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Unter Hammer und Hakenkreuz

Von Lorenzo Ravagli

Unter Hammer und Hakenkreuz. Der völkisch-nationalsozialistische Kampf gegen die Anthroposophie

Ravaglis Untersuchung zeigt die bedeutende Rolle, die die Anthroposophie im gesellschaftlichen Diskurs der wilhelminischen Ära und der Weimarer Republik spielte. Sie dokumentiert, in welcher Form sich die militant-konservativen und rechts-revolutionären Kreise dieser Gesellschaft von der Anthroposophie absetzten. Dadurch ergibt sich ein völlig neuer Blick auf die frühe anthroposophische Bewegung. Ist Rudolf Steiner in die völkische, die alldeutsche oder deutsch-nationale Bewegung einzuordnen? Diese Behauptung wird von manchen Autoren aufgestellt, die Steiner als deutschen Chauvinisten, als Befürworter des Imperialismus, der Rassenhygiene, ja als Esoteriker des Nationalsozialismus zu denunzieren versuchen. Die vorliegende Untersuchung stellt die Kampagnen und Intrigen dar, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Machtergreifung der NSDAP aus dem rechtskonservativen bis rechtsextremen politischen Spektrum gegen die Anthroposophie inszeniert wurden. Die bedeutendsten völkischen und nationalistischen Verbände der Kaiserzeit und der Weimarer Republik gehörten zu den erklärten Feinden der Anthroposophie. Lorenzo Ravagli rekonstruiert den fundamentalen Gegensatz zwischen der Anthroposophie und jeder Art von völkischer Bewegung.

Der zweite Teil des Buches vermittelt einen Einblick in die weltanschaulichen Konflikte innerhalb der theosophischen Bewegung und arbeitet die grundlegenden Differenzen zwischen dem von Guido von List konzipierten Armanismus bzw. der Ariosophie und der Anthroposophie Rudolf Steiners heraus. Dabei wird deutlich, dass ein erheblicher Teil der theosophischen Gegner der Anthroposophie aus Anhängern der völkischen Bewegung bestand, die versuchten, die humanistischen und menschheitlichen Ziele der Theosophie bzw. Anthroposophie für ihre gruppenegoistischen Ziele zu vereinnahmen.


Verurteilungen des Antisemitismus

Nicht nur der Briefwechsel mit Rudolf Ronsperger37 ist für Steiners Position in seiner Wiener Studienzeit höchst aufschlussreich, Steiner hat auf Ronsperger, der sich mit 38 Jahren das Leben nahm, 1900 im Magazin für Literatur auch einen Nachruf veröffentlicht, in dem er auf seine Wiener Studienzeit zurückblickte.38

In Steiners Briefen an Ronsperger finden sich einige der schärfsten Verurteilungen des Materialismus des 19. Jahrhunderts: so sieht er in Ludwig Büchners Kraft und Stoff nichts als »selbstverständliche, triviale, abgeschmackte«39 Platitüden und in Eugen Dührings KursusderPhilosophieden »ärgsten Ausbund aller philosophischen Rückläufigkeiten«40, ja er bezeichnet Dührings Anschauung als »barbarisch und kulturfeindlich«. Dessen [von Antisemitismus triefenden] »Schriften über die Juden«41 sind für Steiner »die strengsten Konsequenzen seiner beschränkten egoistischen Philosophie«.

In Gestalt Dührings verurteilte Steiner einen der profiliertesten deutschen Antisemiten der damaligen Zeit. Der Sozialist und Materialist Dühring versuchte den Rassenantisemitismus philosophisch zu begründen, sowie biologisch und historisch zu rechtfertigen. Für Dühring war »der Jude« nicht nur »unschöpferisch«, sondern auch eines der »niedrigsten und misslungensten Erzeugnisse der Natur« und er hielt die »Judenfrage« (im Jahr 1881 wohlgemerkt) nur durch eine gesamteuropäische Säuberungsaktion für lösbar, »durch Ausgliederung der Juden aus allen Völkern, durch Rückgängigmachen der Emanzipation, durch Ausnahmerechte, Deportationen und Gründung eines Judenstaates, wo sie sich dann schon von selber ausrotten würden.«42

Am 26. August 1881 kommt Steiner in einem Brief an Ronsperger erneut auf Dühring zu sprechen, bezeichnet dessen Philosophie als »barbarischen Unsinn«, als »Blödsinn«, und meint schließlich »leidenschaftlich erregt«: »Wenn man diese Dinge liest, so glaubt man sich zuweilen ... nicht unter Deutschen. Deutsche können denken, die Materialisten können nicht und sind zu faul dazu. Um Hegel zu verstehen, muss man Lust am Denken haben, wie er es selbst hatte; man muss aber auch dem freien fortschrittlichen Denken, dem kulturfreundlichen Lichte gewogen sein und nicht mit den Banden des hergebrachten traditionellen Dogmas gefesselt sein, wie es die Materialisten alle sind.«43

Steiner hingegen empfiehlt seinem Freund wärmstens die Philosophie des deutschen Idealismus, unter anderem Fichte, denn »ich versichere Sie, es krankt unsere ganze Zeit daran, dass sie sich von der an sich widerspruchslosen Religion losgemacht, einer seichten Aufklärung und Aufklärerei hingegeben und sich bis zu den wieder widerspruchslosen, Vernunft wie Herz völlig zufriedenstellenden Lehren der Philosophie nicht aufschwingen kann. Die Religion wie die Philosophie söhnen gleicherweise mit der Welt aus; die seichte Aufklärung ganz allein erzeugt Disharmonien.«44

Was Steiner 1881 unter Philosophie verstand und worin er deren Bedeutung sah, weshalb er auch seinen Freund ausdrücklich auf Fichte verwies, machte der 21jährige in einem Brief am 16. August deutlich: »Den eigentlichen Begriff und das Wesen des Menschen macht aus: die Sehnsucht nach dem Absoluten, Ewigen, Unsterblichen [...] Dem Absoluten allein kommt die höchste Wirklichkeit zu. Alles was nicht im Absoluten aufgeht ist Schein, Täuschung, Irrtum, »des Sterblichen Meinung«, wie Parmenides sagte. Das Streben nach dem Absoluten, diese Sehnsucht des Menschen ist Freiheit. Jedes andere Ziel bringt Irrtum, Täuschung, Schein hervor und verdankt nicht der Freiheit, sondern der Willkür den Ursprung. [...] Der Schein muss zerstört, der Schleier gehoben werden, und die Wahrheit, die Gottheit steht vor uns; die Welt steht im neuen Lichte vor uns. Wie töricht waren wir, da wir das nicht erkannten. Mit der Willkür streifen wir auch alle uns noch anhaftenden Züge der seichten Weltanschauung ab; wir erkennen, dass wir uns missverstanden haben. Wir verstehen uns jetzt erst, wir verstehen Religion, Kunst und Philosophie in ihrem Zusammenhange. Wir streifen die gewöhnlichen landläufigen Anschauungen von Ewigkeit, Unendlichkeit ab und ein ganz neues Gebäude steht vor uns. Es geht uns der Sinn für eine Unendlichkeit auf, von der wir keine Ahnung hatten, ja nicht haben konnten. [...] Nennen wir dieses Erkennen der höchsten Wahrheiten: das Zusammengehen des Menschen mit dem Absoluten, so finden wir, dass in diesem Zusammengehen seine höchste Freiheit erblüht. Er findet sich in einem Punkte des Universums und nun hat er seinen Standpunkt – jetzt kommt, was wir im Winter schon einmal besprachen –, von da aus überblickt er die Welt. Er beurteilt sie, beurteilt sich und ist zufrieden mit sich, der Welt und allem. In der höchsten Freiheit manifestiert sich das höchste Glück, die vollste Zufriedenheit. Der Mensch hat seine Bestimmung erkannt; er ist mit allem versöhnt.«45

In Steiners Briefen an Ronsperger findet sich auch ein Zeugnis seiner Begeisterung für den Historiker, Literaturwissenschaftler und Politiker Gervinus, der zu den Göttinger Sieben gehörte, die aufgrund ihres Protestes gegen die Aufhebung der Landesverfassung durch Ernst August von Hannover, von diesem im November 1837 ihres Lehramtes an der Göttinger Universität enthoben und des Landes verwiesen worden waren. Gervinus gehörte zu einem aufrechten Häuflein mutiger Demokraten, die mit ihrer Treue zur Verfassung ihre eigene Existenz aufs Spiel setzten und der Willkür eines selbstherrlichen Despoten Widerstand leisteten. Steiner brachte gegenüber Ronsperger seine Freude zum Ausdruck, dass dieser durch Gervinus zu einem jener »weltumspannenden Gedanken« des »Ideenheros Schiller« geführt worden sei: dem Gedanken der Freiheit und der Totalität der Geistesbildung nämlich. Dieser Gedanke sei auch des Gervinus Anliegen gewesen: alle Ideen, die einst im alten Griechenvolk lebten, hätten im deutschen Volk neue Blüten getrieben, und strebten zu ihrer realhistorischen Verwirklichung. Diese Verwirklichung sei nicht die Aufgabe der Poesie oder Philosophie oder eines einzelnen Mannes allein, sondern sie sei Aufgabe der Parlamente und Volkserzieher, schreibt der 20jährige an seinen Freund.46

In seinem Nachruf auf Ronsperger im Jahr 1900 distanziert sich Steiner ausdrücklich von der völkisch-rassistischen Interpretation des Gedankens der deutschen Nation durch Georg von Schönerer. »Ich begann in den achtziger Jahren meine Studien an der Wiener Technischen Hochschule. Es war eine Zeit, in der sich in Österreich viel entschied. Der Liberalismus, der nach der Niederlage von Königgrätz eine kurze Blütezeit erlebt hatte, weil maßgebende Kreise von ihm die Rettung des durch die Bureaukratie in die völlige Verwirrung gebrachten Staates erhofften, war in seinem Ansehen gesunken. Er hatte die Führung im Reiche verloren, teils aus Schwäche, teils weil man ihm eine allzu kurze Zeit zur Verwirklichung seiner Absichten gelassen hatte. Wir jungen Leute von damals erwarteten von ihm nichts Erhebliches mehr. [...] Um so hoffnungsfreudiger glaubten die jüngeren Deutschen [in Österreich] in die Zukunft blicken zu dürfen, wenn sie ihr eigenes Volkstum betonten, wenn sie sich in ihre Nationalkultur vertieften und den Zusammenhang mit dem Gange des Geisteslebens in Deutschland pflegten. In solche Ideale lebten sich die deutschen akademischen Jünglinge in den achtziger Jahren ein. Sie bemerkten nicht, dass die Entwicklung der wirklichen Vorgänge eine Richtung nahm, in der nur Bestrebungen Aussicht auf Erfolg hatten, die auf viel gröberen Voraussetzungen ruhten, als die ihrigen waren. Die große Wirkung, die bald darauf Georg von Schönerer erzielte, der an die Stelle der idealistischen deutsch-nationalen Tendenzen den Rassenstandpunkt des Antisemitismus setzte, konnte uns zu keiner Bekehrung veranlassen. [Kursivsetzung L.R.] Selten tun ja Idealisten in einem solchen Falle etwas anderes, als in Klagen ausbrechen über die Verkennung ihrer berechtigten Bestrebungen. Diesen Idealisten wurde damals in Österreich gewissermaßen der Boden unter den Füßen weggezogen. Ihre Tätigkeit wurde gelähmt durch einen öffentlichen Geist, an dessen Bestrebungen sie keinen Anteil haben wollten.«47

Bierl erwähnt auch nicht die Tatsache, dass Steiner ab Juli 1884 als Hauslehrer und Erzieher im Hause der jüdischen Familie Specht tätig wurde, eine Tätigkeit, die er als antisemitischer Deutschnationaler wohl kaum angenommen und bis zum September 1890 ausgeübt hätte, als er wegen seiner Berufung ans Goethearchiv nach Weimar übersiedelte. Im November 1884 verfasste Steiner als Dreiundzwanzigjähriger übrigens für eine Zeitschrift, die in Hermannstadt in Siebenbürgen für die dort lebenden »Sachsen« erschien, einen Aufsatz, in dem er auf Darwin, Haeckel und Bismarck einging.48 Herausgeber war der mit ihm befreundete Moriz Zitter. Der Aufsatz stellt eine hochgemute Beschwörung der Genien des deutschen Volkes angesichts des beobachtbaren geistigen und kulturellen Niedergangs dieses Volkes in den verstrichenen Dezennien dar. Steiner versucht in diesem Aufsatz, die in der Diaspora lebenden Deutschen an den wahren Genius ihres Volkes zu erinnern und sie von falschem Nationalismus abzuhalten.

Am 22. Juli 1893 schrieb Steiner von Weimar aus an Pauline Specht: »In Weimars einförmige Ruhe brachte die Reichstagswahl einige Aufregung. Wir haben zwar hier keine Ahlwardts und Försters, aber gerade viel Intelligenz ist auch hier nicht gelegentlich des Wahlfeldzugs entwickelt worden. Im Ganzen muss man wohl sagen, wenn man diese Sache im Heiligen Römischen Reiche von innen mitangesehen hat: Durch die letzte Wahl hat sich eine Zunahme an Roheit und Unverstand in den Massen gezeigt, die ich wahrhaft erschreckend finde. Dass ein – von allem übrigen abgesehen – maßlos alberner Mensch, der alle Luegers an »Lügen-Genie«turmhoch überragt, zwei Parlamentssitze erobert und zahllose Anhänger hat, zeugt doch von einer Verkommenheit des öffentlichen Geistes, die man nicht genug beklagen kann.«49

Fortsetzung: Steiner und Fichte


Anmerkungen

37) Ebenda, S. 57.

38) Briefe I, a.a.O., S. 18. f.

39) GA 31, S. 360 f.

40) Briefe I, a.a.O., S. 20.

41) Diese und die folgenden Stellen: Briefe I, a.a.O., S. 21.

42) Gemeint sind das 1881 in Berlin erschienene Buch Eugen Dührings Die Judenfrage als Rassen-, Sitten und Kulturfrage sowie dessen 1881 in Karlsruhe erschienene Publikation Die Überschätzung Lessings und dessen Anwaltschaft für die Juden.

43) Zitiert nach: Bronder, Bevor Hitler kam, Genf 1975, S. 380.

44) Briefe I, a.a.O., S. 44-45.

45) Briefe I, a.a.O., S. 28

46) Ebenda, S. 30-31.

47) Siehe den Brief vom 3. August 1881 an Rudolf Ronsperger, S. 22-26, Briefe I, a.a.O. 47) GA 31, S. 361-362.

48) Rudolf Steiner: Ein freier Blick in die Gegenwart, Deutsche Lesehalle für alle Stände 1884, 1. Jg., Nr. 1 u. 2, veröffentlicht in : GA 30, Methodische Grundlagen der Anthroposophie, Dornach 1961, S. 232 f.

49) Hermann Ahlwardt war antisemitischer Agitator in Leipzig, Paul und Bernhard Förster waren deutsche Antisemiten, letzterer mit Elisabeth Nietzsche verheiratet, der »maßlos alberne Mensch« der antisemitische Agitator Otto Bökel, Redakteur des antisemitischen Reichsherolds und Führer der »Deutschen Reformpartei«, die durch den Zusammenschluss mit der »Antisemitischen Volkspartei« in den Reichstagswahlen Ende Juni 1893 16 Sitze eroberte. Briefe II, S. 136-137. – Im übrigen sei zu diesem Fragenkomplex des angeblichen Antisemitismus auf die Arbeit von Bader, Leist, Ravagli: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Antisemitismusvorwurf, Stuttgart 2001, verwiesen.

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