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Anthroposophie / trithemius verlag / Jahrbuch 2001 Wimmern / Deutsche Wochenschrift 1888

Unter Hammer und Hakenkreuz

Von Lorenzo Ravagli

Unter Hammer und Hakenkreuz. Der völkisch-nationalsozialistische Kampf gegen die Anthroposophie

Ravaglis Untersuchung zeigt die bedeutende Rolle, die die Anthroposophie im gesellschaftlichen Diskurs der wilhelminischen Ära und der Weimarer Republik spielte. Sie dokumentiert, in welcher Form sich die militant-konservativen und rechts-revolutionären Kreise dieser Gesellschaft von der Anthroposophie absetzten. Dadurch ergibt sich ein völlig neuer Blick auf die frühe anthroposophische Bewegung. Ist Rudolf Steiner in die völkische, die alldeutsche oder deutsch-nationale Bewegung einzuordnen? Diese Behauptung wird von manchen Autoren aufgestellt, die Steiner als deutschen Chauvinisten, als Befürworter des Imperialismus, der Rassenhygiene, ja als Esoteriker des Nationalsozialismus zu denunzieren versuchen. Die vorliegende Untersuchung stellt die Kampagnen und Intrigen dar, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Machtergreifung der NSDAP aus dem rechtskonservativen bis rechtsextremen politischen Spektrum gegen die Anthroposophie inszeniert wurden. Die bedeutendsten völkischen und nationalistischen Verbände der Kaiserzeit und der Weimarer Republik gehörten zu den erklärten Feinden der Anthroposophie. Lorenzo Ravagli rekonstruiert den fundamentalen Gegensatz zwischen der Anthroposophie und jeder Art von völkischer Bewegung.

Der zweite Teil des Buches vermittelt einen Einblick in die weltanschaulichen Konflikte innerhalb der theosophischen Bewegung und arbeitet die grundlegenden Differenzen zwischen dem von Guido von List konzipierten Armanismus bzw. der Ariosophie und der Anthroposophie Rudolf Steiners heraus. Dabei wird deutlich, dass ein erheblicher Teil der theosophischen Gegner der Anthroposophie aus Anhängern der völkischen Bewegung bestand, die versuchten, die humanistischen und menschheitlichen Ziele der Theosophie bzw. Anthroposophie für ihre gruppenegoistischen Ziele zu vereinnahmen.

Die Deutsche Wochenschrift 1888

Der Entwicklungsgang der Kultur im Menschheitsfortschritt

Als Steiner 1888, mit 26 Jahren für kurze Zeit »überstürzt« (Lindenberg) die Redaktion der Deutschen Wochenschrift übernimmt (vom 1. Januar 1888 bis zu ihrer Einstellung Ende Juli desselben Jahres), erhält er Gelegenheit, sein Urteil an politischen und kulturellen Strömungen, an Ereignissen und Personen zu üben. In einer Reihe von Artikeln für die Deutsche Wochenschrift versucht er deren Leserschaft schonend mit seinem Standpunkt eines geistverbundenen ethischen Individualismus vertraut zu machen, was ihm bei der liberalen Leserschaft, die in Österreich der politischen Linie eines konstitutionellen Monarchismus verbunden war, vermutlich wenig Sympathien eingetragen hat.

Es ist überaus erhellend, Steiners Schilderung seiner Tätigkeit als Herausgeber der DeutschenWochenschrift, die in seiner Autobiographie enthalten ist, zur Kenntnis zu nehmen, die sich aus den Beiträgen, die er für die Zeitschrift verfasste, sehr gut verifizieren lässt.66

»Es war das die Zeit, in der sich in dem damaligen Österreich diese Interessen den krisenhaften Erscheinungen zuwenden mussten, die in den öffentlichen Angelegenheiten sich offenbarten. Persönlichkeiten, mit denen ich viel verkehrte, widmeten ihre Arbeit und Kraft den Auseinandersetzungen, die sich zwischen den Nationalitäten Österreichs vollzogen. Andere beschäftigten sich mit der sozialen Frage. Wieder andere standen in Bestrebungen nach einer Verjüngung des künstlerischen Lebens darinnen.

(...)

In derselben Zeit fand es sich, dass ich mich in eingehender Art mit den öffentlichen Angelegenheiten Österreichs beschäftigen musste. Denn mir wurde 1888 für kurze Zeit die Redaktion der Deutschen Wochenschrift übertragen. Diese Zeitschrift war von dem Historiker Heinrich Friedjung begründet worden.«

Eine kurze Bemerkung zu Heinrich Friedjung. Friedjung war, ebenso wie Victor Adler, getaufter Jude, also Assimilant und gehörte vor 1885 neben Adler, Engelbert Pernerstorfer und Karl Lueger, dem späteren christlich-sozialen Bürgermeister Wiens, zu den wichtigsten Mitarbeitern des bedeutendsten Deutschnationalen Georg Ritter von Schönerer (zu diesem weiter unten). Im Kreis dieser Intellektuellen wurde das Linzer Programm, das Grundsatzpapier der Deutschnationalen im Jahr 1882 ausgearbeitet. Die jüdische Intelligenz trug wesentlich zur Gestaltung des Grundsatzprogramms des Deutschnationalismus bei. Friedjung wie auch Adler fielen der eigenmächtigen Nachinstallation des »Arierparagraphen« im Linzer Programm durch Schönerer zum Opfer. Sie mussten die Partei 1885 verlassen (auch dazu weiter unten).

Steiner fährt in seiner Autobiographie fort: »Meine kurze Redaktion fiel in die Zeit, in der die Auseinandersetzung der Völker Österreichs einen besonders heftigen Charakter angenommen hatte. Es wurde mir nicht leicht, jede Woche einen Artikel über die öffentlichen Vorgänge zu schreiben. Denn im Grunde stand ich aller parteimäßigen Lebensauffassung so fern als nur möglich. Mich interessierte der Entwickelungsgang der Kultur im Menschheitsfortschritt. [Kursiv L.R.] Und ich musste den sich daraus ergebenden Gesichtspunkt so einnehmen, dass unter seiner vollen Wahrung meine Artikel doch nicht als die eines »weltfremden Idealisten« erschienen.«

»Dazu kam, dass ich in der damals in Österreich besonders durch den Minister Gautsch eingeleiteten »Unterrichtsreform« eine Schädigung der Kulturinteressen sah. Auf diesem Gebiete wurden meine Bemerkungen einmal sogar Schröer, der immerhin für parteiliche Betrachtung viel Sympathie hatte, bedenklich. Ich lobte die sachgemäßen Einrichtungen, die der katholisch-klerikale Minister Leo Thun schon in den fünfziger Jahren für die österreichischen Gymnasien getroffen hatte, gegenüber den unpädagogischen Maßnahmen von Gautsch. Als Schröer meinen Artikel gelesen hatte, sagte er: Wollen Sie denn wieder eine klerikale Unterrichtspolitik in Österreich?

Für mich war diese kurze Redaktionstätigkeit doch von großer Bedeutung. Sie lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Stil, mit dem man damals in Österreich die öffentlichen Angelegenheiten behandelte. Mir war dieser Stil tief unsympathisch. [Kursiv L.R.] Ich wollte auch in die Besprechungen über diese Angelegenheiten etwas hineinbringen, das einen die großen geistigen und menschheitlichen Ziele in sich schließenden Zug hatte. Diesen vermisste ich in der damaligen Tagesschriftstellerei. Wie dieser Zug zur Wirksamkeit zu bringen sei, das war damals meine tägliche Sorge. [...]

Doch brachte mich diese Tätigkeit in eine ziemlich enge Beziehung zu Persönlichkeiten, deren Tätigkeit auf die mannigfaltigsten Zweige des öffentlichen Lebens gerichtet war. Ich lernte Viktor Adler kennen, der damals der unbestrittene Führer der Sozialisten in Österreich war. In dem schmächtigen, anspruchslosen Mann steckte ein energischer Wille. Wenn er am Kaffeetisch sprach, hatte ich stets das Gefühl: der Inhalt dessen, was er sagte, sei unbedeutend, alltäglich, aber so spricht ein Wille, der durch nichts zu beugen ist. Ich lernte Pernerstorfer kennen, der sich in der Umwandlung vom deutschnationalen zum sozialistischen Parteigänger befand. Eine starke Persönlichkeit von umfassendem Wissen. Ein scharfer Kritiker der Schäden des öffentlichen Lebens. Er gab damals eine Monatsschrift Deutsche Worte heraus. Die war mir eine anregende Lektüre. In der Gesellschaft dieser Persönlichkeiten traf ich andere, die wissenschaftlich oder parteigemäß den Sozialismus zur Geltung bringen wollten. Durch sie wurde ich veranlasst, mich mit Karl Marx, Friedrich Engels, Rodbertus und anderen sozial-ökonomischen Schriftstellern zu befassen. Ich konnte zu alledem ein inneres Verhältnis nicht gewinnen. Es war mir persönlich schmerzlich, davon sprechen zu hören, dass die materiell-ökonomischen Kräfte in der Geschichte der Menschheit die eigentliche Entwickelung tragen und das Geistige nur ein ideeller Überbau dieses «wahrhaft-realen» Unterbaues sein sollte. Ich kannte die Wirklichkeit des Geistigen. Es waren die Behauptungen der theoretisierenden Sozialisten für mich das Augen-Verschließen vor der wahren Wirklichkeit.«

Die Äußerungen Steiners über seine eigentlichen Intentionen und Interessen im Rückblick von 1924 lassen sich durch eine nähere Betrachtung seiner Aufsätze aus dem Jahr 1886 verifizieren. Wir müssen uns diese deswegen etwas näher ansehen.

Fortsetzung: Steiners politische Ansichten 1888


Anmerkungen

66) Die folgenden Zitate finden sich auf den Seiten 144-147 von Mein Lebensgang.


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