suche | spenden | impressum | datenschutz
Anthroposophie / Erweiterungen / Grundbegriffe der Esoterikforschung

Grundbegriffe der Esoterikforschung


Gnosis

Laut Faivre ist Gnosis eine intellektuelle und spirituelle Aktivität, die zu einer besonderen Form des Wissens führt. Anders als wissenschaftliche oder »rationale« Erkenntnis (die die Gnosis nicht ausschließt, sondern nutzt) ist Gnosis eine integrative Erkenntnisform, die grundlegende Beziehungen erfasst, nicht zuletzt solche, die am wenigsten offensichtlich sind, wie die zwischen den unterschiedlichen Ebenen der Realität, zum Beispiel zwischen Gott, der Menschheit und dem Universum. Gnosis ist entweder dieses Wissen oder die Intuition und Gewissheit, eine Methode zu besitzen, die Zugang zu diesem Wissen verschafft. Gnosis ist umfassender als die aristotelische Metaphysik, weil sie darauf abzielt, das Selbst, die Beziehung des Erkenntnissubjektes zum Selbst und jene zur gesamten äußeren Welt in einer einzigen Schau der Wirklichkeit zu integrieren. Einer statischen Metaphysik des Seins stellt die Gnosis eine dynamische und genetische Metaphysik gegenüber.

Die Gnosis esoterischer Strömungen besitzt nach Faivre zwei charakteristische Merkmale: (i) Sie verneint die Unterscheidung zwischen Glauben und Wissen. (ii) Und dem gnostischen Wissen wird eine Heilsfunktion zugeschrieben, da es zur Ganzwerdung des Menschen beiträgt. Der Ausdruck Gnosis verweist sowohl auf die spirituelle und intellektuelle Haltung als auch auf den Korpus des Wissens, der diese Haltung zum Ausdruck bringt. Ein Teil dieses Korpus enthält der Gnostizismus, ein religiöses System, das zusamme mit dem Christentum in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende erscheint (Basilides, Valentinus, Marcion usw.). Eine Besonderheit dieses Systems ist der radikale ontologische Dualismus (die Ablehnung der geschaffenen Welt, die als böse betrachtet wird), der von vielen Gnostikern in den ersten Jahrhunderten vertreten wird, von späteren Esoterikern jedoch nicht mehr, jedoch in manchen religiösen Bewegungen wie bei den bulgarischen Bogomilen und den Katharern auftritt, die jedoch nicht spezifisch esoterisch sind. Gnosis wird oft mit diesem Gnostizismus gleichgesetzt, was jedoch in die Irre führt.

Esoterik wird etymologisch oft aus eso-thodos oder eiso-theo, »Weg nach innen«, abgeleitet. Deswegen wird sie manchmal als Innensicht der Welt charakterisiert, als ein Wissen, das durch eine Gnosis hindurchgeht, um individuelle Erleuchtung und Erlösung zu erlangen, eine Erkenntnis, die den Menschen mit Gott oder der göttlichen Welt verbindet, oder eine Erkenntnis, welche die Geheimnisse Gottes enthüllt. Im letzteren Sinn ist Gnosis nichts anderes als Theosophie.

Um dieses Wissen zu erlangen, steigt der Mensch in die Tiefen seines Wesens hinab, in eine Innenwelt, die jedoch nicht subjektiv oder romantisch zu verstehen ist. Dieser Abstieg in das eigene Innere, in das tiefere Selbst, erfolgt auf einem bestimmten Weg, in einem Prozess der Initiation. Auf diesem Weg gilt es die Wegweiser zu erkennen, denn er verläuft über eine Reihe von Zwischenstationen. In bestimmten esoterischen Traditionen handelt es sich dabei um Seinszustände oder Bewusstseinszustände, allgemeiner jedoch um Engel, um Wesen, die als »intellectus agens« oder als »Weltseele« bezeichnet werden und die mehr oder weniger zahlreich, mehr oder weniger persönlich sind, aber immer irgendwie verwandt mit dem Menschen. Ohne diese Verwandtschaft wäre eine Begegnung mit ihnen nicht möglich. Auf dem Initiationsweg geht es weniger darum, diese Wesen zu einem vorteilhaften Eingreifen zu bewegen, als darum, sie zu erkennen.

Den Initiationsweg beschreitet man, indem man sich auf ihn begibt, entweder alleine mit Hilfe von Texten, die die Geheimnisse verbergen, aber zuleich die Schlüssel zu ihnen enthalten, oder mit der Hilfe eines Initiators, bei dem es sich um einen einzelnen Meister oder um eine initiatorische Gemeinschaft handeln kann. Die Initiation führt zu einer Erneuerung des Bewusstseins, sie ruft das Wissen, das wir verloren haben, wieder ins Gedächtnis - das Motiv des Verlorenen Wortes, des Exils, das durch die Ursünde verursacht wurde -, und lässt die Beziehung des Menschen zum Heiligen und zum Universum neu erstehen. Ob mit oder ohne Meister, der Schüler muss ein Wissen - oder eine Form des Nichtwissens erlangen -, das durch das Wort vermittelbar ist und dank diesem in der Erkenntnis voranschreiten, die ihn mit höheren Wesen (Theosophie im eigentlichen Sinn) oder mit kosmischen Kräften, mit der lebendigen Natur verbindet (Theosophie im weiteren Sinn).

Ohne die »aktive Imagination« wird die Initiation laut Faivre kaum erfolgreich sein. Diese Imagination lässt den Schüler die Sterilität der rein diskursiven Logik überwinden, ebenso die regelfreien Extravaganzen der bloßen Phantasie oder Sentimentalität. Diese aktive Imagination schützt vor den Gefahren der bloß seelischen, »niederen Imagination«, der Quelle des Irrtums und der Unwahrheit. Die »wahre Imagination«, das Auge der Seele, verbindet den Menschen mit der imaginativen Welt (dem »mundus imaginalis« Henry Corbins, der »Welt der Imagination« Rudolf Steiners). Die Welt der Imagination ist die Welt der Zwischenwesen, ein überaus realer Mesokosmos mit einer eigenen Geographie, der für jeden von uns in der Form der jeweiligen Bilderwelt erscheint, die seine Kultur dafür geschaffen hat.

»Gnosis« im allgemeinen Sinn bedeutet ebenso wie das Sanskritwort »Jnana« Erkenntnis, Wissen und Weisheit. Das späte griechische Denken und die Kirchenväter unterschieden zwischen Gnosis und Episteme und führten eine Trennung zwischen dem Wissen und seiner heiligen Quelle ein, während die Wurzel »Kn«, die in »genesis« enthalten ist, sowohl Erkennen als auch Ins-Dasein-Kommen bedeutet. Franz von Baader, nach Faivre der bedeutendste deutsche Theosoph des 19. Jahrhunderts, konnte aufgrund dieser Verwandtschaft von Erkennen und Werden einen Teil seines Werkes der ontologischen Identität von Lernen und Zeugen widmen. Indem Gnosis uns zur Geburt oder besser Wiedergeburt verhilft, macht sie uns ganz und befreit uns. Wissen heißt befreit werden. Es genügt nicht, mit Symbolen oder Dogmen intellektuell umzugehen, wo spirituelle Traditionen wirklich gelebt werden, muss man von ihnen befruchtet werden, was nur jenen gelingt, die in die Welt der wahren Imagination vordringen können.

»Gnosis« im Sinne von »Wissen« oder »Kenntnis« ist in der Tat noch keine Erkenntnis, aber zwischen Glauben und Wissen gibt es etwas Drittes: die Imagination. Die islamische Gnosis unterscheidet zwischen dem intellektuellen Wissen, einem Wissen der traditionellen Inhalte des Glaubens, und Erkenntnis oder innerer Schau, der intuitiven Offenbarung. Die letztere eröffnet den Zugang zur imaginativen Welt.

Gnosis ist diese innere Schau. Sie wird durch Erzählungen zum Ausdruck gebracht, ihre Ausdrucksform ist das Rezitativ. Gnosis glaubt nur, soweit sie auch weiß. Sie ist Weisheit und Glaube in einem. Sie ist »Pistis Sophia«.

Gnosis im eigentlichen Sinn ist also höheres Wissen, das zu den gewöhnlichen Wahrheiten der positiven Offenbarung hinzugefügt wird, die »Vertiefung dieser Offenbarung durch eine besondere Gnade«, wie Pierre Deghaye sagt. Gnosis ist heilige Wissenschaft par excellence. Der Theosoph Friedrich Christoph Oetinger bezeichnete sie im 18. Jahrhundert als »philosophia sacra«. Heilige Philosophie, die Erlösung bringt, weil sie imstande ist, Metamorphosen, die innere Wandlung des Menschen zu bewirken, nicht durch diskursive Denkbewegungen, sondern durch eine erzählende Offenbarung verborgener Dinge, durch ein heilendes Licht, das Leben und Freude bringt, das Erlösung verursacht und sichert. Zu wissen, wer wir sind und wo wir herkommen, ist bereits, in gewisser Weise, unsere Rettung. Gnosis ist ein Wissen, das nicht theoretisch ist, sondern praktisch, das imstande ist, das wissende Subjekt zu verändern, sie gleicht der Alchemie, die nicht nur Stoffe umwandelt, sondern auch den Adepten selbst.

Die schiitische Esoterik und die jüdische Kabbala repräsentieren eine spirituelle Haltung, die jener der christlichen Esoterik essentiell gleichsteht. Der Islam ließ die Esoterik blühen. Nach muslimischer Tradition besitzt der Koran sieben esoterische Bedeutungen, worauf ein »hadith« des Propheten anspielt: »Ich tauchte in den Ozean seiner Geheimnisse  und zog die Perlen seiner Subtilitäten hervor. Ich hob die Schleier der Worte und Buchstaben, die seine wahren Tiefen bedecken, die geheimen Bedeutungen, die dort liegen – fern von den Augen der Menschen.«

Der islamische Gnostiker übt den ta’wil, die spirituelle Schriftdeutung. Der Buchstabe ist lediglich die Rückwand einer Höhle oder einer verborgenen Realität. Mehr als andere Strömungen des Islam trug der Schiismus zu einer göttlichen Offenbarung im Lichte der Prophetie bei, die niemals abgeschlossen ist und einer fortgesetzten Deutung bedarf. Das heißt nicht, ein bereits bestehendes göttliches Gesetz durch ein anderes zu ersetzen, sondern den Sinn dieses Gesetzes immer mehr und immer besser zu verstehen. Solche Vorstellungen finden sich auch im Christentum, auch wenn die offizielle Theologie sie zu verdrängen versucht hat. Der Grund, oder besser Vorwand, ist die Betonung der absoluten Transzendenz Gottes gegenüber den Geschöpfen, damit der Abgrund zwischen beiden unausgefüllt bleibe. Aber »trans« bedeutet nicht nur Grenze, sondern auch Übergang. Ungeachtet einer negativen Theologie in Bezug auf das Wesen der Gottheit selbst, die vielen westlichen esoterischen Strömungen gemeinsam ist, bestehen diese doch immer auf einem Stufenweg und auf Wesen, die zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen vermitteln.

Daher gewährt Esoterik Zugang zu einer höheren Ebene der Intelligenz, auf der Dualitäten aller Art überwunden werden, zu einer Einheit, die keinesfalls passiv ist. Es ist keine Einheit im Sinne einer Einerleiheit, sondern eine Einheit, die Dualität einschließt, eine dynamische oder energetische Dualität. Für diese Einheit sind verschiedenste Bezeichnungen geprägt worden: Paulus spricht vom »inneren Menschen«, Sri Aurobindo vom »Übergedanklichen«, René Guénon von der »erleuchteten Intuition«, Husserl vom »transzendentalen Ego«, Mircea Eliade von der »enstasis«. Raymond Abellio redet von der »Infusion«, und im Hinblick auf die Vollendung des Mysteriums der Inkarnation in Mann und Frau von der »konkreten und andauernden Teilhabe an der universellen Interdependenz«.

Die Enstasis will zum Ausdruck kommen, sie will verbreitet, mitgeteilt werden, aber nicht in Form von Ausflüssen – daher spricht Abellio auch von »Infusion« –, sondern in mündlicher oder schriftlicher Form, durch einen Schleier von Symbolen und in Anonymität. Und sie will, dass sie von neuem erzeugt und entdeckt wird, denn es geht nicht um die Suche nach Originalität, die angesichts der ewigen Wahrheit ohnehin lächerlich erscheint. Esoterik verlangt Demut, aber geistige Demut, nicht sentimentale. Liebe auch, aber eine Liebe, die ihre Kraft bewahrt und sich nicht in Sentimentalität oder Begehren oder sinnlicher Ausschweifung verliert. Begehren nach dem Unendlichen? Möglicherweise. Aber viel eher ist die logische und ontologische Tendenz dieser Liebe, wie Frithjof Schuon betont, auf ihre eigene transzendentale Essenz gerichtet.

Gnosis ruft laut Faivre stets das Mystische nach sich, sowie alles Mystische immer auch Gnosis enthält. Mystizismus, eher nächtlich, neigt zum Verzicht, Gnosis, eher sonnenhaft, wird Befreiung anstreben und sich aufs Systematisieren verlegen, auch wenn der Mystiker auf seinem Pfad manchmal dieselben Zwischenwesen findet wie der Gnostiker. Aber während der Gnostiker in erster Linie erleuchtendes und erlösendes Wissen anstrebt, begrenzt der Mystiker die Zahl der Zwischenwesen so gut er kann und strebt vor allem nach einer Vereinigung mit Gott, einer Vereinigung die in den drei abrahamitischen Religionen an der ontologischen Unterscheidung zwischen Gott und Mensch festhält. Zur Gnosis in diesem Sinn gehören Prozeduren oder Rituale, die darauf abzielen, bestimmte geistige Mittelwesen zur Erscheinung zu bringen. Darum geht es in der Theurgie.

Die esoterische Haltung der Gnosis ist daher eine mystische Erfahrung, an der die Intelligenz und die Erinnerung teilhaben, die sich in symbolischen Formen ausdrückt, welche die verschiedenen Ebenen der Realität wiederspiegeln. Gnosis ist, nach einer Bemerkung des Theosophen Valentin Tomberg, die Ausdrucksform einer Intelligenz und einer Erinnerung, die durch eine mystische Erfahrung hindurch gegangen sind. Ein Gnostiker wäre demnach ein Mystiker, der imstande ist, seine eigenen Erfahrungen jemand anderem mitzuteilen, in einer Form, die den Charakter der Offenbarungen bewahrt, die er beim Durchgang durch die verschiedenen Ebenen des »Spiegels« erhalten hat. Ein Beispiel für eine mystische Aussage wäre: »Gott ist Liebe; wer in der Liebe wohnt, wohnt in Gott und Gott in ihm«; oder »Mein Vater und ich sind eins«. Ein Beispiel für eine gnostische Aussage wäre: »Gott ist eine Trinität: Vater, Sohn und Heiliger Geist« oder »Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen«.


Theosophie

Auch zum Begriff und zur Geschichte der Theosophie hat Faivre im einleitenden Kapitel seines Buches »Zugang zur westlichen Esoterik« einiges Erhellende zu sagen. Die Theosophie ist nach ihm eine Gnosis, die sich nicht nur auf die Heilsbeziehung des Einzelnen zur göttlichen Welt erstreckt, sondern auch auf die Natur Gottes selbst, auf die göttlichen Personen und das natürliche Universum, den Ursprung dieses Universums, seinen verborgenen Aufbau, seine Beziehung zur Menschheit und sein künftiges Ende. Die Theosophie trägt laut Faivre zur Esoterik eine Kosmosophie bei, in der die Welt von Intentionalität durchdrungen ist, und bewahrt sie auf diese Weise davor, in Solipsismus zu verfallen. Die Theosophie öffnet die Esoterik für das gesamte Universum und eröffnet ihr die Möglichkeit einer Philosophie der Natur.

Etymologisch bedeutet Theosophie »Weisheit von Gott« oder »göttliche Weisheit«. Die griechischen und lateinischen Kirchenväter verwenden den Ausdruck als Synonym für Theologie, was naheliegt, da »Sophia« Wissen, Lehre und Weisheit bedeutet. Der »Sophos« ist der Weise. Die Theosophen sind jene, die von den göttlichen Dingen wissen, aber das sind nicht ausschließlich Theologen. Theosophie wird insofern von Theologie abgegrenzt, als sie auf ein Wissen vom gnostischen Typus verweist. In diesem Sinn spricht Dionysios Areopagita im 6. Jahrhundert von Theosophie. In der Renaissancezeit tritt der Begriff vermehrt auf, hier noch vielfach synonym mit Theologie oder Philosophie. Johannes Reuchlin, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts die christliche Kabbala verbreitet, spricht – ebenso Cornelius Agrippa von Nettesheim – von »Theosophisten« und meint damit »dekadente Scholastiker«.

Ende des 16. Jahrhunderts erhält der Begriff unter dem Einfluss des Buches »Arbatel« deutlichere Umrisse. Der Arbatel handelt von der weißen Magie und erscheint zwischen 1550 und 1560. Hier hat die Theosophie fast vollständig ihre heutige Bedeutung angenommen. Im esoterischen Sinn verwendet das Wort Heinrich Khunrath Ende des 16. Jahrhunderts. Die Theosophie Boehmes hebt stets mit der Natur an, die er als himmlisch und göttlich begreift. Zur selben Zeit verfasst Valentin Weigel sein »Libellus Theosophiae« (Büchlein der göttlichen Weisheit), wenn auch der Titel nicht vom Autor stammt, sondern von den Herausgebern, die es erst 1618 veröffentlichen. Die Theosophie erhält ihre moderne Bedeutung während der Hochblüte der Barockliteratur durch deutsche Autoren, in derselben Epoche, in der auch das Rosenkreuzertum in Erscheinung tritt (1610-1620).

Seither wird Theosophie häufig verwendet, so von Johann Georg Gichtel und Gottfried Arnold. Sie tritt oft in Begleitung der »Pansophie« auf, die mit Rosenkreuzertum und Paracelsismus zusammengeht, und zuerst vom platonischen und hermetischen Philosophen Francesco Patrizi umrissen wird. Die Pansophie verbindet zwei Aspekte der Theosophie miteinander: Weisheit durch göttliche Erleuchtung und Erkenntnis durch das Licht der Natur. Jan Amos Comenius versteht unter Pansophie ein System universellen Wissens, in dem alle Dinge durch Gott gemäß analogen Beziehungen angeordnet und klassifiziert sind. Oder auch ein Wissen von den göttlichen Dingen, das aus der konkreten Welt gewonnen wird, aus dem gesamten Universum, dessen Signaturen oder Hieroglyphen erst entziffert werden müssen. Das Buch der Natur hilft dem Menschen, die Heilige Schrift und den Schöpfer besser zu verstehen. Danach beschritte Theosophie, im Unterschied zur Pansophie, den umgekehrten Weg: sie erkennt das Universum aus Gott. Aber ab dem 18. Jahrhundert begreift die Theosophie beide Denkbewegungen, die aufsteigende und die absteigende, in sich.

In diesem Jahrhundert wird die Theosophie in den philosophischen Wortschatz aufgenommen und findet weite Verbreitung. Die zwei wichtigsten theosophischen Werke erscheinen in Deutschland. Die »Theophilosophia theoretica et practica« von Sincerus Renatus und das »Opus mago-cabalisticum et theosophicum« von George von Welling. Der Pastor Jacob Brucker behandelt in seiner monumentalen »Historia critica Philosophiae« 1741 alle damaligen Theosophen. Obwohl Brucker die Theosophie ablehnt, hat kaum jemand so viel zu ihrer Verbreitung beigetragen, wie er.

Anders in Frankreich, wo in der Zeit der Aufklärung die meisten Lexika die Theosophie nicht behandeln. Ausgerechnet Denis Diderot jedoch widmet ihr in der Enzyklopädie einen langen Artikel. Er referiert weite Passagen aus Bruckers »Geschichte der Philosophie«, ohne die Quelle zu nennen. Diderot schwankt zwischen Sympathie und Ablehnung. Trotz einer gewissen Bewunderung für die Vertreter dieser Form von Esoterik hat er anderes im Sinn. Dennoch trägt er zur Verbreitung des Wortes - und der Ideen - in Frankreich bei.

Seit dieser Zeit herrscht Theosophie in ihrer esoterischen Bedeutung vor. Friedrich Schiller verfasst eine »Theosophie des Julius«, die 1787 in der Thalia erscheint, in der der gesamte Weltprozess aus der göttlichen Liebe entwickelt wird. Helena Petrowna Blavatsky sorgt, so Faivre, etwas für Verwirrung, als sie 1875 die Theosophische Gesellschaft gründet, die ihre synkretistischen Lehren hauptsächlich aus Asien bezieht. Das trifft, muss man Faivre hier ergänzen, für die »Geheimlehre« Blavatskys zu, nicht aber für ihr erstes Werk, die »Entschleierte Isis«, die vollständig aus hermetisch-kabbalistischen und rosenkreuzerischen Traditionen schöpft. Allerdings beginnt der Begriff der Theosophie im Werk Blavatskys erst mit der Begründung der Theosophischen Gesellschaft eine Rolle zu spielen.

Unter Theosophie oder Esoterik versteht Faivre nach all dem in erster Linie eine Hermeneutik, eine von Gott geleitete Deutungskunst, die von einer Offenbarungsschrift ausgeht, und sowohl intellektuelle, spekulative Denkbewegungen einschließt, als auch eine Offenbarung durch Erleuchtung. Die Denkformen sind analog und homolog, der Mensch und der Kosmos werden als Symbole Gottes betrachtet. Die Deutung bezieht sich auf die inneren Geheimnisse der Gottheit selbst (Theosophie im engeren Sinn) oder auf das gesamte Universum (Theosophie im weiteren Sinn).

Der Theosoph geht von einem durch die Offenbarung gegebenen Mythos aus, zum Beispiel der Schöpfungserzählung der Genesis, dem er durch seine aktive Imagination symbolische Resonanzen entlockt. Bereits die Gnosis als Weg der individuellen Heiligung enthielt eine Idee der Durchdringung. In der Theosophie bedeutet diese Durchdringung nicht nur den Abstieg in die Tiefen des eigenen Selbstes. Der Theosoph dringt auch in die Tiefen der Natur und des Göttlichen vor. (Diese Unterscheidung Faivres ist etwas künstlich, denn selbst die nichtchristliche Gnosis führt nach ihrem Selbstverständnis zu einer Erkenntnis des inneren Wesens Gottes und der Natur, auch wenn sie von beiden einen anderen Begriff hat, als die christliche Theosophie). Die Natur strebt nach einer Erlösung, zu der der Mensch den Schlüssel in der Hand hält.

Seit dem alexandrinischen Corpus Hermeticum ist in der Esoterik die Ansicht geläufig, der menschliche Geist sei göttlichen Ursprungs, wodurch er auch die Bildeprinzipien des Kosmos in sich enthält. (Der Gedanke ist natürlich älter, er findet sich schon bei Plato und Aristoteles). Der menschliche Geist ist gleichen Wesens mit den Planetenregenten, von denen der Poimandres spricht. Daher ist er auch mit den Spiegelungen und Wirkungen dieser Planetenintelligenzen auf der Erde und in der Natur wesensverwandt. Und die Gottheit, die laut Boehme in sich selbst, in absoluter Transzendenz ruht, geht gleichzeitig aus sich selbst heraus. Gott ist ein verborgener Schatz, der sich danach sehnt, entdeckt zu werden. Er offenbart sich teilweise, indem er sich im Herzen einer ontologischen Sphäre zweiteilt, die zwischen der erschaffenen Welt und dem Unerkennbaren liegt, einer Sphäre, wo der Schöpfer und die Geschöpfe sich begegnen können. Auf diese Art werden Transzendenz und Immanenz miteinander versöhnt.

Imagination und Mediation, diese zwei Faivreschen Hauptkomponenten der Esoterik, spielen in der Theosophie eine bedeutende Rolle. Auch in den abrahamitischen Theosophien offenbart sich die Wahrheit nicht in abstrakten Begriffen, sondern nimmt sichtbare Formen an, kleidet sich in Hüllen. Die »Entschleierung der Isis«, können wir hinzufügen, ist ein aufklärerisches Projekt, Theosophie Aufklärung, Enthüllung. In sich selbst ist die Gottheit unveränderlich, und doch offenbart sie sich. Wir erkennen sie, aber nur durch die lebendigen Bilder, in denen sie sich manifestiert. Das Unbegrenzte begrenzt sich selbst, erscheint im Bild. Der Ungrund fasst sich im Grund, sagt Boehme. Aber wenn das Geschöpf seine Grenzen überschreitet und sich an das Unbegrenzte verliert, erleidet es das Schicksal Luzifers.

Jakob Boehme ist charakteristisch für diese Denkströmung, zugleich ein Vorbild für die moderne Theosophie. Für ihn ist die Natur eine Form der Offenbarung. Indem wir von unserer konkretesten Natur, unserer Leiblichkeit ausgehen, um uns zur Wissenschaft von der höheren Natur zu erheben, praktizieren wir eine Gnosis, die spezifisch theosophisch ist, weil sie nicht nur in abstraktem Wissen besteht, sondern mit einer Verwandlung unseres Wesens einhergeht.

Theosophische Diskurse sind stets auch durch die kulturellen Milieus geprägt, in denen sie stattfinden. So sind auch die Ausdrucksformen für Boehmes Theosophie aus mittelalterlichen mystischen Traditionen (des deutschen 14. Jahrhunderts) und einer durch Paracelsus inspirierten Naturphilosophie geschöpft. Was Boehme von der deutschen Mystik festhält, ist das Motiv der zweiten Geburt, das aus seiner Sicht dem Großen Werk des Alchemisten gleichkommt. Es ist die Geburt des Christus im Menschen durch den Heiligen Geist und den Vater. Bei Boehme dient die Philosophie der Natur dazu, diesen Begriff der zweiten Geburt durch eine Meditation über Symbole zu konkretisieren, den Heiligen Geist gleichsam in einem Körper aus Licht zu fixieren.

Im Gegensatz zu Mystikern wie etwa Johannes vom Kreuz, begnügt sich der Theosoph nicht damit, seinen Weg zu schildern, den er durch Qual und Wonne zurückgelegt hat, er geht von einem persönlichen Erlebnis aus, das er auf eine überpersönliche Ebene hebt, indem er es auf eine makrokosmische Seele in himmlischer Gestalt überträgt: hier wird das Irdische zum Beispiel für das Himmlische. Der Unterschied zur Mystik besteht darin, dass der Mystiker danach strebt, die Bilder loszuwerden, während für Boehme und Theosophen im allgemeinen das Bild die Erfüllung ist.

In dieser Hinsicht könnte man die Theosophie als eine Offenbarungstheologie bezeichnen, wobei die Offenbarung im Inneren des geschaffenen Wesens stattfindet und zugleich eine Selbstoffenbarung Gottes vor sich selbst ist. Sehr schön ließe sich dies, nebenbei bemerkt, an Steiners Werk »Die Mystik im Aufgang des neuzeitlichen Geisteslebens ...« verdeutlichen, für die der Gedanke der Selbstoffenbarung Gottes im menschlichen Erkennen zentral ist.

Theosophie ist eine Theologie des Bildes. Dieses Bild ist nicht bloß eine einfache Spiegelung, sondern repräsentiert die letzte Realität, da jedes endliche Wesen sein eigenes Bild hervorbringen muss, in dem sein vollendetes Wesen zum Ausdruck kommt. Indem wir unsere Vollkommenheit oder unsere Ganzheit realisieren, inkarnieren wir uns. Jedes Wesen besitzt ein Vollendungsziel, das durch das Bild und seine Verkörperung erreicht wird. (Im 17. Jahrhundert bedeutet Bild sowohl »Abbild« als auch »Leib«). Wie man sieht, kreist diese Theologie des Bildes um das anthropologische Urmotiv der Genesis, nach dem der Mensch »Bild und Gleichnis« Gottes ist. Der Buchstabe der Heiligen Schrift ist für die Theosophen in Wahrheit ein Leib, in dem Gott sich manifestiert und daher sind fast alle christlichen Theosophen bibelfest, sie wollen ebenso schriftkundig sein, wie die jüdischen Kabbalisten.

Den Erfolg der Pansophie und Theosophie im intellektuellen und spirituellen Kontext der späten Renaissance erklärt Faivre aus einem allgemeinen Trend des 17. Jahrhunderts, nach einer Erklärung des Universums zu suchen. Sowohl das wissenschaftliche als auch das theologische Denken bemühte sich, die Beziehung zwischen dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos, zwischen dem Menschen und der Welt zu klären und alles in eine umfassende Harmonie zu bringen, in eine Synthese, die imstande war, die Solidarität der Geister herbeizuführen. Daher erscheint die Pansophie, die Gesamtwissenschaft, als Zweig der Theosophie, ja als ihr Synonym. Auf der anderen Seite schloss die Reformation, diese spezifische Mischung aus Mystizismus und Rationalismus, wenn nicht theosophische Elemente, so doch wenigstens eine Veranlagung ein, die ihre Aufnahme begünstigte. Die Lektüre der Bibel, die vom Heiligen Geist geleitet sein sollte, musste zu tiefsinnigen individuellen Spekulationen führen, besonders, als die Menschen im Lutheranismus einen moralisierenden Katechismus zu sehen begannen, der durch etwas Nahrhafteres ergänzt werden musste.

Hinter der Komplexität der Wirklichkeit sucht der Theosoph die verborgenen Bedeutungen der Ziffern und Hieroglyphen der Natur. Seine Suche ist vom intuitiven Untertauchen in den Mythos, dem er durch seinen Glauben angehört, untrennbar. Aus diesem ruft seine aktive Imagination Resonanzen hervor, die sich in ein ganzes Bündel von Deutungen entfalten. Er denkt über die geschaffene Welt nach, um Gott zu verstehen, und versucht gleichzeitig, das Werden der göttlichen Welt zu erfassen. Seine Frage ist nicht, ob Gott existiert, sondern wie er existiert. Aus dem Werden Gottes sucht er die Welt zu verstehen und das tiefere Prinzip zu erfassen, aus dem sie entstanden ist. Er betont vor allem jene Seiten des Mythos, die die etablierten Kirchen vernachlässigen: den Fall Luzifers und Adams, die Mannweiblichkeit (Androgynie), die Sophiologie und Arithmosophie (z.B. die sieben Schöpfungstage). Er glaubt an eine fortdauernde Offenbarung, die ihm zugänglich ist, und seine Erörterungen machen stets den Eindruck, er empfange sein Wissen und seine Inspiration gleichzeitig. Er fügt jede einzelne Beobachtung in ein umfassendes System, das Faivre für antitotalitär, für unendlich offen hält. Die Grundstruktur dieses Systems ist triadisch: es schließt den Ursprung, den gegenwärtigen Zustand und das künftige Ende ein. Theosophie ist also Kosmogonie (die mit einer Theogonie und Anthropogonie verbunden ist), Kosmologie und Eschatologie.

Der Theosoph, wie der Gnostiker im allgemeinen, erwirbt seine Tiefensichten durch eine Wandlung seines Wesens, die unabdingbar ist, sobald er im theogonischen und kosmischen Drama seine Rolle spielt oder, wie Boehme, nach seiner zweiten Geburt sucht. Seine Erzählung vermittelt den Eindruck, weniger seine Schöpfung als die eines Geistes zu sein, der durch ihn spricht. Lediglich in der Wahl der Bilder, in der Form seiner Darstellung lässt sich die individuelle Spur des Verfassers erkennen. Ihm kommt es weniger darauf an, zu erfinden oder originell zu sein, als darauf, zu erinnern, die lebendigen Ausdrucksformen aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge wieder zu entdecken, indem er sowohl die göttliche als auch die geschaffene Natur bis ins Kleinste untersucht und zu einem Interpreten der Theosophen wird, die sich dieser Arbeit schon vor ihm gewidmet haben.

In der archaischen Epoche der Griechen bildeten Mythos und Logos, die zusammen die Mythologie ergeben, noch keinen Gegensatz, sondern schufen gemeinsam eine heilige Erzählung von Göttern und Heroen. Schritt für Schritt ließ der Logos den Mythos, die Philosophie die Mythologie hinter sich, laut Faivre zum Schaden der Metonymie und tiefschichtiger Metaphorik. Die neuere Hermeneutik hat zwar die Vielfalt der Bedeutungen wieder entdeckt, aber auch wenn sie diese Vielfalt zulässt, verfolgt sie doch ein anderes Ziel als die Theosophie. Die Theosophie beansprucht nicht, über etwas anderes als sich selbst zu reden. Die offenbarte Erzählung des Mythos, auf dem sie gründet, ist da, um erneut durchlebt zu werden, sonst droht die Auflösung in abstrakten Begriffen. Auf diese Weise hat Theosophie oft, wenn auch heimlich, die Theologie unterstützt, in Zeiten, da diese in der Abstraktion zu versinken drohte. Der abstrakte Begriff bedarf bei Boehme, Oetinger, Baader und anderen Theosophen der Neuinterpretation durch einen mythos-logos, bei der er, seines exklusiven Status beraubt, bestenfalls als vorläufiges, methodisches Werkzeug Verwendung findet. Denn viel mehr als die Abstraktion ist es das Erleben des Symbols, das die mythische Erfahrung gewährleistet. Jeder Mythos, der vollständig ist, also die drei genannten Zeitdimensionen enthält, wird immer auch als eine Erzählung des Ursprungs dargeboten. Er berichtet über Ereignisse, die in jener Zeit (in illo tempore) geschehen, wie Mircea Eliade ständig betont, über Ereignisse, die rituelle Handlungen und theosophische Diskurse erst ins Leben rufen.

Der Theosoph erforscht sorgfältig das Potential der mythischen Erzählform, den unendlichen Reichtum symbolischer Bedeutungen zu erschließen, das »natürliche Tableau der Beziehungen, die Gott, den Menschen und das Universum verbinden«, wie Louis-Claude de Saint-Martin es im Titel eines Werkes 1782 ausdrückt. Dieser Reichtum gibt dem Menschen die Mittel in die Hand, in seiner Welt wie in einem Baudelairschen Wald aus Symbolen zu leben. Von Symbolen, nicht Allegorien, denn es geht nicht darum, aus den Bildern, in die sich die mitgeteilte Erzählung kleidet, einen anderen Sinn zu extrahieren, einen Sinn, der möglicherweise in einer anderen Art von Diskurs zum Ausdruck gebracht oder auf diesen reduziert werden könnte.

Ständige Erneuerung des geheimen Sinnes der Schrift, eines Sinnes, den uns nur der Heilige Geist zu erschließen erlaubt, das ist Theosophie, die auf diese Weise den Anfang und das Ende zusammenschließt, die Theogonie, die in Wahrheit Anthropogonie ist, und die Eschatologie. Aber eine »vollständige« Theosophie fügt zu diesen Dimensionen die Kosmologie oder besser Kosmosophie, weitläufige Betrachtungen über die unterschiedlichen Materialien und Reiche der Natur, eine Gnosis, die genährt wird von der Entdeckung und Erklärung immer neuer Analogien. So wird das menschliche Dasein als eine Totalität begriffen, in der unser Leben nach Faivre seinen »wahren Osten« und seine »wahre Bedeutung« findet.

Die Theosophie ist mit der Prophetie vergleichbar, denn sie erläutert ebenfalls die Offenbarung, wenn auch in einer anderen Form. Besonders das Christentum bietet sich für eine solche Erweiterung an. In der jüdischen Tradition ist es der Midrasch, der die Offenbarung erneuert, indem er sie als etwas Gegenwärtiges interpretiert. Diese Notwendigkeit einer fortdauernden Offenbarung gehört zum Wesen des Christentums, auch wenn es in seinen Grundzügen festliegt, denn die Offenbarung verhüllt unweigerlich auch, was sie enthüllt – sie ist apophatisch: sie kann das Wesen der Gottheit nur durch Negation ausdrücken, oder indem sie vom Anderen redet, das Gott nicht ist, sondern seine Offenbarung. Über die Theophanie des Jesus sagen Origenes und Gregor von Nyssa, sein göttlicher Wesensglanz habe sich im Nebel offenbart. Das heißt, dass die Offenbarung bis ans Ende der Tage Gegenstand prophetischer Deutung bleibt, während die Theosophie den Wert des Nebels unterstreicht. In beiden Fällen ist das immer tiefere Eindringen in das Verständnis des Mysteriums weder eine unlösbare Aufgabe, noch ein Problem, sondern ein zentrales Anliegen, ein Anlass für endlose Meditation.

Faivre unterscheidet zwei Arten von Theologien. Jene, die von etablierten Bekenntnissen als offenbarte Wahrheit gelehrt wird. Und eine andere, die den Versuch unternimmt, ein Wissen (gnosis) von den unermesslichen Tiefen des Erlösungswerks zu erlangen. Ein Wissen, das sich auf den Aufbau der physischen und geistigen Welt bezieht, auf die Kräfte, die in der Zeit wirken, die Beziehungen zwischen diesen Kräften, makro- und mikrokosmischen, und die Geschichte ihrer Transformationen. Im Christentum gab es Theologen wie Bonaventura, die sich einer theosophischen Betrachtung der Natur widmeten, da die Entzifferung der Signaturen der Dinge eine der zwei komplementären Richtungen der Theologie ist. Der Theosoph seinerseits ist ein Theologe jener Heiligen Schrift, die Universum genannt wird.

Im Anschluss an Valentin Tomberg spricht Faivre von zwei Formen des theosophischen Verfahrens. Es gibt eine Theosophie der Zeit, einen »mythologischen Symbolismus«, in dem die mythischen Symbole die Korrespondenzen zwischen den in der Vergangenheit liegenden Archetypen und ihrer gegenwärtigen Erscheinung zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel werden der Falls Adams und Evas auf den Menschen als solchen übertragen, auf die Aufgabe, insbesondere das Erlösungswerk, das er an der Natur vollbringen muss.

Daneben gibt es eine Theosophie des Raumes, der Tomberg einen »typologischen Symbolismus« zuordnet. Diese findet sich im triadischen Weltprozess. Die Symbole verbinden die Urbilder in der Höhe mit ihren Erscheinungen in der Tiefe. Die Vision des Ezechiel enthält einen typologischen Symbolismus, eine allumfassende kosmologische Offenbarung. Die Merkaba oder der mystische Weg des Thronwagens basiert vollständig auf dieser Vision. Der Autor des Sohar sieht in den Lebewesen und Rädern, die Ezechiel beschreibt, komplexe symbolische Bilder, die zu einer tieferen Erkenntnis des Kosmos führen. Natürlich kommen beide Symbolismen auch gemeinsam vor.

Mystikern erscheinen die theosophischen Spekulationen über die Natur leicht als zu wissenschaftlich, während Anhänger eines rationalen Objektivitätsbegriffs dazu neigen, Naturphilosophen im Sinne der Romantik als zu mystisch zu empfinden, als Leute, deren Gerede am Ende nichts anderes enthüllt, als die Inhalte ihres Unterbewusstseins.

Doch heute, meint Faivre, werde die Theosophie wieder zunehmend Ernst genommen, da die Idee einer Wesensverwandtschaft zwischen dem menschlichen Geist und dem Universum immer mehr Akzeptanz finde.

Der theosophische Blick erweist sich als äußerst fruchtbar und vermag Dualismen und Ideologien auszugleichen. Tatsächlich verlangt die Theosophie nicht, über den Menschen hinauszugehen, um aus ihm etwas anderes zu machen. Sie erinnert ihn lediglich an seine ursprünglichen Fähigkeiten und versucht ihm diese zurück zu geben. Sie lehrt, dass nichts gewonnen ist, wenn wir voller Verachtung für die Erde den Himmel erstürmen oder wenn wir uns mit dem Abstieg der Götter begnügen, ohne mit ihnen den Olymp zu besteigen: Aufstieg und Abstieg, Castor und Pollux, sind untrennbar und entsprechen sich gegenseitig. Dank der Theosophie wird das zersplitterte Universum wieder eins, eine Welt voll ineinander verflochtener Bedeutungen, die aus lebendiger Vielheit besteht.


nach Oben