche Mitarbeiter und Initiatoren der Euthanasieverbrechen sowie des organisierten Genozids an Juden, Sinti und Roma wurden nach dem Krieg vor Gericht gestellt. Sie schilderten im wesentlichen übereinstimmend den Ablauf des in unterschiedliche Stadien aufgefächerten Vernichtungsgeschehens.31

Eine beliebtes Zielobjekt revisionistischer Verwirrungstaktik bildet das mannigfaltige Spektrum der Zeugenaussagen. Die Tatsache, daß manche dieser Aussagen in Detailfragen divergieren und Fehler aufweisen, kann freilich nur denjenigen in Erstaunen versetzen, der über die Umstände der Entstehung von Quellen dieser Gattung nicht informiert ist. Denn die meisten der zahlreichen Zeugenberichte sind erst Jahre oder sogar Jahrzehnte nach den grauenhaften Erlebnissen im Verlauf von Gerichtsverhandlungen entstanden und aufgezeichnet worden. Die in den Konzentrationslagern Chelmno, Belzec, Sobibor, Treblinka, Majdanek und Auschwitz-Birkenau bestehende Tötungsmaschinerie wird jedoch von allen Zeugen im wesentlichen übereinstimmend geschildert. Was Revisionisten darüber hinaus verschweigen: Die Verantwortlichen selber haben das Vorhandensein der Gaskammern nicht bestritten. Sowohl bei dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg als auch bei den diversen Nachfolgeprozessen der vierziger, fünfziger und sechziger Jahre ging es ausschließlich um die Frage, inwieweit der einzelne in den Apparat des Vernichtungsgeschehens involviert gewesen war. An der Realität der in den sechs nationalsozialistischen Vernichtungslagern durchgeführten Giftgasmorde äußerte hingegen keiner der Hauptschuldigten einen ernsthaften Zweifel.32 Zu behaupten, die zahlreichen Geständnisse von NS-Tätern seien unter Folter erpreßt worden, entbehrt angesichts der rechtsstaatlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland jeder ernstzunehmenden Grundlage. Bedeutungsvoll sind in diesem Zusammenhang darüber hinaus die Zeugnisse dreier SS-Männer (Höß, Broad, Kremer), die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten entstanden. Eine gegenseitige Beeinflussungsmöglichkeit scheidet somit aus. Am bekanntesten sind die handschriftlich niedergelegten Aufzeichnungen von Rudolf Höß, des zeitweiligen Kommandanten von Auschwitz, die dieser nachweislich aus freien Stücken anfertigte. Der Inhalt dieses die Massenvergasungen en detail bezeugenden und darüber hinaus Einblicke in die Psychopathologie eines NS-Täters vermittelnden Dokumentes spricht für sich.33

Was veranlaßt die Negationisten trotz der schier erdrückenden Fülle an schriftlichen und mündlichen Belegen auf »naturwissenschaftliche Beweise« für die Realität der NS-Gasmorde zu pochen und zweifelhafte »Expertisen« wie den »Leuchter-Report« oder das »Germar-Rudolf-Gutachten« in Umlauf zu setzen, welche die Glaubwürdigkeit der Zeugen aufgrund von fadenscheinigen Einwänden in Frage stellen? Bei den genannten Schriftstücken handelt es sich um pseudowissenschaftliche Elaborate, welche das Vorhandensein von Gaskammern in Auschwitz naturwissenschaftlich zu widerlegen vorgeben. Derartige Pamphlete tauchten meist im Umfeld von Gerichtsverfahren gegen Neonazis auf und dienten dem Versuch, die Angeklagten durch indirekte Schuldzuweisung an die Opfer der Shoah zu entlasten. Das sicherlich bekannteste Beispiel hierfür ist der Prozeß gegen Ernst Zündel, der sich 1989 vor einem Gericht in Toronto wegen der Verbreitung nationalsozialistischen Propagandamaterials zu verantworten hatte. Zündels Verteidigung bot den Amerikaner Fred Leuchter auf, der als selbsternannter Ingenieur und »Spezialist für Hinrichtungsstätten« eine »Expertise« erstellte, derzufolge der Holocaust nur eine Propagandalüge sei. Leuchter hatte sich mit anderen »Experten« auf das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers begeben und einigen verwitterten Überresten der von der SS kurz vor Ankunft der Roten Armee gesprengten Tötungsanlagen Gesteinsproben entnommen. Da Leuchter angeblich in den betreffenden Proben keine Rückstände von Blausäureverbindungen feststellen konnte und zudem die Größenordnung der Morde sein an US-amerikanischen Hinrichtungsstätten geschultes Vorstellungsvermögen überstieg, zog er kurzerhand alle dokumentarischen, mündlichen und technischen Zeugnisse der Massentötungen in Zweifel. Das Gericht nahm freilich keine Notiz von diesem Pamphlet, das seitdem unter dem euphemistischen Titel Leuchter-Report durch die einschlägige Szene kursiert und mehrere Auflagen erlebte.34 Leuchter und Konsorten warten mit scheinbar eindrucksvollen Statistiken, einer stereotypen Auflistung von chemischen Formeln sowie einem ausufernden Fußnotenapparat auf. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich freilich die Berechnungen dieser Autoren als ein willkürliches Spiel mit Zahlen und Formeln, deren Zusammenstellung bereits im Ansatz gravierende Irrtümer aufweist. Die Tatsache, daß der Inhalt derartiger Elaborate bereits mehrmals widerlegt wurde35, hindert die Revisionisten jedoch nicht daran, der Fachwelt weiterhin Ignoranz vorzuwerfen und ihre abstrusen Behauptungen unverändert aufrechtzuerhalten.

Die Argumentations- und Arbeitsweise des russischen Negationisten Gennadij Bondarew

Es sollte wenig verwundern, wenn Revisionisten lautstark nach den Nischen des liberalen Rechtsstaates rufen. Den bemühen sie in der Regel allerdings erst dort, wo dieser der Verbreitung ihrer Propaganda deutliche Grenzen setzt. In den Augen der Holocaust-Leugner ist bereits das Vorhandensein eines Gesetzes zur Strafverfolgung der Negation von Massenverbrechen Beweis genug, um ihre Version von einer konspirativ gelenkten Verschleierung der »historischen Wahrheit« bestätigt zu finden. Die vermeintlichen Akteure und Drahtzieher dieser rigorosen Manipulation des öffentlichen Bewußtseins seien vor allem »Juden« oder »Zionisten«, die kurzerhand zu Tätern umfunktioniert werden. Zu dieser unter Revisionisten beinahe obligaten Verkehrung des Opfer-Täter-Verhältnisses bemerkt der Historiker Wolfgang Benz treffend: »Der Kern der Argumentation besteht ja aus der Unterstellung, »die Juden« hätten den Holocaust erfunden, um damit unlautere Ziele zu verfolgen. Die Entlastungsfunktion der »revisionistischen« Ideologie ist unverkennbar: Aus gekränktem Patriotismus und um der Unerträglichkeit historischer Schuld zu entkommen, aber auch aus anderen Gründen, zu denen antisemitische und antidemokratische Einstellungen gehören, die in der Glorifizierung des Nationalsozialismus gipfeln, werden Schuldverschiebungen und Schuldzuweisungen elaboriert, die verbindende Funktion vom konservativen bis zum rechtsextremistischen Lager haben.«36 Die von Benz geschilderte antisemitische Argumentationsfigur tritt auch in verschiedenen Passagen des bereits erwähnten Buches von Gennadij Bondarew deutlich zutage. Letzterer läßt sich freilich nicht ohne weiteres den gängigen, über antisemitische Agitatoren bestehenden Klischees zuschlagen, da Bondarew seine judenfeindlichen Ressentiments pro forma in das Gewand der »Mitteleuropa«-Sehnsucht Rudolf Steiners kleidet und darüber hinaus eine Tradition des undifferenzierten Antizionismus perpetuiert, wie sie in anthroposophischen Kreisen lange Zeit hindurch Usus war. Ohne Rücksicht auf den historischen und inhaltlichen Kontext vermengt der Autor zudem Aussagen des Begründers der Anthroposophie mit nationalistischen und antisemitischen Gemeinplätzen, die einer längst überwunden geglaubten Tradition des abendländischen Rassismus entstammen. Der Rekurs auf die von Steiner nur in Ansätzen entwickelte Methode der »geschichtlichen Symptomatologie« dient vorrangig dem Ziel, ein Vehikel zur Beförderung antijüdischer Vorurteile und Abneigungen zu kreieren, denen subtil ein ins objektiv Geistige geschraubter Wahrheitsanspruch unterschoben werden soll. Nur auf dem Hintergrund der dem Autor eigentümlichen Auffassung eines kausalen Nexus zwischen der andauernden geistigen Misere »Mitteleuropas« und einer vermeintlich exzessiven kollektiven Gedächtniskultur im Zusammenhang mit dem Holocaust wird zudem nachvollziehbar, weshalb Bondarews Abneigung sich wiederholt gegen diejenigen richten muß, welche seiner Auffassung nach eine entscheidende Mitverantwortung für den spirituellen Bankrott des deutschen Geisteslebens in der Gegenwart tragen: die Zionisten bzw. Juden, welche die Erinnerung an die Schmach der nationalsozialistischen Verbrechen »künstlich« aufrechterhalten, um aus kollektiven Schuld- oder Schamgefühlen Kapital für unlautere Zwecke zu schlagen.37 Einem solchen operationalistischen Deutungsansatz, der die Opfer des Holocaust und ihre Nachfahren in Schuldige verwandelt und ihnen darüber hinaus die Last fremden Versagens aufzubürden sucht, ist bereits das Bemühen inhärent, die Schuld »Mitteleuropas« um jeden Preis gering erscheinen zu lassen. Hängt doch der Folgerichtigkeit dieses Gedankens gemäß von einer »Revision« der jüngeren deutschen Vergangenheit gerade die Wiederbelebung des geistigen Kontinents ab, der gegenwärtig noch unter den Trümmern des von den Nationalsozialisten hinterlassenen Erbes begraben liegt und einer künftigen Auferstehung harrt. Diese zentrale Denkfigur Bondarews bildet das Einfallstor für die Affinität zu negationistischen Deutungen und Ideologemen, die von dem Autor un­überprüft übernommen werden, da sie sich widerstandslos ins Raster der eigenen weltanschaulichen Voreingenommenheit einfügen lassen. Die »Rettung Mitteleuropas« mit Hilfe der Argumentations- und Arbeitsstrategien der Revisionisten ist somit das zentrale Anliegen des russischen Autors.38

Die für Bondarew charakteristische Vorgehens- und Begründungsweise mögen einige Beispiele demonstrieren, die im folgenden eingehender behandelt werden sollen. Die Grundlage der nachfolgenden Ausführungen bildet in erster Linie das Buch Anthroposophie auf der Kreuzung der okkult-politischen Strömungen der Gegenwart in der deutschsprachigen Fassung. Auf einzelne Passagen der russischen Originalausgabe wird nur in Ausnahmefällen zurückgegriffen, sofern es sich hierbei um ergänzende Äußerungen des Autors handelt, die der Schweizer Verleger aus rechtlichen und möglicherweise auch aus stilistischen Gründen nicht in in die deutsche Übersetzung aufgenommen hat.

Im ersten Fall schreibt Bondarew einem russischen Juden die »Erfindung der Gaskammer« in der Sowjetunion der zwanziger Jahre zu. Diese aus der gängigen revisionistischen Literatur plagiierte und vom Autor nicht näher überprüfte Angabe wird mit dem Nimbus des Geheimnisvollen umgeben, so daß der Leser den Eindruck erhält, er nähme aufgrund der Buchlektüre an »Tatsachen« teil, welche der Allgemeinheit vorenthalten würden. Die so entstandene Impression wird zusätzlich noch dadurch verstärkt, daß Bondarew auf vollständige Literatur- und Quellennachweise in der Regel verzichtet, was die historiographische Verifikation seiner Aussagen wesentlich erschwert. Der Autor behauptet: »Kaum jemand weiß, daß der Erfinder der Gaskammer ebenfalls ein »Ahasverit«, Isaj Dawidowitsch Berg, war. Zwar gab es in Rußland in den 20er Jahren kein Gas. Da kam er auf die Idee, Gefangene in ein Auto mit geschlossenem Wagenraum zu pferchen, die Auspuffgase in diesen Wagenraum zu leiten und sie so einige Stunden durch Moskau fahren zu lassen, woraufhin man lediglich die Leichen in einen Graben schütten mußte. Man wird entgegnen, dies sei eine Mörderclique gewesen, die man nicht mit dem jüdischen Volk gleichsetzen sollte! Aber ich setze nicht gleich, ich biete nur an, die Tatsachen zu sichten.«39 Der letzte Satz dieses Zitats stellt freilich eine contradictio in adiecto dar, weil mit der indirekten Anspielung auf den nationalsozialistischen Völkermord und der ausdrücklichen Betonung einer jüdischen Urheberschaft der Gaskammer durchaus eine Vergleichbarkeit von de facto unvergleichbaren historischen Ereignissen impliziert werden soll. Die inhaltliche Überprüfung dieser Kolportage, deren revisionistische Entlastungsintention allzu offenkundig hervortritt, ergibt zudem ein Bild, das die Authentizität dieser Mitteilung zumindest fragwürdig erscheinen läßt: Der russische Autor M.S. Voslensky hat in einem 1995 erschienenen Buch über einen NKWD-Wissenschaftler namens Berg geschrieben, der eine Gaskammer in Form eines Lastwagens mit Abgasumleitung in den abgedichteten Laderaum im Jahre 1936 erfunden habe und 1939 bei einer Säuberung der Geheimdienste liquidiert worden sei. Von einer jüdischen Abstammung Bergs war jedoch in dem fraglichen Werk Voslenskys nie die Rede.40 Dieses nachträgliche Implantat geht auf den Holocaust-Leugner David Irving zurück, welcher die Ermordung des Erfinders als das Resultat einer antijüdischen Kampagne Stalins hinstellte und so eine jüdische Abstammung Bergs insinuierte, ohne jedoch Beweise für diese These vorlegen zu können.41 Die Absicht einer solchen Konnotation liegt indessen auf der Hand: Die Schuld für die Entstehung antisemitischer Ressentiments und Gewalttaten soll auf die Opfer abgewälzt werden, indem das Augenmerk des Lesers auf die an sich vollkommen belanglose Frage der Erfinderschaft verlagert wird, während es doch einzig und allein darauf ankäme, die Perfektionierung dieses Tötungsinstruments und seine Anwendung für den millionenfachen Völkermord in den Blick zu nehmen. Da sich die Bemerkungen Voslenskys auf eine schmale Quellenbasis stützen, bleibt darüber hinaus bis heute unter Historikern umstritten, ob es sich bei den geschilderten Vorkommnissen tatsächlich um authentische Berichterstattungen handelt. Nachweislich falsch ist zudem Bondarews Behauptung, bei der beschriebenen Verwendung von Kohlenmonoxid zur Tötung von Menschen in einem dafür eigens präparierten Raum handle es sich um eine originäre »Erfindung« der Bolschewiki: Bereits während des Ersten Weltkrieges kam in der Stadt Trapesunt ein zur Gaskammer umfunktionierter Baderaum zum Einsatz, welcher der Vernichtung von armenischen Kindern diente. Die »Erfinder« dieser Tötungsmaschine waren jedoch keine Juden, sondern jungtürkische Nationalisten, die sich künftiger Konfliktpotentiale in den armenisch besiedelten Regionen mit den grausamen Mitteln der ethnischen Flurbereinigung zu entledigen hofften. In einigen gut dokumentierten Fällen wurden Zivilpersonen von Milizen der jungtürkischen Armee in erdölhaltige Höhlen getrieben, in denen sie qualvoll verbrannten oder erstickten. Die mit dem Osmanischen Reich verbündete und orientpolitisch ambitionierte deutsche Regierung sah dem Genozid an den Armeniern weitgehend tatenlos zu und hüllte sich auch dann noch in Schweigen, als Einzelheiten des Verbrechens längst an die Öffentlichkeit gelangt waren und einige der Täter auf Druck Großbritanniens türkischen Gerichten vorgeführt wurden.42

Auf eine Relativierung von Schuld mittels der Methode der Aufrechnung zielt offensichtlich auch das Bemühen Bondarews ab, der Beteiligung von Juden an der russischen Oktoberrevolution von 1917 eine besondere Note zu verleihen. Die Behauptung des Autors, derzufolge sich nach diesem Umsturz die Führung der Bolschewiki vollständig aus »Kindern Ahasvers«, also aus Juden, rekrutiert hätte43, stellt freilich eine erhebliche Übertreibung dar, die allerdings bei Bondarews Neigung zu Simplifizierungen nicht weiter verwundert. Weder von Historikern in Abrede gestellt noch von diesen verschwiegen wird hingegen die allgemein geläufige Tatsache, daß »ein bedeutender Anteil der bekannteren bolschewistischen Parteiführer zu den Juden zählte (Trotzki, Sinowjew, Kamenev, Rykov, Radek usw.).«44 Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Mehrheit der Bolschewiki jüdischer Herkunft gewesen sei, wie Bondarew in diesem Kontext suggeriert.45

Ein ähnliches Phänomen läßt sich auch in bezug auf die Staaten Westeuropas des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts anführen, in denen Juden gemessen an der Anzahl der Gesamtbevölkerung in bestimmten wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Zweigen überproportional vertreten waren. Die Zunahme des jüdischen Anteils in den sogenannten freien sowie wissenschaftlichen Berufen war vor allem ein Resultat der rechtlichen Gleichstellung, wie sich anhand entsprechender Statistiken Deutschlands, Großbritanniens oder Frankreichs leicht nachweisen läßt. Juden ergriffen mit der Emanzipation vermehrt die sich ihnen bietende Chance und schickten ihre Söhne auf höhere Schulen und Universitäten, um diesen den bislang verwehrten Aufstieg in höhere Gesellschaftskreise zu ebnen.46

In Rußland hatte die Affinität einer Anzahl von Juden zu sozialreformerischen und sozialrevolutionären Bestrebungen ihren Grund in erster Linie darin, daß diesen die bürgerliche Gleichstellung bis zur Februarrevolution vorenthalten worden war und sie unter dem zaristischen Regime erhebliche Benachteiligungen und Verfolgungen zu erdulden hatten. Erinnert sei nur an die Welle von Pogromen, die nach der Ermordung Zar Alexander II. 1881 einsetzte und die eine regelrechte Fluchtbewegung russischer sowie polnischer Juden in Richtung Westen auslöste. Die von zaristischen Militärs und Regierungskreisen geschürte Pogromwelle von 1881/82 markiert zugleich den Beginn des modernen Antisemitismus in Rußland. Als im Oktober 1905 Nikolaj II. sein Verfassungsversprechen kundtat und somit die Umsetzung von Reformen in Aussicht stellte, waren diesem Ereignis Unruhen und Proteste von Anhängern verschiedener politischer Richtungen vorausgegangen, von denen die extreme Linke nur eine unter vielen darstellte. In einigen dieser Fraktionen, deren Protagonisten meist nur die Abneigung gegenüber dem feudalen Regime des Zaren einte, waren Juden zahlenmäßig überrepräsentiert, was nicht zuletzt mit den Umständen ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung und Verfolgung zusammenhing. Die konterrevolutionären Pogromisten des Herbstes 1905, von denen sich vor allem die protofaschistische »Union des russischen Volkes« oder »Scharze Hundert« hervortat, gaben infolgedessen in erster Linie »den Juden« die Schuld für revolutionäre Umtriebe und leiteten mit antisemitischen Ausschreitungen und dem Terror gegen bürgerliche und sozialistische Politiker die Restauration der zaristischen Macht in Rußland ein. Die Identifikation von Juden mit der Revolution war somit eines der wichtigen Wesensmerkmale des Antisemitismus in Rußland, lange bevor es die Bolschewiki überhaupt gab.47 Diese Gleichsetzung wirkte während des russischen Bürgerkrieges 1917-1921 integrativ auf die verschiedensten Gegner der »Roten«, die in der Bevölkerung bestehende antisemitische Ressentiments aufgriffen und gezielt für ihre politischen Absichten mobilisierten. Die Juden galten in den Augen der Großgrundbesitzer, Kapitalisten und Kleinbürger als Symbol für den Umsturz, welcher den Verlust von Privilegien und Ansehen bedeutete, während die armen Bauern in ihnen eher den Händler, Verwalter oder Getreideaufkäufer fürchteten, der das ohnedies erbärmliche Los der Landbevölkerung noch weiter zu verschlechtern drohte. Den polnischen, ukrainischen und weißgardistischen Nationalisten war die Existenz der Juden allein schon deshalb ein Dorn im Auge, weil diese der Realisierung eines homogenisierten Nationalstaats im Weg stand. Die Folge dieses Bündels an unterschiedlichen und oft paradoxen Motiven war eine neue Eskalation judenfeindlicher Gewalt, die vor allem unter Zivilpersonen zahlreiche Opfer forderte. Das Ausmorden ganzer Siedlungen kam erst zum Erliegen, als die Bolschewiki bereits weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Der rassistisch motivierte Terror in der Zeit des Bürgerkrieges kostete zwischen 60.000 und 250.000 Juden das Leben. An den Ausschreitungen und Vertreibungen der Jahre 1915-21 waren in erster Linie »Weiße« und »Grüne« beteiligt, während die bolschewistische Führung dem Antisemitismus mit Kampagnen und konkreten Maßnahmen zur Unterbindung von Pogromen begegnete und somit das Vertrauen vieler Juden gewann.48

Von diesen mannigfaltigen, sich wechselseitig bedingenden historischen Faktoren, deren Berücksichtigung aber für eine adäquate Beurteilung des russischen Bürgerkrieges unerläßlich ist, erfährt der Leser des Buches von Bondarew nichts. In Anbetracht des vorangehend beschriebenen antijüdischen Massenmords nimmt sich Bondarews Behauptung, die Beteiligung von Juden an dem bolschewistischen Umsturz könne nicht entschuldigt werden, da diesen bereits »sämtliche Rechte« im Zuge der Februarrevolution zugesichert worden seien49, wie eine völlige Unkenntnis der historischen Begebenheiten bzw. wie blanker Zynismus aus. Darüber hinaus konstruiert Bondarew aus den vier Komponenten »Juden«, »Bolschewiki«, »Oktoberrevolution« und »Verbrechen« eine äußerst problematische Kollektivanschuldigung, welche sich der vereinfachenden Formel Juden = Bolschewisten = Verbrecher bedient und somit den fatalen Topos des Judeo-Bolschewismus reaktiviert. Der Rückgriff auf das Klischee einer »jüdischen Verschuldung« der bolschewistischen Herrschaft und der von ihr begangenen Verbrechen dient einmal mehr der Funktion, Schuldverschiebungen zu elaborieren und »Mitteleuropa« auf diesem Weg von der Bürde des nationalsozialistischen Völkermords zu entlasten. Paradoxerweise bemüht Bondarew in diesem Zusammenhang die zwischenzeitlich längst zu einem Fossil der Adenauer-Ära verstaubte These von der deutschen Kollektivschuld, um auf deren Negativfolie die Juden für den gesamten Verlauf der Geschichte Rußlands im 20. Jahrhundert, die »ein einziger Holocaust« gewesen sei, haftbar zu machen: »Die »Kinder Ahasvers« ziehen die Deutschen wegen des Genozids an den Juden zur Verantwortung. Die Völker Rußlands haben nicht weniger Veranlassung, die »Kinder Ahasvers« für dasselbe Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen.«50 Zutiefst fragwürdig ist nicht zuletzt auch Bondarews als Tatsache deklarierte Behauptung, der Hungerstod von sechs Millionen Ukrainern in den Jahren 1932/33 sei die Folge eines von den Bolschewiki intendierten »sozialen Experimentes« gewesen.51 Die Ursachen dieses in der sow­je­tischen Geschichtsschreibung lange Zeit verschwiegenen Hungersterbens sind nach wie vor ungeklärt und daher bis heute unter Historikern strittig. Einige Hinweise sprechen jedoch gegen die Annahme, das Hungerleiden sei von den Bolschewiken gezielt als Waffe gegen die sich einer Zwangskollektivierung widersetzende ukrainische Bauernschaft initiiert worden.52

In einem anderen Fall beruft sich Bondarew auf eine dubiose Berichterstattung der englischen Boulevardzeitung Daily Express vom 24. März 1933, derzufolge die amerikanischen und englischen Juden Deutschland »den Krieg erklärt« und zum Boykott deutscher Waren aufgerufen hätten.53 Der Autor will hier offensichtlich den Eindruck erzeugen, »die Juden« seien mitverantwortlich gewesen für den am 1. April 1933 in Deutschland einsetzenden Boykott jüdischer Geschäfte. Abgesehen davon, daß die Authentizität der Daily-Express-Mitteilung keinesfalls als gesichert gelten kann54, erweckt die reißerische Überschrift der Glosse falsche Vorstellungen hinsichtlich des politischen Kräfteverhältnisses: Die nationalsozialistische Presse griff die Nachricht von der angeblichen »jüdischen Kriegserklärung« an das Dritte Reich auf und nahm sie zum willkommenen Anlaß, die einige Tage später beginnenden antisemitischen Exzesse propagandistisch zu rechtfertigen. Den staatlich organisierten Boykott begleitete eine Welle von Verhaftungen, Mißhandlungen und sogar Morden, welche den Auftakt bildeten zu dem eine Woche darauf verabschiedeten »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufbeamtentums«, das die Entfernung von »Nicht-Ariern« aus öffentlichen Ämtern vorsah. Demgegenüber gingen die vom Daily-Express beschriebenen Aktionen auf die Initiative Einzelner zurück, welche das ihnen von der Verfassung garantierte Demonstrationsrecht wahrnahmen und deren Proteste sich gegen den totalitären Kurs der neuen Machthaber in Deutschland richteten. In diesem Zusammenhang von einer »Kriegserklärung des Weltjudentums«55 oder der amerikanischen und britischen Juden zu sprechen ist allein schon deshalb unzulässig, weil nur souveräne Staaten, nicht aber Einzelpersonen oder privatrechtliche Verbände fremden Regierungen den Krieg erklären können. Es ist sicherlich kein Zufall, daß Bondarew an dieser Stelle eine gängige Propaganda-Floskel der Lingua Tertii Imperii bemüht. Verwandelt doch die Formel von der »Kriegserklärung des Weltjudentums« die Vielfalt jüdischer Meinungs- und Ausdrucksformen in ein Geschlossenheit suggerierendes Abstraktum, auf dessen Hintergrund sich die Entpersonalisierung und Kriminalisierung des Judentums problemlos ins Werk setzen läßt.56

Im Hinblick auf die zwischen dem September 1941 und dem August 1943 in Babi Jar nahe Kiew von der Einsatzgruppe C an jüdischen Frauen, Männern und Kindern verübten Massenmorde sinniert Bondarew: »Doch es gibt da bestimmte Umstimmigkeiten ... Es bleibt uns also anzunehmen, daß in Babi Jar folglich innerhalb von zehn oder höchstens fünfzehn Tagen 200.000 Leichen ausgegraben und spurlos beseitigt wurden! Krematorien gab es dort keine; es wurden also einfach Feuer entfacht, auf die man die Leichen und Knochen, die zum Teil zwei Jahre in der Erde gelegen hatten und durch und durch feucht waren, schichtete ... Und was für ein Geruch muß sich in Kiew ausgebreitet haben, wenn auf riesigen Feuerstellen Tag und Nacht Hunderttausende von Leichen verbrannt wurden? Und wohin streute man diese Tausende von Tonnen Menschen- und Holzasche innert 10 Tagen? usw.«57

Für die Spurentilgung der in Babi Jar begangenen Massaker hätten dieser Darstellung zufolge also nur zehn oder fünfzehn Tage zur Verfügung gestanden, was dem Autor angesichts der Größenordnung dieser Verbrechen natürlich merkwürdig aufstößt. Die Kadaver der Opfer seien zudem wegen der Feuchtigkeit, des Brandgeruchs, der Aschen­menge sowie der für die Verbrennung angeblich benötigten »Güterzüge voller Baumstämme« nicht oder nur schwer zu beseitigen gewesen. Die Einwände Bondarews beruhen jedoch auf falschen Prämissen, da der Autor in diesem Zusammenhang eine fehlerhafte sowjetische Geschichtsdarstellung bemüht und darüber hinaus die umfangreichen schriftlichen und mündlichen Belege der Massentötungen vollständig ignoriert: Schon die von Bondarew ins Spiel gebrachten Zahlenbeispiele sind irreführend, da offiziellen Berechnungen zufolge zwischen 60.000 und 100.000 Menschen den in der Schlucht von Babi Jar verübten Morden zum Opfer fielen. Der Mindestwert dieser Schätzung ergibt sich aus den Angaben der Täter selber, welche die Anzahl ihrer Opfer gelegentlich in den sogenannten Ereignismeldungen des SD und der Sicherheitspolizei vermerkten. In der »Ereignismeldung UdSSR Nr. 101« vom 2. Oktober 1941 heißt es lapidar: »Das Sonderkommando 4a hat in Zusammenarbeit mit Gruppenstab und zwei Kommandos des Polizei-Regiments Süd am 29. und 30.9. 41 in Kiew 33.771 Juden exekutiert.« Andere Meldungen bestätigen diese Zahl und liefern zudem einen detaillierten Bericht über das Vorgehen der Täter und die Zusammensetzung der von ihnen erbeuteten Wertgegenstände: Geld, Schmuck und Kleidungsstücke, die nun »volksdeutschem Vermögen« zufallen sollten. Bei den vom Sonderkommando 4a unter der Leitung Paul Blobels verübten Massakern kamen allein bis Mitte Oktober 1941 internen Berichten zufolge 51.000 Menschen auf grausame Weise ums Leben. Insgesamt beläuft sich die von den Berichterstattern des Sicherheitsdienstes mit preußischer Regelmäßigkeit an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin übermittelte Anzahl der von den Einsatzgruppen hinter dem Frontverlauf exekutierten Juden auf über 500 000.58

Bondarews Behauptung, derzufolge die Mörder von Babi Jar erst einige Tage vor Ankunft der Roten Armee mit der Beseitigung von Spuren hätten beginnen können, widerspricht ebenfalls den überlieferten Zeugnissen: Bereits Mitte August 1943 ließ SS-Gruppenführer Max Thomas von zwei Sondereinheiten der »Aktion 1005« die Leichen der Ermordeten mit Raupenbaggern ausgraben und auf großen Scheiterhaufen verbrennen, die aufgrund der Feuchtigkeit mit Benzin getränkt worden waren. Die Knochenreste der Verbrannten wurden durch Gefangene des Lagers Syrezk mit Grabsteinen eines nahegelegenen jüdischen Friedhofes zerrieben und die Asche in Gruben geschüttet, welche man anschließend planierte. Die von Blobel im Auftrag Heinrich Himmlers angeordneten Leichenverbrennungen begannen am 18. August und endeten am 19. September 1943. Nach Beendigung dieser Arbeit gab der SS-Standartenführer den Befehl, die zu Mitwissern gewordenen Gefangenen zu ermorden. Fünfzehn Häftlinge konnten sich jedoch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Nicht »zehn oder höchstens fünfzehn Tage«, wie Bondarew fabuliert, sondern vier Wochen hatten die Mörder also Zeit, um sich der Spuren ihrer Verbrechen zu entledigen. Dies gelang ihnen freilich nur unvollständig, so daß den sowjetischen Truppen bei der Einnahme Kiews noch zahlreiche Hinweise auf das Verbrechen in die Hände fielen. Die vom Sonderkommando 4a verübten Morde waren Gegenstand der Verhandlung im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozeß. Paul Blobel bezahlte für seine Untaten mit dem Leben. Weitere Angehörige des Sonderkommandos wurden 1968 von dem Landgericht Darmstadt zu Haftstrafen verurteilt.59

Obwohl Bondarews Abneigung vor allem dem Zionismus als politischem Phänomen gilt, das er ausschließlich negativ bewertet, werden die Begriffe »Juden« und »Zionisten« an einigen Stellen seines Buches synonym verwendet.60 Auch in diesem Fall wird eine Homogenität der mit diesen Begriffen gekennzeichneten Menschengruppen vorausgesetzt, welche der Realität des in eine Vielzahl von religiösen, kulturellen und politischen Strömungen und Fraktionen zerfallenden aschkenasischen und sephardischen Judentums nicht gerecht wird. Die Herausbildung einer Anzahl von jüdisch-palästinensischen Friedensinitiativen, die Entstehung eines von den israelischen Medien mit großer Anteilnahme begleiteten »Historikerstreits« Ende der achtziger Jahre und die Konsolidierung einer sich »Postzionisten« nennenden Gruppierung von kritischen israelischen Intellektuellen in den neunziger Jahren sind Anzeichen dafür, wie vielschichtig der politische Diskurs innerhalb der israelischen Gesellschaft mittlerweile verläuft und mit welcher Vehemenz Mythen nationaler Provenienz in Frage gestellt werden, die noch vor kurzem einen unbestrittenen Bestandteil der Selbstlegitimation des zionistischen Staates ausmachten.61 Von einer grundsätzlich rassistischen Gesinnung des Zionismus zu sprechen, wie es Bondarew mit Verweis auf eine mittlerweile aufgehobene UNO-Resolution aus den siebziger Jahren unternimmt62, erscheint angesichts der geschilderten Phänomene übertrieben. Eine solche Simplifizierung blendet darüber hinaus den Umstand aus, daß innerhalb der Geschichte der zionistischen Bewegung bedeutende Persönlichkeiten wirkten, welche den Ausgleich mit der arabischen Bevölkerung suchten und den Nationalstaatsgedanken in Frage stellten. Dies traf etwa auf Arthur Ruppin (1876-1943), Hugo Bergmann (1883-1975), Hans Kohn (1891 -1971) und Georg Landauer (1897-1954) zu, die neben anderen 1925/26 den »Brit Schalom« – den »Friedensbund« – gründeten, der für einen binationalen Staat Palästina mit Gleichberechtigung für Juden und Araber eintrat. Die Arbeit des Brit Schalom wurde durch die 1942 ins Leben gerufene zionistische Nachfolgeorganisation »Ichud« – die »Einheit« – von Menschen um den Philosophen Martin Buber und Juda Leon Magnes fortgeführt.63 Seiner negativen Einschätzung des Zionismus legt Bondarew eine verkürzte Darstellung der Zusammenarbeit von zionistischen Organisationen und Verwaltungsstellen des Dritten Reichs in der Frage der jüdischen Emigration sowie eine selektive Wiedergabe von Äußerungen einzelner zionistischer Politiker zugrunde. Im Hinblick auf die innerhalb der Geschichtsschreibung durchaus kritisch dargestellte Phase der Kooperation von Zionisten sowie des »Centralvereins der Juden in Deutschland« mit NS-Behörden bei der Organisation und Durchführung von Auswanderungen darf freilich nicht außer acht gelassen werden, daß die Umstände dieser Zusammenarbeit einer Zwangssituation entstammten, auch wenn diese der antiassimilatorischen Einstellung der zionistischen Ideologie in mancher Hinsicht entgegenkam.64

Der Autor bestreitet zudem kategorisch die politische Existenzberechtigung des heutigen Staates Israel, obwohl dieser mittlerweile Millionen von Menschen eine Heimstätte gewährt, über ein weitgehend funktionierendes demokratisches und wirtschaftliches Dasein verfügt und dessen Gründung nicht zuletzt eine Folgeerscheinung der Shoah darstellt, welche eine brutale Zäsur in der zwei Jahrtausende umfassenden europäischen Geschichte der jüdischen Diaspora bedeutete. Bondarew beruft sich in diesem Zusammenhang auf einzelne Aussagen Rudolf Steiners aus der Zeit des deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik, als die Assimilation der Juden Mitteleuropas bereits in ein fortgeschrittenes Stadium eingetreten war und sowohl die zionistische Vision von der Schaffung einer »öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte« für Juden als auch die auf »Rassenseparation« bedachte Propaganda der Antisemiten als eine ernsthafte Bedrohung des erfolgreich verlaufenden jüdischen Akkulturationsprozesses erscheinen mußten. Anzunehmen, Rudolf Steiners Vorbehalte gegenüber der zionistischen Bewegung und ihren Anführern, in deren Verlautbarungen oftmals die Sehnsucht nach der Realisierung eines ethnisch homogenen Staates mitschwang, könnten ohne weiteres auf die heutige politische Situation übertragen werden, zeugt von einem blinden Dogmatismus, der sich über siebzig Jahre Geschichte hinwegsetzt und die Einlösung von Forderungen verlangt, die aufgrund der gegenwärtigen Lage anachronistisch anmuten. Denn allenfalls könnte es unter diesen Umständen ein berechtigtes Anliegen heutiger, auf Rudolf Steiner und dessen Dreigliederungskonzept bezugnehmender Anthroposophen sein, israelischen Gruppierungen wie beispielsweise den »Neuen Historikern« in ihrem Verlangen nach einer Umwandlung Israels in einen multinationalen oder postnationalen Staat beizustehen, als mit unrealistischen Forderungen und Erwartungen den fragilen Versöhnungsprozeß aufs Spiel zu setzen, der sich zwischen den Nachkommen der Täter- und der Opfergeneration seit geraumer Zeit anbahnt. Zudem gilt es hier ein entscheidendes Mißverständnis auszuräumen, das leicht zu einer verzerrten Urteilsbildung Anlaß geben kann: Rudolf Steiner hat sich nie explizit gegen die Ansiedlung von Juden in Palästina oder gar gegen die Schaffung staatlicher Strukturen in dieser Region ausgesprochen, wie von seiten einiger Anthroposophen fälschlicherweise angenommen wurde. Steiners Kritik galt vielmehr solchen Bestrebungen, welche auf eine politische Durchsetzung des nationalstaatlichen Konzeptes in diesem oder in einem anderen Gebiet rekurrierten, dessen ideologische Grundlagen er aber als unzeitgemäß erachtete.65

Die Problematik sogenannter Verschwörungstheorien und der Umgang mit der deutschen Vergangenheit

Pauschalurteile und Stereotypen gehören zum Inventar antisemitischen Denkens und lassen sich in der Regel nur schwer ausräumen. Das sture Festhalten an derartigen Vorurteilen und Topoi kennzeichnet aber bereits die abschüssige Bahn, von der aus es nicht mehr weit ist bis hin zu der bereitwilligen Übernahme der Idee einer »jüdischen Weltverschwörung«, wie sie gerade von seiten der Auschwitz-Negationisten immer wieder propagiert wird. Gegenüber Anhängern sogenannter Verschwörungstheorien nützt es in der Regel wenig, etwa im Fall der Politik des israelischen Staates auf die zwischenzeitlich sehr differenzierte und daher keinesfalls einseitig proisraelische Berichterstattung der westlichen Medien zu verweisen. Die Vertreter von antisemitischen Verschwörungsideen »wissen« ohnedies bereits im voraus, daß der weltweite Informationsfluß »zionistisch gelenkt« und die Darstellungen im Zusammenhang mit dem Holocaust Auswüchse der »westlichen Propaganda« darstellen, welche die Schädigung Deutschlands als eine ihrer zentralen Direktiven beinhaltet. Doch der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, der sein mörderisches Potential vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entfaltete, suggeriert Transparenz, wo in Wahrheit Narkotika das kritische Denk- und Wahrnehmungsvermögen betäuben. Einige in jüngster Zeit erschienene Studien belegen den Zusammenhang von antisemitischer Propaganda und einem unkritischen Verschwörungsglauben, der die Komplexität und Widersprüchlichkeit des Weltgeschehens auf simple Orientierungsmarken zu reduzieren sucht und einer Dichotomisierung in Freund-Feind-Kategorien Vorschub leistet.66 Wer diesen Nexus heute immer noch bestreitet, der verschließt seine Augen vor historischen Tatsachen. Anthroposophen sollten aus diesem Sachverhalt sowie aus einer Reihe von negativen Erfahrungen mit Multiplikatoren von Verschwörungstheoremen in den eigenen Reihen die bereits längst überfälligen Konsequenzen ziehen: Sogenannte Verschwörungstheorien, sofern sie sich einer sorgfältigen Verifikation auf der Basis von gesicherten Quellen entziehen, sollten künftig nicht mehr den Gegenstand anthroposophischer Geschichtsinterpretationen bilden. Die Integrität des Begründers der Anthroposophie wird aufgrund einer solchen Maßnahme keinesfalls in Frage gestellt.

Das häufig in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, Rudolf Steiner habe doch selber ausdrücklich auf die verborgene Tätigkeit westlicher Logen verwiesen und damit eine Art Blankoscheck für ähnlich gerartete Deutungsversuche ausgestellt, verfängt aus zwei Gründen nicht: Erstens waren die Aussagen Steiners auf einen bestimmten historischen Moment gemünzt. Es ist daher fragwürdig, ob die von Steiner vor allem in der zeitlichen Nähe zum Ersten Weltkrieg angestellten Betrachtungen über den Einfluß gewisser Freimaurerlogen ohne weiteres auf die politisch und okkult veränderte Topographie der Gegenwart transferiert werden können. Zweitens verbietet das geisteswissenschaftliche Anliegen einer »seelischen Beobachtung nach naturwissenschaftlicher Methode« das spekulative Fortspinnen von aus der übersinnlichen Schau gewonnenen Beobachtungsresultaten.67 Infolgedessen tritt hier die berechtigte Frage auf, ob derartige, nicht durch eigene seelische Beobachtung gestützte und somit operational auf Ereignisse der Gegenwart bezogene Übertragungen von Erkenntnisinhalten überhaupt einer Schärfung des zeitgeschichtlichen Urteilsvermögens dienen können, wie von Anhängern solcher Deutungsmethoden immer wieder postuliert wird.68

Die Hinterfragung eines solchen Anspruchs mit den nüchternen Mitteln des wissenschaftlichen Literaturstudiums sowie den Methoden der Quellenkritik und Quelleninterpretation legt im Fall der vorangehend untersuchten Beispiele einen eher gegenteiligen Befund nahe. Mit einer »symptomatologischen Geschichtsbetrachtung« im Sinne des methodischen Ansatzes Rudolf Steiners, der auf dem Kriterium einer Denkbeobachtung von eigentätig hervorgebrachten Imaginationen basiert, hat die Variante einer vorurteils- und ressentimentbeladenen Beschäftigung mit Zeitgeschichte freilich nichts gemein. Rudolf Steiner hat in diesem Kontext mehrmals ausdrücklich davor gewarnt, die geisteswissenschaftliche Forschungsmethode, deren Grundlage er in seinen erkenntnistheoretischen und phänomenologischen Schriften niederlegte, mit herkömmlichen akademischen oder gar pseudowissenschaftlichen Herangehensweisen zu vermengen.69 Das Resultat einer solchen Methodenkonfusion oder vielmehr Abwesenheit von Methode zeigt ja gewöhnlich nur, daß der Betreffende weder die eine noch die andere der wissenschaftlichen Arbeitsweisen genügend beherrscht und infolgedessen darauf angewiesen ist, den Fluß von Informationen und Mitteilungen nach Gutdünken anzuordnen und auszulegen. Das Ergebnis einer solchen Vulgarisierung von Erkenntnisbildung ist ein esoterisch verbrämter Dilettantismus, dessen Erzeugnissen kurioserweise nicht selten gerade aufgrund ihrer inhaltlichen Verworrenheit und scheinbaren Originalität eine gewisse Faszination innewohnt.

Herbert Witzenmann, wohl einer der selbstständigsten und begabtesten Schüler Rudolf Steiners, hat die in dieser Beziehung auftretende Gefahr eines operationalverstandesseelischen Gebrauchs von auf geistiger Beobachtung beruhenden Forschungsinhalten in folgenden Worten prägnant zusammengefaßt: »Im Sinne dieser Bemühungen hat der Verfasser unablässig vor den schlimmen Abwegen der Dogmatisierung, Simplifizierung und Pragmatisierung der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners gewarnt, wofür es leider zahlreiche Beispiele gibt. Er hat es sich selbst vom Beginn seiner anthroposophischen Tätigkeit an zur strengen Regel gemacht, ebenso die intellektualistische Konstruktion wie die sentimentale Esoterik oder vielmehr Pseudo-Esoterik zu meiden. Seinen Ausgangspunkt hat er daher stets im Beobachtbaren und aus eigener Erfahrung Vorstellbaren gewählt und die Klügeleien über das nur vorgestellte Abstrakt-Allgemeine als in gleicher Weise trügerische Verlockung wie das Kompilieren und Kombinieren der nicht selbst erfahrenen einzelnen Tatsachen betrachtet.«70

Gegenwärtig zeichnet sich vor allem in den Gesellschaften der westlichen Industriestaaten die Ausbreitung einer regelrechten Verschwörungsparanoia ab, wie sich anhand zahlreicher Fälle aus dem Umfeld des Science-Fiction- und Fantasy-Gewerbes sowie des mit ernsthaften Sinnansprüchen haussierenden esoterischen Jahrmarktes exemplifizieren ließe.71 Diese Paranoia verdankt ihr Entstehen gerade dem Umstand, daß die Deutungsbemühungen der von ihr Vereinnahmten ihren Ausgang nicht in einem modernen, d.h. wissenschaftlich geschulten und methodisch erweiterten Bewußtsein nehmen, sondern auf dem Wege des intellektualistischen Assoziierens, Konstruierens und Spintisierens zustandekommen. Derartige Verschwörungsideologeme fungieren dann als All-Operatoren zur vermeintlichen Erklärung von Undurchschautem und als existentiell bedrohlich Erlebtem sowie als Projektionsträger von Voreingenommenheiten und Ängsten unterschiedlicher Couleur, über deren subjektiven Charakter sich der Betreffende meist keine Aufklärung verschafft. Gerade hier wäre die Einforderung und Umsetzung des in der Anthroposophie Rudolf Steiners liegenden Wissenschaftsanspruchs dringend erforderlich. Es handelt sich dabei keinesfalls um die Domäne einiger erkenntniswissenschaftlich besonders ambitionierter Geistesschüler, wie gelegentlich mit dem herablassenden Gestus einer nicht unbescheidenen Selbstverkennung der Eindruck vermittelt wird. Vielmehr geht es hierbei um die Entwicklung einer zeitgemäßen Erscheinungsform des Bewußtseins, von deren Ausgestaltung und Pflege das Überleben der Anthroposophie als ein sich fortwährend individualisierender und universalisierender Erkenntnisstrom abhängen wird.72

Die rege öffentliche Anteilnahme an der Kontroverse um das hierzulande im vorigen Jahr erschienene Schwarzbuch des Kommunismus73 macht ein verbreitetes Bedürfnis der Gegenwart deutlich, sich neben der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit auch mit den Verbrechen anderer totalitärer Regime bzw. den Funktionsweisen der kommunistischen Herrschaft auseinanderzusetzen. Historische Vergleiche sind sinnvoll und unverzichtbar, zumal nur auf dem Hintergrund der komparativen Zusammenschau sowohl Gemeinsamkeiten als auch Singularitäten von Ereignissen, Ideologien, kollektiven Mentalitäten, Repressions- und Verfolgungsarten, Massenvernichtungen oder gesellschaftlichen Strukturen hervortreten können. In dieser Hinsicht wies der sogenannte Historikerstreit über die Singularität oder Nichtsingularität der nationalsozialistischen Verbrechen manche überflüssige Animosität sowie Spitzfindigkeit im Umgang mit Bezeichnungen auf. Dennoch mischt sich in das berechtigte Anliegen einer Bilanzierung des »Zeitalters der Extreme«, als welches der britische Historiker Eric Hobsbawm das zurückliegende Jahrhundert in die Annalen der Geschichtsschreibung eingehen sieht,74 oftmals ein Beigeschmack, der kritischere Zeitgenossen aufhorchen lassen sollte. Verbirgt sich hinter der Forderung nach historischen Vergleichen nicht doch insgeheim die Hoffnung vieler Deutscher, aus dem Schatten der Vergangenheit endlich heraustreten und somit in einen Zustand der »Normalität« überwechseln zu können? Vergangenheit, die nicht vergehen will, so überschrieb Ernst Nolte seinerzeit einen diese Stimmung aufgreifenden Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und brach damit den oben erwähnten »Historikerstreit« vom Zaun, der damals mit einem provisorischen Sieg der Gegner Noltes endete.75 Doch schon heute zeichnet sich ab, daß wissenschaftliche und wohl auch politische Auseinandersetzungen, in denen noch vor einigen Jahren eine Art Konsens zu erzielen war, mit der zunehmend größer werdenden zeitllichen Distanz zur nationalsozialistischen Vergangenheit künftig ihre relative Geschlossenheit und Konformität einbüßen werden. Eine deutsche »Normalität«, wie sie in jüngster Zeit immer häufiger gefordert, in der Außenpolitik derzeit angestrebt oder gar von einigen Autoren auf dem Weg der revisionistischen Geschichtsfälschung rückwirkend zwangsinstalliert werden soll, kann es jedoch nicht geben, solange die geistigen Voraussetzungen, welche den Selbstverrat Mitteleuropas in eine Selbstzerstörung und diese in einen Selbstverlust haben übergehen lassen, unverändert fortbestehen.

Es sollte daher gerade unter Anthroposophen Usus sein, sich an der mathematischen Aufrechnung von Schuld oder der Verharmlosung und Negierung von Massenverbrechen nicht zu beteiligen, sondern nach dem hinter Zahlen und Statistiken verborgenen Wesen eines historischen Vorganges zu fragen. Entsprach es denn einem »Zufall«, daß sich der Zivilisationsbruch Auschwitz ausgerechnet in Mitteleuropa ereignete? Erscheint in diesem Kontext der Verweis auf die Greueltaten anderer politischer Regime und Staaten nicht gänzlich fehl am Platze? Muß nicht vielmehr das Ausmaß der deutschen Verschuldung gerade an der Größe der spirituellen Aufgabe gemessen und beurteilt werden, welche den Individualitäten der in der Mitte Europas versammelten Völkerschaften nach den Angaben Rudolf Steiners wahrzunehmen obliegt? Erst auf dem Hintergrund einer vagen Ahnung um die Bedeutung von Völkerkarma und Völkermission kann die Dimension des Absturzes in den Selbstverrat (so der Titel eines Buches der anthroposophischen Geschichtswissenschaftlerin Ortrud Stumpfe) wahrhaft ermessen werden. Konstellationen, wie sie sich als Begleit- und Folgeerscheinungen des deutschen Expansionsdrangs in diesem Jahrhundert auf der Bühne des politischen Geschehens einstellten, dürfen nicht als Alibiargument dafür mißbraucht werden, die Dimension dieses »Verrats« durch den Gebrauch von Begriffsschablonen oder unzulässigen Schuldzuweisungen zu verschleiern.76

Das offensichtlich auch bei einigen Anthroposophen vorhandene Bedürfnis, die Verantwortung und Schuld der Deutschen zu relativieren oder nachträglich »ungeschehen« zu machen, wird durch spektakulär aufbereitete Enthüllungsliteratur wie die eines Haverbeck, Schaub oder Bondarew in einer ethisch und qualitativ äußerst fragwürdigen Art bedient. Signifikanterweise tauchen Publikationen dieses Genres erst seit Ende der achtziger Jahre im zahlenmäßig eher unbedeutenden politischen Grauzonenbereich des heterogenen anthroposophischen Spektrums auf. Noch in den siebziger und frühen achtziger Jahren wäre es allerdings undenkbar gewesen, daß sich vermeintliche Repräsentanten der Anthroposophie mit revisionistischen Leugnungsabsichten an ein breiteres Publikum gewandt hätten.

Dieses Phänomen steht offensichtlich in einem inneren Zusammenhang mit der eingangs erwähnten weltweiten Zunahme revisionistischer Aktivitäten, die darauf abzielen, politischen Konzepten wie dem Nationalsozialismus oder dem Bolschewismus einen Teil ihrer abschreckenden Wirkung zu nehmen. Die damit verbundene Gefahr muß den Anhängern solcher Geschichtsklitterungen noch nicht einmal in jedem Fall bewußt sein. Besorgniserregend ist allerdings die Tatsache, daß sich um die Urheber negationistischer Elaborate nicht selten ein sektenförmiges Milieu etabliert, deren Exponenten nach charismatischen esoterischen Leitfiguren Ausschau halten, die im Fall der kritischen Demontage jedoch kurzerhand in den zweifelhaften Rang von »verfolgten Märtyrern« versetzt werden. Nicht minder bedenklich ist die traurige Tatsache, daß es immer noch anthroposophische Buchhändler gibt, die derartige Literatur vertreiben.

In den Veröffentlichungen einiger anthroposophischer Publizisten wird zudem gelegentlich der Eindruck erzeugt, die gegenwärtige Krisis Mitteleuropas verdanke ihr Dasein dem Umstand, daß die Deutschen nach 1945 einer rigorosen »Umerziehung« durch die Alliierten unterworfen worden seien.77

Es erscheint am Ende dieser Ausführungen sinnvoll, den Begriff der »Umerziehung« einer kritischen Prüfung zu unterziehen, da sich an diesen allerlei diffuse und somit dem Unterscheidungsvermögen abträgliche Vorstellungen anheften. Um einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen: Selbstverständlich soll hier nicht in Abrede gestellt werden, daß die geistige und politische Selbstzerstörung Mitteleuropas ein Vakuum erzeugte, das politische Gegenkräfte auf den Plan rief, deren Einflüsse nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Neigung der Bevölkerung zu materialistischen Ideologien und Gesinnungen verstärkte. Die mentalen und sozialen Folgeschäden solcher materialistischen Imprägnierungen des gesellschaftlichen Lebens dürften jedoch bereits zur Kaiserzeit, in der Weimarer Republik und erst recht während des Dritten Reichs nicht unerheblich gewesen sein.78 Der Ausdruck »Umerziehung« ist gleich zweifach mißverständlich: Erstens erweckt dieser den Eindruck, die Deutschen seien unselbstständige und unmündige Kinder gewesen, welche sich nur widerwillig der wirtschaftlichen und ideellen Beeinflussung von seiten der alliierten Besatzer unterworfen hätten. Dies stimmt mit der Realität jedoch nicht überein. In Westdeutschland hat man sich sehr schnell mit den Vorteilen der westlichen Demokratie sowie der marktwirtschaftlich organisierten Konsumindustrie zu arrangieren verstanden, weshalb auch hierzulande der von den Westalliierten geprägte Terminus der »Reeducation« während der fünfziger und sechziger Jahren fast vollständig aus dem Sprachgebrauch der alltagspolitischen Polemik verschwand. Dies gilt übrigens auch für die These der deutschen Kollektivschuld, der spätestens seit dieser Zeit weder im diplomatischen Verkehr der Regierungen noch in der internationalen Medienberichterstattung ein nennenswerter Stellenwert zukommt.79

Von einer »Umerziehung« eines Volkes, die naturgemäß gegen den Willen seiner Repräsentanten erfolgen muß, kann infolgedessen nur dort die Rede sein, wo ein autoritäres Regime der Bevölkerung sein ideologisches, wirtschaftliches und politisches System gewaltsam aufoktroyiert. Mit einiger Berechtigung kann der Terminus der »Umerziehung« daher nur zur Benennung der politischen Zielsetzungen und Praktiken des Alliierten Kontrollrates in den ersten Besatzungsjahren Deutschlands sowie zur Beschreibung der repressiven Verhältnisse in der späteren DDR herangezogen werden.80

Desweiteren erklärt der Begriff der »Umerziehung« nicht, worin letztere ei-gentlich bestanden hätte. Da rechtsradikale Parteien dieses Schlagwort ebenfalls auf ihre Fahnen geschrieben haben, um auf diese Weise ihrer Abneigung gegenüber demokratischen Bestrebungen gleich welcher Couleur Ausdruck zu verleihen, eignet sich dieser Terminus denkbar schlecht dazu, um auf dessen negativer Kontrastfolie das Anliegen der Dreigliederungsidee oder das des Mitteleuropa-Gedankens Rudolf Steiners wirksamer zur Geltung zu bringen. An sich vermeidbare Mißverständnisse im Verkehr mit der nicht-anthroposophischen Öffentlichkeit sowie in der Verständigung mit Angehörigen eigener Reihen sind somit vorprogrammiert. Es wäre infolgedessen ratsam, auf den Gebrauch dieser Begriffsschimäre künftig vollständig zu verzichten.

In manchen Beiträgen anthroposophischer Autoren herrscht überdies ein geradezu verführerisch-polemischer Tenor vor im Umgang mit Termini wie »Political Correct­ness«, »Amerikanisierung«, »Verwestlichung« oder »Reeducation«, so daß ein unvorbereiteter Leser leicht daraus den Eindruck gewinnen könnte, »die Anthroposophen« hielten die westliche parlamentarische Demokratie für ein grundsätzliches Übel, das es so schnell wie möglich abzuschaffen gälte. Wer solche Begriffe im Rahmen eines argumentatorischen Schlagabtauschs mit Andersdenkenden in die Waagschale wirft, sollte in Zukunft genau definieren, was er darunter versteht. Konstruktiver als dieses Bramarbasieren mit meist unklaren und zudem inflationär gehandhabten Begriffen wäre es sicherlich, differenzierte Vorschläge dahingehend auszuarbeiten, in welchen Bereichen sich die bestehenden Gesellschaftsformen der westlichen Industriestaaten weiterentwickeln und reformieren ließen oder selber praktische Schritte in die angedeutete Richtung zu unternehmen.81 Wie unfruchtbar und letztlich kontraproduktiv das Berauschen an Kritik gegenüber dem Modell des parlamentarischen Verfassungsstaats ist, mag dieser in vielen Bereichen noch so mangelhaft und entwicklungsbedürftig erscheinen, lehrt die Erfahrung von Weimar. Durch die Niederlage von 1945 ist Westdeutschland zu einer ausbaufähigen Demokratie geworden, welche die Sicherung von elementaren Menschenrechten zum Bestandteil der Verfassung erhoben hat. Eine ernsthafte Alternative zu der Niederlage der Deutschen im Zweiten Weltkrieg und der Übernahme einer solchen Staatsform hat es nach dem zwölfjährigen Terror des Nationalsozialismus und der von ihm verfolgten imperialen Lebensraumpolitik sowie dem Scheitern eines ohnedies zu spät und zu halbherzig gewagten deutschen Widerstandes nicht gegeben. Nicht auszumalen, was es für die Völker dieses Kontinents bedeutet hätte, wenn Hitler die rassenideologische und politische »Neuordnung Europas« auf lange Sicht hin tatsächlich gelungen wäre.


Anmerkungen:

1) Heinsohn, Gunnar: Lexikon der Völkermorde, Reinbek 1998.

2) März, Xaver: Bericht über den Prozeß gegen Gerhard Förster und Jürgen Graf wegen »Rassendiskriminierung« in Baden am 16. Juli 1998, o.O. 1998. Diese Darstellung enthält diverse Ungenauigkeiten, Irrtümer, Verdrehungen sowie fingierte Bevölkerungszahlen (siehe Anm. 11).

3) Goebbels, Joseph: Was wollen wir im Reichstag?, in: Der Angriff, 30. April 1928.

4) Weusthoff, Anja: Endlich geregelt? Zur Ahndung der Holocaust-Leugnung durch die deutsche Justiz, in: Bailer-Galanda, Brigitte u.a. (Hg.): Die Auschwitzleugner. »Revisionistische« Geschichtslüge und historische Wahrheit, Berlin 1996, S. 252-272.

5) Bondarew, Gennadij: Antroposofia..., Tom I, Moskau 1996, S. 197, 201 ff. und 207. In den fraglichen Textstellen schildert Bondarew zudem die von Fred Leuchter bzw. seinen Epigonen »in den ehemaligen Konzentrationslagern” angestellten »Messungen« und »Berechnungen«, welche den naturwissenschaftlichen Nachweis erbracht hätten, daß die Verfeuerung von Leichen in dortigen Öfen »physisch unmöglich« gewesen sei und zudem keine Zyanidspuren auffindbar wären. Was letztere Behauptung angeht, vergl. ausführlich Bailer, Josef: Die »Revisionisten” und die Chemie, in: Bailer-Galanda: Auschwitzleugner, S. 130-152. Bondarew verbreitete nachträglich die falsche Version, er habe in seinem Buch Anthroposophie auf der Kreuzung der okkult-politischen Strömungen der Gegenwart (Basel 1996) die Realität der Gaskammern keinesfalls geleugnet. Siehe Bondarew im Gespräch, in: Symptomatologische Illustrationen, Rundbrief des Moskau-Basel-Verlags, Februar 1998, S. 1-8, hier 6. In einem ausführlichen Beitrag für die Zeitschrift Die Drei habe ich diese Behauptung, die einige Anhänger des Russen vollkommen unkritisch reproduzierten, frühzeitig widerlegt. Dazu Sonnenberg, Ralf: Revisionistische Geschichtsleugnung und Esoterik. Zur Arbeitsweise des russischen Autors Gennadij Bondarew, in: Die Drei 2/1998, S. 53-58. Zur Entstehung des »Institute for Historical Review« und zur Arbeitsweise seiner Exponenten sowie deren politischen Hintergrund vergl. ausführlich Lasek, Wilhelm: »Revisionistische« Autoren und ihre Publikationen, in: Bailer-Galanda: Auschwitzleugner, S. 320-380 und Lipstadt, Deborah E.: Leugnen des Holocaust. Rechtsextremismus mit Methode, Reinbek 1996, S. 234 ff.

6) Bondarew im Gespräch, S. 1-8, hier 5 f. Die Gesprächsleiter stellen leider keine Fragen von quellenkritischen oder überhaupt wissenschaftlichen Belang, so daß dieses Interview zu einer reinen Selbstinszenierung des Protagonisten gerät.

7) Goldhagen, Daniel Jonah: Hitler’s Willing Executioners. Ordinary Germans and the Holocaust, New York 1996, S. 10.

8) Gennadij, Bondarew: Anthroposophie auf der Kreuzung der okkult-politischen Strömungen der Gegenwart, Basel 1996, S. 251 f.

9) Ebenda, S. 252.

10) Vergl. Distel, Barbara: Dachau, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte, München 1993, S. 49-53. Eberhard Kolb: Bergen-Belsen, 2. Aufl., Göttingen 1985. Kritisch zu Hellmut Diwalds Mitteilung, die Amerikaner hätten nach dem Krieg Attrappen von Gaskammern im Konzentrationslager Dachau errichtet, siehe Distel, Barbara: Leugnung und Diffamierung. Zum Konzentrationslager Dachau, in: Bailer-Galanda: Auschwitzleugner, S. 153-163. Auf die Ausführungen Diwalds stützt sich mittlerweile ein Großteil der rechtsradikalen Literatur. Laut Vernehmungsprotokoll verschiedener Zeugen wurde in Dachau 1942/43 ein Krematorium mit installierten Gaskammern gebaut. Die geplante Vergasung von Häftlingen in Dachau geht zudem ausdrücklich aus einem Schreiben Sigmund Raschers an Heinrich Himmler vom 9. August 1941 hervor. Abdruck dieses Dokuments in Distel: Leugnung, S. 160.

11) Xaver März führt in dem oben erwähnten Beitrag fiktive demographische Erhebungen an, denen zufolge im deutschen Herrschaftsgebiet auf dem Höhepunkt seiner Ausdehnung nicht einmal so viele Juden gelebt hätten, wie nach »offizieller Version« ermordet worden seien. März beruft sich hierbei auf das Buch Die Auflösung von Walter N. Sanning (Tübingen 1983) , der Schätzungen vorlegt, die jeder ernstzunehmenden Grundlage entbehren. Offensichtlich ist den Negationisten keine Behauptung zu abstrus, um sie nicht dennoch ins Spiel zu bringen. Diese Arbeitsweise stellt leider keinen Einzelfall dar: »Zur Methode gehören Erwägungen zur Statistik, aus denen zum Beispiel hervorgehen soll, daß es soviele Juden wie ermordet wurden, gar nicht gab, ebenso wie die Anführung erfundener »Beweise«, mit denen die Zahl von fünf bis sechs Millionen Opfern »widerlegt« wird.« Zitat aus Benz, Wolfgang (Hg.): Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, München 1996, S. 8. Dazu auch Neugebauer, Wolfgang: »Revisionistische« Manipulation der Zahl der Holocaustopfer, in: Bailer-Galanda: Auschwitzleugner, S. 164-169.

12) Benz: Dimension, S. 17.

13) Ebenda, S. 1-20.

14) März, Bericht, S. 5.

15) Vergl. Jean-Claude Pressac: Die Krematorien von Auschwitz. Die Technik des Massenmordes, München 1995. Pressac sichtet Baupläne, Korrespondenzen, Kostenvoranschläge, Lieferungsrechnungen und Gesprächsprotokolle der SS, welche die Errichtung von Vergasungs- und Verbrennungsanlagen belegen. Allerdings setzt der Nichthistoriker Pressac mit »700.000« die Anzahl der in Auschwitz Ermordeten deutlich zu niedrig an. Diese bewegt sich nach neuesten Schätzungen zwischen 1, 1 und 1, 35 Millionen (davon ungefähr 90 % Juden). Der Wert der von Pressac verfaßten Studie bleibt jedoch aufgrund der Präsentation und Auswertung von bislang unter Verschluß gehaltenen, aus russischen Archiven stammenden Dokumenten ungeschmälert. »So dankenswert solche Beweisführungen sind, und so notwendig es ist, den böswilligen Umdeutungen der Wirklichkeit im Interesse der Wahrheit und der Aufklärung entgegenzutreten, so wirkungslos bleibt dieses Bemühen gegenüber den »Revisionisten« selbst. Denn ihre Absicht ist es, entgegen allen Quellen, die natürlich keineswegs nur aus den Berichten überlebender Opfer bestehen, ein Phantombild zu fixieren, das die historische Realität ins Gegenteil verkehrt, den Nationalsozialismus rehabilitiert und antisemitische Vorurteile stabilisiert.« Zitat aus Benz, Wolfgang: »Revisionismus« in Deutschland, in: Bailer-Galanda: Auschwitzleugner, S. 38-51, hier 48 f. Desweiteren existieren andere Belege des Massenmords wie auf dem KZ-Gelände von Häftlingen der Sonderkommandos vergrabene Botschaften, Briefe von in Gaskammern beschäftigten Handwerkern u.v.m. Siehe Bailer-Galanda: Die Verbrechen von Auschwitz, in: Dies.: Auschwitzleugner, S. 98- 116.

16) Siehe Spector, Shmuel: »Aktion 1005« in: Gutman, Israel/ Jäckel, Eberhard u.a. (Hg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, 4 Bde., Bd. 1, München 1998, S. 10-14.

17) Ders.: Babi Jar, in: Enzyklopädie, S. 144 ff. Golczewski, Frank: Polen und Robel, Gerd: Sowjetunion, in: Benz: Dimension, S. 411-497 und S. 499-560. Vergl. auch Friedlander, Henry: Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, Berlin 1997. Friedlander gibt eine Darstellung der im Herbst 1939 auf schriftlichen Befehl Hitlers einsetzenden Euthanasiemorde an Behinderten und Kranken, denen bis Kriegsende schätzungsweise 120.000 wehrlose Menschen zum Opfer fallen. Zur Enstehung des Verlangens nach »Vernichtung lebensunwerten Lebens« sowie zur Konsolidierung des rassenhygienischen Paradigmas in der Weimarer Republik vergl. Schmuhl, Hans-Walter: Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung ‘lebensunwerten Lebens’ 1890-1945, München 1992. Weingart, Peter/ Kroll, Jürgen/ Bayertz, Kurt: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt a.M. 1992, S. 188-366.

18) Benz: Dimension, S. 17. »Bis zu 2 Millionen Juden werden ab Juni 1941 durch ­– der Wehrmacht zugeordnete – Einsatzgruppen meist durch Erschießen, weitere 3,5 Millionen ab Dezember 1941 in Gaskammern ermordet. Die Differenz zwischen 5,3 und 6 Millionen ergibt sich aus unterschiedlichen Berechnungen für die Zahl der Juden, die in Ghettos, auf Todesmärschen, an Seuchen und bei nicht registrierten Terrorakten umkommen.« Zitat aus Heinsohn: Lexikon, S. 202 f.

19) Ernst Nolte: Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen um den Nationalsozialismus, Berlin 1994, S. 318.

20) Rössler, Mechthild/ Schleiermacher, Sabine (Hg.): Der »Generalplan Ost«. Hauptlinien der nationalsozialistischen Planungs- und Vernichtungspolitik, Berlin 1993.

21) Vergl. Browning, Christopher R.: Wannsee-Konferenz, in: Gutman/Jäckel: Enzyklopädie, Bd. 3, S. 1516-1519, hier 1518.

22) Protokoll der sogenannten Wannsee-Konferenz vom 20.1. 1942, in: Poliakov, Leon/Wulf, Josef: Das Dritte Reich und die Juden, Dokumente und Aufsätze, Berlin 1955, S. 119-126. Dazu Pätzhold, Kurt: Die Wannsee-Konferenz ­– zu ihrem Platz in der Geschichte der Judenvernichtung, in: Röhr, Werner u.a. (Hg.): Faschismus und Rassismus. Kontroversen um Ideologien und Opfer, Berlin 1992, S. 257-290.

23) Browning: Wannsee-Konferenz, S. 1517.

24) Fleming, Gerald: Hitler und die Endlösung. Wiesbaden-München 1982, S. 59. Neuauflage: Hitler and the Final Solution, Berkeley-Los Angeles 1994.

25) Goebbels, Joseph: Die Juden sind Schuld!, in: Das Reich, 16. November 1941. Zitiert nach Reuth, Ralf Georg: Goebbels. Eine Biographie, München 1995, S. 491.

26) Zitiert nach Broszat, Martin: Hitler und die Genesis der »Endlösung«. Aus Anlaß der Thesen von David Irving, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25 (1977) 4, S. 758. Zur fachinternen Kontroverse zwischen den Vertretern des »Intentionalismus« um Andreas Hillgruber, Saul Friedländer und Klaus Hildebrand auf der einen und den »Strukturalisten« um Hans Mommsen und Martin Broszat auf der anderen Seite vergl. die Übersichten von Neugebauer, Wolfgang: Gab es einen schriftlichen Hitlerbefehl zur Judenvernichtung?, in: Bailer-Galanda: Auschwitzleugner, S. 175-181 sowie Wippermann, Wolfgang: Umstrittene Vergangenheit. Fakten und Kontroversen zum Nationalsozialismus, Berlin 1998, S. 204-245.

27) Goebbels, Joseph: Tagebucheintrag vom 17. Mai 1942, in: Tagebücher 1942/43, zitiert nach Jochheim, Gernot: Frauenprotest in der Rosenstraße, Berlin 1993, S. 101.

28) Krausnick, H: Diskussion, in: Jäckel, E. /Rohwer, J. (Hg.): Der Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg. Entschlußbildung und Verwirklichung, Stuttgart 1985, S. 84-86, hier 84.

29) Hilberg, Raul: Die Aktion Reinhard, in: Jäckel/ Rohwer: Der Mord, S. 124-136, hier 130.

30) Nürnberger Prozesse – Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, 14.11.1945-1.1.1946, 42 Bde., Bd. 31, Nürnberg, S. 85 f.

31) Pohl, Dieter: Kanzlei des Führers der NSDAP, in: Gutman/ Jäckel: Enzyklopädie, Bd. 2, S. 734-735, hier 735.

32) Vergl. Bailer-Galanda: Die Verbrechen von Auschwitz, in: Dies: Auschwitzleugner, S. 98-116, hier 99.

33) Broszat, Martin (Hg.): Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß, München 1958. Aus dem Umstand, daß Höß nach seiner Gefangennahme durch einzelne polnische Aufpasser Mißhandlungen erlitt und er einige Daten seiner kriminellen Laufbahn fehlerhaft erinnerte, haben Revisionisten die Legende konstruiert, dieses Selbstzeugnis sei inhaltlich wertlos und zudem unter Folter erpreßt worden. Typisch für eine solche Realitätsverweigerung ist die Darstellung von Robert Butler. Ders.: Legions of Death, London 1983.

34) Bailer-Galanda: Leuchter und seine Epigonen, in: Dies.: Auschwitzleugner, S. 117-129. Gutman/ Jäckel: Enzyklopädie, Bd. 2, S. 1019-1047.

35) Nur eine Auswahl: Bailer-Galanda, Brigitte: Leuchter. Bailer, Josef: Die »Revisionisten« und die Chemie, in: Bailer-Galanda: Auschwitzleugner, S. 117-152. Wellers, Georges: Der »Leuchter-Bericht« über die Gaskammern von Auschwitz: revisionistische Propaganda und Leugnung der Wahrheit, in: Dachauer Hefte 7 (1991), S. 230-241. Lipstadt: Leugnen, S. 253-288.

36) Benz, Wolfgang: »Revisionismus«, in: Bailer-Galanda: Auschwitzleugner, S. 49. Vergl. dens.: Judenvernichtung aus Notwehr? Die Legenden um Theodore N. Kaufman, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 29 (1981), S. 615-630. Der Autor widerlegt in diesem Beitrag die zahlreichen revisionistischen Legenden, welche sich bis in die Gegenwart hinein um den Urheber des während des Zweiten Weltkriegs entstandenen Pamphlets Germany must perish ranken. Kaufman, der amerikanisch-jüdischer Abstammung war, seinen spärlichen Lebensunterhalt aus dem Verkauf von Theaterkarten bestritt und die Schmähschrift Germany must perish im Selbstverlag publizierte, unterhielt trotz gegenteiliger Meldungen der Nazi-Presse keine Kontakte zu amerikanischen Regierungskreisen. Kaufmans germanophoben Sterilisationspläne stießen in der amerikanischen Öffentlichkeit auf zum Teil heftige Kritik. Diese bewog Kaufman bereits ein Jahr später dazu, seine abstrusen Sterilisationsvorschläge öffentlich zurückzunehmen. Gennadij Bondarew erblickt in dem Einzelgänger Kaufman einen Exponenten des Panamerikanismus, dessen fiktive Pläne zur Unfruchtbarmachung diesem eine ausdrückliche Erwähnung wert sind, während er die nationalsozialistische Sterilisationspraxis vollständig verschweigt. Siehe Bondarew, Gennadij: Die geistige Konfiguration Europas, Basel 1995, S. 53 und 57. Zur Erinnerung: Der eugenischen Zwangssterilisation in Deutschland fielen in einem Zeitraum von nur zwölf Jahren über 300.000 Menschen, vorwiegend Behinderte, Kranke, Juden, Sinti und Roma, zum Opfer. Zu dem von Hitler bereits am 14. Juli 1933 verabschiedeten »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« (GzVeN) und seiner radikalisierenden Auswirkung im Hinblick auf den Verlauf der eugenischen Praxis im Dritten Reich vergl. Friedlander: Der Weg, S. 61-83. Zur Verkehrung der Opfer-Täter-Relation siehe Sonnenberg, Ralf: Ein jüdischer Plan zur Vernichtung der Deutschen? Die Legende um Theodore N. Kaufman, in: Die Drei 6/1998, S. 54-57. 

37) Bondarew: Antroposofia, S. 201 sowie Bondarew im Gespräch, S. 2 u. 5.

38) Ein Indiz für diese These ist auch Bondarews Eintreten für die Bücher Victor Suvorows, welcher den deutschen Überfall auf die Sowjetunion zu einem Präventivkrieg umdeutet und somit wichtige Äußerungen Hitlers sowie die Praxis des von ihm instruierten rassenideologischen Vernichtungskriegs unterschlägt. Die Bezeichnung »Präventivkrieg« für Hitlers Umsetzung seiner »Lebensraum«-Eroberungspläne ist in jedem Fall irreführend und leistet einer Verharmlosung der Intentionen und des Charakters des nationalsozialistischen Angriffskriegs Vorschub. Kritisch zu den Thesen Suvorovs und auf Zitatfälschungen desselben hinweisend Gorodetsky, Gabriel: Stalin und Hitlers Angriff auf die Sowjetunion. Eine Auseinandersetzung mit der Legende vom deutschen Präventivschlag, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 37 (1989), S. 645-672, hier 654. Vergl. auch Pietrow-Ennker, Bianka: Deutschland im Juni 1941 – ein Opfer sowjetischer Aggression? Zur Kontroverse über die Präventivkriegsthese, in: Michalka, Wolfgang (Hg.): Der Zweite Weltkrieg: Analyse, Grundzüge, Forschungsbilanz, München 1990, S. 586-607, hier 588 f. Desweiteren siehe Hillgruber, Andreas: Hitlers Strategie, Politik und Kriegsführung 1940-41, München 1982. Hillgruber belegt Hitlers bis in die zwanziger Jahre zurückreichenden Pläne, einen blockadefesten und ethnisch homogenisierten Raum Kontinentaleuropa unter deutscher Okkupationsgewalt zu schaffen. Eine vollkommen andere Frage ist es, welche Motive Stalin dazu bewogen haben mögen, Truppenmassierungen der Roten Armee im Frühjahr 1941 an der Südwestflanke der UdSSR zu veranlassen.

39) Bondarew: Anthroposophie, S. 235.

40) Voslensky, M.S.: Das Geheime wird offenbar: Moskauer Archive erzählen; 1917-1991, München 1995.

41) David Irving’s Action Report, 1. Oktober 1995.

42) »Allein in dem noch immer »Höhle der Armenier« genannten Labyrinth bei Scheddadije (Nordsyrien) ermordete man vierzigtausend Deportierte.« Zitat aus Hofmann, Tessa: Annäherung an Armenien. Geschichte und Gegenwart, München 1997, S. 95. Im Zusammenhang mit dem armenischen Völkermord erscheint folgende Tatsache nicht unerheblich: Der antisemitische deutsche Offizier Max Erwin von Scheubner-Richter, der auf türkischer Seite kämpfte und die Armenier mit den Juden verglich, wurde später engster Vertrauter Hitlers und schritt mit diesem Arm in Arm beim »Marsch auf die Feldherrnhalle« November 1923. Möglicherweise geht Hitlers demozidale Entschlossenheit signalisierender Ausspruch »Wer redet heute noch von den Armeniern?« auf die frühe Begegnung mit von Scheubner-Richter zurück. Vergl. Heinsohn: Lexikon, S. 80.

43) Bondarew: Anthroposophie, S. 234-239, hier 234.

44) Werth, Nicolas: Ein Staat gegen sein Volk. Gewalt, Unterdrückung und Terror in der Sowjetunion, in: Courtois, Stephane u.a. (Hg.): Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München 1998, S. 51-295, hier 100.

45) Zustimmend zitiert Bondarew die Aussage eines zeitgenössischen holländischen Botschafters, wonach der Bolschewismus von den Juden »organisiert und verwirklicht worden« sei, »deren einziges Ziel es ist, die existierende Ordnung, um des eigenen Vorteils willen, zu zerstören.« Siehe Bondarew: Anthroposophie, S. 234.

46) Herzig, Arno: Jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1997.

47) Klier, John D./ Lambroza, Shlomo (Hg.): Pogroms: Anti-Jewish Violence in Modern Russian History, Cambridge 1992. Korey, William: Russian Antisemitism, Pamyat, and the Demonology of Zionism (Studies in Antisemitism Vol. 2), Chur 1995, S. 2.

48) Herbeck, Ulrich: Antisemitismus seit Beginn der Sowjetunion?, in: Mecklenburg, Jens/ Wippermann, Wolfgang: »Roter Holocaust?«. Kritik des Schwarzbuchs des Kommunismus, Hamburg 1998, S. 141-157, hier 143 sowie Koenen, Gerd: Utopie der Säuberung. Was war der Kommunismus?, Berlin 1998, S. 49 f.

49) Bondarew: Anthroposophie, S. 196.

50) Ebenda, S. 237.

51) Ebenda, S. 238.

52) Der Historiker Mark Tauger verficht eine vorsichtigere Deutung: »Die Maßnahmen des sowjetischen Regimes waren zwar hart, scheinen jedoch eher daran orientiert gewesen zu sein, eine unbeabsichtigte wirtschaftliche Krise und Hungersnot zu bewältigen, als eine derartige Krise bewußt herbeizuführen, um eine bestimmte Gruppe zu bestrafen.« Zitat aus Tauger, Mark B.: War die Hungersnot in der Ukraine intendiert?, in: Mecklenburg/ Wippermann: »Roter Holocaust?«, S. 158-167, hier 164. Zur Problematik des Vergleichs zwischen der ukrainischen Hungersnot und dem Holocaust siehe Rosenbaum, Alan S. (Hg.): Is the Holocaust Unique? Colorado 1996, S. 19-39 u. S. 137-162.

53) Bondarew: Anthroposophie, S. 200 f. u. S. 248 f.

54) Siehe Auerbach, Hellmuth: »Kriegserklärungen« der Juden an Deutschland, in: Benz: Legenden, S. 122-126.

55) Bondarew: Anthroposophie, S. 248.

56) Vergl. Graml, Hermann: Alte und neue Apologeten Hitlers, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Rechtsextremismus in Deutschland. Voraussetzungen, Zusammenhänge, Wirkungen, Frankfurt a.M. 1994, S. 30-66. Der Autor widerlegt auch die Legende einer Kriegserklärung des Jüdischen Weltkongresses an das Dritte Reich. Als Leiter dieser privatrechtlichen Organisation, der nicht mehr als 6 % der jüdischen Weltbevölkerung zugehörten, hatte Chaim Weizmann in einem Schreiben an Neville Chamberlain vom 29. August 1939 verkündet, daß die Juden im Fall eines Weltkriegs selbstverständlich auf der Seite Großbritanniens und der Demokratien stünden. Rechtsextremisten und Revisionisten dient dieser Ausspruch Weizmanns bis heute als Vorwand, Hitlers judenfeindliches Vorgehen bzw. die nationalsozialistische Vernichtungspolitik als »Notwehr« zu legitimieren.

57) Bondarew: Anthropsophie, S. 246 f.

58) Spector, Shmuel: Babi Jar, in: Gutman/ Jaeckel: Enzyklopädie, Bd. 1, S. 145.

59) Ebenda, S. 144 ff.

60) »Was soll man über die Juden denken, wenn sich das (gemeint ist der Holocaust, Anm. R.S.) als Bluff herausstellt? Was soll mit den deutschen Kompensationen geschehen, auf deren Grundlage ein beträchtlicher Teil Israels errichtet ist? Was soll mit der »Umerziehung«, mit den »umerzogenen« Deutschen geschehen?« Zitat aus Bondarew: Antroposofia, S. 201. Zu den sogenannten Wiedergutmachungszahlungen an Opfer des Nationalsozialismus und an den Staat Israel vergl. Goschler, Constantin: Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus (1945-1954), München 1992.

61) Hofer, Christian: Die Verwendung historischer Mythen im Rahmen der Staatsbildung Israels, in: Haumann, Heiko (Hg.): Der Erste Zionistenkongreß von 1897 – Ursachen, Bedeutung, Aktualität, Basel 1997, S. 358-361 sowie Lüthi, Barbara: Die Veränderbarkeit von Geschichte: Israels Historikerdebatte, in: Ebenda, S. 362-366. Vergl. auch Zimmermann, Moshe: Wende in Israel. Zwischen Nation und Religion, Berlin 1996, S. 41-46.

62) Bondarew: Anthroposophie, S. 245 sowie Bondarew im Gespräch, S. 6. Auch hier liefert der Autor keinerlei Hintergrundinformationen und leistet somit der Entstehung irreführender Assoziationen Vorschub: Die 1975 vom Weltsicherheitsrat verabschiedete Resolution, welche den »Zionismus als Form des Rassismus« bezeichnete, verdankte ihr Zustandekommen einem Übergewicht von 21 arabischen Staaten mit ihren islamischen Verbündeten sowie diversen sozialistischen Staaten in den Ausschüssen der UNO. 1991 wurde diese Resolution jedoch aufgrund ihrer Einseitigkeit von den Gremien der Vereinten Nationen zurückgenommen. Siehe Tophoven, Rolf: Bestimmungsfaktoren israelischer Außenpolitik, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Israel. Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft (Informationen zur politischen Bildung Nr. 247), Bonn 1995, S. 27-32, hier 29.

63) Siehe Haumann, Heiko: »Eine jüdische Schweiz auf Actien?« Innerjüdische Opposition gegen den Zionismus, in: Ders.: Der Erste Zionistenkongreß, S. 331-334, hier 332.

64) Siehe Bondarew: Anthroposophie, S. 249 ff. Zu diesem Komplex existiert mittlerweile eine umfangreiche Literatur von israelischen Historikern, die wie Dina Porath, Tom Segev oder Idit Zartal die Politik der zionistischen Führung um David Ben-Gurion einer elementaren Kritik unterziehen und der Jewish Agency eine Unterlassungsschuld gegenüber den europäischen Opfern der Shoah attestieren. Vergl. auch Zimmermann: Wende, S. 45 f. Ders.: Die deutschen Juden 1914-1945, München 1997, S. 64 f. Ders.: Jenseits der Schuldzuweisungen, in: Allgemeine jüdische Wochenzeitung, Nr. 16, 6. August 1998, Titelseite sowie das Interview »Die Kette der Gewalt endlich durchbrechen.” Der israelische Sozialhistoriker Moshe Zimmermann plädiert für einen neuen Umgang mit dem Holocaust, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 165, 21. Juli 1998, S. 8. In diesem Gespräch kritisiert Zimmermann die Instrumentalisierung des kollektiven Gedächtnisses der Shoah durch israelische Politiker.

65) Siehe z.B. Steiner, Rudolf: Vom Wesen des Judentums. Elfter Vortrag vom 8. Mai 1924, in: Die Geschichte der Menschheit und die Weltanschauungen der Kulturvölker (GA 353), Dornach 1968, S. 179-196, hier 188 ff. In dem nachstehenden Zitat kommt Steiners grundsätzliche Ablehnung des nationalstaatlichen Prinzips zum Ausdruck, die sich keinesfalls nur auf das zionistische Ansinnen beschränkte, einen »Judenstaat« zu proklamieren: »Solch eine Sache ist heute gar nicht zeitgemäß; denn heute ist dasjenige zeitgemäß, dem jeder Mensch, ohne Unterschied von Rasse und Volk und Klasse und so weiter sich anschließen kann.« (S. 188). Die Bemühungen eines Teils der israelischen »Neuen Historiker« im Gefolge Moshe Zimmermanns zielen gerade auf eine theoretische und praktische Überwindung des von Steiner so vehement kritisierten Nationalstaatsgedankens ab.

66) Hier nur eine Auswahl: Cohn, Norman: »Die Protokolle der Weisen von Zion.« Der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, Baden-Baden 1998. Pipes, Daniel: Verschwörung. Faszination und Macht des Geheimen, München 1998. Pfahl-Traughber, Armin: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat, Wien 1993. Sammons, Jeffrey L.: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Grundlage des modernen Antisemitismus – eine Fälschung, Göttingen 1998. Vergl. auch die kritische Auseinandersetzung mit dem umstrittenen Buch Karl Heises, das erstmals 1919 erschien und für das Rudolf Steiner nach Auskunft der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung in Dornach ein anonymes Vorwort beisteuerte: Spalinger, Manfred: Karl Heises »Entente-Freimaurerei und Weltkrieg« – Versuch einer Beurteilung, in: Wagner, Arfst (Hg.): Beiträge zur Dreigliederung, Anthroposophie und Kunst, Nr. 40/41, Rendsburg 1994, S. 15-37.

67) Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit. Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode, 1. Aufl., Berlin 1894.

68) Charakteristisch für eine solche Haltung sind die Beiträge Harrie Salmans in der Zeitschrift Lazarus. Vergl. Salman, Harrie: Der politische Okkultismus, in: Lazarus 4 (1996), S. 13-18 sowie dens.: Die Angst vor dem freien Denken. Die Anpassung der Anthroposophie an die öffentliche Meinung, in: Lazarus 4 (1997). Auffällig im Hinblick auf die Argumentationsweise Salmans ist dessen Vorliebe für Schwarz-Weiß-Kategorien. Wer die nachträgliche Instrumentalisierung einzelner Aussagen Steiners über die Wirksamkeit okkulter Logen oder des »Jesuitismus« problematisiert, wird unverzüglich zum Feind der Anthroposophie und ihres Begründers abgestempelt. Auf der Negativfolie dieses überspitzten Vorwurfs soll das eigene einseitige Gebahren offenbar besser zur Geltung gebracht werden.

69) Steiner, Rudolf: Vortrag vom 21.03. 1921, in: Mathematik, wissenschaftliches Experiment, Beobachtung und Erkenntnisergebnisse vom Gesichtspunkte der Anthroposophie (GA 324), Dornach 1980. Steiner spart in diesem Vortrag nicht mit Kritik in bezug auf den dilettantischen Umgang mit Ergebnissen der Geistesforschung sowie solchen der herkömmlichen Wissenschaften.

70) Witzenmann, Herbert: Die Kategorienlehre Rudolf Steiners, Krefeld 1994, S. 44. Ders.: Goethes universalästhetischer Impuls. Die Vereinigung der platonischen und aristotelischen Geistesströmung, Dornach o.J., S. 415 f.

71) Gugenberger, Eduard / Petri, Franko/ Schweidlenka, Roman: Weltverschwörungstheorien. Die neue Gefahr von rechts, Wien-München 1998. Vergl. die Rezension des Buches: Sonnenberg, Ralf: Verschwörung der Verschwörer?, in: Info3, Nr. 9, September 1998, S. 37.

72) Siehe Röschert, Günter: Anthroposophie als Aufklärung, München 1997, S. 112-120. Nach all den Lobeshymnen, welche die anthroposophische Publizistik im Zusammenhang mit dem Erscheinen dieses Buches intonierte, bleibt hoffnungsvoll abzuwarten, ob das Anliegen des Autors tatsächlich verstanden wurde und sich in der nächsten Zeit ein grundlegender Wandel in der Auseinandersetzung mit den Schriften und Vorträgen Rudolf Steiners abzeichnen wird.

73) Courtois: Das Schwarzbuch. Auf einzelne Irrtümer und Unschärfen des Buches hinweisend: Mecklenburg/ Wippermann: »Roter Holocaust?«. Siehe auch Möller, Horst (Hg.): Der rote Holocaust und die Deutschen. Die Debatte um das »Schwarzbuch des Kommunismus«, München 1999.

74) Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1998.

75) »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987.

76) Anregungen für eine Auseinandersetzung mit dem Thema Völkerkarma und Völkermission können dem Werk Hans Erhard Lauers entnommen werden, das trotz mancher zeitbedingter Unschärfen in bezug auf Qualität und Ausgewogenheit der Gedankenführung bis heute unübertroffen bleibt. Dies erscheint umso bemerkenswerter, als Lauers Studie ein Jahr vor dem Höhepunkt der außenpolitischen Erfolge Hitlers erschien. Ders.: Die Volksseelen Europas. Grundzüge einer Völkerpsychologie auf geisteswissenschaftlicher Basis, Wien 1937. Kritisch anzufragen wäre jedoch, inwieweit sich Ausführungen, die vor mehr als einem halben Jahrhundert in der Absicht einer Skizzierung der Geistgestalt Europas niedergelegt wurden, auf die geistig und politisch veränderte Situation der Gegenwart übertragen lassen. Zudem ist heute allem Anschein nach kein Autor imstande, die völkerpsychologischen Betrachtungen Steiners in wissenschaftlich befriedigender Weise fortzuentwickeln.

77) Ein jüngstes Beispiel für diese Variante anthroposophischer Geschichtsschreibung stellt die Schrift Karl Buchleitners dar: Ders.: Das Schicksal der anthroposophischen Bewegung und die Katastrophe Mitteleuropas, Schaffhausen 1997.

78) Vergl. Schäfer, Hans Dieter: Amerikanismus im Dritten Reich, in: Prinz, Michael/ Zitelmann, Rainer (Hg.): Nationalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 1994, S. 199-215.

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